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Berge und Soziale Medien
02. Sep. 2019 - 32 min Lesezeit

WhooWhoo „Heilige Berge“

Die kritische Betrachtung der Berge & des Bergsteigens in den sozialen Medien

Bergsteigen hat sich verändert. Die Gesellschaft hat sich verändert. Der Wunsch nach Selbstpräsentation und Resonanz, nach Freunden und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe war immer schon da. Die Art und Weise der Kommunikation über soziale Massenmedien ist grundlegend neu. 

Und so kommt es zu einer signifikant wahrnehmbaren und kritisch zu beobachtenden Darstellung der Berge und des Bergsteigens in den sozialen Medien sowie einer zu beobachtenden reziproken Wirkung auf die Zielgruppe. 

Nach ihrem Beitrag „Avalanche goes social“ in der bergundsteigen Ausgabe #98 ist Riki Daurer den digitalen „Whoowhoo“-Rufen (früher hat man juchezen dazu gesagt) der Online-Bergsteiger gefolgt. 

(aus bergundsteigen #98, Sommer 2017)

Die Motivation, mein intrinsischer Drang zu diesem Beitrag, kam an einem Wochenende: Tag 1 einer geplanten Westalpendurchquerung – mit dabei ein Teilnehmer, der noch nie zuvor eine Skitour gegangen ist und noch bei 0 Grad auf 3.000 Meter Höhe auf der Suche nach dem Powder ist. Am selben Tag postet ein Freund ein Video eines Notfall-Biwaks im Schneesturm, das überschrieben war mit „spaß im schneesturm“. Am selben Tag war die ausufernde Online-Diskussion, nein eher Pauschalverurteilung, rund um den Lawinenunfall am Jochgrubenkopf in den Medien. 

Kurz herrschte Chaos in meinem Kopf. Was passiert hier? Und was verärgert mich?

Also machte ich mich ans Sammeln, Sortieren, Differenzieren und Nachforschen, bis ich die Ordnung und Dynamiken erkannte.

Neue Möglichkeiten und Dynamiken in sozialen Massenmedien

Veränderte Struktur in der Content-Erstellung
„Es gibt kein letztes Wort.“

Mit dem Aufkommen der sozialen Medien sind es längst nicht mehr nur ausgebildete Journalisten oder Experten, die Artikel publizieren, sondern jeder kann und darf berichten, unabhängig von seiner journalistischen oder fachlichen Expertise oder ethischen Grundsätzen. Zudem konsumiert der Leser nicht nur mehr den Inhalt, er gestaltet ihn (passiv oder aktiv) mit (Produser), indem er kommentiert, teilt, liked oder einen eigenen Beitrag erstellt. 

Und das Spiel geht ins Unendliche – posten, teilen, liken, sehen.

Die neue Macht des Publikums
„Der Sender ist nicht mehr der Boss.“ 

Die neue mitgestaltende Masse ist das breite Publikum selbst, das in den sozialen Medien durch Kommentare, Likes und das reine Rezipieren der Inhalte zeitechte und interpersonale („inter“ im Sinne von „zwischen“) Kommunikationsmöglichkeiten hat und zudem die Sichtbarkeit von Beiträgen beeinflussen kann (user-generated-visibility) – je mehr Likes ein Beitrag hat, umso öfter wird er ausgespielt und angezeigt . Das Publikum kreiert somit nicht nur Feedback, sondern wird zur operativen Realität.

Kollektives Gate-Keeping meint hier das „Aussortieren“ der Inhalte durch das Publikum selbst, die Beeinflussung, welcher Content weiterverteilt, relevant oder beachtenswert ist. Diese Funktion hat(te) früher der Medienproduzent oder -inhaber selbst, der Chefredakteur, der einen Beitrag aufgrund von inhaltlicher Richtigkeit und Relevanz publizierte – oder auch nicht. Diese Funktion übernimmt nun das Publikum.

Die neue Möglichkeit zur Generierung von Aufmerksamkeit und Publizität 

Aufmerksamkeit ist der „Katalysator für Kommunikationserfolg“ (Keyling, 2017, S. 31) und  der „Kampf um die Aufmerksamkeit“ ein prägendes Moment der Medienlogik (Keyling, 2017, S. 24). 

In klassischen Medien erfuhr der Autor die Aufmerksamkeit als Indikator seines Erfolges im Nachhinein. In der persönlichen Kommunikation (wie früher in Bergsteiger-Runden) hingegen im kleinen Kreis und direkt. Die Publizität, im Sinne des öffentlichen Bekanntseins, war bei beidem begrenzt. 

In den sozialen Medien gibt es eine neue Möglichkeit zu hoher Publizität, „als Gemeinschaftsleistung von Publikum und Journalismus“ (Keyling, 2017, S. 31). Das bedeutet, dass auch eine Privatperson durch gute Posts und viele Likes ein großes Publikum hat, das weit mehr als nur den direkten Bekanntenkreis umfasst und erreichbar ist, und dass Autoren (professionell oder nicht) zeitnah ein Feedback und Aufmerksamkeit bekommen. Diese neue Möglichkeit, Aufmerksamkeit und Publizität zu erhalten, ist verführend.

„Im Auge der Kamera, unter den Scheinwerfern der Studios, in der Aufmerksamkeit der Zuschauer wird aus dem sich präsentierenden Nobody ein wahrgenommener Jemand.“ (Altmeyer, 2016, S. 70)

Die neue Möglichkeit zu (sozialer) Resonanz und Feedback
„Ich werde gesehen, also bin ich!“ 

Die neue Medienwelt ist ein einziges Resonanzsystem, „das der sozialen Vergewisserung der eigenen Existenz dient“ (Altmeyer, 2016, S. 19). 

„Verinnerlicht wird die performative Erfahrung des Selbst, von einem Publikum nicht nur angehört zu werden, sondern auch Rückmeldungen zu bekommen. Als visuelle Szene wird diese Resonanzerfahrung im impliziten Gedächtnis festgehalten, in einem unbewussten Register unserer Erinnerung, das nicht vergisst, selbst wenn die Show längst vorbei ist.“ (Altmeyer, 2016, S. 71)

Es geht darum, dass man beachtet, wahrgenommen, gesehen und akzeptiert wird. Man will ein Echo von der Welt bekommen – ein Feedback der ganzen Welt (und nicht nur mehr von seinen Bekannten). Der Wunsch nach Resonanz an sich hat immer schon zum Menschen gehört.

