bergundsteigen #128 cover
Magazin Abo
Postest du noch oder bergsteigen du schon? by argonautpro I bergundsteigen.blog|Abb. 5 Alt und bewährt. Zusammensitzen
17. Jan 2019 - 28 min Lesezeit

Postest du noch oder bergsteigst du schon?

Nach „Avalanche goes Social“ und „Whowhoo - Heilige Berge“ (bergundsteigen #98 und #99) hier nun Teil drei der Social-Media-Serie. Diesmal geht es um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem realen Tun am Berg und dessen Darstellung auf Facebook & Co.

Digitale Kommunikation ist Alltag. Posten und Liken auf Facebook sind keine kurzfristigen Phänomene mehr, sondern Status quo – auch beim Bergsteigen. Auf Basis der letzten beiden Beiträge, in denen stark auf das „Was“ der Postings eingegangen wurde, wird nun diese digitale (Social-Media-)Kommunikation in das reale, analoge Leben getragen: Was bedeuten diese Veränderungen für das Bergsteigen?

„Hartmut Rosa verwendet das Bild einer nach unten fahrenden Rolltreppe, auf der man unentwegt nach oben laufen muss, um seinen Status zu halten.“ (Mau, 2017, S. 281)

Hat die veränderte Kommunikationskultur überhaupt Auswirkungen auf das reale Tun?

Bergunfälle aus Selfie-Gier und das norwegische Projekt #besafie

Vorab: ja. Als Reaktion auf den letzten bergundsteigen-Beitrag machte uns der Leser Philipp Mayer auf das Projekt #besafie aufmerksam. Ein Projekt, das Unfallvermeidung zum Ziel hat – Unfälle, die aufgrund waghalsiger Aktionen passieren, um das beste Selfie zu bekommen. Bekannte Selfie-Motive in Norwegen sind die Felsen Preikestolen, Pulpit Rock und Trolltunga (Trolls Zunge), wo ein australischer Student vergangenes Jahr beim „Sich-selber-mit-dem Handy-Fotografieren“ sogar in den Tod stürzte. Die Zahl der Touristen, die nach Pulpit Rock wandern, ist von 60.000 im Jahr 2009 auf 300.000 im Jahr 2017 gestiegen, die Besucherzahlen zum Trolltunga zwischen 2011 und 2016 von 1.000 auf 100.000 gestiegen.

„2015 war das Jahr der gefährlichen Selfies mit schweren Verletzungen, da die Menschen extreme Risiken auf der Suche nach dem perfekten Bild eingingen. Ein Selfie ist es nie wert, dafür zu sterben. (…) Der Fokus der #besafie-Kampagne liegt darauf, Touristen zu helfen, zuerst an Sicherheit zu denken, bevor sie sich in die Wildnis wagen. Wir möchten, dass Sie Spaß haben, die Natur zu erkunden, und sicher nach Hause zurückkehren.“ (www.visitnorway.com/about-besafie)

Nun ist auch im Bergsport belegt, was bereits in anderen Bereichen für Diskussionen sorgt: Die neuen digitalen Medienformen und -möglichkeiten haben Auswirkungen auf unser reales Leben.

„Not-so-Fun-Fact: Die Wahrscheinlichkeit, beim Schießen eines Selfies zu sterben, ist fast doppelt so hoch wie die Chance, von einem Hai gefressen zu werden. Deine Smartphone-Egomanie könnte dir zum Verhängnis werden – vorausgesetzt, du verhältst dich so unvorsichtig wie diese Selfie-Opfer.“
(Sebastian Späth in www.musikexpress.de)

Wer nun immer noch skeptisch die Nase rümpft, sollte unbedingt mal „Selfieunfälle“ googeln.

Digitale Medien haben viele Vorteile!

Die Symbolik des Schönen

Wir freuen uns, draußen zu sein. Starten muss man mit dem Positiven, das Facebook oder andere soziale Medien ermöglichen – einer schönen Welt und Community, in der wir alle vernetzt sind. Und aufgrund der Userzahlen ist auch belegt, dass anscheinend sehr viele an der Lebenswelt Bergsteigen interessiert sind und ihre Erlebnisse mit anderen teilen möchten.

„Im Grunde ist Facebook mit seiner affirmativen Like(able) Kultur eine große Party, auf der sich alle wohlfühlen.“ (Simanowski, 2016, S. 162)

Der Grundansatz ist, das Positive zu präsentieren und dies muss man einmal als Grundintention für alle Handlungen auf Facebook nehmen.

Bergsteigen + Facebook = eine Lebenswelt?

Die Zielgruppe ist dieselbe

Bergsteigen und Facebook passen eigentlich ganz gut zusammen: Genauso wie man Facebook unterstellt, es wäre die Befüllung der letzten Zeitlücken, so ist auch das Bergsteigen für immer mehr die Befüllung der (Frei-)Zeiträume geworden. Es ist ein Hobby. Es ist nichts, das ich zum Überleben brauche.
Ebenso wie die Suche nach Community: gemeinsam etwas erleben – ob am Berg oder im Netz, wir werden zur Gruppe. Und genau so, wie viele beim Bergsteigen „das Schöne“ suchen, so präsentiert es uns diese Plattform auf dem silbernen Tablett: täglich blauer Himmel und unverspurter Pulver. Bergsteigen ist das Facebook-Sujet schlechthin: Berge plus blauer Himmel und Natur plus Mensch. Es gibt keine bessere Kombination!

