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Spurensuche Skitour
04. Feb. 2025 - 15 min Lesezeit

Skitour: Die Kunst der guten Aufstiegsspur

Lockdown, Skilifte aus, Grenzen quasi dicht, rekordverdächtig wenig Schnee am Nordrand der Alpen – zur Jahreswende 2020/21 konnte man vielfach das „intensiv“ erleben, was viele Experten schon prognostiziert hatten: Auf die wenigen Skigebiete Bayerns, die in der Hoffnung auf baldige Öffnung die Wochen zuvor die Beschneiungsanlagen laufen gelassen hatten, war ein Massenansturm an Skitourengehern zu verzeichnen. In Gebieten wie am Spitzingsee hatte man an guten Tagen das Gefühl, dass die Lifte doch laufen müssten, so viele Abfahrer kamen einem beim Aufstieg entgegen. Es machte den Anschein, als hätte der Skitouren-Boom der letzten zehn Jahre in diesem Jahr durch den Lockdown einen neuen Highscore erreicht – was sich in den letzten Jahren schon abzeichnete, hatte eine abermalige rasante Beschleunigung erhalten: Skitourengehen wird Massensport.

Exoten unter sich

Wir spulen mal eben zurück: Bis weit nach der Jahrtausendwende waren Skitourengeher wohl das, was der WWF als schützenswerte Artgenossen betrachten würde. Traf man Freunde, die wenig mit Bergen am Hut hatten, war es durchaus erklärungsbedürftig, was man denn da genau tat. Also wo rauf, wie rauf, wie runter und warum überhaupt? Dass man das auch noch als Urlaub machte oder gar den ganzen Winter über, wurde oft mit einem zwischen Bewunderung und Unverständnis schwebenden: „Du bist ja krass“ kommentiert.

Aufstiegs- und Abfahrtsspuren einer Skitour am Pass di Cascia Dur, Bergell
Aufstiegs- und Abfahrtsspuren einer Skitour am Pass di Cascia Dur, Bergell

„Krass“ war damals also schon, überhaupt selbst raufzugehen, „krass“ waren demnach auch Skitouren im Langen Grund in den Kitzbüheler Alpen, Klassiker im Sellrain oder eben „superkrass“ alles, was sich dann in tatsächlich noch alpineren Gegenden abspielte. In seltenen Fällen gesellte sich der ein oder andere versierte Alpinskifahrer, der keinen Bock mehr auf Piste hatte, dazu – in der Summe blieb das Thema aber klein.

Zombies

Wir setzen noch eins drauf: Ich erinnere mich an die Bilder aus dem Haute-Route-(Achtung!)-Dia-Vortrag meines Vaters. Der hatte in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren das Thema Skitour und speziell Skidurchquerungen mit großer Passion betrieben. Skitourengeher waren in den 70er- und 80er-Jahren noch fast so selten wie Marsmännchen.

Skitourenbekleidung der damaligen Zeit wäre heute der Knüller auf jeder Faschingsparty, damalige Ski würden für 80 % der heutigen User als unfahrbar gelten, Bindungen von damals … okay, lassen wir das. Jedenfalls war die Haute Route von Chamonix nach Zermatt oder besser noch bis Saas Fee ein extremes Abenteuer, das nur wenigen vorbehalten war und das nur eine kleine Anzahl an Protagonisten überhaupt auf ihrer „Bucketlist“ – Moment, das Wort gab’s damals auch noch nicht –, also auf ihrem Wunschzettel hatten.

Zurück in die Zukunft

Das alles liegt weit zurück, die Zeiten haben sich geändert. Das kann man toll finden oder auch weniger toll. Fakt ist, dass seit gut zehn Jahren Bewegung drin ist im Thema Skitourengehen. Die Gründe dafür dürften sehr unterschiedlich sein. Spätestens seitdem Massen-Skitourismus kritisch gesehen wird und viele sich mit Grauen vom sogenannten Skizirkus abwenden, wurde Skitourengehen eine neue Heimat für zahlreiche leidenschaftliche Wintersportler.

Klimawandel, „go green“, „ecological footprint“ und ein neues Bewusstsein für Nachhaltigkeit dürften unter vielen weiteren guten Gründen eine große Rolle gespielt haben. Ganz zu schweigen davon, dass der klassische Winterurlaub mit Skifahren für die ganze Familie für viele nicht mehr leistbar ist. Auch die Industrie und zum Teil der professionelle Tourismus witterten damals das Potenzial im Segment Skitourengehen.

