Winter 2023/24: Was gibt es Neues am Markt?
1. Pieps
Schon allein vom auffälligen Design her eine Neuerung unter den LVS-Geräten: Das PIEPS PRO IPS kommt mit ausklappbarer Antenne und hat auch sonst noch allerhand zu bieten. Ist das neue Flagship-PIEPS wirklich die große Revolution, wie firmenseitig behauptet wird? Fünf Fragen an Wolfgang Platzer, R&D Director bei PIEPS und der Kopf hinter dem neuen PRO IPS.
bergundsteigen: Warum hat PIEPS ein völlig neues Gerät entwickelt?
Wolfgang Platzer: Der größte Treiber war, dass immer mehr analoge Bauteile von namhaften Herstellern mittelfristig abgekündigt werden. Um sicherzustellen, dass wir auch in zehn Jahren noch ein qualitativ hochwertiges LVS bauen können, war ein komplettes Redesign notwendig. In über vier Jahren Entwicklungsarbeit haben wir das PRO IPS von Grund auf neu entwickelt, vom weißen Blatt Papier weg. Mit dem neuen Design konnten 70 Prozent der analogen Bauteile eliminiert werden, denn die Signalverarbeitung findet nun hauptsächlich digital statt.
bergundsteigen: Was unterscheidet das PRO IPS von anderen LVS-Geräten?
Platzer: Der Hauptunterschied ist sicherlich das neue Design. Mit dem PRO IPS bringen wir eine völlig neue Generation von LVS- Geräten auf den Markt. Der auch optisch auffälligste Unterschied ist die ausklappbare Antenne, mit der wir gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen ist das Design sehr intuitiv.
Auch wenn man seit 10 Jahren nicht mehr auf Skitour war, kann man sich noch gut daran erinnern, dass man durch das Ausklappen der Antenne in den Suchmodus wechselt. Außerdem befindet sich der Ausschaltknopf unter der Antenne, so dass er im Sendebetrieb nicht versehentlich betätigt werden kann. Es ist also optisch sichtbar, ob das Gerät auf Suchen oder Senden ist – auch ein großer Vorteil für Einsatzleiter und Bergretter, denn man sieht sofort, wer sucht und wer sendet.
Und dann gibt es natürlich die technischen Vorteile: Durch den größeren Abstand zwischen den Antennen kann das PRO IPS beide Antennen gleichzeitig verarbeiten und auswerten, was sonst kein anderes Gerät kann. Und die hohe Reichweite – die war bisher dadurch begrenzt, dass auf der Platine Ströme fließen, die auch die hochempfindliche Antenne stören. Wenn man die Antenne jetzt aufklappt und damit von der Elektronik wegbringt, erreicht man eine bis zu 20 Prozent höhere Reichweite. So kommen wir auf eine Suchstreifenbreite von 80 Metern.
bergundsteigen: IPS steht für Interference Protection System. Kannst du die Technik dahinter erklären?
Platzer: Jeder Stromfluss in einem Gerät erzeugt ein Magnetfeld. Und die LVS-Technologie basiert auf der exakten Messung des vom Sender erzeugten Magnetfeldes. Wenn sich das Magnetfeld eines anderen Gerätes zufällig in einem Frequenzbereich ändert, der der Sendefrequenz vom LVS ähnlich ist, dann stört das. Früher hatten die Leute viel weniger elektronische Geräte bei sich, heute hat der normale Bergwanderer oft zwei bis drei Gadgets dabei, vom Handy über die GoPro bis zum Funkgerät. Jedes davon ist ein potenzieller Störkandidat.
Das LVS muss also diese Störsignale so weit wie möglich eliminieren, damit nur noch echte Impulse übrigbleiben. Auch die Sendeleistung eines LVS kann sehr leicht beeinflusst werden, wie der Test mit einer Packung „Manner Schnitten“ zum Beispiel zeigt. Die Verpackung beinhaltet eine metallische Folie und jedes magnetisch aktive Teil kann die Sendeleistung um 30 bis 40 Prozent reduzieren. Auf diesen externen Einfluss muss das LVS reagieren können. Der Oberbegriff für die Technik hinter dem IPS ist „Digital Signal Processing“.
Man arbeitet mit allen möglichen Arten von Filtern und digitaler Signalverarbeitung, die beim Empfang alle Signale bestmöglich klassifizieren, filtern und eben alles Störende herausfiltern. Als Verschütteter unter einer Lawine nützt mir natürlich das beste Suchgerät nichts, nur das beste Sendegerät rettet mein Leben. Deshalb wird auch beim Senden jeder Puls gemessen und überprüft, ob er mit den richtigen Parametern sendet.