Zudem überschneiden sich auch die Zielgruppen, weshalb die Anzahl der bergsteigenden User als auch der Berg-Content in den letzten Jahren gestiegen sind. Während die Jugendlichen (zwischen 14 und 18 Jahren) Facebook längst verlassen haben, drängen die Erwachsenen in das Medium. Die starke Gruppe der 18- bis 44-Jährigen überschneidet sich mit den aktuellen Zahlen der Bergsport-Aktiven.

Zusammengefasst nochmals die Vorteile digitaler Kommunikation:

  • Vernetzung mit Personen;
  • einfache und schnelle Vermittlung wichtiger Botschaften an eine große Menge an Leuten;
  • kostengünstige Form des (Eigen-)Marketings;
  • Informationen über „aktuelle Verhältnisse“;
  • Inspirationen für die nächste Tour;
  • einfache Möglichkeit, immer und überall posten zu können;
  • Möglichkeit mit digitalen Daten die Basis einer Tourenplanung zu erstellen.

Während der Tour – der Transfer digitaler Phänomene auf reales Bergsteigen

Die digitale & analoge Bergsteiger-Community

Dem aufmerksamen Leser oder Berg-Experten wird es aufgefallen sein, dass ich in der Lebenswelt „Bergsteigen“ immer wieder mit „Wanderzahlen“ komme. Mit Wanderer meint man hier auch die große Gruppe der gelegentlichen (Urlaubs-) Wanderer, die sich der digitalen Welt „Bergsteigen“ aber ebenso zugehörig fühlt (Brämer, 2017, S. 2). Und hier ist man wiederum beim Phänomen, dass die Gruppe der Bergsteiger „aufgrund ihrer Expertise und Erfahrung“ nicht homogen ist. Erkennbar gerade eben im Winter 2017/18 auf den Plattformen, wo sich Skitourengeher in „gute“ und „schlechte“ splitten. In welche, die eine Spitzkehre beherrschen und somit auf den Gipfel dürfen, und solche – die Schlechten –, die lieber auf einer Piste gehen sollten.

Oder Bergliebhaber, die Skitourengeher allgemein verurteilen, da sie die Bergrettung in Gefahr bringen, wenn dann was passiert.
Oder die, die auf das Posting reagieren und anstelle von Aufklärung sich selbst als Expertengruppe deklarieren: die ja verstehen, dass ein Unfall mal passieren kann, aber nicht verstehen, wie einige ahnungslose Kommentarschreiber zu den Aussagen kommen können, dass Bergretter immer ihr eigenes Leben riskieren (müssen) – aber das ihrer Ansicht fehlende Fachwissen zur Thematik vermitteln sie auch nicht …

Ebenso gibt es die Könner mit dem richtigen „Riecher“, die immer einsame Lines finden, im Unterschied zu den Normalos, die halt permanent im verspurten Gelände fahren. Kurzum: Das gegenseitige Verständnis – auch und vor allem für unerfahrenere Skitourengeher (und auch Pistentourengeher) – fehlt.

Bis hierher ist das digitale mit dem analogen Verhalten ident. Anders sieht das aber aus, wenn es um „Gruppe und Freundschaft“ geht. Ich durfte im Frühjahr 2017 an der DAV-Werkstatt teilnehmen und hörte folgende spannende Aussage:

„Noch nie hatte ich so viele Freunde wie jetzt und noch nie bin ich so oft alleine auf Tour gegangen!“ (Teilnehmer DAV-Werkstatt, 2017)

Hier unterscheidet sich digital von analog – nicht nur beim Bergsteigen. Beobachten Sie einmal Personen, Freunde in einem Restaurant oder Café, die sich von Angesicht zu Angesicht treffen – aber die Zeit doch intensiv mit ihren digitalen Freunden auf dem Smartphone verbringen.

„Wir“ sprechen nicht dieselbe Sprache.

Informationen sind nicht immer für alle verständlich

Wir, im Sinne der digitalen Gruppe an Bergsteigern, sind also nicht homogen. Vorwissen, Erfahrung, Expertise und das Mindset unterscheiden sich. Trotzdem gehören wir in der digitalen Welt einer gemeinsamen Lebenswelt „Berg“ an. Oder glauben es zumindest.

Aber diese vermeintliche gemeinsame Gruppe spricht nicht dieselbe Sprache. So kann das Glockner-Sonnen-Gipfelposting dem einen ein Lächeln ins Gesicht zaubern, weil er sich denkt, „Freut mich, dass hier jemand für diese eindrucksvolle Unternehmung gutes Wetter erwischt hat!“, während dem anderen das Bild des langweiligen, einfach zu besteigenden Modeberges Glockner vermittelt wird. In der Praxis bedeutet das, dass unsere Handlungen an sich nicht vergleichbar sind. Wir wollen aber dasselbe machen, um uns vergleichen zu können. Daher beschreitet man neue, effizientere Wege. So habe nicht nur ich in den letzten Jahren vermehrt das Gefühl, dass auf den bekannten und prestigeträchtigen Bergen das selbstständige Bergsteigen ab- und dafür das geführte zunimmt …

Auffällig ist auch, dass z.B. die namhaften Weitwanderwege „überfüllt“ sind: Hütten stellen Zelte im Freien auf, um alle Gäste unterzubringen, die anscheinend – trotz der Tafel am Ausgangspunkt, dass die Hütte voll sei – keine alternative Tourenplanung durchführen können. Haben sie sich doch diesen bekannten Weitwanderweg zum Ziel gesetzt! Und niemand weist sie jetzt darauf hin, dass auch zig andere dieselbe Idee hatten. Niemand hilft ihnen, Alternativen zu finden.

