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LWD Untersuchung des Schneedeckenprofils
19. Dez 2024 - 5 min Lesezeit

Wie entsteht der Lawinenlagebericht? Teil 1: Die Datenquellen

Wie entsteht eine Lawinenvorhersage? Wir alle nutzen die Lawinenprognose ständig. Doch wie entsteht sie? Welche Fragen stellt sich eine Lawinenprognostikerin im Laufe ihres Arbeitstages, wie legt sie die Gefahrenstufe fest? In dieser Serie erklären wir, wie Lawinenprognosen erstellt werden und was das für uns als Nutzer:innen bedeutet.

Teil 1 von 3: Die Datengrundlage

Die Prognose und damit auch der Arbeitstag der vier Lawinenwarner Tirols beginnt – wie so vieles in der heutigen Welt – mit einer Unmenge an Daten. Dabei greifen die Lawinenprognostiker auf drei wesentliche Datenquellen zurück: Beobachtungen aus dem Gelände, Wettervorhersagen und -stationsdaten sowie Schneedecken-Modelle.

Der Schnee wird von Beobachtern genau auf seine Beschaffenheit untersucht.
Der Schnee wird von Beobachtern genau auf seine Beschaffenheit untersucht. Foto: Simon Rainer

Diese Informationen bilden die Grundlage ihrer Arbeit und ermöglichen – in Kombination mit der langjährigen Erfahrung der Warner – regionale Vorhersagen der Lawinengefahr. Dabei gilt es für sie immer, zwei grundlegende Fragen zu beantworten. Erstens: Wie ist die Schneedecke heute? Und: Welche Faktoren führen zu einer Änderung für die Prognose von morgen?

LWD bei der Schneeprobenentnahme
LWD bei der Schneeprobenentnahme. Foto: Simon Rainer

Hier geht’s zur aktuellen Lawinenvorhersage.

Analyse der aktuellen Situation

„Wie ist die Schneedecke heute?“

Das ist eine komplexe Frage – hinter der sich eine schier endlose Reihe an detaillierteren Fragen versteckt: Gibt es Schwachschichten? Falls ja, in welchem Teil der Schneedecke und sind diese persistent oder von kurzfristiger Relevanz, flächig oder nur lokal vorhanden? Wie ist die Beschaffenheit der aktuellen Schneeoberfläche – bildet sie eine potentielle Schwachschicht für morgen? Gibt es verfrachtbaren Schnee?

Beobachtungen

LWD Untersuchung des Schneedeckenprofils
Untersuchung des Schneedeckenprofils. Foto Simon Rainer

Essentiell, um diese Fragen zu beantworten sind Beobachtungen aus dem Gelände. Diese bezieht der Lawinenwarndienst (LWD) des Landes Tirol über ein offizielles Beobachter:innennetzwerk. Insgesamt 57 Beobachter:innen aus ganz Tirol liefern regelmäßig Rückmeldungen aus dem Gelände.

Viele von ihnen sind Bergführer:innen oder in Skigebieten tätig und somit täglich in ihrem jeweiligen Gebiet unterwegs. Sie graben Schneeprofile, melden frische Lawinen oder senden detaillierte lokale Einschätzungen. Die Arbeit der Beobachter:innen bildet eine der wichtigsten Grundlagen für die Einschätzung der Warner.

„Wenn ich mich für nur eine Informationsquelle entscheiden müsste, wären es wohl Schneeprofile“, unterstreicht Patrick Nairz die Relevanz ihrer Rückmeldungen. Zusätzlich zu den Beobachtungen aus dem Gelände übermitteln zwölf Früh-Beobachter:innen jeden Morgen vom gleichen Standort dieselben Parameter an den LWD Tirol.

Indem sie täglich das gleiche Gebiet beurteilen, können die Früh-Beobachter:innen Informationen auch in Relation zu vergangenen Situationen setzen und so wichtige Fragen beantworten: Wie stark wird der Schnee tatsächlich verfrachtet? Sind Sprengungen erfolgreich? Und: Wie verhalten sich Personen im freien Gelände? Wird – im Vergleich zu anderen Situationen – offensiv oder defensiv gefahren?

