Stefano Ghisolfi: Hart, härter, 9c?
Für einen Italiener ist Stefano dann doch relativ zurückhaltend. Er spricht leise, gestikuliert sogar kaum, wenn er spricht. Doch so leise er akustisch ist, so laut sind seine Leistungen am Fels: Stefano gehört zum erlesenen Kreis der High-End-Sportkletterer, die Routen am oberen Ende der Schwierigkeitsskala klettern. Mit der Route „Excalibur“ (9b+) hat er im Februar 2023 die schwierigste Route Italiens Rotpunkt geklettert.
bergundsteigen: Stefano, macht es eigentlich Spaß, so ultrahart zu klettern? Oder geht es dabei ohnehin um etwas ganz anderes?
Stefano Ghisolfi: „Es kann wirklich Spaß machen, aber es kann natürlich auch frustrierend sein. Es kommt darauf an, wie man es sieht. Jedenfalls versuche ich bei meinen Projekten immer, den Spaß und die Aufregung an der Sache zu finden, um meine Motivation hoch zu halten. So kann ich eine Route auch sehr lange ausprobieren, ohne den Spaß daran zu verlieren. Oft steckt der Teufel im Detail.“
Am Einstieg von Excalibur zeigt er uns, was er damit meint: Einer der Schlüssel zum Durchstieg war für ihn eben eine minimal andere Positionierung des Startgriffs, die er sich von Will Bosi abgeschaut hat. Der Ringfinger leicht versetzt, der Daumen seitlich dazu, das war’s. Es ist schon verrückt, welche subtilen Feinheiten bei so extrem harten Routen den Ausschlag geben, Microbeta nennt man das. Für einen Ottonormalkletterer ist es allerdings tatsächlich schwer vorstellen, dass so eine Route wirklich Spaß machen kann. Sieht vor allem schmerzhaft und ungesund aus.
„Mit der neuen Microbeta von Will konnte ich die Route endlich von unten starten und die ersten Versuche vom Boden aus machen. Dann musste ich gezielt Maximalkraft trainieren, weil die Route so kurz und intensiv ist. Außerdem musste ich mich zwischen den Gos länger ausruhen, mit zusätzlichen Trainingstagen zwischen den Sessions, um Fingerverletzungen vorzubeugen. Es gibt ganz oben abartig kleine Zweifingerlöcher.“
Seit sieben Jahren lebt der gebürtige Turiner in Arco nördlich des Gardasees. Warum, wird schnell klar, wenn man vom Top des Excalibur-Felsens einen Rundblick wagt: Ganz im Süden glitzert der Gardasee, im Süden der mächtige Monte Casale, im Norden die Gipfel der Brenta-Dolomiten. Dazwischen Weinberge, immer wieder ein See – und Felsen, Felsen ohne Ende.
Stefano, wenn man sich hier so umsieht, dann gibt wahrscheinlich mehr traumhafte Routen, als man in einem Kletterleben jemals geklettert könnte. Und du hängst dich da hunderte Male in dieselben 15 Meter Fels – wird das nicht irgendwann langweilig? Wie gehst du mit dem Scheitern um?
„Eine extrem schwierige Route zu klettern macht mir wirklich Spaß, und dieser Spaß hilft mir, die Rückschläge zu verdauen. Ich genieße den ganzen Prozess und nicht nur den Erfolg am Ende. Wenn ich also etwas Schwieriges versuche, erinnere ich mich einfach daran, dass es genau das ist, was ich suche.“
Plastik oder Fels?
Müsste man eine „Wiege des Sportkletterns“ in Europa definieren, hätte Arco wohl die besten Chancen auf den Titel. Hier nahm die Kletterbewegung in den 80er Jahren ihren Anfang, hier fanden die ersten Wettkämpfe statt, die legendären Rockmaster. Stefano kennt sich aus mit Plastikklettern.
„Bis 2021 habe ich mich sehr auf die Wettkämpfe konzentriert. Ich war dann zweimal hintereinander Zweiter im Gesamtweltcup, den wollte ich unbedingt einmal gewinnen, was mir 2021 auch gelungen ist. Damit war ein großes Ziel erreicht und ich habe mich mehr und mehr den Felsrouten zugewandt, war auch viel auf Reisen. Aber für nächstes Jahr sind die Olympischen Spiele schon ein großes Ziel, darauf werde ich ganz gezielt hintrainieren. Ich denke, es ist möglich, aber es wird nicht einfach. Lead und Boulder sind ja kombiniert, aber zumindest ist Speed diesmal getrennt. Entweder klappt es mit der Qualifikation, und wenn nicht, dann werde ich einfach den hoffentlich guten Trainingszustand für die Felsprojekte nutzen.“
Apropos Training: Wie schaut das bei dir konkret aus?