„Das Problem ist nicht das, was wir auf Facebook lesen, sondern dass wir auf Facebook lesen.“

(Tschäppeler)

„Erzähle dich selbst“– während der Tour.

(Simanowski, 2016, S. 32)

Vor kurzem waren wir auf Skitour: zu viert, super Wetter, der erste Powder-Tag der Saison mit 50 cm Neuschnee und nur einer Spur vor uns. Was passiert ist? Handy raus, Fotos schießen und eine Instastory, ein Insta-Pic und auf Facebook posten. Unmittelbar danach erste Kommentare checken und Anrufe entgegennehmen von Leuten, die wissen wollen, wo wir denn unterwegs sind.

Das, was auf Facebook gepostet wird, ist nur die halbe Wahrheit. Dass wir es posten (und lesen und liken und kommentieren …), und wie es dazu kommt, ist die zweite Hälfte. Diese Form der Kommunikation – sofort mit der ganzen Welt seine Erlebnisse teilen zu können und zu wollen – verändert unser Verhalten und das Bergerlebnis an sich.

Schauen Sie sich gerne einmal Facebook-Berg-Postings durch und fragen Sie sich immer, was man alles dazu braucht (und welchen Zeitaufwand es kostet), damit dieses Foto zustandekam?

Z.B. das „Selfie“ (ein Selfie muss übrigens nicht mehr zwingend selber gemacht werden) auf Tour mit dem Untertitel „Brrrr, kalt heute.“ Äh, stopp! Man friert, packt aber sein Handy aus, gibt es jemandem, der wiederum zehn Meter nach hinten gehen muss, damit man in kompletter Statur oben ist. Und diese fünf Minuten des Fotografierens und das Ausziehen der Handschuhe in der Kälte nimmt man in Kauf, nur damit man sofort posten kann.

„Erzähle dich selbst“ – als Facebook aufkam, erzählte man über sich selbst in der dritten Person. Neben der Autorenangabe z.B. „Riki Daurer“ hat man in der dritten Person den Satz vollendet „ist gerade auf einer hammergeilen Skitour.“ Dieses Phänomen tritt derzeit wieder auf, wenn Personen mit Selfie-Stick den Hang hinunterfahren und über sich selbst in der dritten Form berichten.

Am Berg such ich die Stille – hier das Video dazu

Ach, übrigens suchen wir ja die Stille und Ruhe am Berg. Echt jetzt? Passt mit dem Whoowhoo-in-die-GoPro-schreienden Abfahrer nicht mehr zusammen. Hierzu ein Denkanstoß über den „Verlust der Stille“ von Max Picard (1948), aus seinem Buch „Die Welt des Schweigens“ (in Simanowski, 2016, S. 47):

„Der Vorwurf ist an das Radio adressiert als Maschinerie der ziellosen Kommunikation, der es nicht mehr um Inhalt und Belehrung gehe, sondern um das ,pure Wortgeräusch‘.“

Wir teilen uns mit, um des Mit-Teilens willen

Allein das Wissen darum, was andere liken, beeinflusst unser Verhalten.

„Die Tatsache, dass das Bewertungsspiel der Daten nicht einfach etwas ist, was man hinzunehmen hat, sondern beeinflussen kann, beinhaltet ja geradezu die Handlungsaufforderung, dies auch zu tun.“ (Mau, 2017, S. 264)

Man teilt sich mit, damit man Likes bekommt. Man teilt sich mit, weil es andere auch tun.

„Das Erlebte wird zeitgleich festgehalten und von anderen wahrgenommen. Alle drei Zeiten entfallen an das soziale Netzwerk: Die Permanenz des Erlebens (als Imperativ der Erlebnisgesellschaft) wird (unter dem Imperativ der Selbstdarstellung) zur Permanenz der Berichterstattung. Man lebt im (Mit)Teilen.“ (Simanowski, 2016, S.46)

Jeder kann posten – dazu muss man kein Journalist sein. „Jeder“ beinhaltet aber auch eine Bandbreite an Gründen, warum gepostet wird, und diese müssen nicht dieselben sein – sind sie auch nicht. Allen gemeinsam ist aber die Suche nach „sozialer Resonanz“, der Bestätigung des „Ich“, dem „status seeking“: Der Einordnung seines sozialen Status durch Vergleich mit anderen und der damit einhergehenden Selbstoptimierung und Steigerung des Selbstwertgefühles durch Darstellen von Inhalten, die das Publikum gerne liked. Auf kommerzielle Anbieter umgemünzt, kann man sozial immer durch ökonomisch oder kommerziell ersetzen.