Schneebeobachtungen LWD
Neben den Beobachtern ist der Lawinenwarndienst auch selbst im Gelände unterwegs um sich ein Bild der aktuellen Lage zu verschaffen. Foto: Simon Rainer

Seit der Wintersaison 2023/24 gibt es zusätzlich die Plattform SnObs (Snow Observations), auf der Skitourengeher:innen, Freerider:innen und alle die im Winter in den Bergen unterwegs sind (also vermutlich alle Leser:innen!) Beobachtungen genau wie die offiziellen Beobachter:innen direkt an den Lawinenwarndienst rückmelden können. Mehr Infos dazu gibt es demnächst in einem separaten bergundsteigen-Beitrag sowie auf snobs.live.

LWD Tirol im Einsatz. Foto: Simon Rainer
LWD Tirol im Einsatz. Foto: Simon Rainer

Neben diesem umfassenden Rückmeldenetzwerk ist das Team des LWD Tirol regelmäßig selbst im Gelände unterwegs, insbesondere in relevanten Höhenlagen und Regionen mit wenigen Rückmeldungen. Um sich ein großflächiges Bild der Lage zu machen, werden vor kritischen Situationen zusätzlich Erkundungsflüge durchgeführt.

Hier geht’s zum Podcast „Ein Tag beim Lawinenwarndienst Tirol

All diese Beobachtungen müssen nun nicht nur räumlich und zeitlich eingeordnet, sondern außerdem nach Relevanz sortiert und für den kommenden Tag bewertet werden. Um dabei den Überblick zu bewahren, nutzen die Prognostiker ein zentrales Interface, das alle gesammelten Daten strukturiert darstellt.

Wetterstationen

Zusätzlich verwenden die Prognostiker – ganz ähnlich wie viele im Privaten – ihr hauseigenes Stationsmessnetzwerk. Einerseits, um sich über das aktuelle Wettergeschehen zu informieren. Aber auch viele physikalische Prozesse an der Grenzfläche von Schneedecke und Atmosphäre lassen sich über Wetterstationsdaten abfragen.

Hat sich Oberflächenreif gebildet? Wie stark schreitet die Durchfeuchtung der Schneedecke voran? Konnte es über Nacht ausstrahlen? Diese und andere Fragen lassen sich mit Wetterstationsdaten gezielt beantworten.

Schneedeckenmodelle

Gleichzeitig wird auch die Verwendung von Schneedeckenmodellen für die operationelle Lawinenprognose immer wichtiger. Das Modell „SNOWPACK“ simuliert die Entwicklung der Schneedecke basierend auf Wetter-Daten. Beim LWD Tirol läuft das Modell an 15 Wetterstationen – hier können sich die Warner vom Modell berechnete Schneeprofile ansehen.

Prognose für morgen

Um zu einer Prognose für den kommenden Tag zu gelangen, muss sich ein Prognostiker nun überlegen, welche Faktoren eine Änderung der aktuellen Situation herbeiführen können. Gibt es Neuschnee? Frischt der Wind auf – bilden sich Triebschneepakete? Verändern steigende Temperaturen die Bretteigenschaften?

LWD Tirol Daten- und Modellauswertung
Alle Daten der Lawinen-Beobachter werden zentral gesammelt und ausgewertet. Foto: Simon Rainer

Das wichtigste Produkt, um diese Fragen zu beantworten ist die Wetterprognose der Geosphere Austria. Jeden Morgen steht ein Telefonat mit der diensthabenden Meteorologin auf dem Programm der Prognostiker. Dabei werden vor allem Detailfragen zu Schneefallgrenzen, Neuschneemengen, Windstärken und Temperatur geklärt.

Aber auch in der Prognose kann SNOWPACK helfen: es berechnet mithilfe von Wettervorhersagen Profile von morgen. Die erste vollständige Durchfeuchtung der Schneedecke wird vom Modell beispielsweise sehr zuverlässig vorhergesagt – ein Parameter der für die Prognose von Nassschneelawinen essentiell, aber aus anderen Informationsquellen nur schwer abschätzbar ist.

Im nächsten Schritt kombinieren die Prognostiker diese Daten, um eine Lawinenvorhersage für den kommenden Tag zu erstellen. Wie sie dabei vorgehen, erklären wir im nächsten Teil der Serie.