„Meine Hypothese lautet, dass die neue Medienwelt (…) soziale Sichtbarkeit anbietet und zur persönlichen Resonanzsuche geradezu einlädt. (…) weil Erfahrungen von Umweltresonanz zum Kern der Conditio humana gehören, weil Resonanzerfahrung dieser Art der Stärkung eines Gefühls von Identität und Bedeutung dienen.“ (Altmeyer, 2017, S. 19)

Die Selektion von Information
Die Botschaft selektiert der Empfänger.

Hat man z.B. bei einer Tageszeitung nur die Möglichkeit unter einer begrenzten Anzahl von Inhalten auszuwählen, MUSS man in sozialen Medien die Inhalte selektieren, da die Masse der Information zu groß ist. 

„Eine Mitteilung ist also immer eine Selektion: eine Entscheidung für eine bestimmte Information, gegen andere mögliche; für bestimmte inhaltliche Sinnvorschläge und formale Darstellungsweisen, gegen andere mögliche.“ (Berghaus, 2011, S. 81)

Dies impliziert die Verantwortung des Empfängers, welche Teile der mitgeteilten Information er wahrnehmen will – also welchen Informationsgehalt einer Nachricht er annimmt. Schon in direkter, persönlicher Kommunikation wissen wir, dass das, was wir mitteilen wollten, nicht immer das ist, was beim Empfänger ankommt. Durch räumliche und persönliche Distanz zwischen Sender und Empfänger ist die Gefahr der Differenz zwischen mitgeteilter und wahrgenommener Information noch größer. Daraus resultieren dann Reaktionen wie „Das wollte ich mit meinem Post nicht bewirken!“. Entgegenwirken kann man, indem Postings, die mehrdeutig ausgelegt werden können, nur an einzelne Gruppen  gerichtet werden, von denen angenommen werden kann, die Botschaft im Sinne des Verfassers aufzufassen.

Direkte, reziproke Wirkung auf Protagonisten und Themen

„Reziproke Effekte bezeichnen die Einflüsse der Medienberichterstattung auf die Protagonisten der Berichterstattung.“ ( Keyling, 2017, S. 70)

Der Contentersteller oder Protagonist bekommt in Echtzeit ein Feedback auf seinen Beitrag, der Leser bekommt mehr Macht. Dadurch hebt sich die Hierarchie zwischen Sender und Empfänger auf.  Durch Likes (oder auch Nicht-Liken) und Kommentare erhalten die Poster unmittelbar eine Rückmeldung des Publikums, ob ihr Bild, ihre Story oder Selbstinszenierung gut angekommen sind. Postings mit positivem Feedback dienen als Vorlage für neue, wodurch ein Effekt von „mehr von demselbe“ entsteht.

Umgekehrt lassen sich die reziproken Effekte aber auch vom Protagonisten auf die Zielgruppe, in unserem Falle die Bergsteiger, erweitern.

Die „Online-Bergsteiger“

Bergsteiger in den sozialen Medien

© argonaut.pro

Keine Randgruppe

  • 250 Mio. Personen findet Facebook unter dem Interessensmerkmal „Berge“ 
  • 95 Mio. unter „Wandern“ 
  • 100.000 Facebook-Fans hat der DAV 
  • und fast 100.000 Gefällt-mir-Angaben  in einer Woche 
  • 600.000 Posts  findet man auf Instagram unter dem Hashtag #wandern 
  • 21 Mio. unter #hiking
  • 750.00 Posts unter #mountaineering 

Die Masse der „Bergsteiger“ ist social aktiv

Die Gruppe der diskutierenden und aktiven Bergsteiger in den sozialen Medien ist immens.  Einzelpostings mancher Onlinemagazine erreichen bis zu einer Million Personen. Es handelt sich um eine aktive „Social-Bergsteiger-Community“, die, wie beim Tod von Ueli Steck oder beim Lawinenunglück am Jochgrubenkopf, ihre Meinung und Be-/Verurteilung abgibt . 

In den sozialen Medien schreiben, diskutieren und kommentieren alle Gruppen von Personen, ohne Rücksicht auf Grenzen und egal, wie groß oder klein das Hintergrundwissen zum Ereignis ist. 

Die Gruppen der „Online-Bergsteiger“ 

Im Social Web findet man vom bekennenden Anfänger über den Pseudo-Experten bis zum wirklichen Profi-Bergsteiger alle Gruppen von Bergsteigern. Alle fühlen sich als Teil der Community „Bergsteigen“. Oft wird dabei aber verkannt, dass es sich um einzelne Untergruppen handelt, deren Hintergrundwissen und Expertisen verschieden sind und die somit nicht dieselbe Sprache sprechen. 

So ist es für die einen klar, was eine Skihochtour ist, während andere drüber diskutieren, ob man Schneefelder mit Tourenschuhen begehen darf.

Die Berichte über Berg-Leistungen 

Die Erzählungen über Bergabenteuer gab es schon immer – genauso wie den Bergsteiger, der seine Leistung schmälert, den, der übertreibt, bei dem der Himmel immer schon ein bisschen blauer und der Powder ein bisschen tiefer war, diejenige, die sich immer schon gut in Szene setzen konnte, oder die, die gern ein paar Details dazuerfindet.  

Der Unterschied: Früher fanden diese Erzählungen in einer kleinen, persönlichen Runde, in direkter Kommunikation, am Vereinsstammtisch statt, jeder konnte direkt nachfragen, wenn etwas unklar war oder nicht ganz richtig erschien, fehlende Informationen wurden eingefordert, man kannte die Personen, die erzählten, die Berge waren meist in der Region, man kannte sie und die Bedingungen, die dort herrschten. 

Das Grundstreben war, ein Teil einer Gruppe zu sein, Anerkennung, Resonanz und Feedback für seine Leistungen zu bekommen, um sich einzuordnen und sich Tipps für die nächsten Bergerlebnisse zu holen. Die Motive bleiben dieselben in der Online-Welt, nur die technischen Möglichkeiten haben eine Entkoppelung von Raum, Zeit, Sozialem und Personen bewirkt (siehe hier weiter unten). Somit werden die Erzählungen schneller, globaler, an eine Masse von Personen, interpersonal ohne direkten persönlichen Kontakt gepostet.

Warum wird über Bergerlebnisse gepostet?

Wie bereits beschrieben, verschwimmen die Rollen des Content-Erstellers, des Rezipienten und des Publikums, genauso wie deren Motive für Postings.