„Je mehr also die Statusvisibilisierung durch quantifizierte Bewertungsformen an Fahrt gewinnt, desto mehr werden wir zu status seekers (eine mögliche deutsche Übersetzung wäre das pejorativ klingende Wort ‚Statusstreber‘) in einem System der differenziellen Wertigkeit.“ (Mau, 2017, 64)

Um den Berg geht es dabei nicht mehr. Auch nicht um das Bergsteigen – denn dieses erlebe ich ja nur im Tun selbst, in der Erfahrung. Facebook wird zur Bühne, der Berg zur Hintergrundkulisse. Das Bergsteigen liefert die passenden Requisiten und der Sport ist das beste Make-up. Daraus entsteht dann der Post, die Darstellung des Erlebnisses.

Auch wenn man das subjektive Gefühl hat, man postet das, wovon man glaubt, dass es intrinsisch ein gutes Erlebnis war, wechselt man sehr schnell in eine extrinsische Motivation, mehr von dem zu posten, was viele Likes erhält. Folglich wird man auch in der Aktion selbst mehr von dem produzieren. Denn aufgrund der Vielzahl an Posts muss ich mich gegen die anderen durchsetzen – der Post muss auffälliger sein, extremer, anders, azyklisch sein – und diese Dynamik, dieser Wettbewerb lebt.

„Seit Menschen sich über andere unterhalten, hängt die Wertschätzung, die sie genießen, nicht nur von der direkten Zuwendung, sondern auch vom indirekt ausgehandelten Ansehen ab. (…) Die Sorge um das Ansehen hat dem inneren Streben immer schon etwas Auswendiges verpasst.“ (Franck 1998 in Mau, 2017, S. 53)

„Sozial disqualifiziert fühlt sich, wer keine attraktiven Erlebnisse zu berichten hat. Was zuvor unbemerkt bliebt, produziert nun eine auffällige Leerstelle.“ (Simanowski, 2016, S. 32)

Ich muss die Story von Anfang an mitdenken, ich werde zum Regisseur und Darsteller, Requisitenbeschaffer und Projektmanager. Ich muss Skitourenfotos unter der Woche posten, am Wochenende hat es jeder. Ich brauche die Drei Zinnen als Hintergrund.

„Noch nie war das Vergleichen so einfach wie heute.“

(Mau, 2017, S. 65)

Nach anfänglich herausragenden Powderfotos musste man letztes Jahr Lawinenvideos posten, um mehr Leute zu erreichen.

Nach den netten Gipfelfotos kamen heuer im Sommer verstärkt die „naked in nature“-Fotos. Ob all diese Erlebnisse noch intrinsisch motiviert sind?

„Im Zeitalter des metrischen Wir heißt ,intensive Statusarbeit‘ (Groh-Samberg et al. 2014), dass wir uns darum kümmern müssen, im Vergleich der Statusdaten gut abzuschneiden. Wenn quantitativ gemessene Wertigkeit zu einer wichtigen Währung bei der Bemessung und Symbolisierung von Status werden, kommt es umso stärker darauf an, dass wir unsere Daten optimieren, uns verbessern.“  (Mau, 2017, S. 65)

Abb. 2: Alt und bewährt. Zusammensitzen, den Finger auf der Landkarte, sagen, was man gut oder schlecht findet, und gemeinsam zu einer Entscheidung kommen. Diese Qualitäten einer „analogen“ Tourenplanung „face to face“ sind im Web 2.0 nicht erreichbar. Trotz digitaler Mehrinformationen wie Hangneigungs- Layer und GPS-Track. Foto: Riki Daurer

Tourenplanung „neu“ – nach Likes und Views

Bewertungskultur – die Qualität einer Tour wird durch Quantität gemessen

Wir bewerten alles mit Sternchen oder Kommentaren – die Hütte, das Buch auf Amazon, die Skitour unserer Freunde, den Kindergarten, die Volksschule. Es ist gut so, bekommt man doch eine vergleichbare, da durch Zahlen objektivierte Übersicht. Oder nicht? In unserem Denken setzen wir Quantitäten gern mit Qualität und Validität gleich. Je mehr, desto richtiger.
Wenn viele das geliked haben, dann wird es schon gut sein.

„Auch hier wird auf Verfahren der Vermessung und Quantifizierung zurückgegriffen, weil diese geeignet scheinen, die eigene Leistungskurve exakt abzubilden und sich mit anderen ‚messen‘ zu können. Die Gesellschaft macht sich auf den Weg zur datengestützten Dauerinventur. Daten zeigen an, wo eine Person, ein Produkt, eine Dienstleistung oder eine Organisation steht, sie leiten Bewertungen und Vergleiche an – kurz: produzieren Status und bilden diesen ab. (…) Ratings und Rankings, Scorings und Screenings trainieren uns Wahrnehmungs-, Denk- und Beurteilungsschemata an, die sich zunehmend an Daten und Indikatoren ausrichten.“ (Mau, 2017, S. 12 ff.)

Auch gemessene Merkmale einer Skitour kommen hier hinzu – Höhe des Gipfels, Aufstiegshöhenmeter, Geschwindigkeit, Powderhöhe … Aber wo ist die Qualität geblieben? Und was passiert mit uns aufgrund der Bewertung und Quantifizierung des Erlebnisses?