Und wenn nicht, dann wird noch während des Sendens der Puls dynamisch so angepasst, dass er mit der maximalen Leistung gesendet wird. Im Grunde ist es auch eine Kombination aus veränderter Hardware und verbesserter Software. Die große Herausforderung besteht darin, den perfekten Sender und den perfekten Empfänger unter einen Hut zu bringen. Senden und Empfangen stellen unterschiedliche Anforderungen an die Antenne, aber ich habe nur ein Gerät, das alles können muss.
bergundsteigen: Was genau ist das Dual Antenna Signal Processing?
Platzer: Das Empfangsgerät muss die Position des Sendegeräts in einem dreidimensionalen Raum bestimmen. Das funktioniert über die Messung des Magnetfeldes in allen drei Richtungen X, Y und Z. Die alten Einantennengeräte von früher musste man daher manuell schwenken, um in allen Richtungen messen zu können. Moderne Dreiantennengeräte messen alle drei Richtungen mit drei orthogonal angeordneten Antennen.
Da diese Antennen sehr nahe zueinander angeordnet sind, kann man die Antennen nur einzeln – also nacheinander – messen. Sonst würden sie sich gegenseitig beeinflussen. Wenn man eine Richtung misst, dann ist man in den anderen beiden Richtungen „blind“. Signale aus diesen werden dann verpasst. Das PRO IPS kann erstmals zwei Antennen gleichzeitig messen, so dass man die beiden Hauptrichtungen permanent messen und auswerten kann. Dadurch werden auch bei Mehrfachverschüttungen keine Signalteile verpasst und die Signaldetektion funktioniert um ein Vielfaches exakter.
bergundsteigen: Warum baut PIEPS überhaupt ein Profi-Gerät? Sollten die Geräte nicht für jeden intuitiv zu bedienen sein, macht das eine Profi-Serie nicht komplizierter für Ausbildner/ Bergretter?
Platzer: Standardanwender profitieren von der sehr großen Reichweite und der perfekten Signalqualität. Mitarbeiter von professionellen Einsatzorganisationen müssen im Menü erst den Profi-Modus aktivieren, dann geht es aber auch um Mehrfachverschütteten-Szenarien mit mehreren Einsatzkräften, für die man auch ständig trainieren muss. Ansonsten würden die vielen Symbole auf dem Display schnell zu Verwirrung führen. Von daher gehören zur Zielgruppe für das neue PRO IPS neben den Profianwendern auch alle anspruchsvollen Wintersportler:innen, die einfach auf beste Technik vertrauen wollen.
„LVS-Geräte sind vor allem im Suchmodus sensitiv auf umgebende elektromagnetische Strahlung, welche von allen elektronischen Geräten ausgeht. Ein Thema, welches in Anbetracht moderner elektronischer Ausrüstung mehr Beachtung verdient (siehe dazu Artikel „Störquellen bei der Lawinenrettung“ in dieser Ausgabe). Neu aufgenommen wurde beim IPS eine im Suchmodus im Hintergrund laufende Messung des elektromagnetischen Rauschpegels (ähnlich bereits vorhanden bei Mammut Barryvox, Ortovox Diract, Arva Neo BT Pro). Dabei wird beim Erreichen der Grenzwerte die Anzeige der empfohlenen Suchstreifenbreite auf dem Display auf beispielsweise 40 oder 20 Meter reduziert, weil das LVS weiter entfernte Signale nicht mehr zuverlässig erkennen kann. Ein sinnvolles Feature, welches aber nicht alle existierenden Störungen erkennen kann. Weiterhin ist kein LVS-Gerät immun gegen den Einfluss von externen Störquellen.“
„Frisch aus der Verpackung wirkt das neue PIEPS PRO IPS sehr wertig und stabil. Die Handhabung ist intuitiv. Durch die ausklappbare Antenne ist sofort klar, ob das Gerät sendet oder im Suchmodus ist. Ein schneller Reichweitentest bestätigt die vom Hersteller angekündigte herausragende Performance und die große Suchstreifenbreite von 80 Metern.
Das Schiebeschalter-Problem älterer Pieps-Geräte ist beim Pro IPS kein Thema mehr, da der Schieber durch hochwertige Druckschalter ersetzt wurde. Durch das sogenannte „Interference Protection System“ (IPS) wird einer Verringerung der Sendeleistung in der Nähe von Störquellen aktiv entgegengewirkt. Die simultane Signalverarbeitung von X- und Y-Antenne ermöglicht eine sehr stabile Signalverarbeitung im Suchen-Modus, was durch die lange, ausklappbare Antenne noch begünstigt wird. Ein Gerät für Profis, fortgeschrittene Wintersportler und Technik-Nerds!“
2. Mammut
Aus dem Hause Mammut kommt für den Winter 2023/24 eine neue Schaufel und ein neuer Rucksack, in Sachen LVS-Gerät dürfen wir für die nächste Saison (bzw. die ISPO 24) gespannt sein. Zur Schaufel: Die neue Alugator Ultra ist die leichteste UIAA-zertifizierte Aluminium-Lawinenschaufel auf dem Markt (395 Gramm) mit einem gerade einmal einen Millimeter dünnen Schaufelblatt aus in der Luft- und Raumfahrt üblichem 7075-Aluminium. Länge ausgefahren: 75 Zentimeter. Zum Rucksack: Der abfahrtsorientierte, mechanische Free 22 Removable Airbag 3.0 bekam eine Überarbeitung und verwendet die Mammut Airbag Technology 3 und ist einer der leichtesten am Markt. Gewicht Rucksack mit Airbag-System und Carbon-Kartusche: 2225 Gramm.
