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Jakob Schubert in Project Big. Foto: Moritz Klee
11. Jun 2024 - 8 min Lesezeit

«Heute ist weniger Ego im Spiel» Adam Ondra & Jakob Schubert im Interview

Warum Rivalität nichts Schlechtes ist, inwiefern Jakob Schubert Adam Ondra beneidet und warum Adam gerne Jakobs Fähigkeiten hätte: Teil I unseres Interviews mit Ondra & Schubert.

Im September 2022 seid ihr gemeinsam in die norwegische Höhle Hanshallaren gereist, um B.I.G. in Angriff zu nehmen: Eine rund 50 Meter lange, überhängende Route, die mit 9c zu den schwierigsten der Welt zählt.

Wie ist es dazu gekommen, dass du Jakob eingeladen hast und nicht etwa Stefano Ghisolfi oder einen anderen Top-Kletterer?

ONDRA: Project Big war von Anfang an ein offenes Projekt. Wenn Stefano oder Seb Bouin zu mir gekommen wären und gesagt hätten: ‚Hey, kann ich es auch versuchen?‘ hätte ich natürlich nicht nein gesagt. Zwischen Jakob und mir ist die Idee, gemeinsam an Project Big zu arbeiten, entstanden, als wir in Arco zusammen klettern waren. Ich habe ihm von meinem Projekt erzählt und gehofft, dass mich Jakob vielleicht mal nach Flatanger begleiten würde. Gemeinsam ist es so viel einfacher, die richtige Beta gemeinsam zu finden.

Project BIG wurde von Adam Ondra bereits 2013 eingerichtet, sie gilt als eine der schwierigsten der Welt.

Wie gut kanntet ihr euch vor eurer gemeinsamen Zeit in Flatanger?

ONDRA: Wir kannten uns hauptsächlich von den Wettkämpfen. Im Winter vor Flatanger sind wir in Arco zwei Tage zusammen geklettert. Das war das erste Mal, dass wir längere Zeit zusammen am Fels verbracht haben. Aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt: Jakob ist ein lustiger Typ, mit dem man wunderbar abhängen kann.


SCHUBERT: Wir waren noch nie so viele Tage zusammen am Fels, aber bei Wettkämpfen haben wir hunderte Stunden in der Isolationszone verbracht und uns immer über alle Routen der Welt unterhalten. Das Tollste an Adam ist, dass er im Grunde ein Führer für alle Felsrouten ist, die es auf der Welt gibt.

Im September 23 eröffnet Jakob Schubert 
mit der Erstbegehung von B.I.G. die dritte 9c Route der Welt. Foto: Moritz Klee
Im September 23 eröffnet Jakob Schubert mit der Erstbegehung von B.I.G. die dritte 9c Route der Welt. Foto: Moritz Klee

Wie geht ihr zwei mit der Gemengelage aus Rivalität, Konkurrenz und Freundschaft im Klettern um?

ONDRA: Wir sind beide natürlich sehr ehrgeizig und von Natur aus wettbewerbsorientiert. Wir treten bei Wettkämpfen gegeneinander an, aber trotzdem ist es nicht so, dass wir denken: Ah, heute kletterst du besser, deshalb hasse ich dich jetzt. Wir pflegen eine sehr offene und gesunde Konkurrenz, die nicht ausschließt, dass wir gleichzeitig Freunde sind. Ich glaube, dass das früher nicht immer so war – zumindest von dem, was man mir vom Klettern in den 80-er und 90-er Jahren erzählt worden ist.

Wie erklärst du dir das? 

ONDRA: Heute ist vielleicht weniger Ego im Spiel. Klettern ist auch ein anderer Sport geworden, viel offener, ein Sport, der betont, dass er eigentlich für alle da ist. Nicht nur für Männer, sondern natürlich auch für Frauen und für alle Altersgruppen. Ich glaube, dass sich der Sport dadurch sehr verändert hat. Früher war das Klettern eine abgeschlossene Gemeinschaft. Jetzt ist er – auch durch das Bouldern – viel offener und mainstreamiger geworden.