„Diesen Verlust (Anm.: die Sprache als Reflexion) verstärkt der Vormarsch des ‚mathematischen Denkens‘, das, als weitere Form des sprachlichen Verstummens, im Banne der Zahl und in Gestalt der Algorithmen operiert.“ (Simanowski, 2016, S. 17)

Bei meinen schönsten Skitourenerlebnissen erinnere ich mich an das Gesamtpaket: die Tour, der Schnee, das Wetter, die Leute und der komplette Ablauf. Was bringt mir der geilste Powderhang, wenn ich von Anfang bis Ende gestresst bin, weil ich Angst habe und weil die Gruppe zu groß ist, weil es mich stresst, als erste den ersten Turn zu fahren. Zudem gibt es aber noch keinen Faktor für die Qualität „Erlebnis“ – ich kann auf Facebook nicht schreiben: 1.800 Hm, 50 cm Powder und Erlebnis 5. Gut so.

Hier noch ein Input der Freeriderin Anne Wangler, die einige Zeit in Norwegen verbracht hat:

„Laut den Norwegern hängt der perfekte Skitag von 3 Variablen ab – den 3 S: Sikt. Sno. Selskap. (Sicht. Schnee. Begleitung.)

Es ist jedem selbst überlassen, welche der drei priorisiert wird. Für uns stand die Reihenfolge, ohne darüber nachdenken zu müssen, sofort fest. Alle waren sich einig. Sind wir in guter Begleitung, mit Freunden unterwegs, kann schon gar nicht so viel schiefgehen. Ist dazu noch die Sicht gut, ist es im Grunde genommen völlig egal, wie die Schneebedingungen sind. Natürlich freut sich jeder über 50 cm Neuschnee über Nacht, jedoch bleiben wir realistisch … wie oft ist genau das der Fall?“ (Anne Wangler)

Beginnt man sich der Bewertungskultur hinzugeben, startet bald eine interessante Dynamik. Bewertungen sind ja gut, um sich einzuordnen, seinen Status abzufragen, wo stehe ich im Vergleich dazu. Doch bald will man mehr, aus dem Vergleich wird ein Wettbewerb, oft sogar nur mit sich selbst.

„Wenn man annimmt, dass die ganz normale Sorge um den Selbstwert den Wunsch nach Beachtung einschließt, kann man davon ausgehen, dass sich die Menschen darum bemühen, möglichst gute Positionen in den Wertigkeitsordnungen zu erlangen. Rankings, Ratings und Scores übermitteln hierbei gesellschaftliche Wertigkeitssignale.“ (Mau, 2017, S. 276)

Self-tracking

„Was gemessen wird, beeinflusst unser Handeln.“ (Mau, 2017, S. 213)

Aus oben genannten Punkten erschließt sich der nächste: das Datentracking, Self-Tracking, Vermessen der eigenen Leistung. Es gibt immer mehr Instrumente, mit denen man seine Handlung aufzeichnen kann – den Track, die Leistung, Puls, Kalorienverbrauch, Schrittzähler, …

„Dann beschreiben sich nicht länger Individuen mehr oder weniger implizit durch ihre Handlungen, vielmehr werden die Individuen durch ihre Handlungen beschrieben. (…) Ein populäres Beispiel für diesen Automatismus ist das Self-Tracking, das Selbsterkenntnis durch Zahlen statt Worte verspricht.“ (Simanowski, 2016, S. 73)

Unsere Tracker werden zum Teil der Tour, damit wir auch ein Ergebnis des Erlebten abliefern können, um uns mit anderen und auch mit uns selbst zu vergleichen, aber auch um wiederum einer Gruppe anzugehören.

„Je dichter der Kranz der Nutzer derartiger Dienste, desto größer der Grad der Kollektivierung.“ (Mau, 2017, S. 179)

„Zum Teil geht es um eine unmittelbare Verkoppelung von Synchronisation von Humanaktivitäten, die beispielsweise dann entstehen, wenn Menschen über Apps vermittelt an unterschiedlichen Orten mit- oder gegeneinander laufen, als hätten sie sich zu einem gemeinsamen Waldlauf verabredet.“ (Mau, 2017, S. 179)

Der Wunsch nach Self-Tracking bedingt natürlich auch im Freien konkrete Handlung: „Warte, ich schalte nur noch die Uhr ein.“ Genau so hat es einen Einfluss auf unsere Tourenwahl.

„Zugleich finden Standardisierungen und Normierungen statt, denn die persönlichen Daten stehen ja nicht nur für sich allein, sondern werden in alle möglichen Vergleichskontexte gestellt, die dann Auskunft darüber geben, was als normal anzusehen ist und was als wünschenswert.“ (Mau, 2017, S. 176)

Alle Apps zur Vermessung tragen zu einem kollektiven Körper bei, der sich aus ebendiesen Daten zusammensetzt und als Grundbasis für Vergleichbarkeit und Einordnung steht.

Das Phänomen der Social Tourenplanung

Abb. 3: „Echt nice. Wo war das?“. Das vermeintliche Posten
persönlicher Erlebnisse für seine Freunde wird in den sozialen
Medien bald zur öffentlichen Informationsquelle für alle User.
Nicht sagen, wo man war, wird in bestimmten Gruppen nicht
akzeptiert.