© argonaut.pro

Geld: Marketing, Werbung, Ambassadors & Influencers
Der Berg als Markt

Viele Firmen, Brands und Medien nutzen soziale Medien für die Erreichung kommerzieller Ziele. Hier helfen auch Ambassadors und Influencer mit, deren Ziel es ist, eine Marke möglichst authentisch nach außen zu repräsentieren. Dies geschieht, indem sie Kleidung oder Ausrüstungsgegenstände einer bestimmten Marke tragen, und die  Leser über das Logo unbewusst darauf aufmerksam werden. Diese Art der Werbung wird von Lesern besser angenommen (da „authentisch“) und ist zudem nicht kennzeichnungspflichtig. 

Selbstinszenierung & Performance = #selfie & #awesome
Der Berg als Hintergrundkulisse

Mit der Inszenierung eines Bergerlebnisses wird das Ziel verfolgt, sich gut darzustellen – ein Schlüsselbegriff „die Generation Selfie“. Man stellt sich selbst als Person in den Mittelpunkt des Geschehens und versucht, sich gut zu verkaufen und zu inszenieren, damit man auch die dementsprechende Resonanz und Aufmerksamkeit des Publikums bekommt . 

Das „Selfie“ ist meist nicht mehr selbstgemacht, sondern die Selfie-Darsteller positionieren sich und werden von jemandem Zweiten/Dritten fotografiert. Was das ganze am Berg absurd macht, wenn Postings betitelt sind mit „Im Sturm und Kälte zum Gipfel“ und dann ein Foto von 10 m Entfernung von den Protagonisten in Pose zu sehen ist – d.h. trotz „Sturm und Kälte“ hat man sich noch die Zeit genommen, sich zu positionieren und jemanden zu bitten, fotografiert zu werden. Kritisch sehe ich hier auch die Erfüllung von Klischees, meist geschlechterbedingt.

Diese Selbst-Inszenierung ist kein kurzfristiger Hype, auch keine neue gesellschaftliche Entwicklung – nur die technischen Möglichkeiten erleichtern es, diesen Wunsch nach Selbstdarstellung einfach und schnell an ein großes Publikum zu transportieren.

Was gepostet wird, existiert – #picsoritdidnthappen
Der Berg als Realitätszeuge

Ähnlich den früheren Fotoalben werden nun Bilder von Erlebnissen gepostet. Es scheint, als würden diese nur dann stattgefunden haben, wenn es ein Foto davon gibt. Ein schönes Erlebnis und eine gute Leistung war es zudem nur, wenn man auch viele Likes oder Herzchen dafür bekommt. Oder?

Anleitung zum Selbstexperiment: Du gehst oft auf den Berg? Dann poste doch drei Mal pro Woche ein Bild eines Bergerlebnisses (egal ob aus der Vergangenheit oder Echzeit). Du wirst überrascht sein, wie sich die Wahrnehmung deiner Umwelt dir gegenüber verändert. 

Ein neuer Körperkult – #fitspiration
Der Berg als Fitnessraum

Der Berg wird häufig nur als Messlatte körperlicher Leistung gesehen: 1.700 Höhenmeter an einem Tag – hier geht es nicht mehr um das Erlebnis, sondern nur mehr um die abstrakte Leistung. Dies fällt unter den verbreiteten Social-Media-Trend des Körperkults #fitspiration, zusammengesetzt aus „fitness“ und „inspiration“. Hier  geht es bei Sport nicht primär um Gesundheit oder Spaß, sondern um vorzeigbare Werte wie den durchtrainierten, sehnigen Körper, das „sportliche“ Gesicht … Parallelen mit Workoutfotos von Fitnessgehern sind nicht zu übersehen . Dieser Trend deckt sich übrigens mit der Wahrnehmung der steigenden Anzahl an Pistenskitourengehern, deren Motivation oft die reine Fitness zu sein scheint.

Schauen Sie sich erfolgreiche Bergpostings an bzw. deren Bilder und suchen Sie den nicht-perfekten Körper.

Informationsvermittlung
Der Berg und die Tour als Content

Selten, aber doch beschäftigen sich Postings wirklich mit dem Berg oder der Tour. Informationsvermittlung zu Themen wie Sicherheit- und Risikoeinschätzung sind verschwindend gering (obwohl der Adressatenkreis gerade diese Informationen brauchen würde und sie auch liest, wenn sie vorhanden ist). 

Teil der Gemeinschaft werden
Der Berg als Lebenswelt

Der Berg wird zum „center of attention“, zum gemeinsamen Thema für eine Gruppe von Personen, die sich nicht persönlich kennen. Durch Postings oder Anschlusskommunikation (Kommentare, Likes etc.) kann man dazugehören.

Durch die interpersonale Kommunikation schafft man Gemeinschaft, eine gemeinsame Lebenswelt, und gewährleistet somit eine vermeintliche Flucht aus der sozialen Anonymität – hin in eine digitale Gemeinschaft – mit digitaler Anonymität.

„Online zu sein ist, als ob man Teil der großartigsten Cocktailparty wäre, die jemals stattfände und nie zu Ende ginge. Wenn du ein E-Mail schreibst oder ein SMS, oder auf Facebook bist oder Instagram oder bloß den Links im Internet folgst, hast du Zugang zu einem ständig wechselnden Universum sozialer Kontaktoptionen.“ (Brooks, 2015, in Altmeyer, 2016, S. 18)

Signifikant werden diese Gemeinschaften in großen Facebook-Bergsteiger-Gruppen. Liest man hier Postings und Kommentare, hat man das Gefühl, die Leute kennen sich persönlich.

Warum werden Berg-Postings geliked?
Leser = Schreiber = Leser = Publikum

Dadurch, dass die Leser schnell selbst zum Schreiber werden, indem sie liken, kommentieren etc., treffen auch auf sie die oben genannten Motive und Motivationen zu. 

Publizität – ich like, weil viele liken und weil ich dazugehören will
Der Berg als Party-Raum

Der Wunsch nach Aufmerksamkeit und Publizität schiebt den Informationsgehalt und die Relevanz des Themas in den Hintergrund. Inhalte, die von vielen geliked werden, werden auch eher von anderen geliked – unabhängig von der Relevanz des Inhaltes. Ziel eines Postings ist daher weniger der Transport von Information, sondern die Gewinnung von Aufmerksamkeit und Publizität. 

Kommunikation ist demnach nicht erfolgreich, wenn Konsens in der Verständigung besteht und die mitgeteilte mit der wahrgenommenen Information übereinstimmt, sondern wenn sie Anschlusskommunikation nach sich zieht.

Die Sprache der Bilder
Bildlastige Informationsvermittlung

„Die zunehmende Bilderkommunikation fordert eine neu, bisher kulturell nicht ausgearbeitete Semantik, welche die alte, allein sprachbasierte Semantik ablösen muss.“ (Berghaus, S. 296)

Postings, und vor allem erfolgreiche Postings, bestehen aus einem kurzen Einleitungstext (Teaser), danach folgt ein Bild als Hauptbotschaft. 