„Ich trainiere fünf bis sechs Tage die Woche, zu 90 Prozent an der Wand in Routen. Campusboard oder Hangboard mache ich nur selten. Ich bin viel an der Spray Wall und mache Einzelboulder oder Runden. Im Laufe der Jahre habe ich mit meinem Trainer auch die Methoden gewechselt, so dass ich immer etwas anderes ausprobieren kann und mir nicht langweilig wird. Das Training für den Fels oder den Wettkampf ist eigentlich ziemlich identisch, wenn ich für das eine fit bin, klappt es auch mit dem anderen.“
Wie penibel bist du mit deiner Ernährung?
„Ich denke nicht viel über das Essen nach und esse einfach, was mir gerade schmeckt. Mein Normalgewicht liegt bei 55 kg, nach einer langen Reise bin ich auch mal leichter. Aber dann merke ich schnell, dass ich mich nicht topfit fühle, dann fehlt mir schnell die Energie.“
Würdest du sagen, dass du in deinem Profi-Umfeld und den Wettkämpfen auch unterernährte KollegInnen hast?
„Früher waren die schweren Routen oft wahnsinnig kleingriffig und eher vertikal, da war das Gewicht schon ein wichtiger Faktor für die Durchsteigung. Mittlerweile sind die High-End-Routen aber meist sehr überhängend, da braucht man einfach Saft. Ich glaube, dass das Eigengewicht bei dem Stil, den wir im Sportklettern haben, mittlerweile eine geringere Rolle spielt. Aber natürlich spielt es beim Sportklettern eine Rolle. Die Crux ist immer, die richtige Balance zwischen Gewicht und Muskelmasse zu finden. Vor allem auf Dauer, wenn man zu leicht ist, schwächt das den Körper insgesamt und das Verletzungsrisiko steigt. Insgesamt glaube ich, dass die Kletterszene das Problem der Unterernährung ganz gut im Griff hat, aber es gibt immer wieder Einzelfälle, wo man genau hinschauen muss, ob das noch gesund ist.“
Hart, härter, 9c
Wenn man 9c klettern will, hält sich die Auswahl an Routen bisher in Grenzen. Da ist natürlich die allererste, ‚Silence‘ von Adam Ondra in der Flatanger Höhle hoch oben in Norwegen, gleich daneben jetzt ‚B.I.G‘, die Jakob Schubert im Herbst 2023 rotpunkten konnte. Und Seb Bouins Meisterwerk ‚DNA‘ im Verdon in Südfrankreich. Und da ist die ‚Bibliography‘ im Cèüse, die Alex Megos ebenfalls mit 9c bewertet hat, es wäre die zweite der Welt gewesen. Stefano konnte die Route im August 2021 wiederholen, wertete sie aber auf 9b+ ab. Ob ihm das schwer gefallen ist?
„Nein, eigentlich nicht. Natürlich wäre es schön gewesen, eine 9c auf der Ticklist zu haben, das war schon ein großes Ziel von mir, aber wir haben während der Planung einfach so viel neues Beta gefunden, dass es sich einfach wie 9b+ angefühlt hat. Und wenn ich die Route nicht herabgestuft hätte, dann vielleicht die nächste Wiederholung. Aber so ehrlich muss man sein.“
Aber 9c steht bei dir nach wie vor auf der To-Do-Liste?
„Ja, ich war dieses Jahr wieder in Norwegen, um Silence von Adam zu probieren. Als ich angefangen habe, war das die einzige 9c der Welt, mittlerweile gibt es noch DNA und B.I.G. Aber Silence ist einfach so speziell, die Moves sind mit nichts zu vergleichen. Total verrückt!“
Wie viel hast du bisher in Silence investiert?
„Letztes Jahr war ich einen Monat dran, dieses Jahr sind es schon zwei Monate. Aber ich kann immer noch nicht sagen, dass ich nah dran bin. Ich will auf jeden Fall die Silence klettern, bevor ich mich anderen Projekten widme. Aber nächstes Jahr könnte es soweit sein, wenn ich fit genug bin.“
Die Moves sind mit nichts zu vergleichen. Total verrückt!
Stefano über die Route Silence
Adam Ondra hat sehr spezifische Trainingsmethoden speziell für die Route entwickelt, sein Physiotherapeut Klaus Isele spielte eine große Rolle, auch in der mentalen Vorbereitung. Ist 9c schon eine Teamleistung?
„Ich habe, abgesehen von meiner Freundin Sara und meinem Trainer Roberto, gar kein Team. Aber ich denke, ich kann die Route trotzdem klettern, hoffentlich!“
Klaus sagte auch, er würde niemandem empfehlen, die Schlüsselstelle von Silence so zu klettern, wie Adam das getan hat, weil das Verletzungsrisiko so hoch ist.
