Wintersport, Lawinen und die Zukunft
Seit Donnerstag tagt die Weltgemeinschaft in Dubai zur 28. Weltklimakonferenz 2023 (Conference of the Parties COP). Bis zum 12. Dezember beraten Staats- und Regierungsvertreterinnen und -vertreter um die Frage, wie die Erderwärmung begrenzt werden kann.
Das Schweizerische Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) und die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) haben anlässlich der Weltklimakonferenz eine Serie von Beiträgen veröffentlicht, die Forschungsergebnisse und Auswirkungen des Klimawandels in verschiedenen Bereichen – von der Biodiversität bis zu den Lawinen – betrachten.
Der Untergang des Naturschnees
Höhere Temperaturen, weniger Naturschnee: Auf Tourismusdestinationen und Wintersportlerinnen und Wintersportler kommen herausfordernde Zeiten zu. In den vergangenen Jahrzehnten gingen die mittleren Schneehöhen deutlich zurück, beispielsweise waren sie in den vergangenen 30 Jahren in Sedrun fast 30 Prozent niedriger als in den 30 Jahren zuvor, 36 statt 51 Zentimeter, in Klosters waren es rund 43 Prozent Unterschied, statt 78 nur noch 44 Zentimeter. Schon jetzt steigt die Zahl der Perioden mit Nassschnee.
Mitte des Jahrhunderts dürfte in tiefen Lagen Schnee – wenn er mal kommt – gleich wieder tauen.
Jochen Bettzieche, WSL
Im Mittel wird es ohne ausreichenden Klimaschutz bereits in den kommenden 30 Jahren beispielsweise im Jura keine 50 Neuschneetage pro Saison mehr geben – zwischen 1981 und 2010 war das noch das absolute Minimum.
Schneemengen so gering wie nie
Langfristig betrachtet, hat es in den vergangenen 30 Jahren in der Schweiz je nach Ort und Lage bis zu 60 Prozent weniger Schneetage als in der Periode von 1963 bis 1992 gegeben, zeigt eine Analyse von SLF-Klimatologen.
Historische Aufzeichnungen belegen zudem, dass in den vergangenen 500 Jahren im Schweizer Mitteland die Schneemengen noch nie so gering waren wie in den vergangenen Jahrzehnten.
Wenn sich die Erde weiter so erwärmt wie bislang, wird in Zürich ab 2050 nur noch circa alle 15 Jahre mehr als eine Woche lang Schnee liegen. Zwischen 1963 und 1992 waren es jedes Jahr im Durchschnitt noch 34 Tage – pro Jahr.
Die Grenzen des Kunstschnees
Die Kompensation mit Kunstschnee hat ihre Grenzen: Zum einen benötigt man dafür ausreichend Wasser und Energie, zum anderen muss das Wetter zumindest teilweise mitspielen. So war es wegen vergleichsweise hoher Temperaturen im Winter 2022/23 vielen Wintersportorten nicht möglich, genügend Kunstschnee zu produzieren.
Klimaszenarien zeigen, dass ohne Klimaschutzmassnahmen die Nullgradgrenze bis 2050 in Höhenlagen zwischen 1100 und 1300 Metern steigen wird. Selbst dort wird dann mit Naturschnee allein kein Wintersport mehr möglich sein.
Tiefer gelegene Destinationen sind gut beraten, umzudenken und bereits jetzt Ideen zu entwickeln, mit welchen Argumenten und Aktivitäten sie Besucher anlocken, wenn der Schnee ausbleibt
Schnee übersommern
Einige Orte versuchen es teilweise mit Snowfarming: Während der Wintersaison wird ein Kunstschnee-Depot angelegt und isoliert, so dass zu Beginn der nächsten Saison ausreichend Schnee für den Wintersport vorhanden ist. Aber auch dafür muss es kalt genug sein.
Klar ist: In den zentralen, europäischen Mittelgebirgen hat Wintersport ohne Snowfarming und Beschneiung keine Zukunft, sind sich SLF-Forschende einig.
In den kommenden 20 Jahren bietet Snowfarming vor allem nordischen Skigebieten viel Potenzial. Doch während für etwa fünf Kilometer Loipe beispielsweise nur 15000 Kubikmeter gebraucht werden, liegt der Bedarf schon für kleine Skipisten bei 45000 Kubikmeter – also dem Dreifachen.