Man diversifizierte das Ganze über die Jahre noch in Pistenskitourengeher, Freerider, Normalo-Skitourengeher, ambitionierter aufstiegsorientierter Skitourengeher, Skitourenrennläufer, ambitionierter abfahrtsorientierter Skitourengeher oder das vielsagende Hybrid Skimountaineerer (#skimo) oder mit etwas Freeride-Beigabe Freeskier. Schnauf. Ich weiß zwar jetzt nicht mehr genau, was ich bin, aber das ist gut so ;-). In jedem Fall „identitätsstiftend“ das Ganze.

Die Visitenkarte

Apropos Identität: Da kommen mir die Worte meines Vaters in den Kopf, der uns einbläute, die Aufstiegsspur sei „die Visitenkarte“ des Skitourengehers. Gleichmäßig zieht sie empor, nutzt Geländegegebenheiten geschickt aus, vermeidet Spitzkehren, bis es nicht mehr anders geht, ist nie wirklich steil – so lässt sich leichter ein Rhythmus finden und halten –, nutzt geschickt auch kleine Verflachungen für sanfte Richtungsänderungen und bleibt auf einer logischen Linie in puncto Lawinengefahr und Weiterweg.

Puh … das waren noch Zeiten! Wer also damals seine „Visitenkarte“ in die Waagschale warf, sprich, sich aufmachte, als Spurer den Weg für die Nachfolgenden zum Gipfel zu bereiten, der exponierte sich ein Stück weit – durfte sich aber bei gelungener Arbeit über Lob, Dank und nicht selten einen Schluck Feuerwasser als „Lohn der Arbeit“ freuen.

Spuren war eine Aufgabe für Mitarbeiter aus dem gehobenen Dienst. Eine gute Spur – ein Gesamt(kunst)werk. In grenzenloser Hingabe für die noch Aufsteigenden durch liebevolle Detailarbeit in die Hänge gemeißelt. Jeder durfte hier nicht ran – eine gute Spur sollte ja kein mittelmäßiges Gesellenstück werden. Prädikate wie „zu steil“, „ohne Gefühl fürs Gelände“ oder „zu ungleichmäßig“ führten keinesfalls zu Schulterklopfen durch die Nachfolgenden.

Wurde die Spuranlage zur Themaverfehlung, war’s auch nix mit Feuerwasser. „G’lernt is g’lernt – und wer’s ned kon, soll’s bleiben lassen.“ Gegenwärtig würde man von hartem Feedback sprechen – und das gab’s tatsächlich gratis obendrauf. Zu Dank verpflichtet fühlten sich nachfolgende User nur bei einer „guten Spur“. Inzwischen sind solche „guten Aufstiegsspuren“ selten. Hat man das Glück, auf eine solche zu treffen, stehen den Veteranen der alten Zeit beim Aufstieg Tränen der Rührung im Gesicht.

Gebetsmühlenartig wird der seltenen Spezies ihre hohe Güteklasse bescheinigt. Auch in der Hoffnung, kein anderer würde das Zepter vorne in die Hand nehmen und dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit eine klare Verschlechterung herbeiführen. So etwa eine massive Versteilung der Spur. Deren Superlativ – die sogenannte Berchtesgadener Spur – hatte sich zum Charakteristikum gemacht, den Weg Tal–Berg in möglichst kurzer Strecke zu überwinden.

Da ist natürlich ein Augenzwinkern dabei, denn viele Skitourengeher aus Bergisch-Gladbach … äh … Berchtesgaden legen vortreffliche Spuren. Wird eine Spur zu steil und zu direkt, wird aber gerne eine heimatliche Nähe zum Königssee unterstellt. Hintergrund ist, dass zu steil einfach immer viel kraftraubender ist als eine eher flache Spur. Und zu flache Spuren gibt es nur seeeehr selten.

Walking Gangnam Style

Der oben beschriebene Skitouren-Boom hat vermutlich nicht wenig damit zu tun, dass Visitenkarten auf Skitour inzwischen zu Schmier zetteln verkommen sind. Vermutlich haben drei Faktoren hier einen wesentlichen Beitrag geleistet: Pistenskitouren, Skitouren-Rennlauf und der Trial-and-Error-Charakter des „Nicht-Sports“ Skitourengehen.