„Stimmt, Adams Beta würde ich auch nicht empfehlen. Gott sei Dank habe ich für diese Stelle eine andere, weniger verletzungsanfällige Lösung gefunden. Ich habe die Sequenz jetzt schon einige Male gezogen und kann sagen, dass sie sehr gut funktioniert.“
bergundsteigen: Wann wird eine Frau die erste 9c klettern? Gibt es geschlechterspezifische Differenzen im High-End-Klettern?
„Der Gender-Gap im Klettern ist viel kleiner als in anderen Sportarten. Viele Frauen haben das Können, im Weltcup mit den Männern mit zu klettern, sogar im Finale. Und das ist fast einzigartig im Spitzensport. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir bald eine Frau eine 9c klettern sehen werden.“
Geht da noch mehr, kommt bald 10a oder kommen wir langsam ans Limit des Menschenmöglichen?
„Wir stehen erst am Anfang unseres Sports, ich bin mir sicher, dass es eine 10a und noch härter geben wird. Es gibt bereits Routen, die diesen Schwierigkeitsgrad haben könnten, nur kann sie noch niemand klettern. Es kommen noch spannende Zeiten auf uns zu!“
Die Sache mit den Videos
Neben richtig starken Sportkletterern sind die 9c-Athleten auch noch etwas anderes geworden: Kleine Medienhäuser. Wenn man sich die YouTube Account anschaut:
- Adam Ondra, 500K Abonnenten, 228 Videos.
- Jakob Schubert, 46K Abonnenten, 41 Videos.
- Stefano Ghisolfi, 91K Abonnenten, 166 Videos.
Die großen Marken und Sponsoren vergeben mittlerweile Mediabudgets an die Athleten selbst, um Videos zu produzieren, die dann direkt auf den Kanälen der Kletterer upgeloaded werden, gar nicht mehr auf den Kanälen der Marken selbst. Jakob Schuberts Durchstieg von B.I.G. konnte man per Livestream aus dem warmen Wohnzimmer heraus mitverfolgen. Jeden Tag ein Go, im sechsten Versuch klappte es dann für Jakob schlussendlich. Ist das die Zukunft?
„Ich fand die Livesteams schon cool, ein ganz neuer Ansatz. Ich war ja auch selbst vor Ort in der Höhle und hab sogar manchmal kommentiert. Das spannende ist der Prozess, finde ich, weil man alle Leute an der Entwicklung teilhaben lassen kann. Und auch die kleinen, aber wichtigen Details, die in einem gecutteten Video nur vom Durchstieg wohl verloren gehen. Aber die Zukunft … für mich wäre das höchstens mal ein Versuch, aber wohl nichts dauerhaftes, weil es einfach viel zusätzlichen Druck reinbringt. Jakob kann damit sehr gut umgehen, aber mir wäre das zu stressig. Mit meinen Videos versuche ich aber auch, meine Follower am Prozess teilhaben zu lassen und nicht nur den Durchstieg zu zeigen.“
Bekommst du mehr Views, wenn 9c im Videotitel steht?
Stefano: „Ja klar, die Leute interessieren sich für superharte Routen, und ich eben auch. Eine win-win-Situation.“
Wie sehr interessieren dich die Statistiken, die Aufrufe eines Videos? Was ist für dich ein gelungenes Video?
„Zuallererst probiere ich, ein unterhaltsames Video zu produzieren, und wenn es mehr Aufrufe bekommt, dann wird es meistens auch wertgeschätzt. Allerdings arbeitet YouTube auch mit einem Algorithmus, den ich nicht ganz durchblicke, von dem her kommt es nicht immer nur auf die Schönheit des Videos drauf an.“
Kannst du dir vorstellen, eine 9b+ zu klettern, ohne dabei gefilmt zu werden?
„Nicht wirklich, denn heutzutage ist es so einfach, gute Video zu produzieren, schon allein mit dem Telefon. Für Pro-Climber ist es deshalb schon fast Pflicht, finde ich, die Durchstiege zu filmen, allein schon, um einen Beweis zu haben.“
Verdienst du mit deinen Video Views auch Geld?
„Ich habe ein Medienbudget von meinen Sponsoren, das ich mir selbst einteilen kann. Ich habe ein paar Videoleute, mit denen ich viel zusammenarbeite. Aber ein bisschen Geld kommt auch über die Plattformen rein, das ich dann wiederum in neue Videos investiere.“
Stefano, alles gute in Richtung 9c!
Disclaimer: Die Pressereise wurde unterstützt von Garda Trentino Tourismus.