Vor- und Nachteile der Leash beim Eisklettern
Frage an bergundsteigen von Heinrich Sattelmayer: Eure Zeitschrift habe ich durch meine Ausbildung zum FÜL Klettern C-Trainer vor über 15 Jahren kennengelernt und bin seitdem Abonnent. Jede Ausgabe lese ich immer mit großem Interesse. Der Dialog mit den Lesern ist oft auch sehr interessant. Nun bitte ich euch einmal um euren Ratschlag zum Thema „herabfallende Eisgeräte“.
Ich war vor Kurzem Teilnehmer bei einem Eiskletterkurs für Fortgeschrittene in der Taschachschlucht. Der sehr erfahrene Fachübungsleiter war der Meinung, dass die Verwendung einer Leash (Fangleine für die Eisgeräte) für den Kletterer eine zusätzliche Gefahr bedeutet, weil ein herabfallendes Eisgerät von der Leash wieder zurückprallen könnte und den Kletterer dadurch evtl. verletzen kann.
Dieser Gefahr bin ich mir bewusst. Mir geht es aber natürlich um den Schutz der vielen Personen (es waren zeitweilig ca. 80–100 Leute in der Schlucht) vor herabfallenden Eisgeräten. Im freien Fall erreichen Gegenstände nach 10 m Fallstrecke ca. 50 km/h! Was ist eure generelle Meinung zur Verwendung einer Leash beim Eisklettern? Wie sieht es eigentlich auf der rechtlichen Seite aus?
Muss der Kletterer mit rechtlichen Folgen rechnen, wenn ihm ein Eisgerät runterfällt und eine andere Person dadurch geschädigt wird? Gibt es Unterschiede in der Rechtsprechung je nach Land (D, A, CH, F, IT …)? Wird es evtl. sogar als grob fahrlässig beurteilt, weil eine Leash den Unfall verhindert hätte, und werden sich dann Haftpflichtversicherung darauf berufen und den Schadenersatz verweigern? Über eure Stellungnahme wäre ich sehr dankbar.
Gerhard Mössmer, Berg- und Skiführer, Abteilung Bergsport ÖAV: Vielen Dank für deine interessante Anfrage. Ich nehme sie zum Anlass, etwas weiter auszuholen und generell die brandaktuelle Thematik herunterfallender Gegenstände beim Eisklettern zu beleuchten und konkret auch auf die Situation in der Taschachschlucht einzugehen.
Aber der Reihe nach: Früher waren Handschlaufen beim Eisklettern obligatorisch. Aus sportlichen (man spart Kraft, weil man in den Schlaufen hängt) und praktischen (störend beim Wechseln der Eisgeräte im anspruchsvollen Gelände) Gründen sind sie aber von der Bildfläche verschwunden bzw. waren sie sogar verpönt. Dadurch erlebte die Leash ihre Renaissance. Die Sicherung von Eisgeräten in Eisflanken durch zwei Reepschnüre gab es nämlich schon früher.
Vorteile der Leash
Die Eisgeräte sind gegen Herunterfallen gesichert, was in langen Touren durchaus ein erheblicher Vorteil ist. Eine Verletzung auf Grund der Leash durch zurückfedernde Eisgeräte ist mir nicht bekannt und das Risiko ist meines Erachtens auch durchaus überschaubar. Ein weiterer Vorteil der Leash ist ein Mini-Backup im Falle eines Rutschers ins Eisgerät. Es gibt Leashes deren Lastarme 3,5 kN statisch (Edelrid) halten. Auch bei der Leash von Black Diamond (2 kN) geht sich ein bewusstes (!) Hineinsetzten aus.
Nachteile der Leash
Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und besonders im Vorstieg muss man darauf achten, dass man nicht mit den beiden Halbseilen und der Leash zu „stricken“ beginnt. Dafür ist z. B. der kleine Schrauber von Grivel mit Mini-Kreisel (max. 780 kg) ganz praktisch.
Fazit 1
Bei langen, insbesondere kombinierten Touren hat die Leash definitiv ihre Berechtigung, im Eisklettergarten bzw. im Drytooling-Garten ist sie hingegen störend.
Nun zu deiner konkreten Frage:
Grundsätzlich sind die Personen unterhalb von Kletterern bzw. am Einstieg selbst dafür verantwortlich, dass ihnen nichts auf den Kopf fällt (hier gibt es auch eine Analogie zum Sportklettern: Sturzraum freihalten!). Leider, leider ist dieses Bewusstsein beim Eisklettern in den letzten Jahren – insbesondere an vielbegangenen, eher leichten Eisfällen – verloren gegangen.
Wenn fünf Seilschaften am Einstieg Schlange stehen, gesellt sich noch eine sechste dazu und wenn dann von oben etwas herunterfällt motzen alle. Eisschlag lässt sich beim Eisklettern nicht vermeiden! Man kann zwar schonend und behutsam klettern, aber ganz ausschließen lässt er sich nicht! Genauso lässt es sich nicht ausschließen, dass mein Eisgerät herunterfällt. Deshalb wird auch in der Ausbildung gelehrt, dass Stände immer außerhalb des Eisschlagdeltas (und was sonst noch herunterfallen kann) sein sollen. Das wird natürlich bei zu vielen Seilschaften im Fall zunehmend schwieriger bis unmöglich.
Und jetzt zur Taschachschlucht, erlebt an einem Wochenende im Jänner.
Der Eisklettergarten ist knackevoll (was sehr erfreulich ist; und bei der Gelegenheit auch Danke an Alfi Dworak für die unermüdliche Arbeit und die perfekten Kletterbedingungen!). Alle zwei Meter hängt ein Toprope-Seil, d. h. jede (!) Linie ist besetzt. Steigen die Topropekletterer möglichst gleichzeitig, dann ist das bezüglich Eisschlag auch kein allzu großes Problem (Tipp: Miteinander reden oder fünf Minuten abwarten!). Will dann aber jemand – so geschehen – dazwischen im Vorstieg hinauf, dann wird’s kritisch. Dass das keine gute Idee ist, liegt auf der Hand. Die Frage, wer die Verantwortung trägt, wenn diesem Helden (er wurde am Start von zwei Bergführern auf die Risiken angesprochen und ist trotzdem eingestiegen) ein Eisgerät oder ein Eisbrocken auf den Kopf fällt, kann jeder für sich selbst beantworten …
Fazit 2
Nachdem die Leash kein Standard ist – im Gegenteil, im Eisklettergarten wird sie praktisch gar nicht (aus oben genannten Gründen) verwendet –, kann man demzufolge auch keinesfalls von einer Fahrlässigkeit sprechen, wenn jemand sein Eisgerät verliert und dabei einen anderen trifft. Ich hoffe, ich konnte deine Fragen beantworten und wünsch dir weiterhin viel Spaß beim Eisklettern.