Auf Pistenskitouren gibt es in der Regel einen kleinen Bereich – nicht selten der Rand der Piste –, der für den Aufstieg benutzt wer den kann. Dieser Aufstieg führt dann kerzengerade den Hang hin auf – wie auch anders? Diejenigen, die das Skitourengehen in den letzten Jahren angefangen haben, haben so oft ihren ersten Berührungspunkt mit dem Thema Aufstiegsspur.

Als Neuling würde man nie die Aufstiegsspur kritisieren. Man sucht den Fehler bei sich. Man akzeptiert das, was gegeben ist – die Spur. Wird später die Karriere im freien Skigelände fortgesetzt, wird steil, direkt und un gleichmäßig als normale Spur akzeptiert bzw. selbst so angelegt. Ein Teufelskreis. Bei der Spezies Skitouren-Rennlauf ähnlich.

Hier geht es rein um sportliche Leistung, steil ist geil, die Oberschenkel werden sauber aufgeblasen, nicht selten finden Training und auch Rennen ebenso auf Skipisten statt. Der erste Blick am Gipfel gilt nicht der Aussicht, sondern der Stoppuhr. Klar, dass da Ästhetik und Sinn einer guten Spur eher die Unbekannten in der Gleichung sind. Die Zielsetzung eines Skitouren-Rennläufers ist einfach eine ganz andere.

Erfahrung im Gelände und raffiniertes Bewegen im freien Skigelände sind untergeordnet. Rennanzug und gute Spur bleiben oft gleich gepolte Magneten. Skitourengehen an sich ist indes ein Hybrid zwischen Sport und Naturliebhaberei. Das Lebensgefühl „draußen zu Hause“ schneidet sich manchmal mit der Einsicht, dass es auch in der Disziplin Skitourengehen „was zu lernen“ gibt.

Beim Tennis wird man ohne einen guten Trainer nicht zum Vereinsmeister. Trial and Error funktioniert im Sport nur im Stadium der Grobkoordination. Wenn’s mehr werden soll, ist gutes Coaching entscheidend. Viele Newbies der letzten zehn Jahre – insbesondere die mit viel Kraft in den Haxen – haben dabei die Grobkoordination in Sachen Spuranlage ins Gelände übertragen.

Und fühlen sich bestätigt in ihrem Tun: Denn diejenigen, die gerade von der Piste kommen, sowie Skitouren-Rennläufer folgen ihren zu steilen, zu wenig dem Gelände angepassten, zu ungleichmäßigen Spuren treu ergeben. Dann muss die Spur wohl gut sein. Noch ein Teufelskreis.

Folgerungen

  • Die meistfrequentierte Aufstiegsspur ist nicht immer diejenige, welche eigentlich „die beste“ ihrer Art ist.
  • Der Berg und damit viele Skitouren sind inzwischen eher Sportgerät geworden. Trainingszweck und gute Spuranlage widersprechen sich vordergründig. Ein Sportler will sich fordern und muskulär plätten, eine gute Aufstiegsspur ist u. a. kraftsparend.
  • Wer das Gelände nicht anschaut, kann es nicht lesen und nicht „nutzen“. Die Topographie eines Berges ist im Winter wie ein Buch – aufschlagen und lesen muss man selber.
  • Spätestens im hochalpinen, weniger frequentierten Skigelände kommt einer guten Aufstiegsspur wieder eine große Bedeutung zu
  • Bei langen Touren/Etappen mit schwererem Rucksack (Gletscher etc.) wird der Faktor „kraftschonend“ für fast alle irgendwann wichtig.
  • Kraft ≠ Geländekönnen ≠ Spurer. Der, der vorne geht, ist in der Regel der Schnellste, Konditionsstärkste und hat am meisten Kraft – leider ist das nicht immer die Person, die auch die meiste Erfahrung, das beste Geländekönnen und die beste Kompetenz in Sachen Spuranlage hat. Ein Renn-Outfit haben meistens die an, die unbestritten über eine sehr gute Ausdauer-Leistungsfähigkeit verfügen. Dieses Outfit macht sie zu Athleten, nicht aber kompetent in Sachen Skitouren im freien Gelände, Spuranlage im freien Skigelände, Gefahrenbeurteilung etc.
  • Wenn man so will, zeigt die inzwischen etwas verkommene Visitenkarte der „guten Spur“ vor allem die Diskrepanz zwischen rein sportlichem Ansatz auf Skitour und einem erfahrungsbasierten, ästhetischen Ansatz (der durchaus auch sportlich sein kann, es aber mitnichten immer ist). Die Diskussion ist Ausdruck des Hybrids Skitourengehen – irgendwo zwischen Sport, Naturerlebnis, Risikomanagement und Kunst.

