bergundsteigen #130
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Adrenalin Spritze nach allergischer Schockreaktion
14. Feb. 2024 - 18 min Lesezeit

Notfall Alpin (12/13): A/B-Problem bei allergischen Reaktionen

Kein klassischer alpiner Notfall, aber allergische Reaktionen kommen auch im Gebirge immer wieder vor. Meist wissen die Betroffenen (im Fall einer bekannten Allergie) selbst gut wie sie zu reagieren haben und haben die entsprechenden Medikamente griffbereit dabei, falls nicht … gibt es im ersten Teil dieses Beitrages eine kurze, allgemeine Beschreibung von Allergien und deren Symptomatik, bevor im zweiten Teil im Zuge der „Notfall-Alpin“ Serie die Behandlung eines Anaphylaktischen Notfalls - des allergischen Worst-Case - behandelt wird.

alle Artikel der Serie: Notfall Alpin

Teil 1: „Glück gehabt!“

Großvenediger, Mitte April, gleißender Sonnenschein und Windstille. Perfekte Skibedingungen und nur eine Hand voll Gleichgesinnter am sonst so oft überfüllten Modegipfel. Ein Schluck Tee und ein Bissen der selbstgebackenen Müsliriegel. „Hat meine Freundin gemacht. Nur beste Zutaten! Bio-Haferflocken, hochwertige Nüsse und Honig. Sonst nix. Mit Liebe gebacken!“, bewerbe ich die kleinen Stücke in meinem Stoffsäckchen.

Ich reiche eine Kostprobe an die Teilnehmer meiner Gruppe. Alle greifen nach dem langen Anstieg ohne zu zögern gerne zu. Keine halbe Minute später wühlt Ralf nervös und nach Luft röchelnd in seinem Rucksack. Nachdem er dessen halben Inhalt großflächig am kleinen Gipfelplateau verteilt hat, wird er fündig. Versiert schüttelt er den kleinen Asthmaspray einige Male energisch auf und ab, richtet den Oberkörper auf, setzt das Mundstück an und drückt gleichzeitig mit einem tiefen Atemzug den Auslöser.

Alle starren Ralf entgeistert an, während dieser kurz die Luft anhält. Kurze Stille (gefühlt ewige). Dann die Erlösung: Ralf atmet mit einem leisen pfeifenden Geräusch langsam aus. Zugegeben, eine allergische Reaktion zählt nicht primär zu den klassischen alpinen Notfällen und man darf sich die Frage stellen, was die Beschreibung dieses Phänomens in einem alpinen Fachmagazin wie bergundsteigen zu suchen hat.

Bienen
Foto: Eric Ward

Angesichts der steigenden Verbreitung von Allergien in der Bevölkerung stellt sie aber durchaus einen Notfall dar, der am Berg – und damit „ab vom Schuss“ – zu durchaus prekären Situationen, wie im eben beschriebenen, selbst erlebten Fall, führen kann. Zumal die Ursachen mannigfaltig sind.

Allergie einfach erklärt

Definitionsgemäß handelt es sich bei einer Allergie um eine überschießende Abwehrreaktion des Immunsystems auf körperfremde Stoffe. Zur Abwehr von Krankheitserregern oder körperfremden Substanzen stehen dem menschlichen Organismus diverse Mechanismen zur Verfügung. Normalerweise richten sich diese gegen für den Körper schädliche Substanzen wie Viren, Bakterien, Giftstoffe u.v.a.

Das Immunsystem eines Allergikers reagiert aber auf bestimmte Substanzen, die für einen Nicht-Allergiker harmlos sind mit einer überschießenden und damit krankmachenden Abwehrreaktion. Meist handelt es sich bei diesen Stoffen – den Allergenen – um Eiweiße oder Fette als Bestandteile von Nahrungsmitteln, Arzneimitteln oder Pflanzen (z.B. Pollen).

Einteilung

Medizinisch unterscheidet man vier Typen von Allergien, an denen unterschiedliche Zellen des Immunsystems beteiligt sind. Da der mit Abstand größte Teil aller im gängigen Sprachgebrauch als Allergien bezeichneten Erkrankungen zum Typ 1 (allergische Sofortreaktion) gehört und dieser auch für Alpinisten die größte Relevanz besitzt, wollen wir uns im Folgenden auf die Beschreibung dieses Typs beschränken. Wie der Name andeutet, handelt es sich dabei um plötzlich und häufig heftig auftretende Reaktionen, die gerade in alpinen Regionen zu ernsthaften Notsituationen führen können.

