Menschen – Massen – Mount Everest: 30 Jahre Höhentourismus im Himalaya
Am 29. Mai 1953 um die Mittagszeit, also vor genau 70 Jahren, ist es soweit: Der Neuseeländer Edmund Hillary und der Sherpa Tenzing Norgay schreiben Geschichte und stehen als erste Menschen auf dem Mount Everest, auf 8.848 Metern. Bis zum Start der kommerziellen Achttausenderexpeditionen sollte es nochmals fast 40 Jahre dauern. 1992 führte der neuseeländische Anbieter Adventure Consultants, gegründet von Rob Hall und Gary Ball, erstmals Kunden auf den Mount Everest.
30 Jahre Kunden, Kommerz, Rekorde
Ursprünglich bedeutete eine Expedition eine Entdeckungsreise. Am Anfang stand die Definition eines Ziels, dann folgte die Planung und später die Umsetzung. Das Ziel war meist eine unerschlossene Region, ein neuer Gipfel oder eine neue Route auf einen schon bekannten Gipfel. Heute ist die Außenwahrnehmung eine andere, wie Extrembergsteiger David Göttler im Interview erläutert.
Viele Laien, so Göttler, würden inzwischen Expeditionen mit den kommerziellen Besteigungen an den Achttausendern mit Fixseil und Flaschensauerstoff gleichsetzen. Doch es gibt auch noch Projekte von Bergsteigern, die es im Alpinstil probieren, also möglichst reduziert – ohne Fremdhilfe, ohne vorher präparierte Route und vor allem ohne Sauerstoff. Denis Urubko zum Beispiel, der dieses Jahr seinen 27. Achttausender-Gipfel bestieg – allein, ohne Hilfsmittel und Flaschensauerstoff.
Dann die Tschechen Marek Holecek und Radoslav Groh, die sich am Masherbrum (7821 m) versuchten. Oder das britisch-slowenische Team, bestehend aus Tom Livingstone und Ales Cesen, die in dieser Sommersaison eine neue Route am Fast-Achttausender Gasherbrum III (7952 m) im Karakorum erklettern wollten. Diese Liste könnte man noch weiterführen. Unser Jubiläum nehmen wir zum Anlass, um uns die Entwicklungen der letzten 30 Jahre im kommerziellen Expeditionsbergsteigen anzusehen.
Wir sind in dieser Saison zum Basislager am Mount Everest getrekkt, um uns ein eigenes Bild zu machen. Das ist nur eine Momentaufnahme, vier Wochen können nicht 30 Jahre Entwicklung abbilden. Deswegen haben wir zusätzlich mit vielen Bergsteigerinnen und Bergsteigern sowie Einheimischen gesprochen, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten.
Kommerzielle Anfänge an den Achttausendern
1992 war auch ein deutscher Bergsteiger daran beteiligt, den Kommerz in den Himalaya zu bringen. „Ich darf mich nicht beschweren, ich hatte damals die Finger mit im Spiel“, sagt Ralf Dujmovits. Trotzdem bereite ihm die leichtere Zugänglichkeit der Achttausender auch Kopfzerbrechen. Mit seiner Expeditionsagentur Amical Alpin war der 60-Jährige einer der ersten Anbieter, der Menschen auf den Everest führte.
Am 20. Mai 2009 komplettierte er als erster Deutscher und 16. Bergsteiger weltweit die Besteigung aller 14 Achttausender. Bis auf den Mount Everest gelangen ihm alle Besteigungen ohne zusätzlichen Flaschensauerstoff. „Damals nahm ich Kunden mit auf den Everest, die mehr oder weniger Profis waren“, meint Dujmovits. Starke Bergsteiger, die aber weniger gut darin waren, eine Expedition zu organisieren – auch aufgrund mangelnder Englischkenntnisse.
Unter ihnen war zum Beispiel Diego Wellig, der mit Kammerlander alle vier Grate des Matterhorns in 24 Stunden bestiegen hatte. „Zu der Zeit ging noch alles über Fax, man musste dann ein paar Tage auf Antwort von der lokalen Agentur oder dem Ministerium warten“, sagt Dujmovits. Und sei dann sehr glücklich gewesen, als etwas zurückkam.