Und jetzt? – Trotzdem „Fellfreunde“

Diese Entwicklung ist nicht zu ändern. Deshalb macht es auch wenig Sinn, mit ihr zu hadern. Es ist, wie es ist, und vielleicht tut dieser Erklärungsversuch hier gut, um zu verstehen, warum die Spur da gerade so steil raufgeht. Und wer weiß? Nachdem Sportlern immer auch eine mentale Nähe zu Künstlern nachgesagt wird, könnte es ja sein, dass sich Sportler bald etwas mehr verkünsteln und Künstler ihren Hang zur Sportlichkeit entdecken und man sich immer öfter in der goldenen Mitte trifft.

Oder die Fronten bleiben verhärtet – wir werden es kaum beeinflussen. Für mich persönlich gibt es aber nichts Schöneres, als vom Gipfel aus eine „gute Spur“ am Berg gegenüber zu sehen und die ästhetische Linienführung des Künstlers dort drüben zu bewundern. Manchmal trink ich dabei einen Schluck Feuerwasser 😉

Qualitätsmerkmale der Aufstiegs-Spur

Make the track great again!

1. Gleichmäßig steil

Steil ist hier relativ. Denn wenn eine Spur zu steil ist, hilft es auch wenig, wenn sie gleichmäßig (das heißt durchgehend) zu steil ist. Noch schlimmer: ungleichmäßig, also ein wiederkehrender Wechsel von zu flachen und zu steilen Abschnitten. Was ist also „gleichmäßig steil“?

Aufstiegstechnik Skitouren Spuren
Abb.1 Aufstiegstechnik. Illustration: Georg Sojer

Einen guten Hinweis liefern unsere „Haxn“: Wer bei jedem Schritt deutlich aus den Oberschenkeln drücken muss (subjektives Belastungsempfinden) und gleichzeitig beim Absenken des Schuhs ständig Spannung in der Wadenmuskulatur verspürt (subjektives Belastungsempfinden), geht zu steil – auch die höchste Steighilfe schafft nur bedingt Erleichterung, siehe unten.

Ist die Spur hingegen nicht „zu steil“, ist gleichmäßiges Gehen besser umsetzbar, denn der Gehrhytmus wird individuell leichter gefunden und kann besser eingehalten werden. Und das ist bei zyklischen aeroben Belastungen (Joggen, Radfahren etc. ) wichtig für einen möglichst langen Erhalt der Leistungsfähigkeit während einer Trainingseinheit (z. B. ein Aufstieg).

Hilfreich ist es dabei, Geländepunkte mit der Spur „anzupeilen“, die in einer gleichmäßig steilen Aufstiegslinie liegen (Abb. 1). Idealerweise werden topographische Versteilungen rechtzeitig antizipiert und die Spur entsprechend „geplant“.

Tipps für topographisch bedingte Richtungsänderungen:

  • aus einer Mulde raus ist immer eine Richtungsänderung „aus dem Hang raus“
  • von einem Rücken runter ist immer eine Richtungsänderung „in den Hang hinein“
  • je stärker die topographische Veränderung (steiler Muldenrand oder an den Seiten steil abfallender Rücken), desto ausgeprägter ist auch der Richtungswechsel (Abb. 1)
  • Eine gute Spur berücksichtigt diese „Beulen“ und „Dellen“ im Hang auch auf wenigen Metern!
Bogentreten.beim Tourengehen
Abb.2 Bogentreten. Illustration: Georg Sojer.

Die hohe Steighilfe vieler Skitourenbindungen ist wenig sinnvoll: Gleichgewicht schwieriger (Highheels), Schrittlänge kürzer, bei kurzen Verflachungen spürbar anstrengender (ständiges Umstellen), Kraftübertragung auf den Ski mehr über den Vorderfuß und punktueller, dadurch leichter möglich, dass der Ski „durchgeht“.

Daher ist die Nutzung der höchsten Steighilfe nur selten eine gute Antwort auf eine steile Spur. Gleichmäßig und angemessen breit, meint den Abstand der Ski zueinander. Etwas weniger als hüftbreit ist zwar abhängig von der individuellen Anatomie, trifft es aber meist am besten. Auch die Komponente Skibreite ist hier eine Variable. Immer mühsam zu gehen: zu schmale Spuren.