SLF-Forschende untersuchen, wie Wintersportorte künftig ihr Schneemanagement ressourcenschonend gestalten können.
Der Klimawandel und die Lawinen
Weniger Schnee bedeutet nicht weniger Lawinen: SLF-Forschende haben untersucht, welche Folgen der Klimawandel auf die Lawinenaktivität in der Schweiz oberhalb von 1800 Metern über dem Meeresspiegel haben wird.
Die Zahl der trockenen Lawinen wird zwar abnehmen, aber je nach Klimaszenario nimmt die Zahl der Nassschneelawinen gleichzeitig zu, auch während der touristischen Hochsaison.
Jochen Bettzieche, WSL
Ein Effekt, der in den kommenden Jahrzehnten erst wenig, bis zum Ende des Jahrhunderts aber immer deutlicher zu Tage treten wird. Nassschneelawinen können Lawinensicherheitsdienste aber kaum künstlich auslösen. Als Gegenmassnahme hilft im Ernstfall dann nur, gefährdete Bereiche eines Skigebiets vorübergehend zu schliessen. Zudem ist es für Lawinenwarndienste schwieriger, die Lage zu beurteilen, wenn der Schnee nass ist als bei trockenen Verhältnissen.
Die gute Nachricht: Lawinen dürften künftig Tallagen seltener erreichen. Ausserdem werden bei wärmeren Temperaturen immer weniger Schwachschichten in der Schneedecke entstehen. Freizeitsportler werden daher seltener Lawinen auslösen. Zudem sollten sie sich verstärkt mit dem Thema Nassschneelawinen auseinandersetzen, da diese im Hochwinter häufiger werden.
Um ein differenzierteres Bild über die Folgen des Klimawandels auf die Lawinenlage zu erhalten, haben Forschende des SLF erstmals detailliert die Schneedecke und das Fliessverhalten des Schnees für verschiedene Klimaszenarien simuliert. Das erlaubt ihnen abzuschätzen, wie stabil die Schneedecke je nach Szenario sein wird, welche Reichweite Lawinen haben und welchen Druck sie ausüben werden.
Langfristig, gegen Ende des 21. Jahrhunderts, geht die Gefahr durch die Schneemassen im Mittel auf jeden Fall zurück, prognostizieren Forschende des SLF. Während sich mittlere Trends mit Hilfe der aktuellen Klimaszenarien abschätzen lassen, ist es ungewiss, ob und wie intensiv in Zukunft außerordentliche Wetterlagen mit Starkschneefällen auftreten werden. Es sind diese eher extremen Situationen, die zu intensiver und im Alpenraum verbreiteter Lawinenaktivität führen.
Denn sehr große Lawinen, die bis in Tallagen vorstoßen, sind das Resultat intensiver Niederschläge in wenigen Tagen aufgrund einer speziellen Wettersituation.
Jochen Bettzieche, WSL
Dazu gibt es aktuell keine verlässlichen Projektionen. Denn derzeit bilden Klimaszenarien solche Extremwetterlagen nur ungenügend ab. Kurzfristig, in den kommenden Dekaden, könnte jedoch die Gefahr in der Höhe zunehmen. Während tiefere Lagen sicherer werden, sorgen intensivere Niederschläge in hohen Lagen für mehr Schnee, so dass größere Lawinen, die mehr Druck ausüben, zu erwarten sind. In der Praxis wird das auch für Infrastruktur in exponierten Lagen relevant, beispielsweise die Hütten des Schweizer Alpen-Clubs SAC.
Gemäß einer SLF-Studie bedrohen Lawinen 66 der 153 Hütten. Bei einigen steigt die Gefahr durch den Klimawandel, bei andern geht sie zurück.
Geht beispielsweise ein Gletscher zurück, kann das Anrissgebiet für Lawinen grösser werden. Gleichzeitig kann das aber auch bedeuten, dass Lawinen künftig mehr Auslauf haben und bislang gefährdete Gebäude nicht mehr erreichen. Keine Schnee- sondern eine Eislawine bedroht hingegen die Fridolinshütte des SAC am Tödi. Sollte der heute angefrorene Gletscher hoch oberhalb der Hütte durch den Klimawandel instabil werden, könnten mehrere Millionen Kubikmeter Eis ins Tal donnern.
Die ganze Serie in der Übersicht gibt es beim SLF/WSL.
Quelle: Pressemitteilung WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF
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