Mit allen Möglichkeiten der Selbst- und Fremd-Bewertung sowie des Trackings findet nun eine Form der neuen Tourenplanung statt – in den sozialen Medien. Die Validität tritt in den Hintergrund ebenso die Qualität des Autors. „Gutes Foto! Wo ist das?“ kommt vor „Von wem stammt das Foto? Kann das stimmen?“.

Abnehmende Face-to-Face-Kommunikation

Fast jeder kennt die Situation: Man trifft sich zum Kaffee oder auf ein Bier und die Handys liegen am Tisch, sind Teil des Treffens und beanspruchen auch einen Teil der Zeit. Obwohl man die Möglichkeit hat, face to face mit anwesenden, echten Personen zu kommunizieren, scheint der digitale Austausch wichtiger zu sein. Warum? Hat man Angst etwas zu versäumen? Will man immer und überall dabei sein? Oder ist digitale Kommunikation einfach effizienter, genauso wie man bei Amazon zeitsparender einkauft als zum regionalen Geschäft zu fahren.

Beim Bergsteigen macht sich das in der Tourenplanung bemerkbar. Früher, als „Alpenvereinskind“ oder Funktionärin, habe ich mir die Informationen meiner Bergtouren vor allem in persönlichen Gesprächen geholt: „Wo warst du? Wie war der Schnee?“. Mein Gegenüber kannte mich und konnte mich einschätzen. Ich konnte kontern und diskutieren und solange nachfragen, bis ich alle Informationen hatte, die ich benötigte.

Ich fragte die Schneesituation ab, den Weg, Wegverhältnisse, evtl. sogar auch Gefahrenstellen. Und mein Gegenüber half mir bei allen weiteren notwendigen Informationen: Ausrüstung? Wetter? Wer geht mit? Lawinenwarnstufe gecheckt? Traust du dir das zu?

Das gibt es auch heute noch, da bin ich zuversichtlich. Doch ergänzend dazu informieren sich immer mehr Personen im Internet, wenn nicht sogar in den sozialen Medien. Sie holen sich nicht nur die Tourenbeschreibung als Inspiration oder first-step der Tourenplanung, nein, die Informationen ersetzen die gesamte Tourenplanung. So liest man in bergspezifischen Facebook-Gruppen regelmäßig Sätze wie: „Glaubt ihr, ich kann den XY-Klettersteig gehen?“ oder „Weiß wer, wie die Lawinensituation in XYZ ist?“ Skeptisch?

Ich habe Anfang Jänner dieses Foto in Abb. 3 in einer Tourengruppe auf Facebook gepostet, ohne zu sagen, wo ich war. Nicht lange dauert es, bis die Frage kommt „Echt nice. Wo war das?“

„Die gebotene ‚Nahtlosigkeit‘ der Narration unterdrückt die Brüche und Widersprüche individueller Lebensläufe und Identitätskonzepte und mag somit die Wahrheit gerade im Interesse einer formal gesicherten Illusion verdecken.“ (Simanowski, 2016, S. 135)

Die digitale Globalisierung ermöglicht es, in die Menge einzutauchen und sehr effizient frühere zeitintensive Face-to-Face-Gespräche und Gesprächsqualitäten abzulösen. Unsere Leistungsgesellschaft hat nun wohl auch hier Einzug gehalten und online kann einfach schneller, weniger anstrengend und einfacher kommuniziert werden, auch wenn es um die morgige Tourenplanung geht.

Eine solche digitale Tourenplanung ist zweifelsohne ein super Mittel, grundlegend eine Tour anzugehen oder sich Inspiration oder Eckdaten zu holen. Aber der kritische Blick auf Quellen, Validität der Einträge und technische Fehler in Höhenmeterangaben etc. muss berücksichtigt werden.

Botschaft über Bilder und Werte

Stündlich trudeln die neuen Bilder der heutigen Skitouren auf meinem Bildschirm ein. Die Bilder – wohlgemerkt! Eventuell gibt es noch zwei Zeilen Zeichen dazu, die aber mehr die Emotionalität des Autors beschreiben als die aktuellen Verhältnisse (muss er ja auch wohlgemerkt nicht).

„Die Fotografie ist das ,kalte‘ Medium der Erfassung, sie ist, wie Brecht notiert, ,die Möglichkeit einer Wiedergabe, die den Zusammenhang wegschminkt‘. (Simanowski, 2016, S. 63)

Wissend, dass viele Informationen fehlen und dass das Bild nur eine (gestellte) Momentaufnahme ist, ertappe ich mich doch dabei, dieses Bild nicht nur als Inspiration, sondern als Quelle meiner morgigen Tour zu nehmen. „Da hat es ja eh Schnee, schaut gut aus!“ So werden Botschaften auf Bilder, Bewertungen und quantitative Merkmale reduziert.