Tipps

  • Spuren ohne Steighilfe
  • Feedback von Nachfolgenden einholen oder Gehstil der Nachfolgenden beobachten

2. Das Gelände nutzen

  • Richtungsänderungen bei Verflachungen, „Kurven gehen“, ohne steiler zu werden (Abb. 1 und 2)
  • Gräben eher meiden, Rücken eher suchen: Gleichmäßige Richtungswechsel sind in Gräben/Mulden schwieriger, außerdem ist hier die Einsinktiefe oft größer (siehe Schneeoberfläche).
  • Richtungsänderungen im Bezug auf möglichen Spurkorridor abstimmen: zu viele und unnötige Richtungsänderungen vermeiden vs. zu lange in einer Richtung am Hang queren ➔ wenn Platz ist, kann man ihn nutzen, bei „zu viel Platz“ (z. B. großer Hang) muss man selbst den Spur-Korridor einschränken (Abb. 1).
  • Zu langes Queren vermeiden (Belastungswechsel); gehe ich durch die Senke vs. quere ich oberhalb den Hang? Situationsabhängig, meistens ist Senke ausgehen besser, weil kraftschonender (Abb. 1).
  • Spitzkehren meiden, Wendepunkte antizipieren
„Bahnhof“ bauen beim Tourengehen.
Abb.3 „Bahnhof“ bauen. Illustration: Georg Sojer.

Tipps

  • Punkte im Gelände „anpeilen“. Achtung: Oft peilt man zu ambitio niert – Kurs korrigieren ist erlaubt! Übung macht den Meister!
  • Geländeabschnitt „scannen“, bevor man ihn betritt, und Grobplan im Kopf zurechtlegen, z. B.: Kuppe von links gewinnen, Richtungswechsel auf Kuppe, dann zwei bis drei weit ausladende Spitzkehren (vermeidbar?), Hang oben nach rechts verlassen

3. Spitzkehren

  • Bevor Spitzkehren unausweichlich sind, sollten Kurven auf kleinem Raum getreten werden (gefühlt am gleichen Ort um die Kurve treten), denn für Nachfolgende ergibt sich mehr und mehr eine enge Kurve, die aber ohne Rhythmusverlust begehbar bleibt (Abb. 1 und 2).
  • Spitzkehren sind Rhythmusbrecher!
  • Erst wenn Richtungsänderung nicht mehr anders möglich (keine Verflachungen für natürliche, sanfte Richtungswechsel vorhanden) Gut verfestigen und flach setzen, heißt alten und neuen Talski möglichst flach: „Bahnhof“ bauen! (Abb. 3)
  • Ungünstiges Abrutsch- oder Absturzgelände für Spitzkehren meiden, weniger routinierte Geher können immer aus einer Kehre „rausfallen“ (Abb. 1).
  • Extrem steiles Gelände: Wann ist die Ski tragen effizienter/sicherer als weitere Kehren? Wird’s richtig steil, ist eine gute Stapfspur oft besser zu gehen als unzählige Spitzkehren auf engem Raum.

Mehr dazu: How to Spitzkehre

4. Schneeoberfläche

  • Griffige Schneearten sind besser als glatte, harte Schneeoberflächen.
  • Wo ist Sonne, wo ist Schatten? Auswirkungen auf Untergrund? Im Frühjahr ggf. Problematik mit stollenden Fellen – feuchte, nasse Felle in kaltem, pulvrigem Schnee führen schnell zu Vereisung und Stollenbildung.
  • gegebenenfalls auch Einsinktiefe für Spurenden bei verfrachtetem Schnee beachten, je tiefer desto anstrengender
  • Gefrorener Harsch: Extrem harte Steilpassagen können Absturzgefahr rasch zum Thema werden lassen, insbesondere im Frühjahr (Konsequenzanalyse und Maßnahmen ➔ Harscheisen? Zu Fuß? Mit Steigeisen? Mit Seilsicherung?) (Abb. 4). Gibt es weichere, griffigere Bereiche, die wir ohne weitere Maßnah men oder mit nur wenigen Maßnahmen gut begehen können?
Abb.4 Konsequenzanalyse. Illustration: Georg Sojer.
Abb.4 Konsequenzanalyse. Illustration: Georg Sojer.