Typ 1: allergische Reaktion vom Sofort-Typ

Bei allen Typ-1-Allergien kommt es beim ersten Kontakt mit dem auslösenden Allergen zu einer Sensibilisierungsreaktion. Das Immunsystem erkennt den Fremdstoff und reagiert darauf mit der Bildung von spezifischen IgE-Antikörpern (Immunglobulin E), die von diesem Zeitpunkt an im Körper vorhanden bleiben. Diese Erstsensibilisierung verläuft still und symptomlos.

Bei jedem weiteren Kontakt mit demselben Allergen, erkennen die Antikörper das Allergen wieder und bekämpfen den vermeintlich gefährlichen Stoff. Sie starten innerhalb von Sekunden bis Minuten eine Immunreaktion, in deren Verlauf es zu einer überschießenden Ausschüttung von hochaktiven Botenstoffen (Entzündungsmediatoren) wie Histamin, Leukotrienen, u.a. kommt.

Sie lösen klassische allergischen Symptome aus: Durch eine Permeabilitätsserhöhung der Gefäßwände kleiner Blutgefäße kommt es zum Austritt von Flüssigkeit in die Zellzwischenräume. Dies äußert sich in der typischen Bildung von Ödemen und Quaddeln auf der Haut verbunden mit Juckreiz und Rötung (Urtikaria)1 .

1Urtikaria

Auch die Brennnessel (Urtica urens) speichert in ihren feinen Härchen Histamin. Beim Kontakt mit der Haut brechen diese auf und das austretende Histamin löst Juckreiz und Quaddelbildung aus (-> Urtikaria)

Über die Schleimhäute von Nase, Augen und der oberen Luftwege aufgenommene Allergene (z.B. Pollen, Tierhaare, Hausstaub), führen zu Entzündungsreaktionen der Schleimhäute und Verengung der oberen Luftwege. Typische Krankheitsbilder sind die allergische Rhinitis (Heuschnupfen), Konjunktivitis (Bindehautentzündung), Hustenreiz und allergisches Asthma.

Anaphylaxie: die schwerste Form der allergischen Sofortreaktion Treten mehrere dieser Symptome gleichzeitig auf, kann das zu einem schweren Krankheitsverlauf führen. Dieser Zustand wird als Anaphylaxie bezeichnet. Histamin wirkt auf das Zentralnervensystem und löst meist Übelkeit und Erbrechen aus.

Ödeme im Bereich des Rachens oder Kehlkopfs können innerhalb kürzester Zeit zu einer lebensbedrohlichen Hypoxie führen. Typisches Frühzeichen eines Larynxödems ist eine Schwellung des Gaumens und der Zunge. Eine zusätzliche Verengung der Bronchiolen in den Lungen in Kombination mit einer plötzlichen Erweiterung der Blutgefäße und damit einen raschen Blutdruckabfall führen zum Anaphylaktischen Schock und damit einem lebensgefährlichen Zustand.

Personen die zu anaphylaktischen Reaktionen neigen (z.B. nach Bienen- oder Wespenstichen) müssen deshalb immer ein Allergie Notfallset bestehend aus Adrenalin-Fertigspritze (z.B. EpiPen), Kortisonpräparat, Antihistaminikum mitführen.

Ursachen und Verbreitung

Die Ursachen für Allergien sind immer noch nicht bis ins Detail geklärt. Fakt ist jedoch, dass deren Verbreitung stetig zunimmt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht davon aus, dass mittlerweile bei jedem vierten Kind oder Erwachsenen mindestens einmal im Leben eine Allergie diagnostiziert wird.

Hierfür gibt es mehrere Theorien: Unter anderem werden übertriebene Hygiene, Anpassung und der Pflanzen(pollen) als Reaktion auf die sich veränderten klimatischen Bedingungen als Ursachen diskutiert. Manche Menschen sind anfälliger als andere, dennoch ist niemand gefeit davor plötzlich eine Allergie zu entwickeln.