SCHUBERT: Ich glaube, dass es einen Unterschied zwischen Kletterern gibt, die nur eine Sache machen, und solchen wie uns zwei, die Wettkampf und Fels machen. Wir haben zwei Bereiche mit denen wir uns identifizieren und verwirklichen können. Aber zurück zur Konkurrenzfrage: Ich sehe die anderen Teilnehmer nie als Rivalen – erst recht, wenn wir befreundet sind. Es ist doch eigentlich so: Draußen klettern wir gegen Sachen wie Project Big und bei den Wettbewerben klettern wir gegen die geschraubten Routen. Derjenige, der an diesem Tag besser klettert, gewinnt – und das respektiere ich. Unser Ziel ist es, die besten Kletterer zu werden, die wir sein können. Das ist nur möglich, wenn wir von den anderen lernen, vor allem denen, die dich besiegen. 

Wir kämpfen gegen die Route oder die Boulder, nicht gegeneinander. Wir sind schließlich keine Boxer.

Adam Ondra
Konkurrenten und Freunde: Jakob Schubert und Adam Ondra beim Sportklettern in Isenfluh. Foto: Mammut
Konkurrenten und Freunde: Jakob Schubert und Adam Ondra beim Sportklettern in Isenfluh. Foto: Mammu

ONDRA: Jakob hat das sehr gut beschrieben. Es ist nie so, dass wir uns denken: „Ah, dich will ich schlagen.“ Wir sind schließlich keine Boxer. Wir kämpfen gegen die Route oder die Boulder und wollen dabei unser Bestes geben. Zudem muss man Rivalität nicht als etwas Negatives sehen. Die sportliche Rivalität hat nicht wirklich etwas mit unserer persönlichen Beziehung zu tun.

Jakob, was hast du in der gemeinsamen Zeit in Flatanger über Adam und seine Stärken als Kletterer gelernt? 

SCHUBERT: Seinen Kletterstil, wie schnell er klettert, wie gut er die Kneebars beherrscht und wie sozial und hilfsbereit er ist – all diese Dinge kannte ich schon vorher. Was mich hingegen überrascht hat: Wie wenig Versuche Adam klettert. Normalerweise versuche ich immer, zwei oder drei Versuche pro Tag an einer harten Route hinzubekommen. In Flatanger waren es am Ende nur zwei, weil ich gemerkt habe, dass es keinen Sinn macht, es dort mehr als zweimal am Tag zu versuchen. Adam dagegen ist der Typ, der nur einen Versuch pro Tag macht – das fand ich sehr beeindruckend. Es war auch, wie Adam sich auf bestimmte Versuche vorbereitet. Manchmal macht er nur einen Versuch und danach legt er einen Ruhetag ein. Und dann unternimmt er wieder nur einen Versuch. Wenn ich das tun würde, hätte ich so viel Druck bei diesem einen Versuch. Aber er geht anders damit um. 

Adam Ondra in Flatanger. Foto: Petr Chodura
Adam Ondra in Flatanger. Foto: Petr Chodura

In einem Text des Standards wird Adams Kletterstil mit einem Fluss verglichen, der bergauf fließt. Weiter heißt es, dass du, Jakob, in den letzten Jahren mehr Flüssigkeit und Geschwindigkeit entwickelt hast – nach dem Vorbild von Adam Ondra. Würdest du dieser Einschätzung zustimmen?

SCHUBERT:  In jedem Fall. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich es tatsächlich geschafft habe, aber ich habe es auf jeden Fall versucht. Adam ist offensichtlich der Kletterer, zu dem man aufschaut, den man analysiert, bei dem man sich überlegt, was man von seinem Stil übernehmen kann. Natürlich versucht man nicht, ihn komplett zu kopieren. Man muss immer seinen eigenen Stil beibehalten, denn das ist es ja, was einen stark macht. Aber ich habe seinen Kletterstil immer bewundert: wirklich flüssiges, schnelles Klettern. Und das war definitiv etwas, woran ich versucht habe, zu arbeiten. In der Vergangenheit war ich viel mehr auf Sicherheit bedacht und langsamer. Vor allem im Wettkampf habe ich versucht, meinen Kletterstil schneller und risikoreicher zu gestalten, und ich denke, dass mir das in letzter Zeit ziemlich gut gelungen ist.