LVS-Gerät, Schaufel und Sonde, das ist die Basis, wenn es um die Lawinen- Sicherheitsausrüstung geht. Wie steht es um den Lawinenairbag-Rucksack, sollte aus dem Trio ein Quartett werden? Nachgefragt bei Jacqueline Miler, Lawinensicherheitsexpertin bei Mammut.
bergundsteigen: Die Vorzeichen stehen doch eigentlich auf bestmöglichen persönlichen Schutz. Warum sind Lawinenrucksäcke immer noch kein Standard im Gelände?
Jacqueline Miler: Ich denke, der Blickwinkel ist das Entscheidende. Bisher wurden Lawinenrucksäcke von vielen als persönliche Sicherheitsausrüstung gesehen, die in erster Linie diejenigen schützen, die sie tragen. Also ein „nice to have“, das in den persönlichen Verantwortungs-Kontext gebettet ist und anders als Schaufel, Sonde und LVS nicht der Suche von Verschütteten dient, also anderen hilft.
bergundsteigen: Der Lawinenrucksack dient nach deinem Verständnis also auch dem Schutz der anderen?
Miler: Natürlich schützt der Lawinenrucksack Träger oder Trägerin bestmöglich vor einer Verschüttung, aber er erspart oder erleichtert den Ersthelfenden auch eine Rettung. Wir wissen alle, dass Zeit bei einem Lawinenunfall der kritischste Faktor ist. Es macht sowohl für die Bergenden als auch die Verschütteten zeitlich und in Sachen Überlebenschance einen signifikanten Unterschied, ob man metertief verschüttet wird oder mit Rucksack-Auftrieb weit weniger tief. Genau deshalb sind Schaufel, Sonde und LVS-Gerät ja bereits fester Bestandteil der Ausrüstung: um schnell bergen zu können.
Letztendlich sind wir meistens mit Menschen, zu denen wir eine persönliche Beziehung haben, im Schnee unterwegs. Unabhängig vom eigenen Wohl: Möchte man denen traumatische Erlebnisse in einer maximalen Stress-Situation nicht ersparen?
Alexander Weijnman, Head of Avalanche Safety bei Mammut, über Irrtümer in Sachen Störsignale.
bergundsteigen: Was ist die gängigste Fehlannahme in Sachen Elektronik und Lawinensicherheit?
Alexander Weijnman: Viele wissen, dass es im Zusammenspiel von Handy und LVS-Gerät zu Problemen kommen kann. Ein Mythos ist aber definitiv, dass es reicht, das Handy in den Flugmodus zu stellen. Das bringt nichts. Es ist nämlich nicht die Funkverbindung das Problem, sondern das elektromagnetische Feld, das erzeugt wird, wenn Strom im Mobiltelefon fließt. Das gilt übrigens für jedes elektronische Gerät, in dem Strom fließt.
Dessen elektromagnetisches Feld stört das Feld des LVS-Geräts. Beim Smartphone sind es vor allem das Display und die Kamera, die mit Abstand am meisten Störungen verursachen. Man muss also das Handy ganz ausschalten oder auf genügend Abstand zum LVS-Gerät achten.
bergundsteigen: Worin besteht die größte Herausforderung im sicheren Umgang mit Lawinensicherheitsausrüstung und Elektronik?
Weijnman: In der bisher mangelnden Sensibilisierung für das Thema elektromagnetische Interferenz. Seit Jahren ist bekannt, dass das Mobiltelefon ein Problem darstellen kann, aber damit hört das Wissen meist auf. Was aber ist mit beheizten Handschuhen? Dort wickeln sich metallische Drähte um die Hände, in denen man das LVS-Gerät hält.
Der Effekt ist dem eines faradayschen Käfigs ähnlich, der alle Signale abschirmt. Bei der Feinsuche, wenn man nahe am Boden ist, können beheizbare Socken oder Skischuhe einen geringen Einfluss auf das Gerät haben. Smartwatches können eine weitere Störquelle sein, wenn sie an derselben Hand getragen werden, wie das LVS-Gerät. Ebenso sollte man auf genügend Abstand zu Metallschnallen am Rucksack achten, übrigens auch beim ständigen Tragen des LVS-Geräts.