Man kommuniziert in der Folge nicht nur einen Ausschnitt der Realität, sondern transportiert diesen Ausschnitt noch über die begrenzte und semiotisch eingeschränke Kommunikationsform des Bildes.

Wunsch nach Unterhaltung und Befriedigung von Werten, Wünschen & Emotionen 
Das Bergposting als Bedürfnisstiller

Hier wird von einem aktiven Publikum ausgegangen, das Medien konsumiert, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen. Der Leser entscheidet also aus seiner Interessenlage und Bedürfnislage heraus, ob und was für ein Medienangebot er nutzt. Der Mediennutzen steht im Vordergrund.

„Mediennutzung wird hier als Form des sozialen Handelns verstanden, die aktiv, zielgerichtet und sinnhaft ist. Diese erfolgt in Abhängigkeit der eigenen Bedürfnisse, Probleme und Erwartungen. (…) Motive seiner Mediennutzung sind der Wunsch nach Unterhaltung, Information, Identifikation und Geselligkeit.“ 

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Anfänge der Untersuchungen zur Mediennutzung. 1944 beschäftigte sich die Kommunikationswissenschaftlerin Herta Herzog mit den Motiven von Frauen für das Hören von Radio-Soaps. Sie fand folgende Motive für die Nutzung der Sendung:

  • emotional release
    Durch das Anhören der Probleme anderer Menschen werden die eigenen Probleme verdrängt oder erscheinen weniger schwerwiegend.
  • wishful thinking
    Manche Charaktere der Radio-Soaps sind so, wie der Zuhörer gerne wäre. Folglich identifizieren sich die Rezipienten mit ihren Vorbildern.
  • valuable advice
    Die Radio-Soaps geben Ratschläge für das alltägliche Leben, die die Zuhörer auf ihr eigenes Leben anwenden. Folglich kann es zur Lösung von Problemen kommen.“ 

Diese Motive kann man auch auf den Bergsport umlegen, für den die Motive gleichermaßen Gültigkeit besitzen.

„The medium is the message – and the user is its content!“
Es geht um mich!

Dieser Satz, dass der Nutzer der Inhalt der Botschaft ist, stammt vom Medientheoretiker Marshall McLuhan (1964/1992). 

Ursprünglich meint er, dass oft nicht der Inhalt einer Botschaft im Vordergrund steht, sondern das Medium, das die Botschaft transportiert. Erweitert man McLuhans These um „the user is its content“, geht es darum, dass der User sich selbst zum Inhalt der Nachrichten macht. 

Ein konkretes Beispiel: In einer Diskussion über den tödlichen Unfall von Ueli Steck postet ein User: „Traurig – aber vielleicht lernen andere aus dem Verlust, dass sich ‚Speed‘ und ‚Solo‘ langfristig nur selten mit ‚(hoch-)alpin‘ vertragen.“ Die inhaltliche Relevanz und der Informationsgehalt dieses Posts sind gering, primär geht es um die Ich-Botschaft, die eigene Positionierung als Experte.

Übung: Lesen Sie sich Kommentare zu Postings durch und versuchen Sie, die dahinterliegenden Ich-Botschaften des Schreibers zu identifizieren. 

Botschaften des Bergpostings

© argonaut.pro

Emotionen & Selbstinszenierung
Am Berg scheint immer die Sonne

Was sind die Zutaten für ein erfolgreiches Berg-Posting? Ein Bild mit Gipfelkreuz, Sonnenschein, einem lächelnden Gesicht #selfie, der dazugehörige Text setzt sich aus einem bekannten Gipfelnamen, den Eckdaten für den Erfolg (Höhenmeter und Zeit, #fitspiration #picsoritdidnothappen) und natürlich Infos zum ganzjährigen Abfahrtspowder oder anderen außergewöhnlichen Alleinstellungsmerkmalen (#awesome) zusammen. 

Für den unbedarften Leser scheint es ein Spaziergang zu sein – auf den Glockner, den Venediger oder den Geiger. Man sieht keinen Gletschergurt, kein Seil, liest nichts von Gefahrenstellen, alpinen Gefahren oder notwendigem Zeitmanagement (24/7-Bergsteigen). 

Positive Emotionen (Spaß, Freude, Wünsche etc.) werden gepostet und sorgen für die entsprechende Wirkung beim Leser. Bergsteigen macht immer Spaß und ist immer mit grandiosen Erlebnissen verbunden.

24/7
Bergsteigen kann man rund um die Uhr

„Früher sei es nämlich so gewesen: Um fünf Uhr nachmittags, wenn der Großteil der Skifahrer und Wanderer den Heimweg antrat, da habe ‚himmlische Stille‘ geherrscht, selbst an den viel besuchten Ausflugszielen … Inzwischen herrscht 365 Tage im Jahr an 24 Stunden Betrieb – und das auch noch in den letzten Winkeln der Berge.“

So wird Axel Doering, Vizepräsident der Alpenschutzkommission Cipra Deutschland und Sprecher des Bund Naturschutz Arbeitskreis Alpen, in einem Beitrag in der „Süddeutschen Zeitung“  zitiert.

Es herrscht durchgehend Betrieb am Berg. Die vermeintliche Stille am Berg, die ja so viele Bergsteiger suchen, gibt es nie. 

Der Berg wird zum 24-Stunden-geöffneten Fitnesscenter – scheint klimatisiert, abgeschirmt und ganz ohne Gefahren.

Freizeitpark Berg
Der Berg ist harmlos, Risiken und Gefahren werden nicht kommuniziert

Wie bei einem Posting zur Glocknerbesteigung scheint es, als brauche man für diesen Berg weder Gurt noch Pickel, als gäbe es keine alpinen Gefahren – keine Gletscher, keine Spalten, keine Grate, keine Wetterumschwünge. Und dabei handelt es sich gerade um einen Berg, der oft genug aufgrund der vielen Abstürze, die sich bei Besteigungen ereigneten, in den Medien war. 

Matthias Knaus, langjähriger Bergführer, und ich haben vor einigen Jahren Glaspylonen zum Gedenken an die Glocknerverunfallten gestaltet. Hier waren die alpinen Gefahren wie Gletscher, Lawinen, Fels, Wetter, Ausrüstung etc. (noch) ein großes Thema, was sowohl der Gemeinde Kals als auch dem ÖAV (der in die Umsetzung integriert war) sehr wichtig war. Diese Gefahren werden nun in sozialen Medien ausgeblendet.