Bergsteigen als körperlicher Stress: Co-Faktor für Allergien

Erwähnenswert für Alpinisten ist auch, dass es gewisse Trigger gibt, die das Auftreten von Allergien begünstigen und die Symptomatik beeinflussen können. Hierzu zählen unter anderem Kälte oder Hitze, aber auch Anstrengung also körperlicher Stress. Ein allergisches „Notfallset für Soforthilfe“ standardmäßig im Rucksack mitzuführen halte ich selbst für alpines Führungspersonal für übertrieben.2

2Notfallset besteht aus: Adrenalin-Fertigspritze (Adrenalinautoinjektor, bspw. EpiPen), H1 Blocker (Antihistaminikum) und einem Kortikosteroid

Allergiker selbst sollten dieses jedoch mitführen. Die Überlegung, ein solches auch auf alpinen Stützpunkten bzw. sehr exponierten Hütten zu deponieren (ähnlich einem Defibrillator), stellen wir hiermit als Diskussionspunkt in den Raum.

Insektenstich im Mund und allergische Reaktion
Abb. 1a „Pech gehabt …“ Nachdem Phil bei einer Pause schnell etwas aus seiner Flasche getrunken hat, ringt er plötzlich nach Luft und sagt seiner Begleiterin Fabiola, dass etwas nicht stimmt. Sie bewertet im Rahmen von 10 für 10 die Situation und bemerkt bei Phil eine rote Hautfarbe und Quaddelbildung. Er ist voll ansprechbar, doch ist inzwischen Zunge und Lippe ordentlich angeschwollen und Phil meint, dass ihn wohl etwas im Mund gestochen hat. Fabiola weiß, dass Phil manchmal allergisch reagiert und setzt einen Notruf ab.

Teil 2: „Pech gehabt!“

Im folgenden Setting können wir den Schwerpunkt auf die medizinischen Maßnahmen legen, da sich der Notfall im sicheren alpinen Umfeld ereignet. Wir gehen davon aus, dass du im Gebirge unterwegs bist und plötzlich folgende Notlage eintritt: du triffst auf ein Paar, bei dem der junge Mann augenscheinlich nach Luft ringt und er scheint eine ganz rote Hautfarbe mit auffälligen Quaddeln zu haben …

Wie immer ist es auch hier eine gute Idee, im Rahmen von einem 10 für 10 die Situation zu bewerten, über die Optionen nachzudenken und dann im Sinne einer „Krisen-Kommunikation“ einen Plan zu verfolgen. Grundsätzlich bietet es sich – wie bei allen Notfällen – an ein paar Ideen aus dem Bereich der „therapeutischen Kommunikation“ einzubauen:

  • auf Augenhöhe sprechen
  • Blickkontakt halten
  • Empathie aufbauen
  • Engagement zeigen
  • offen und transparent mit den Helfern/Beteiligten sprechen
  • Plan konkret und nachvollziehbar artikulieren
  • Einverständnis abholen
  • … was fällt dir noch ein?

Zurück zum Patienten. Neben den bereits geschilderten Symptomen fällt dir noch eine ausgeprägte Schwellung der Lippen und der Zunge auf. Aktuell sitzt er am Boden, scheint aber voll wach zu sein. Laut der Notfallzeugin ist es wohl beim Trinken zu einem Insektenstich im Mund-/Rachenraum gekommen.

Kühlung nach allergischer Reaktion bei Insektenstich
Abb. 1b A: Weil zufällig ein kleiner Bach in unmittelbarer Nähe ist, nimmt Fabiola aus dem Erste-Hilfe-Paket ein Dreiecktuch und durchnässt es mit dem kalten Wasser, um sofort mit der lokalen Kühlung (Hals) beginnen zu können. B: Sie lagern Phil mit ca. 30° angelehntem Oberkörper, um das Atmen zu erleichtern.

Differentialdiagnostisch wäre grundsätzlich auch ein akuter Asthmaanfall denkbar, was aber nicht die Schwellung/Rötung erklären würde. Folgende Überlegungen sind an dieser Stelle angesagt: Lebensbedrohliche Situation, daher:

  1. schneller Notruf
  2. gezielte Erste-Hilfe-Maßnahmen solange die Situation es erlaubt
  3. vorhandene Ressourcen im Nahbereich nutzen

Zu 1: Der Notruf ist schnell an die Unfallzeugin delegiert und dank der naheliegenden Wegkreuzung auch ein eindeutiger Notfall-Ort rasch definiert.

