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Verhauer Eisklettern: Rausgelüpft beim Nachstiegssturz
Mein alter Freund Nicho schwärmt von einem Voralpenberg, in dessen Nordflanke er Winter-Stoff vermutet: Mehrere Rinnen ziehen zur Gipfelflanke der Hohen Kisten im Estergebirge hinauf, in denen sich vielleicht kletterbares Eis bildet. Also stapfen wir den Wanderweg zum Wandfuß, suchen uns eine Rinne raus, und pickeln tatsächlich schon bald einen ersten kleinen Aufschwung hinauf.
Dann steht es vor uns: das „Schachterldeifi“, der Kobold der Hohen Kiste. Eine richtig schöne Eissäule, zwanzig Meter hoch, mit ein paar Absätzen, aber auch definitiv senkrechten Metern, unsere Hoffnungen übertreffend. Glücklicherweise haben wir ein paar Eisschrauben eingepackt; ich mach mich ans Werk, pickle und spreize die WI 4+ hinauf.

Vor dem letzten Aufschwung setze ich die letzte Schraube, dann geht es tricksig-kraftig über die senkrechte Stufe und den Eismantle hinauf. Coole Länge, jetzt einen Stand bauen, um Nicho nachzusichern, der nicht so häufig in dieser Steilheit unterwegs ist und dessen Pickel an Peter Aschenbrenner erinnert.
Ich finde mich in einem Schneekessel, wie eine sehr große Bachgumpe, eine fast ebene Bodenwanne, am hinteren Rand ein kompakter Felsaufschwung, seitlich werden wir leichter weitersteigen können. Die nächsten Latschen sind weit oben, unpraktisch zum Nachsichern, der Fels ist kompakt. Naja, vom flachen Schneefeld wird mich ein Nachstiegssturz kaum wegreißen, wenn ich Luis-Trenker-Sicherung mit Halbmastwurf am Gurt mache.
Da sehe ich aus dem Augenwinkel, dass die Felsstufe in fünf Metern Höhe eine Art Horn ausbildet – zwar reichlich flach für eine Köpflschlinge, aber so als moralisches Backup, aus Prinzip und überhaupt, und weil es sich doch irgendwie gehört, zumindest pro forma so was wie eine Selbstsicherung zu basteln, schaun mer mal …
Mit einem Lassowurf bringe ich das Seil über das Horn, häng’s im Gurt ein und den HMS in die Einbindeschlaufe. Im flachen Schnee trete ich mir eine tiefe Sitzwanne heraus, stampfe die Fersen in den Schnee, um Gegenhalt zu haben, drei Meter weiter läuft das Seil über die Kante, wo Nicho raufkommen wird. Selbst wenn er fallen sollte, müsste ich ihn in dieser Position problemlos halten können.

Am Anfang geht’s noch ganz flott, dann signalisieren hektische Pickelgeräusche und verschärftes Atmen, dass Nicho sich nicht leicht tut mit dem ungewohnten Gelände und der letzten steilen Stelle. Ich spreiz mich noch ein bisschen fester ein und gehe leicht auf Zug. Plötzlich ein unterdrückter Schrei – er ist rausgeflogen! – das Seil strafft sich – und ich hänge zwei Meter höher in der Luft, wie an einem Spinnenfaden, der sich von der Wandkante zu meinem Felshorn-Köpfl spannt. Ohne das „moralische Backup“ lägen wir beide zwanzig Meter tiefer am Fuß der Stufe.
Fazit
- Der Trenker-Luis war scho a Hund, aber gegen die Gesetze der Physik kann er genauso wenig ausrichten wie Sylvester Stallone – auch wenn man im Kino anderes zu sehen kriegt.
- Man unterschätze nicht die Zugkraft, die selbst bei einem Nachstiegssturz auftreten kann, etwa wenn Eisgeräte mit Schwung ausbrechen. Und erst recht nicht die Hebelwirkung, die über eine Umlenkkante entstehen kann.
- Prinzipien sind prinzipiell nichts Verkehrtes. Und selbst eine improvisierte, schlechte Sicherung kann besser sein als gar keine.