„Was früher Drohkulisse war, gilt heute als Freizeitpark.“ 

Problematik der derzeitigen Darstellung der Berge

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Die Heile-Bergwelt-Postings und die Darstellung des Bergsteigens in den sozialen Medien wirken – die (selektierte, reduzierte, veränderte) Darstellung wird als Realität angenommen. Der Berg als Fitnessstudio, der Powder als sichere Ganzjahresattraktion.

Nicht die vermittelte Information ist das Problem,
sondern die Information, die nicht vermittelt wird

Evaluiert man die Bergpostings nach den Kriterien des Kodex „Ethik in der digitalen Kommunikation“ , so werden die meisten alle Kriterien erfüllen – Fairness, Respekt, Verantwortung, Moderation, Klarheit, Transparenz, Höflichkeit, Privatsphäre. 

Aber aufgrund der beschränkten Textlänge und der Bildlastigkeit der Postings fehlen grundlegende Informationen. Dazu kommt, dass sich die Content-Ersteller mit Informationen natürlich auf das beschränken, was gut ankommt, und das sind wohl in den wenigsten Fällen Risikofaktoren, Schlechtwetterfotos oder Zeichen von Gefahren und Anstrengung.

Die Verantwortung liegt hier aber nicht nur beim Ersteller der Posts, sondern ebenso beim Rezipienten oder dem Publikum, die selbstständig und aktiv fehlende Informationen einholen sollten. 

Verschiedene Zielgruppen
Schreiber und Leser sprechen nicht zwingend dieselbe Sprache

Gerade im Bereich des Bergsteigens gibt es, aufgrund seiner Entwicklungen, verschiedene Zielgruppen mit verschiedenen Expertisen und Vorkenntnisse. So ist es für die „Experten“ nicht erwähnenswert, dass die Besteigung des Glockners im März noch als Skihochtour gilt, für die anderen, mit weniger Erfahrung, kann sich aber die Frage stellen, „ob man dazu Skier benötigt und ob auf über 3.000 Meter noch Schnee liegt.“

Ebenso ist es für diese erstgenannte Gruppe nicht erwähnenswert, dass ein Notbiwak im Sturm kein Spaß ist – trotz des humorvollen Teasers im Posting. Und ebenso ist es klar, dass man für eine Westalpendurchquerung nicht nur schon einmal eine Skitour gegangen sein sollte, sondern über ausreichende Kondition und technische Fähigkeiten verfügen muss.

Aber es gibt auch jene Gruppe, die die Hintergrundinformationen nicht haben. Die das Notfall-Biwak wirklich für lustig halten, glauben, dass man mit 30 Minuten Laufen pro Woche über eine ausreichende Kondition für Hochtouren verfügt und die häufig dann (auch) diejenigen sind, die bei Lawinenunfällen (Jochgrubenkopf) als eine der ersten (ver-)urteilen.

Ein Post kann Inhalte aus einem ursprünglichen Kontext reißen

Aufgrund der Strukur von sozialen Plattformen kann ein Posting aus seiner ursprünglichen Content-Umgebung gerissen und einer anderen Zielgruppe zugeführt werden. So ist das  Posting mit dem Teaser „Zur Zeit geht fast alles! Unter den Aktuellen Bedingungen sind Einträge von Skihochtouren (Wildspitze), Klettersteige (Hohe Wand), Wanderungen mit Schneefeldern (Bad Hindelang) und Skitouren-Kletter-Kombinationen (Kühtai/Martinswand)“ auf einem Tourenportal für Experten harmlos. Herausgerissen und neu positioniert in der viralen Umgebung von Facebook stellt es an einer anderen Stelle eine unvollständige, fast gefährliche Information für den unwissenden Bergsteiger dar.

In seiner ursprünglichen Content-Umgebung ist der Text zum einen vollständig, zum zweiten ist er kongruent mit der Zielgruppe, die dort angesprochen wird.

Ein zweites Beispiel stammt von Mitte April, als man in Österreich noch einen Wintereinbruch mit bis zu einem Meter Neuschnee erleben durfte:

Im ursprünglichen Kontext (auf der Seite eines Lawinenwarndienstes vom 19.4.2017) mit dem ursprünglichen Teaser der reinen Information zur „Großen“ Lawinengefahr war das Posting unmisserständlich. Der neue Teaser in einer neuen (privaten) Umgebung lautete: „whoop whoop blower pow #amtauern dats ma guad aufpassen do draußen!“. 

Dies vermittelt zuerst mal „Big Powder“ und jede Menge Spaß, der eigentliche Informationsgehalt, nämlich die erhebliche Lawinengefahr, geht unter.

Ein Post ist eine (unvollständige, verschönerte) Momentaufnahme,
eine konstruierte, manipulierte Realität.

Social bedeutet nicht real. Ein Posting zeigt nur einen (subjektiven) Ausschnitt der Wirklichkeit – das Foto möglicherweise durch einen Filter  verschönert, vielleicht sogar erst Tage später gepostet. 

Neulich am Piz Buin:
Die Autorin und ihr (Berg-)Partner im Aufstieg und am Gipfel des Piz Buin – allerbestes Social-Media „Whoowhoo“-Material.

Ein Beispiel – diesen Winter am Piz Buin: Ich allein am Gipfel, keine weiteren Bergsteiger. Ein perfekter Tag, strahlendes Lächeln. Klick – der Ausschnitt, der Social-Media-geeignet gewesen wäre.

Ebenso Realität, aber gerne nicht gepostet: Zumindest ab der Buinlücke hatten mehrere andere dieselbe Idee …

Die Realität: Mindestens 100 Leute waren an diesem Tag zur selben Stunde zum Gipfel unterwegs. Es handelte sich um Personen am kurzen Seil, geführt, mit wenig Erfahrung, die Situation am Berg war knapp vor einem gefährlichen Chaos. Beide Situationen zusammen waren an diesem Tag die gesamte Realität (s. Abb.) 

Eine große Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Bildsprache zu, worüber auch Stefan Winter im Vorwort zur Ausgabe von bergundsteigen #96 schrieb:

„… tragen Sektionen, Landesverbände und Bundesverbände Verantwortung für die alpine Bildsprache, die sich auch der psychologischen Wirkung bewusst ist und die Aspekte der Risiko- und Unsicherheitskommunikation berücksichtig. (…) Redaktionen und Autoren sollten sich selbstkritisch fragen:

  • Was erzeugen ‚Heile-Welt-Bilder‘ des Bergsports beim Betrachter?
  • Fake-Bilder im Bergsport – förderlich oder hinderlich für die Risikokompetenz?
  • Welches Bild passt zu welcher Message?“

Die Entkoppelung von Raum, Zeit, Sozialem und Personen
Kommunikation ohne Interaktion – schneller, mehr und mit der ganzen Welt.