Zu 2: Mithilfe des bekannten ABC-Schemas lassen sich hier die wichtigsten und somit lebensrettenden Maßnahmen kurz und bündig abarbeiten. In allen Maßnahmen beziehen wir uns auf die Empfehlung der ERC (European Research Council, Kapitel Erste Hilfe) sowie die Anaphylaxie-Leitlinie.

In A (Airways, Atemwege): Aufgrund der ausgeprägten Schwellung sollte hier so früh als möglich mit einer Kühlung begonnen werden. Diese kann, sofern sie in den ersten Minuten erfolgt, den drastischen Verlauf reduzieren oder zumindest verlangsamen. Gekühlt werden kann mit Eis direkt durch lutschen (Wachheit aufgrund Schutzreflexe vorausgesetzt) und von außen mit nassen/kühlen Tüchern o.Ä.

Parallel gilt es den Auslöser (Stachel, …) zu suchen und nach Möglichkeit zu entfernen. Dabei ist es aber wichtig, nicht durch zusätzliche Manipulation die Schwellung zu verstärken. Befindet sich das Allergen nicht in unmittelbarer Reichweite (Lippe, Zunge, harter Gaumen) ist dies kaum möglich und die Nebenwirkungen durch rumwerkeln überwiegen eher.

Schocklagerung bei allergischer Reaktion nach Insektenstich
Abb. 1c C: Phil wird zunehmend kaltschweißig, am Handgelenk ist kein Puls zu tasten und auch die Recap-Zeit ist verlängert, dafür atmet er nun merklich schneller. Alles spricht für einen Schock. Um wieder „Blut ins System“ zu bringen, lagert Fabiola Phil entsprechend. Sissi, eine vorbeikommende Wanderin hilft dabei, während Fabiola Phil weiter überwacht.

In B (Breathing, Atmung): Hier gilt es die herrschende Situation – ausreichende Spontanatmung > Reminder: FIPA Schema siehe bergundsteigen #108 – bestmöglich zu nutzen. Dafür bietet es sich an, den Oberkörper etwas aufzurichten, sodass die gesamte Lungenfunktion optimal genutzt wird. Ich würde mit ca. 30° starten, das entspricht ziemlich genau einem „Anlehen“.

In Abhängigkeit von C kann diese Lagerung auch verstärkt werden. Es gilt, einen Kompromiss zwischen B (Breathing) und C (Circulation) herzustellen. In der Regel sollte die Spontan-Atmung solange wie möglich durch erhöhte Lagerung unterstützt werden und erst bei beginnender Bewusstlosigkeit eine ganz flache Lagerung angestrebt werden. Wichtig ist es, immer mit dem Patienten gut zu sprechen, Dinge zu erklären und somit den Stress zu reduzieren.

Meiner Erfahrung nach lässt sich das oft und gut über die Atmung einbauen. Ziel soll es sein eine Tachy- bzw. Hyperventilation (zu schnelle Atemfrequenz) zu vermeiden und eine möglichst effektive Atmung zu erreichen. Dabei solltet ihr aber sehr behutsam vorgehen, denn hier gibt es einmal das Risiko einer Erschöpfung (muskulär) und anderseits kann ich bei zu großer Intervention seine Kompensation zunichte machen und damit den Zustand stark verschlechtern.

In C (Circulation, Kreislauf): In unserem Fall kommt es auch hier zu erheblichen Komplikationen. Der Patient ist kaltschweißig und zunehmend fahl. Der Versuch, am Handgelenk einen Puls zu tasten, misslingt. Auch liegt bereits eine verlängerte Recap-Zeit vor (bergundsteigen #108). Wie bei allen C-Problemen müssen wir ein weiteres Auskühlen bestmöglich verhindern.

Zusammengefasst

handelt es sich nun um einen kritischen Patienten in A, B und C. Dabei würde ich allen voran in A Sorge vor einem weiteren Zuschwellen haben und in C vor einem kompletten Erliegen des Kreislaufes. Nachdem wir hier nun eine absolute Not-Situation haben, sollten wir über Möglichkeiten nachdenken eine Reanimation zu vermeiden.

Irgendwelche Schnitte oder Löcher in die Luftröhre sind hierbei mit Sicherheit keine Lösung. Je nach zu erwartender Eintreffzeit einer medizinischen Fachkraft wäre es hilfreich, im Rahmen von zumutbaren Maßnahmen dem Erkrankten ein wirkungsvolles Medikament zukommen zulassen. Mittel der Wahl ist hierbei Adrenalin, welches in den Muskel appliziert wird (EpiPen).

