Verhauer: Schicksalsseilschaft – wann ausbinden?
Das Wetter in Berchtesgaden soll gut werden, mein Tourenpartner hat spontan Zeit. Am nächsten Abend sitzen wir in St. Bartholomä, gespannt auf das Abenteuer Watzmann Ostwand. Wir haben uns den Salzburger Weg vorgenommen. Im mittleren Wandteil erwartet uns Kletterei im IV. Grat (Schlüsselstelle V bzw. IV+ mit Haken), ansonsten werden wir uns überwiegend im IIer Gelände bewegen.
Der Tag startet mit dickem, fast undurchsichtigem Nebel und erschwert uns die ohnehin schon anspruchsvolle Wegsuche in der Ostwand. Nach einem seilfreien Kraxelstart und dem ein oder anderen Verhauer wechseln wir eine Seillänge unter der Schlüsselstelle (IV+/V) auf Kletterschuhe und klettern in Seilschaft weiter. Danach wird es etwas leichter, wir sind uns aber aufgrund der Verhauer zuvor nicht sicher, ob nochmal schwierigere Stellen kommen. So klettern wir weiterhin angeseilt, ohne Zwischensicherungen. Ist ja leichtes Gelände hier und bevor wir uns jetzt gleich wieder einbinden.
Ich habe heute noch die Worte meines Tourenpartners in den Ohren, als ich ihm über einen nur wenige Meter hohen, aber fast senkrechten Absatz nachsteige:
Anne, jetzt mach keinen Scheiß!
Den größten Scheiß haben wir gemacht, als wir angeseilt weitergegangen sind. Zum Seiltransport im „Gehgelände“ mag das vertretbar sein, jedoch aus meiner Sicht und für unser Könnensniveau nicht im absturzgefährdeten, bröseligen Gelände der meterhohen Watzmann Ostwand.
Die Tour im Überblick
Die Tour war ein Abenteuer, wir sind trotz der Verhauer gut auf dem Watzmannhaus angekommen. Wir haben im Nachgang nie über die heikle Situation gesprochen. Dennoch denke ich oft daran zurück. Und ich habe mich seitdem schon ein paar Mal auf Touren in heiklen Stellen ausgebunden, wenn eine Sicherung nicht, ein Sturz eines Seilschaftskameraden aber durchaus möglich war.
Mein Learning
Ausbinden oder sichern, bevor die Seilschaft zur Schicksalsseilschaft wird!