Intermezzo: Ein Appell von Manuel Genswein
„Softwareupdates können ein modernes LVS-Gerät enorm verbessern und auch sicherer machen. Ich würde sogar sagen, dass mittlerweile bis zu 90 Prozent der Verbesserungen durch die Software erzielt werden. Hier müssen wir alle Wintersportler:innen unbedingt sensibilisieren, ihre Geräte immer auf dem neuesten Stand zu halten.
Und zwar nicht nur die LVS-Geräte, sondern zunehmend auch die Airbag-Rucksäcke. Tests haben gezeigt, dass elektronische Airbags auch das LVS-Gerät empfindlich stören können. Mit einem Update kann diese Störproblematik allerdings gemindert werden. Deshalb: Alle, die einen elektronischen Airbag egal welcher Marke haben, sollten diese Saison ein Softwareupdate durchführen!“
3. Ortovox
Ortovox launcht mit der Avabag LiTRIC Serie (hätte bereits letztes Jahr ausgeliefert werden sollen, aber aufgrund eines technschen Problems wurde sie noch zurückgehalten) eine ganze Palette an elektronischen Lawinenrucksäcken (Tour/Freeride/Zero).
Mit 1100 Gramm ist das LiTRIC System ausgesprochen leicht. Es arbeitet mit Superkondensatoren mit Lithium-Ionen-Batterie, die genug Energie für eine Mehrfach- auslösung liefert. Superkondensatoren (Supercaps) werden eingesetzt, um einen Spitzenleistungsbedarf in vielen Geräten der Unterhaltungselektronik zu decken, etwa für eine Flash-Funktion auf einem Smartphone, um schnell und zuverlässig große Strommengen zu liefern.
Der Hauptunterschied zu einem „normalen“ Akku ist, dass Akkus eine höhere Dichte haben (mehr Energie pro Masse speichern), während Kondensatoren eine höhere Leistungsdichte haben (Energie schneller freisetzen und speichern). Geladen wird der Rucksack mittels USB-C und ermöglicht so Testauslösungen ohne Zusatzkosten. Das LiTRIC System wurde so entwickelt, dass es keinen störenden Einfluss auf LVS-Geräte hat. Ortovox hat das LiTRIC System gemeinsam mit Arc’teryx entwickelt. Die Rucksackserie Micon LiTRIC von Arc’teryx, erhältlich in der Ausführung 16, 32 oder 42 Liter, basiert auf derselben Technologie.
4. Safeback
Bei einer vollständigen Verschüttung durch eine Lawine können Sauerstoffmangel und ein Anstieg des Kohlendioxids (CO2) innerhalb weniger Minuten zur Bewusstlosigkeit und schließlich zum Tod des Verschütteten führen. Ein norwegisches Start-up-Unternehmen hat nun ein Gerät entwickelt, das Lawinenverschütteten helfen soll, länger zu überleben, indem es über eine Stunde lang kontinuierlich Frischluft in die Nähe der Atemwege pumpt: das Safeback.
Im Gegensatz zu den seit einigen Jahren verfügbaren künstlichen Beatmungsgeräten, den sogenannten „artificial airpocket devices“ (kurz: AAPD), die durch die Trennung von Ein- und Ausatemluft über ein Schlauchsystem die Zeit bis zum Ersticken nachweislich verlängern können, basiert das neue Gerät auf einer völlig anderen Technologie. So entfällt beispielsweise das Einsetzen eines Mundstücks vor der Verschüttung, wie es bei den AAPD erforderlich ist.
Das im Rucksack integrierte, batteriebetriebene Gebläse wird ähnlich einem Lawinenairbagsystem durch Ziehen eines Griffes am Schultergurt aktiviert. Das System bläst Frischluft (150 Liter pro Minute), die in der umgebenden Schneedecke vorhanden ist, mit hoher Flussrate in Richtung Mund und Nase des Verschütteten und führt die ausgeatmete Luft ab. Dadurch soll der Sauerstoffmangel und der Anstieg der CO2-Konzentration im Körper verzögert und die Zeit für eine erfolgreiche Rettung verlängert werden.
Anfang dieses Jahres wurde das innovative Gerät vom Institut für Alpine Notfallmedizin, Eurac research (Bozen), in einer unabhängigen Studie getestet. Im Rahmen dieser Studie stellten sich 24 freiwillige Teilnehmer:innen einer Ganzverschüttung unter einer simulierten Lawine, um die Wirksamkeit unter realistischen Bedingungen zu überprüfen. Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse ist noch im Laufe des Winters zu rechnen. Wir sind gespannt und werden auf bergundsteigen.com darüber berichten.