Adrenalin-Fertigspritze
Abb. 1d Adrenalin-Fertigspritze: Phil faselt irgendwas von „Pen im Rucksack“ und Sissi – selbst Allergikerin – findet einen ihr bekannten Epi-Pen. Nach Rücksprache mit Phil aktiviert und appliziert sie das Adrenalin mit dem Pen in Phils Oberschenkel.

Wenn der Patient Allergiker ist, dann kann er selbst einen solchen Pen dabeihaben, falls nicht, hat mit viel Glück ein anderer Anwesender einen mit. Die Verabreichung sollte durch die betroffene Person selbst oder einen Arzt bzw. qualifizierte medizinischen Personal erfolgen.

„Adrenalin ist das wichtigste Medikament, um die pathophysiologischen Abläufe umzukehren. Es ist am wirksamsten, wenn es innerhalb der ersten Minuten einer schweren allergischen Reaktion verabreicht wird.“

(…) Reanimation 2015, Leitlinien kompakt S.287 ff, https://www.grc-org.de/downloads/ GRC-Leitlinien-2015-Kompakt.pdf–> neuere Ausgabe 2022

Zu 3: Die eleganteste Möglichkeit hier zu agieren ist die Nutzung möglicher Ressourcen im Nahbereich. Gemeint ist hier die Anwesenheit eines Allergikers, welcher eine Adrenalin-Fertigspritze für den eigenen Gebrauch mit sich trägt. Dieser Teil ist bewusst etwas offener gehalten und möchte für Diskussionen Raum lassen.

Anzumerken ist, dass der sichere Umgang mit dem Pen als auch das Wissen zum Krankheitsbild als Voraussetzung für die Anwendung anzusehen ist. Wie bei allen Invasiven-(Maßnahmen) ist der sichere Umgang unumgänglich. Das Erlernen einer Maßnahme setzt sowohl eine theoretische als auch praktische Ausbildung voraus.

Notruf nach allergischer Reaktion nach Insektenstich
Abb. 1e Die beiden setzen erneut einen Notruf ab und überwachen Phil bis die Rettungskräfte eintreffen.

Um die Maßnahme auch sicher zu beherrschen ist eine hohe Anzahl von Durchführungen (in Supervision) notwendig. Nur so lässt sich die Sicherheit des Patienten gewähren. Im Sinne von Notfall-Alpin sehen wir 2 Situationen, in denen im äußersten Notfall eigenständig agiert werden könnte:

1. Gesicherte Diagnose durch den Patienten und dabei unterstützende Gabe durch den Notfallzeugen.

2. Der Allergiker als Helfer, wenn bspw. witterungsbedingt eine stark verzögerte Eintreffzeit des Rettungsteams vorliegt und der Patient bereits bewusstlos bzw. im Schock ist.

Wichtige Grundsätze vor der (unterstützenden) Gabe eines EpiPen:

Liegt die Indikation vor, also haben wir hier eine allergische Reaktion in Form eines anaphylaktischen Schocks? Hierbei streng andere Ursachen prüfen. Denkbar ist ein Bolus/Fremdkörper, aber auch der besagte Asthma Anfall. Es bietet sich an, Symptome zu sammeln und so eine Entscheidung zu finden:

  • Allgemein: Akuter Krankheitsbeginn (innerhalb weniger Minuten…)
  • A/B: Atemnot mit „Stridor“ (Zischen beim Atmen aufgrund Engstelle)
  • C: Initial eher verkürzte Recap (Histamin-bedingt)
  • E: Quaddelbildung, Flush, ggf. Schwellungen an Zunge/Mundbereich

Im weiteren Verlauf können folgende Schockzeichen hinzukommen:

  • C: Kreislaufinstabilität (Recap > 2sek., kaum bzw. schwacher Puls am Handgelenk) –> Schock
  • D: Vigilanzminderung als Zeichen zerebrale Minderperfussion –> Schock

Schock

Der Schock beschreibt ganz grundlegend erst einmal ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffnachfrage in den Organen und Geweben. Dieses Missverhältnis entsteht im hier beschriebenen anaphylaktischen Schock primär durch einen relativen Volumenmangel in den Gefäßen.