Wie anfangs beschrieben, gab es die Darstellung der Bergerlebnisse immer schon – ebenso die Suche nach Resonanz und Feedback, die Übertreibungen und Verschönerungen. Doch durch technische Möglichkeiten findet eine Entkoppelung statt – von vorher limitierenden und kontrollierenden Instanzen. 

Wir posten a-zentrisch, losgelöst von unserer Region, wir posten in und für eine Weltgesellschaft und vergleichen uns auch mit dieser. (Also, falls Sie am Wochenende den Ihrer Meinung nach allerschönsten Gipfel bestiegen haben, schauen Sie auf Facebook, es hat sicher jemand einen noch schöneren erwischt als Sie.)

Wir posten a-sozial, im Schein der Anonymität, lesen Beiträge losgelöst von Autoren, kommunizieren nicht mehr direkt.

„Denn die Daten sind losgelöst von ihren Quellen; die ‚Autoren‘ hinter ihnen sind verschwunden.“ (Luhmann 1997 in Berghaus, S. 186)

Trotz eine Flut von Kommunikationsmöglichkeiten interagieren wir nicht mehr. „Interaktion“ bedeutet bei Luhmann generell „Kontakt unter Anwesenden“ (Luhmann 1997 in Berghaus, 2011 S. 191). Die Möglichkeit, nachzufragen, wie es in der direkten Kommunikation (non-verbal) gang und gäbe ist, wird in den sozialen Medien nicht wahrgenommen bzw. verwässert. Es besteht eine Distanz zwischen Sender und Empfänger.

Der Schein der Anonymität
Nicht ich poste, sondern die Gruppe.

Diese Entwicklung bringt auch eine vermeintliche Anonymität mit sich, die einen trügerischen Bereich der Sicherheit suggeriert, da nicht mehr der Sender als Einzelperson, sondern als Teil einer Gruppe postet. Und hat die Gruppe Kritik einzustecken, betrifft es keine Einzelperson.

Und genauso wie es in Diskussionen ein leichtes ist, im Schein dieser Anonymität Urteile zu fällen (statt es jemandem direkt zu sagen), lassen sich Nicht-Informationen oder kleine Unwahrheiten auch einfacher verbergen.

Der Post ersetzt die Tourenplanung
Der alpinistische Anspruch fehlt.

Postings ersetzen zunehmend die Informationen von Lawinenwarn- und Wetterdiensten, wenn nicht sogar die gesamte Tourenplanung (siehe Beispiel weiter unten).

Im Vorwort der Ausgabe #98 von bergundsteigen schreibt Silvan Schüpbach:

„Der alpinistische Anspruch, selber herauszufinden, wann und wo eine Tour machbar ist, scheint nicht immer vorhanden zu sein.“

Viele Leser haben den Facebook-Post vom 7.12.2016 über die neue Eisfall-Route auf den Lüsener Fernerkogel, die durch Philipp Brugger und Simon Messner erstbegangen wurde, gelesen und für ihre Tourenplanung übernommen. In den darauffolgenden Tagen wurde die Tour mehrmals wiederholt – und gepostet. Im einem Interview in bergundsteigen #98 meinten die beiden Erstbegeher dazu: 

„Nach der Erstbegehung haben wir uns gedacht, das wird mit Sicherheit niemand wiederholen, weil die Linie zwar schön, aber der Zustieg einfach zu lang ist. (…) Tatsächlich scheint vielen Leuten oft die Kreativität zu fehlen und sie laufen lieber den gebahnten Wegen nach. (…) Wir waren auch heuer am Eiger sehr überrascht, dass niemand unterwegs war, obwohl die Verhältnisse gut waren. Immer wenn in der Vergangenheit aber jemand Prominenter eine seiner Begehungen veröffentlichte, wurde die Nordwand regelrecht überrannt.“

Auf Karten, Wetterberichte und Tourenbeschreibungen wird verzichtet, wenn es ein Posting gibt. So berichtet eine Berg-Bloggerin eine Woche später über dieselbe Tour auf den Lüsener Fernerkogel und schreibt, sie musste „… das erste Mal lernen, wie weit es zum Gipfel sein kann, wenn es nur nach ein paar Minuten aussieht“, da diese Distanz im Post nicht explizit erwähnt war.

Die Planung des Bergerlebnisses aus den vielen kleinen Einzelteilen (Wetter, Lawinen, Tourenbeschreibung, Karten), die es wie ein Puzzle zu lösen gilt, um ans Ziel zu kommen, scheint zu verschwinden und die „neuen“ Bergsteiger kennen es auch nicht mehr. 

Viel einfacher ist es, mittels Einzelpostings eine Tour zu planen – genauso wie es im freien Gelände beobachtbar ist, wie viele Skitourengeher einer angelegten Spur (in Aufstieg und Abfahrt) stur folgen und wie wenige das umgebende freie Gelände nützen. Der Masse zu folgen ist einfacher. 

Schauen Sie in große Berggruppen auf Facebook, hier stellen User Fragen z.B. zu Klettersteigen „Wie der denn zu gehen sei? Ob sie das wohl schaffen?“. Sich mit den Schwierigkeitsskalen oder den weiteren Komponenten der Tour (Zu-, Abstieg, Länge) auseinanderzusetzen, scheint zu anstrengend zu sein oder die User können es nicht.

Das Posting als neue alpine Gefahr
Reziproke Wirkung 

„Sobald eine Begehung bekannt wird, kommen die Massen und dann wird es auch gefährlich.“ (Interview Brucker/ Messner)

Helfen soziale Medien Unternehmen (und auch z.B. Hütten), ihr Marketing zu verstärken, um mehr Besuche und mehr Umsatz zu generieren, so bergen sie im alpinen Bereich doch mittlerweile Gefahren. Ein Posting kann Auslöser für die zig-fache Begehung einer Tour sein. 

Zudem bewerkstelligen die harmlosen Gletscher-Postings, das lustige Notfall-Biwak und die netten Lawinenfotos eine Verharmlosung der alpinen Gefahren: „Es herrscht zwar kein Krieg in den Bergen, aber nur harmlos sind sie auch nicht!“, so die treffende Aussage eines Bergführers. Wir „Berg-Experten“ wissen das, daher ist auch keines der Postings als verwerflich anzusehen. Aber was ist mit einer neuen Menge an Fitness-Bergsportlern, die über wenig alpine Erfahrung verfügen?