„Spannend soll es sein, spektakulär, vielleicht gefährlich. Googlen wir das mal. Moment. ‚Spannend, spektakulär, gefährlich‘. 73.000 Ergebnisse. Biancograt. Hm, schaut gut aus. Das machen wir.“ (Gabriel Egger in www.bergaufundbergab.blogspot.co.at)

Nach der Tour – das Fehlen von qualitativem und direktem Feedback

Wenn man eine unangenehme Botschaft überbringen oder Kritik üben muss, wie macht man das am liebsten? Face to face oder per SMS, wenn nicht sogar per Mail? Wie sagt man einem Hüttenwirt, dass sein Essen nicht geschmeckt hat? Über negative Bewertungen auf Facebook oder seiner Website oder auf der Hütte persönlich? Kritik und Feedback in einer distanzierten Form zu geben, geht einem viel einfacher „von den Lippen“.

Etwas in Angesicht zu Angesicht mit jemandem auszustreiten, ist immer unangenehm. Im Internet und den sozialen Medien wird uns laufend die Möglichkeit gegeben, zu bewerten und auch negatives Feedback anzubringen. Auffallend wenn z.B. Bergunfälle gepostet werden – „wie kann man nur so blöd sein?“, „immer diese Unerfahrenen …“. Gern wird schnell verurteilt, man muss es ja nicht den Überlebenden oder Hinterbliebenen ins Gesicht sagen, sondern nur in die Tasten hauen.

Bleiben wir bei der Tourenplanung. Nach der Tour ist vor der Tour. Drüber nachzudenken, ob alles gepasst hat, kann für die nächste Tour hilfreich sein. Ebenso, sich Feedback einzuholen. Dafür hat man Freunde, Mitgeher, Experten, mit denen man „beim Bier danach“ über alles reden kann. Vollständig. Übertreibt man im Hype des Powder-Adrenalins einmal, wird man korrigiert oder die Botschaft wird als solche verstanden. Hat man den Gipfel nicht erreicht, wird es auch einen Grund dafür geben. Das Erlebnis in seiner ganzen Qualität steht im Mittelpunkt.

Nun aber die digitale Variante – niemand stellt ausreichend (auch kritische Fragen), will alle Komponenten wissen, zum Teil auch, weil die Tour der Menge an Lesern gar nicht bekannt ist. So mache ich weiter, ohne produktives Feedback – einfach mehr vom selben (ähm, das kommt noch auf die Likes an).

Die Menge an Bergsteigern im Web

Die Abwertung des Eigenen und eine neue Form der Unzufriedenheit.

„Die Anlage des menschlichen Gehirns bedingt, dass ein Mensch nicht mehr als 150 soziale Beziehungen verarbeiten kann. (…) Seit es Facebook gibt, diskutiert man, ob Dunbars Zahl falsch ist oder das Beziehungskonzept auf Facebook.“ (Simanowski, 2016, S. 24)

Ich bin im Lungau aufgewachsen – die Schönheit der Natur, viele wunderbare Skitouren durfte ich in meiner Jugend dort erleben und auch viele beeindruckende Menschen kennenlernen. Aber in Summe war die Zahl der Mitgeher und Mitredner beschränkt, genauso wie die Anzahl der Berge. Nun leben wir aber in der globalen Internet-Welt, in der wir alle vernetzt sind, in der Informationsflut herrscht. Ich habe auf Facebook über 900 „Freunde“, was heißt, ich bekomme die Informationen, was sie an dem Tag so erlebt haben.

Egal was ich mache, gibt es sicher noch an die 100 Facebook-Postings über Erlebnisse, die höher, weiter oder einfach auch da waren.

„Wenn man einmal angefangen hat, sich in dieser Weise zu messen, hört man nie wieder auf, und das Herz weiß sich nun mit nichts mehr zu beschäftigen, als die ganze Welt unter uns herabzusetzen“, so sagte es schon Rousseau 1782.

Somit kann ich nie annähernd alles gemacht haben. Hole ich mir in persönlichen Diskussionen Ideen für die nächste Skitour, sind diese beschränkt. Schau ich auf Facebook, sind sie unendlich.

„Der Vergleich (…) ist oft der Ausgangspunkt des individuellen Leistungsstrebens, der Sehnsucht nach Besserwerden.“ (Mau, 2017, S. 52)

Diese Dynamik birgt die Gefahr, unzufrieden zu werden – ich hätte doch können … – oder unreflektiert und im Schnellschuss eine nicht passende Tour zu gehen, damit man wieder mit dabei ist.

„Depression als adaptive Reaktion auf Statusverluste oder die Selbstwahrnehmung, ein Verlierer zu sein. (…) In Situationen der Niederlage oder erzwungener Unterordnung wird intern ein hemmender Vorgang ausgelöst (….). Dieser hemmende Prozess ist unfreiwillig und resultiert im Verlust an Energie, in depressiver Stimmung (…) und einem Verlust an Selbstvertrauen, alles Dinge, die zu den typsicheren Charakteristika von Depression gehören.“ (Rangtheorie laut Stevens & Price 1996, S. 68)

Fazit

Am Ende dieses Beitrages sei mir ein persönliches Fazit erlaubt. In den letzten beiden Beiträgen habe ich aufgrund der Thematik immer wieder auf die Handlungsmöglichkeiten von Vereinen und Institutionen verwiesen. Also auf Dritte. Wie auch sonst beim Bergsteigen liegt es aber letztendlich an mir. Meine Handlung und mein Tun setze ich bewusst und ich muss es auch verantworten. Mir und anderen gegenüber. Vielen ist aber augenscheinlich nicht ganz bewusst, dass selbst das x-te Powderfoto unter Umständen eine Kette von Reaktionen auslösen kann, mit denen man niemals rechnet. Daher ist es immer eine gute Idee, mir vor jedem Abschicken meines Fotos die möglichen Konsequenzen zu überlegen – und die unwahrscheinlichen durchzuspielen.