Das Blut „versackt in den Beinen“ und gelangt nicht ausreichend in die Zielstrukturen des Körpers. Diese Fehlverteilung geschieht zum einen durch die Weitstellung der großen Gefäße und zum anderen durch Blut, das über beschädigte Gefäßwände nach extravasal, also aus den Gefäßen in das umgebende Gewebe, gelangt.

Zusätzlich laufen im gesamten Blutkreislauf verschiedene Entzündungsprozesse ab, durch welche Kapillaren verschlossen werden und an diese kein Sauerstofftransport mehr stattfinden kann. Die ersten Organe, die von dieser Unterversorgung betroffen sind, sind aufgrund ihrer feinen Kapillarnetze die Niere, die Leber und natürlich das Gehirn.

Kontraindikationen prüfen! Wenn die Indikation stimmt gibt es beim EpiPen im Notfall keine Kontraindikation

Richtiges Medikament? Enthält der EpiPen tatsächlich Adrenalin? Es gibt auch Pens für andere Medikamente

Richtige Dosierung? Kind älter als 6 Jahre? Gegebenenfalls KinderEpiPen verwenden?

Richtige Konzentration? Entfällt

Richtige Applikationsart? Adrenalin-Fertigspritze in den Muskeln injizieren > dazu Punktionsstelle am Muskel bestimmen und entsprechend desinfizieren (lateraler Oberschenkel).

Richtiger Zeitpunkt? Ist das Notarzt-Team/Fachpersonal innerhalb der nächsten Minuten verfügbar?

Vor der Gabe ist es nochmal wichtig, eine Einwilligung zu erfragen – im Fall der „unterstützenden Gabe“ (des Patienten-eigenen Pens) ist dies offensichtlich. Im Fall einer „Fremdgabe“ (Pen gehört nicht dem Patienten) ist dies aktiv zu erfragen. Im beschriebenen Fall bedeutet dies eine Abschätzung zwischen einer Körperverletzung durch das Applizieren von Adrenalin mit Hilfe einer Nadel und dem Abwenden von Folgeschäden für den Patienten durch diese Medikamentengabe.

Da sich der Patient in dem beschriebenen Szenario in einer äußerst kritischen Lage befindet, welche sich deutlich auf eine Reanimationssituation zuspitzen kann, ist eine Entscheidung für die Adrenalingabe zur Abwendung von weiteren Schäden zu vertreten. Wir stufen hier also das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auf lange Sicht, also für ein weiteres Leben ohne z.B. einen hypoxischen Hirnschaden als Folge der Anaphylaxie, als höheres Gut ein als die körperliche Unversehrtheit zum Zeitpunkt des anaphylaktischen Schocks, da ich mich für eine Körperverletzung zur Abwendung der Gefahr für Leib und Leben entscheide.

Die endgültige Entscheidung zur Gabe bzw. Applikation mit dem Pen sollte in einem abschließenden 10 für 10 nochmals streng kontrolliert werden. Wichtig hierbei ist auch nochmal die eigene Fähigkeit zu hinterfragen und so eine Entscheidung zu finden, welche dem Grundsatz „füge keinen weiteren Schaden zu“ folgt (siehe oben).

Rechtslage in Österreich

Von Norbert Hofer, Berg- & Flugretter sowie Strafrichter am LG-Innsbruck mit Zuständigkeit Alpinunfälle

Strafrechtliche Sicht

Die Verabreichung eine Adrenalin-Fertigspritze (EpiPen) stellt eine „Heilbehandlung“ im Sinne des § 110 StGB dar. Eine Heilbehandlung eines anderen steht dann unter Strafe, wenn sie ohne dessen Einwilligung erfolgte. Diese Norm ist ein „Allgemeindelikt“, also nicht nur für Ärzte oder Gesundheitspersonal anwendbar, und schützt vor eigenmächtiger Heilbehandlung auch durch medizinische Laien.

Unter einer Heilbehandlung versteht man Maßnahmen, die medizinisch indiziert sind, um Krankheiten, Gebrechen und Beschwerden festzustellen, zu heilen oder zu lindern oder die Leistungsfähigkeit des Organismus zu stärken. Heilbehandlungen sind – wenn sie lege artis durchgeführt sind – nicht als Körperverletzung (§ 83 StGB) oder fahrlässige Körperverletzung (§ 88 StGB) und dergleichen strafbar.