Die Botschaft macht der Empfänger.
Leser und Publikum müssen mitdenken

Wie bereits weiter oben beschrieben, ist ein Merkmal der sozialen Massenmedien, dass auch das Publikum und der Leser Verantwortung tragen – zum einen, da sie Reichweiten, Rankings und Ausspielen der Posts mitgestalten, zum anderen, da sie durch Reaktionen, Interpretationen und Handlungen ihre Verantwortung für ihre Interpretation tragen müssen.

Hier gibt es auch Handlungsbedarf, die Leser und Rezipienten auf ihre Verantwortung hinzuweisen, sich zusätzliche Informationen zu organisieren. 

Differenz von Ziel/Motiv und Wirkung
Die Sensibilisierung der Schreiber fehlt

Durch die fehlende Sensibilisierung und mangelnde Thematisierung sind sich viele Content-Ersteller der möglichen und auch irreführenden Wirkung ihrer Postings häufig gar nicht bewusst. So bekam ich auf meinen Beitrag zum Thema „Avalanche goes social“ in bergundsteigen das Feedback, dass gewisse Postings „So ja gar nicht gemeint seien!“ 

Das mag zwar stimmen, aber die Wirkung war trotzdem da.

Vor allem Privatpersonen kann man relativ wenig Vorwurf machen, dass sie posten – es handelt sich um ihr Privatleben und auch ihr Privatvergnügen–, sie dürfen nur nicht überrascht sein, wenn es falsch interpretiert wird. Schwieriger wird es bei der Vermischung von Personen, die Funktione in Vereinen haben oder öffentliche Posten besetzen.

Medien, Vereinen und Brands muss die Verantwortung, die sie beim Verfassen von Postings und beim Veröffentlichen von Fotos auf sozialen Plattformen haben, deutlich gemacht werden.

Verändern Posts das Bergsteigen?
Tragen sie zur Häufigkeit von Unfällen bei?

© argonaut.pro

Wie bereits weiter oben beschrieben, gehört die reziproke Wirkung auf Protagonisten bzw. ganze Themen und Zielgruppen zu einer der kritischen Dynamiken der sozialen Massenmedien. Kann somit eine veränderte, sprich positive/gefahrlose Darstellung der Berge das Bergsteigen an sich verändern? Kann es neue, unerfahrene Personen zur falschen Toure verleiten? Kann es Massen an Skitourengehern für bestimmte Touren mobilisieren? 

Beispielhafte Beobachtungen und die oben angeführten Posts legen diese Vermutung nahe. Für signifikante Daten fehlen aber Untersuchungsmodelle.

Um die Frage noch weiter zuzuspitzen: Können fehlende und unvollständige Informationen bei Postings in sozialen Medien Unfälle verursachen?

Nochmals erwähnt sei an dieser Stelle die Diskussion der Salzburger Bergführer und Bergrettung mit der Salzburger Land Tourismus Gesellschaft (SLT), dass „in Österreichs Tourismuswerbung es zu wenig fundierte Information über alpine Gefahren, Lawinen und Notfallausrüstung gebe.“ 

Muss man reagieren?

Nochmal zurückblickend auf den Anfang des Beitrages und die Auflösung dreier Ereignisse:

  • Woher haben „neue“ Bergsteiger die Illusion, dass 30 Minuten Laufen pro Woche ein ausreichendes Training für eine Westalpendurchquerung sind und dass sie (sicherheits-)technische Aspekte nicht wahrnehmen brauchen?
  • Warum irritiert mich ein ironisch gemeintes Posting eines Freundes über ein Notfall-Biwak?
  • Und was macht die Diskussion zu Lawinenunfällen so untragbar?

Es ist dieses Konglomerat an Bergsteigern, Inhalten und neuen Kommunikationsstilen, das dieses Bild (im wahrsten Sinne des Wortes) der Berge und des Bergsteigens bewirkt. Es ist das Nicht-Reagieren und Nicht-Kommentieren dieser Entwicklungen, das fehlende regulierende Einschreiten und das fehlende Vermitteln relevanter, zusätzlicher Informationen. 

Es ist der Vorwurf an uns selber, als Leser, User, Publikum, dass wir mitmachen und dass uns bis jetzt noch niemand gesagt hat, dass auch wir Verantwortung tragen.

Grundergebnisse aller grundlegenden Erörterungen sind:

  • Die Masse an Bergsteigern in den sozialen Medien ist riesig, aktiv und diskutiert bereits. Man kann und darf sie nicht (mehr) ignorieren.
  • Es gibt verschiedene Gruppen von „Online-Bergsteigern“, die nicht dieselbe Sprache sprechen oder dasselbe Hintergrundwissen haben.
  • Jeder kann posten, jeder kann kommentieren – abgesehen von inhaltlicher oder fachlicher Richtigkeit.
  • Ein Post ist nur ein Teil der Realität, Informationen für ein vollständiges Bild fehlen.
  • Das Motiv der Posts ist meist Selbstdarstellung, Resonanz, Emotionen, Gemeinschaft.
  • Das (aktive und passive) Publikum besitzt eine neue mediale Macht und muss sich dieser Verantwortung bewusst werden.
  • Es gibt Gefahren und Auswirkungen der sozialmedialen Darstellung der „heilen Welt“ der Berge.

Risiko- Sicherheitsvermittlung für die neue Gruppe der Bergsteiger

Als das Sportklettern populär wurde, hat man Kletterscheine entwickelt, eigene Kurse angeboten und die Veränderungen thematisiert, Sicherheitsrisiken zu minimieren, die neue Zielgruppe über Gefahren aufzuklären.

Nun haben wir – laut Nutzerzahlen und Beobachtungen – ein große neue Gruppe von Bergsportlern, die mit teilweise wenig Vorkenntnissen in den Bergen unterwegs ist. Ihr primäres Mittel zur Informationsgewinnung und zum Austausch sind die sozialen Medien, die wiederum aber nur die schönen, netten, heilen Berge posten. 

Muss diese „neue, wenig informierte“ Gruppe betreut werden oder tragen sie 100 Prozent Eigenverantwortung auch für ihre Wissensbeschaffung?

Risk of ignorance – es wird bereits diskutiert

Es wird online diskutiert, gepostet, kommentiert, geliked und gelesen – über den Unfall von Ueli Steck, über Wanderer mit Turnschuhen  auf Schneefeldern, über aktuelle Bedingungen und abgegangene Lawinen. 