Als nächsten Berg, den er kommerziell anbot, nahm Ralf Dujmovits 1994 den K2 in Angriff. Mit dabei waren damals Rob Hall, der eingangs erwähnte neuseeländische Bergsteiger und Mitbegründer von Adventure Consultants, sowie Veikka Gustafsson, der erste Finne, der ohne Flaschensauerstoff auf allen 14 Achttausendern stand. Dieses Mal hatte Dujmovits auch ein Satellitentelefon dabei, um sich über das Wetter zu informieren. Die Besteigung ohne Sauerstoff gelang.
Neue Technik, neue Leistungen
30 Jahre später. Satellitentelefone gehören zur Grundausstattung, ebenso beheizbare Socken und Handschuhe. Die neu errichtete Wetterstation knapp unterhalb des Everest-Gipfels liefert über eine App seit dem Frühjahr Wetterdaten in Echtzeit. Das Basislager am Mount Everest, der auf Nepali Sagarmatha und Tibetisch Qomolangma genannt wird, erstreckt sich über etwa eineinhalb Kilometer entlang des Khumbu-Gletschers.
Pausenlos knattern Helikopter durch die Luft, an Vormittagen mit schönem Wetter bis zu 30-mal. Mittlerweile fliegen die Helis nicht nur Kranke und Verletzte vom Berg, sondern transportieren auch Ausrüstung und Lebensmittel vom Basislager hoch ins Lager zwei – oder Bergsteiger*innen, die keine Lust mehr haben, durch den gefährlichen Khumbu-Eisbruch hinabzusteigen, zurück ins Basislager. So wird es zumindest von Insidern hinter vorgehaltener Hand berichtet.
In der Saison 2022 blieb der berüchtigte Jetstream fast gänzlich aus. Grund dafür war ein Wetterhoch über Indien, das sich dort über Wochen festgesetzt hatte und extreme Hitze brachte, die Bedingungen am Everest aber sehr mild werden ließ. Ein Gipfelstau bildete sich in diesem Jahr nicht, weil sich die Begehungen auf ein Wetterfenster von etwa 20 Tagen verteilten. Eröffnet wurde die aktuelle Saison am 7. Mai, als Kami Rita Sherpa und sein neunköpfiges Team die Route bis zum Gipfel mit Fixseilen sicherten. Damit stand er das 26. Mal auf dem höchsten Berg der Welt und hält aktuell den Rekord.
Sherpas – die Helden an den Achttausendern?
Im Gespräch mit dem 52-Jährigen relativiert er den Heldenmythos um die Sherpas. Kami Rita Sherpa sieht sich selbst nicht als Held, sondern schlichtweg als Arbeiter. „Für viele Menschen ist es ein großer Traum, auf den Mount Everest zu steigen. Mein Team und ich lassen diesen Traum wahr werden“, sagt er. Viel Wertschätzung erfahre er dafür aber nicht, wie er selbst behauptet.
„Vielen ist gar nicht bewusst, was wir da oben leisten. Unsere Arbeit fühlt sich oft an wie Krieg: Es gibt keine Garantie, dass wir lebend wieder zurückkommen. Unsere Familien haben immer Angst um uns. Sie sind nur froh und glücklich, wenn wir wieder gesund unten sind“, fügt er hinzu. Sherpas werden gemeinhin mit Trägern im Himalaya gleichgesetzt, dabei handelt es sich eigentlich um ein Volk tibetischer Herkunft, das sich im Osten Nepals niedergelassen hat.
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde der Begriff Sherpa erstmals im Jahr 1953, als Tenzing Norgay Sherpa und der Neuseeländer Edmund Hillary als erste Menschen überhaupt auf dem Gipfel des Mount Everest standen. Sie nutzten damals schon die Südsattelroute von Nepal aus. Zu diesem Zeitpunkt war die Route erst zweimal von Schweizer Teams im Frühjahr und Herbst 1952 begangen worden. Sie erreichten eine Höhe von 8500 Metern weit oberhalb des Südsattels.
Schon bei diesen Expeditionen war Tenzing Norgay dabei. Diese Erfahrung nutzte er dann bei der finalen, britisch geführten Expedition. Von der reinen Arbeitnehmerrolle haben sich einige Sherpas inzwischen emanzipiert, manche sind längst Unternehmer und inzwischen werden die weltweit größten Expeditionsanbieter von Sherpas geleitet; darunter Seven Summit Treks, Elite Expedition, Himalayan Ascent, 8K Expeditions und Imagine Nepal.