5. Spuranlage und Lawinengefahr

Hier soll nur auf Zusammenhänge eingegangen werden, die man während des Spurens durch eine möglicherweise andere Spuran lage berücksichtigen und somit Risiken minimieren kann. Dass wir lawinenrelevantes Gelände immer mit unserer Spur zu einem sub jektiv mehr oder weniger hohen Risiko machen, ist klar – das kann auch nicht immer durch eine bessere Spuranlage beeinflusst wer den. Eine ungünstige Spuranlage kann ein vorhandenes Risiko aber gegebenenfalls steigern. Wenn durch kritische Geländeabschnitte „nur durchgegangen wird“, ist das anders, als wenn in kritischen Bereichen Spitzkehren oder eine Begehung zu Fuß notwendig wer den. Zudem macht es Sinn, auch das Thema Spuranlage vom Lawi nenproblem her zu denken:

  • Altschnee: Fernauslösungen können vermeintlich sichere, flache Bereiche betreffen. Bin ich im gewählten Spurbereich wirklich weit genug von Auslaufbereichen weg? ➔ digitale Karten von z. B. Skitourenguru nutzen
  • Neuschnee: Kritische Neuschneemenge? Weiter oben deutlich mehr? Bin ich physisch in der Lage, die ganze Tour bei dieser Neuschneemenge zu spuren?
  • Triebschnee: Können Triebschneepakete möglicherweise umgangen werden? Wie umfangreich ist das Triebschneeproblem? Kann ich Triebschneebereiche sinnvoll einzeln begehen?
  • Frühjahrssituation/Nassschnee: Durchfeuchtete Schneedecke: Was ist die Ursache der Durchfeuchtung (Regen oder Strahlung bzw. geringe Abstrahlung)? Gibt es Bereiche, die durch ihre Hangausrichtung stabiler sind? Kann ich mit einer Spuranlage in (noch) günstigen Bereichen wirklich einen Unterschied machen? Oder ist der vermeintlich günstigere Bereich in kurzer Zeit ebenso morsch (➔ Rückweg)? Gibt es nicht sichtbare Einzugsbereiche oberhalb?
  • Gleitschnee: Bereiche unterhalb von Rissbildungen meiden oder, wenn unvermeidbar, zügig begehen ➔ Spur so anlegen, dass ein schnelles Begehen des Bereichs möglich ist.

Weitere mögliche Zusammenhänge zwischen Lawinengefahr und Spuranlage

  • Konsequenzanalyse hinsichtlich Spuranlagekorridor. Wenige Meter können hier einen Unterschied machen, insbesondere hin sichtlich Absturzgefahr in Kombination mit einer Lawinensturzbahn über Felswände/in Gräben hinein.
  • Ist es durch geschickte Spuranlage möglich, dass nachfolgende Tourengeher unterhalb kritischer Stellen nicht im Einzugsbereich einer möglichen Lawine aufsteigen (z. B. mäßig steil bis unter die Felswand, dann in den steilen Hang nach rechts/links)? (Abb. 1)
  • Wechten: Bereiche unter großen Wechten meiden oder zügig begehen. Überwechtete Gratbereiche grundsätzlich mit ordentlichem Respektabstand (Wechtenkeil) begehen – denn von oben sieht man die Dimension der Überwechtung oft nicht.

6. Spuranlage und Ökologie

  • Sensibilität hinsichtlich winterlicher Lebensräume: Wildfütterungen, Jungwald, Unterstände (z. B. kleine, überhängende Felswände), Lebensraum Raufußhühner (Baumgrenze und ober halb, Geländekanten), Lebensraum Rotwild, Stress-Impact auf Wildtiere in kalter und nahrungsarmer Jahreszeit durch Störung.
  • Ausgewiesene Schutz- und Ruhezonen: Auch wenn es hier immer wieder zu teils berechtigten Diskussionen und Interessenkonflikten kommt, ist es sinnvoll und wichtig, ausgewiesene Schutz- und Ruhezonen grundsätzlich einzuhalten und auf der jeweiligen Tour zu kennen. Teil der Tourenplanung (alpenvereinaktiv, swisstopo, tiris)!
  • Vermeidung von nächtlichen Anstiegen im freien Gelände, insbesondere unterhalb der Baumgrenze und an der Baumgrenze.
  • Bewusstmachung: Dort, wo ich eine neue Spur lege, kommen potenziell auch weitere Skitourengeher nach.
  • Hilfreich: „Trichterregel“ – eher bekannt aus der Perspektive Abfahrt, aber auch auf den Aufstieg übertragbar. Enge Spielräume für Spuranlage unterhalb der Waldgrenze bis einschließlich Baum grenze, oberhalb weitet sich der Spielraum immer mehr aus im Hinblick auf die potenzielle Störung sensibler Bereiche (Abb. 1).

Erschienen in der
Ausgabe #125 (Winter 23-24)

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