Auch beim Lesen, Kommentieren und Liken anderer Posts empfiehlt es sich, kurz nachzudenken, worum es eigentlich gehen könnte und welche Motivation der User hat. Dabei bitte nicht vergessen, dass hinter jedem User tatsächlich ein Mensch steht. Dazu noch zwei Gedankenanstöße von mir.

Mehr Face-to-Face und das Gute der Digitalisierung nehmen

Ich war auf Skitour, wieder einmal. Super Powder, wieder einmal. Leider ohne Foto, ausnahmsweise. Daher auch keine Likes und daher auch an die Masse nicht vermittelbar. Hart irgendwie, wenn man gewohnt ist, Feedback und Anerkennung über die Likes seines Skitourenfotos zu bekommen und somit Teil des kollektiven Erlebnisses „Skitour“ zu werden. Die digitale Dynamik zu durchbrechen, das Erlebnis Skitour online nicht zu teilen und somit auch keine Likes zu bekommen, kann genauso ungewohnt sein, wie eine Skitour alleine zu gehen. Nur für sich, anstatt für die Gruppenfreuden. Erlebt hat man sie ja trotzdem. Vielleicht sogar intensiver. Will man Erlebnisse trotzdem teilen, bietet es sich an, seine Freude und auch Erfahrungen wiedermal in einer nicht-digitalen Runde mit vielen interessanten Gesprächen zu teilen, ohne Handy. Das hat übrigens auch schon einen Namen – digitales detoxen 😉

Grenzen erkennen und Standardmaßnahmen setzen

Wir sind die „generation me“. Es geht um mich! Negativ oft in Zusammenhang mit Egoismus und Narzissmus sowie Empathieverlust gebracht, interpretiere ich es anders und positiver: Es geht um mich und das bedeutet, ich muss auch Verantwortung tragen, kann sie nicht delegieren. Die Beobachtungen und Erkenntnisse in diesem Beitrag sollen eines bewirken – die Reflexion des eigenen digitalen Handelns, um Fehlerquellen zu erkennen und langfristig evtl. sogar Unfälle zu vermeiden. Ein kritisches Hinschauen und das Erkennen von Dynamiken sowie die eigene Positionierung im Ganzen sind das Ziel. Ich möchte das am Beispiel der digitalen/sozialen Tourenplanung festmachen:

  • Warum wähle ich eine Tour aus? Aufgrund des Powderfotos?
  • Sind die Quellen meiner Inspiration und Information vertrauenswürdig und valide?
  • Gibt es evtl. allgemein anerkannte Informationsdienste zu bestimmten Themen (Wetter, Lawinen …), die mir zusätzliche Informationen zum Post liefern?
  • Muss ich gewisse Information zusätzlich organisieren bzw. verifizieren – z.B. von wann stammt die Aufnahme tatsächlich?
  • Entspricht die ausgewählte Tour meinem Können und meiner Erfahrung? Und woher bekomme ich diese Informationen?
  • Welche Risiken birgt die Tour? Und was brauche ich analog, um die Tour vollständig und gut zu planen?

Und alle weiteren Standardmaßnahmen muss man nicht neu erfinden, denn die sind im Ablauf einer guten Tourenplanung schon definiert.

Hier z.B. der #besafie Mountain Code:

#1 Plan your trip and inform others about the your route.
#2 Adapt the planned routes according to ability and conditions.
#3 Pay attention to the weather and the avalanche warnings.
#4 Be prepared for bad weather and frost, even on short trips.
#5 Bring the necessary equipment so you can help.
#6 Choose safe routes. Recognize avalanche terrain & unsafe ice.
#7 Use a map and a compass. Always know where you are.
#8 Don’t be ashamed to turn around.
#9 Conserve your energy and seek shelter if necessary.

Zu guter Letzt noch ein Zitat zum Unterschied zwischen Erfahrung und Erlebnis

Ich wünsche Ihnen noch einen erfahrungsreichen Skitourenfrühling.

„Erfahrung ist authentisch und folgenschwer, denn sie reicht als aus der Vergangenheit stammende Weisheit in die Zukunft hinein; das Erlebnis hingegen ist oberflächlich und folgenlos, denn es bleibt als intensivierte Wahrnehmung auf den aktuellen Moment reduziert.“ (Simanowski, 2016, S. 66)

Literatur

Brämer, R. (2017): Es gibt keinen neuen Wanderboom. Abgerufen am 1.2.2018 von Wanderforschung.de: www.wanderforschung.de

Mau, S. (2017): Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen. Berlin: Suhrkamp.

Simanowski, R. (2016): Facebook-Gesellschaft. Berlin: Matthes & Seitz.

Erschienen in der
Ausgabe #102 (Frühling 18)