Westliche Anbieter verschwinden zunehmend von der Bildfläche. Oder wie es Ralf Dujmovits ausdrückt: „Die Sherpas haben den Markt aufgerollt.“ Lukas Furtenbach aus Österreich (Interview) ist neben dem britischen Anbieter Madison Mountaineering und Kobler und Partner aus der Schweiz einer der wenigen westlichen Anbieter, der sich noch mit seinen Flash- Expeditionen behaupten kann.
Neuer Rekord: Betreuungsverhältnis von 1 : 1,7
Zur Debatte steht aktuell eine Verlagerung des Basislagers auf niedrigere Höhen, herunter vom abschmelzenden Gletscher. Dieses Jahr war das Basislager noch am ursprünglichen Platz. Man braucht etwa eine Dreiviertelstunde, um vom Eingang des Camps bis zum Ende zu wandern, wo sich Seven Summit Treks (Interview) angesiedelt hat, der größte Expeditionsanbieter in Nepal.
In dieser Saison, die Ende Mai endete, haben 240 ausländische Alpinistinnen und Alpinisten von nepalesischer Seite den Everest erklommen und 399 einheimische Guides. Das Verhältnis von Bergsteigern zu Bergführern lag bei fast 1:1,7 – der höchste Betreuungsschlüssel, der jemals erreicht wurde, wie der Everest-Kenner Alan Arnette in seinem Blog ausgerechnet hat. Seit diesem Jahr übersteigt die Zahl der Sherpas, die jemals auf dem Gipfel standen, die Zahl der Alpinisten oben.
Bis 2021 standen laut Himalayan Database 10 656 Menschen auf dem Gipfel, etwa die Hälfte davon waren Angestellte von Expeditionsanbietern. 70 Prozent davon stiegen über die Südseite von Nepal aus auf den Everest. Nur 216 Bergsteiger haben den Gipfel ohne zusätzlichen Sauerstoff erreicht, das sind etwa 2,1 Prozent. Als jüngster Meilenstein im Höhenbergsteigen gilt sicherlich die Besteigung aller 14 Achttausender in sechs Monaten und sechs Tagen, was dem Nepalesen Nirmal Purja gelang, jedoch von Kritikern angezweifelt wird.
„Nimsdai hat den Nepalis zu mehr Selbstbewusstsein verholfen“, sagt Ralf Dujmovits. Aber seine Mittel seien sicher nicht die fairsten gewesen. Damals zur Zeit seines Projektes stand die Diskussion um die echten Gipfel schon im Raum. Debatte über echte Gipfel Angestoßen hatte die Debatte der Deutsche Eberhard Jurgalski, der sich seit über zehn Jahren mit der Thematik auseinandersetzt. Er stellte fest, dass viele der Leute, die eine Gipfelbesteigung am Manaslu, Dhaulagiri oder an der Annapurna reklamierten, lediglich auf Vorgipfeln standen.
Im August 2019 schlug er vor, eine Toleranzzone mit einigen Metern unter und neben dem höchsten Punkt zu definieren, innerhalb derer ein Achttausender als bestiegen gelten kann – aber auch das hat er wieder verworfen. Laut seinen Recherchen standen damit nur drei Personen auf allen 14 Achttausendern. Ausführliche Skizzen und Informationen hinterlegte er für alle einsehbar auf seiner Seite 8000er.com. Nirmal Purja holte die Besteigungen am Manaslu und Dhaulagiri vergangenes Jahr nach – strenggenommen dauerte sein Projekt damit zwei Jahre.
Der Nepali und Ghurka – Ghurkas sind nepalesische Soldaten im Dienste der British Army – stammt ursprünglich aus Chitwan an der indischen Grenze und lebt mittlerweile in Großbritannien. Er habe den Trend des Gipfelsammelns sicherlich befeuert, sagt Ralf Dujmovits. Mit dieser Leistung zeigte er auf, was mit logistischer Unterstützung und Helikoptereinsatz alles möglich ist.