Medizinisch indizierte, aber nicht kunstgerechte Behandlungen können aber sehr wohl die Tatbestände der (fahrlässigen) Körperverletzung oder anderer Delikte erfüllen. Die Indikation zur Verabreichung einer Adrenalin-Fertigspritze wird daher sorgfältig abzuwägen sein. Die Verabreichung der eigenen Adrenalin-Fertigspritze des ansprechbaren Patienten über dessen Aufforderung oder die Hilfestellung dazu ist strafrechtlich unproblematisch.

Verfügt der Patient nicht über eine eigene Adrenalin-Fertigspritze und ist er mit einem solchen nicht vertraut, muss jedenfalls eine Aufklärung des Patienten über Wirkung und allfällige Nebenwirkungen erfolgen. Bei Behandlungen, die unerlässlich sind um das Leben zu erhalten und die einen Aufschub nicht zulassen, ist nur eine Aufklärung über größere Risiken notwendig, die bei der Adrenalin-Fertigspritze – bei medizinisch indizierter(!) Anwendung kaum vorliegen dürften. Ist der Patient nicht ansprechbar, gilt Folgendes:

Wurde die Einwilligung deshalb nicht eingeholt, weil der Täter in der Annahme handelte, dass durch einen Aufschub der Behandlung das Leben oder die Gesundheit ernstlich gefährdet wäre, liegt eine Strafbarkeit nur dann vor, wenn die vermeintliche Gefahr nicht bestanden hat und sich der Täter dessen bei nötiger Sorgfalt bewusst sein hätte können.

Verwaltungsstrafrechtliche Sicht

Die Verabreichung eines EpiPen ist nach § 10 Abs. 1 Z. 3 SanG Notfallsanitätern vorbehalten. Hier können allerdings allgemeine Regelungen im Sinne eines entschuldigenden oder rechtfertigenden Notstandes Straffreiheit bewirken. Danach ist derjenige, der eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um einen unmittelbar drohenden, bedeutenden Nachteil von sich oder einem anderen abzuwenden, dann entschuldigt, wenn der aus der Tat drohende Schaden nicht unverhältnismäßig schwerer wiegt als der Nachteil, den sie abwenden soll, und in der Lage des Täters von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen kein anderes Verhalten zu erwarten war.

Das Gute

Freilich ist nicht jede allergische Reaktion ein anaphylaktischer Schock. Wie die Abstufung/ Einteilung, ein milderer Verlauf sowie Gefahren- und Alarmzeichen aussehen, ist in Abb. 2 erläutert. Anmerkung In der Notfall Alpin-Serie wollen wir die mündige und reflektierte Leserin ansprechen. Es versteht sich von selbst, dass das alleinige Lesen eines Beitrages nicht für die sichere Handhabung der vorgestellten Maßnahmen geeignet ist.

Schweregrade der Anaphylaxie
Abb. 2 Schweregrade der Anaphylaxie.

Dennoch wollen wir ergänzende Versorgungsmaßnahmen vorstellen. Unter Umstände können diese – als ultima Ratio – das Leben eines Patienten retten. Als Grundlage dienen aber immer die ABC-Basismaßnahmen. Bei entsprechender Zustandsänderung und Indikation ist mit der CPR zu beginnen. Achte immer auf gute Teamarbeit und Kommunikation. Deine Sicherheit und die des Patienten stehen dabei an allererster Stelle! Besten Dank an Markus Thaler und Peter Paal.

Quellen

  • S2-Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie; Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI); https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/061-025l_ S2k_Akuttherapie_anaphylaktischer_Reaktionen_2013-12.pdf
  • Reanimation 2015, Leitlinien kompakt S.287 ff, https://www.grcorg.de/downloads/GRC-Leitlinien-2015-Kompakt.pdf
  • https://nerdfallmedizin.blog/2017/10/07/anaphylaxie-richtigbehandeln/
  • H. Hohage, Pharmakologie für Notfallsanitäter, Bonn 2017
  • S. Dönitz, Mensch Körper Krankheit für den Rettungsdienst, München 2018
  • https://www.aerzteblatt.de/archiv/196565/AnaphylaxieWie-richtig-handeln

Zum Teil 11 der Serie Notfall Alpin: Pandemie – quo vadis? Teil 1; Teil 2

Zum Teil 13 der Serie Notfall Alpin: Eine Frage der Kommunikation?

Erschienen in der
Ausgabe #112 (Herbst 20)

bergundsteigen #112 (Herbst 2020)