Manchmal macht er nur einen Versuch und danach legt er einen Ruhetag ein. Das fand ich beeindruckend.

Jakob Schubert

Im B.I.G.-Video erreichst du die Crux nach 13 Minuten. Schneller als im Jahr zuvor?

SCHUBERT: Ich denke schon.

ONDRA: Bei  mir waren es – ich glaube – 16 Minuten. 

SCHUBERT: Bei mir waren es 12 oder 13. Die Frage ist nur, ob das so viel aussagt über die Flüssigkeit des Kletterns. Man muss sich immer auch das Verhältnis zwischen Pausen und Kletterzeit anschauen. Wenn jemand eine Minute länger braucht, aber diese Minute in einer wirklich guten Pause verbringt, ist das nicht wirklich ein Fehler. Aber wenn man in den schwierigsten Abschnitten einer Route nicht wirklich flüssig und schnell klettert, dann würde ich das als Fehler bezeichnen. Es kommt auf die schwierigen Abschnitte an – da bin ich schneller geklettert als zuvor.

Adam, was war für dich neu, was du mit Jakob in Flatanger erlebt hast?

ONDRA: Natürlich kannte ich ihn schon gut als Wettkampf-Kletterer – ich habe seine Kletterkünste schon sehr oft analysiert. Ich habe ihn immer ein bisschen beneidet, vor allem bei den Wettkämpfen. Manchmal sieht es so aus, als würde er gleich stürzen, aber dann bekommt er eine winzige Pause hin. Und auf einmal ist er wieder frisch und macht weiter und weiter. Mein Fazit: Jakob ist eine Maschine. Das konnte ich auch in Flatanger sehen. 

Adam Ondra eröffnete die Route BIG bereits 2013 in Flatanger. Foto: Petr Chodura
Adam Ondra eröffnete die Route BIG bereits 2013 in Flatanger. Foto: Petr Chodura

Während Eurer Zeit in Flatanger:  Wer hatte deiner Meinung nach, Jakob, die besseren Chancen Projekt Big zu senden?

SCHUBERT: In dem einen Monat waren wir beide sehr nah dran. Ich denke, dass ich damals, immer wenn ich an der großen Crux angekommen war, die besseren Chancen hatte, die Route tatsächlich zu toppen. Mein Nachteil war nur, dass es für mich viel schwieriger war, überhaupt an diesen Punkt zu gelangen. Es gibt vor der großen Schlüsselstelle eine erste kleine Crux, die für Adam nicht wirklich eine Crux war, für mich aber schon. 

Die Stelle mit dem Kneebar?

SCHUBERT: Genau. Ich bin dort auch immer wieder gestürzt, was die Anzahl meiner Versuche und meiner Chancen begrenzt hat, weil man letztlich nur ein oder zwei Versuche pro Tag hat. Deswegen hatte ich bei unserem gemeinsamen Aufenthalt in Flatanger das Gefühl, dass Adam in Summe mehr Chancen hatte – einfach weil er öfter am Crux-Move war. Aber wenn ich es schon damals konsequent bis zur eigentlichen Crux geschafft hätte, hätte ich es vielleicht schon damals schaffen können. 

ONDRA: Das ganze Projekt läuft im Grunde auf diesen einen Zug hinaus. Aber es hängt auch davon ab, wie gut man davor klettert, wie viel Kraft man vorher vergeudet hat und wie sehr man in der Lage ist, sich in all den Kneebars zu erholen. Es ist auch ein großes psychologisches Mind Game, denn bis zu dieser einen Sekunde, in der sich alles entscheidet, sind es 15 Minuten Kletterei. Und es baut sich einfach so viel Druck auf bis zu diesem einen Moment …

Klettern als „Mental Game„: Hier geht’s zum zweiten Teil des Interviews.

Ondra, Schubert und Megos beim IFSC Weltcup in Villars. Foto: Petr Chodura
Ondra, Schubert und Megos beim IFSC Weltcup in Villars. Foto: Petr Chodura