Risk of ignorance meint die Gefahr, ein Thema nicht zu thematisieren. In diesem Fall diskutieren die Personen vor sich hin, ohne Input der alpinen Kompetenzträger.

Wer soll sich – wenn überhaupt – wie bei solchen Diskussionen beteiligen? Oder bietet man ein digitales, betreutes Feld, in dem die User moderiert ihre Meinungen austauschen?

Missing Link – die Vermittlung von Nicht-Informationen 

Die Möglichkeit der alpinen Vereine liegt in der Vermittlung von Bergsport-Know-how und bei der Sensibilisierung für Gefahren und die Versorgung der neuen (nicht wertend gemeinten) unerfahrenen Bergsteiger mit all den notwendigen Informationen zum Thema Sicherheit und  alpine Gefahren, Bergsportdisziplinen, Tourenplanung und Hinweisen auf Informationsanbieter zu Wetter, Lawinen und Co.

Thematisierung und Sensibilisierung des Themas an sich

Die veränderte Darstellung der Berge und des Bergsteigens in den sozialen Medien muss thematisiert, Leser, Schreiber und Publikum müssen hinsichtlich ihrer Verantwortung sensibilisiert werden – primär angefangen bei Fachmedien und -portalen sowie Professionisten. 

„Top down“ könnte man so die Wahrnehmung schärfen.

Brauchen wir Richtlinien für Bergsport-Postings?

Braucht es zudem nicht nur eine Sensibilisierung, sondern vielmehr Richtlinien für das Verfassen von Bergsport-Postings, -Bildern und -Beiträgen? Ethik-Grundsätze, wie sie damals oder mehrmals für das Bergsteigen an sich erstellt wurden? Unter Mitwirkung der professionellen Content-Ersteller, Journalisten und adaptiert für den Bereich Bergsport? 

WhooWhoo! 

Das „WhooWhoo“ ist gerechtfertigt – auf alle Fälle. So soll Bergsteigen sein. 

© argonaut.pro

Doch schmunzelnd stellte ich fest, welche Freude es mir bereitet, das „WhooWhoo“ dort zu hören, wo es eigentlich hingehört: in der Seillänge, den Firnhang, das tolle Panorama vor Augen oder sonstwo am Berg.

Ende April genossen im Kühtai unzählige Skitourengeher den letzten Pulver auf geschlossenen Liftanlagen und man hörte nur fortwährend diesen Ausdruck der Freude – live und analog! ■

Literatur und Links

  • Altmeyer, M. (2016). Auf der Suche nach Resonanz: Wie sich das Seelenleben in der digitalen Moderne verändert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Berghaus, M. (2011). Luhmann leicht gemacht. Köln Weimar Wien: Böhlau Verlag.
  • Birkner, T. (2017). Medialisierung und Mediatisierung. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
  • Keyling, T. (2017). Kollektives Gatekeeping: Die Herstellung von Publizität in Social Media. Wiesbaden: Springer VS.
  • Oer, E., & Cohrs, C. (2016). Generation Selfie. München: mvg Verlag.
  • Seibold, B. (2002). Klick-Magnete: Welche Faktoren bei Online-Nachrichten Aufmerksamkeit erzeugen. Erfurt: Verlag Reinhard Fischer.
  • Erwähnte Websiten und Beiträge:
  • Ehrenkodex der österreichischen Presse. Abgerufen auf http://www.presserat.at/show_content.php?hid=2 am 3.5.3017
  • Lawinen: auch Bergführer kritisieren Touristiker. Beitrag vom 20.2.2017, abgerufen auf http://salzburg.orf.at/news/stories/2521809/ am 3.5.2017
  • „Der Berg wird zum reinen Turngerät“ vom 29.3.2017, abgerufen auf http://www.sueddeutsche.de/reise/bergsport-vollgas-durch-die-alpen-1.3440885-2 am 3.5.2017

Verweise 

  1.  Luhman 1997 in Berghaus, 2011, S. 98
  2.  Berghaus, 2011, S. 90
  3.  Dieser Satz stellt eine Vereinfachung des Facebook-Algorithmus zur Anzeige von News dar. In Wahrheit ist der Algorithmus um vieles komplizierter und wird natürlich nicht offengelegt – genauso wenig wie die Rankings in Google.
  4.  Altmeyer, 2016, S. 67 ff.
  5. In den sozialen Medien gibt es mehrere Optionen, die Sichtbarkeit von Beiträgen nur bestimmten Usern oder einer bestimmten Gruppe zu ermöglichen.
  6. Bei der Erstellung von Werbeeinschaltungen auf Facebook können individuelle Zielgruppen eingestellt werden, hier waren es Personen zwischen 18 und 65 Jahre aus dem DACH-Raum mit dem Interesse „Berge“ bzw. „Wandern“, abgerufen am 2.5.2017
  7.  Das Klicken des hochgestreckten Daumens zählt als ein „Gefällt-mir“ des Posts.
  8.  https://www.facebook.com/deutscher.alpenverein.dav/, abgerufen am 2.5.2017 
  9. Der Hashtag ist eine Kombination aus Rautezeichen und einem bestimmten Wort. Damit werden Fotos oder Beiträge markiert. Dies dient auch einem „Marker“, nach dem man suchen kann.
  10.  Post in der Facebook-Gruppe „bergsüchtig“ vom 30.4.2017.
  11.  Vgl. Oer & Cohrs, 2016, S. 43 ff.
  12.  Vgl. Oer & Cohrs, 2016, S. 43 ff.
  13.  Vgl. Keyling, 2017, S. 31 ff.
  14.  Uses-and-Gratifications-Ansatz
  15.  http://luhmann.uni-trier.de/index.php?title=Uses-and-Gratifications-Ansatz abgerufen am 25.4.2017
  16.  http://luhmann.uni-trier.de/index.php?title=Uses-and-Gratifications-Ansatz abgerufen am 25.4.2017
  17.  http://www.sueddeutsche.de/reise/bergsport-vollgas-durch-die-alpen-1.3440885-2 abgerufen am 2.5.2017
  18.  http://www.sueddeutsche.de/reise/bergsport-vollgas-durch-die-alpen-1.3440885-2 abgerufen am 2.5.2017
  19.  http://www.prethikrat.at/pr-online-kodex/ abgerufen am 3.5.2017
  20.  Bei Instagram und mittels Apps kann man Bilder durch verschiedene Filterfunktionen auf einfache Weise verschönern und verbessern.
  21.  http://salzburg.orf.at/news/stories/2521745/ abgerufen am 26.4.2017
  22.  Post in der Facebook-Gruppe Bergsüchtig vom 28.04.2017

Erschienen in der
Ausgabe #98