„Zudem ist niemandem aus seinem Team im Projektzeitraum etwas passiert“, fügt Dujmovits hinzu. Schlange am K2-Flaschenhals Mingma Gyalje Sherpa, nepalesischer UIAGM-Bergführer, postete im Juli ein Video auf seinem Instagram-Account. Es zeigte eine Menschenansammlung unterhalb des Flaschenhalses auf 8211 Metern, des gefährlichsten Abschnitts auf der Abruzzi-Route am K2, neben der Annapurna I einer der anspruchsvollsten Achttausender überhaupt.
Exkurs: Stau am K2
Lange galt der K2 als zu gefährlich für kommerzielle Expeditionen und war daher nur erfahrenen Alpinisten vorbehalten. „Ich schrieb in einem Blogartikel 2016, dass der K2 niemals zum Mount Everest wird. Ich habe mich geirrt.“ So der K2-Besteiger und Achttausenderchronist Alan Arnette, nachdem am 22. Juli 2022 145 Menschen den Gipfel des K2 erreicht hatten – so viele wie zwischen 1954, dem Jahr der Erstbesteigung, und 1996.
Das Bild wurde von Kristin Harila im Abstieg mit dem Handy aufgenommen. Die Menschenkette oberhalb des Flaschenhalses, der Schlüsselstelle des K2, ist gut zu erkennen. Hier die veröffentlichten Gipfelbesteigungen einiger Anbieter.
Insgesamt erreichten aber weit mehr Personen als in dieser Liste angegeben den Gipfel:
- 8K Expeditions (Nepal) – 11
- Elite Expeditions (Nepal) – 33
- Furtenbach Adventures (Österreich) – 14
- Madison Mountaineering (USA) – 15
- Mingma G’s Imagine Nepal (Nepal) – 23
- Pioneer Adventure (Nepal) – 10
- Seven Summits Treks (Nepal) – 11
- Summit Karakorum (Nepal) – 4
- Karakorum Expeditions (Pakistan) – 6+
In diesem Jahr sah der Berg knapp 200 Besteigungen – ein Rekord, der den bis dato nur etwa 300 Besteigungen gegenübersteht. Wo soll das hinführen? Viele Gesprächspartner prophezeien eine gewaltige Katastrophe, die die Unglücke von 2008 am K2 oder 1996 am Mount Everest mit elf beziehungsweise acht Toten um ein Vielfaches übersteigen könnte. „Wenn sich die Menschen am Flaschenhals stauen und dann ein Serac abbricht, könnten auf einen Schlag 100 Menschen sterben“, sagt Ralf Dujmovits.
Dujmovits plädiert dafür, dass die Anbieter ihre Teilnehmer*innen konsequenter auf Vorerfahrung und Fitness checken sollten. „Im Karakorum hatten die Anbieter dieses Jahr viel Glück, aber sie müssen aufpassen“, sagt Dujmovits. Ansonsten nehme diese Entwicklung an den Achttausendern wohl weiter so ihren marktwirtschaftlichen Verlauf. Aufhalten ließe sich das ohnehin nicht. „In der Schweiz ist es ja auch nicht anders, wo die Kletterrouten am Furkapass mit eineinhalb Meter Abständen gebohrt sind. Plaisirklettern findet nun eben auch an den Achttausendern statt, die jährlich aufs Neue von unten bis oben wie ein Klettersteig ausgestattet werden.“
Alte Fehler an neuen Bergen
Eine Entwicklung, die wir so auch schon im Khumbu-Tal erlebt haben. Weil der Weltfokus nach wie vor auf dem Everest liegt, können sich im Schatten des Berges an den anderen Achttausendern die Fehler wiederholen, die den Everest einst zur höchsten Müllhalde der Welt werden ließen. Im Netz kursieren einige Videos von der Müllsituation am K2, darunter eines auf dem Instagram-Account der Nimsdai-Stiftung.
Vor allem in Lager zwei sollen die Zustände schlimm sein. Überall lägen verrottende Lebensmittel, alte Zelte, Seile und andere Abfälle herum – teilweise schon festgefroren im Eis. Es sei Zeit zu handeln, so steht es im Post. Nirmal Purja kündigt ein weiteres groß angelegtes Reinigungsprojekt an, dieses Mal nicht nur am Everest, sondern auch am K2. Grundsätzlich hat sich am Mount Everest beim Thema Sauberkeit etwas getan. Das Sagarmatha Pollution Control Committee (SPCC) ist für die Icefall-Doctors zuständig – und für die Sauberkeit am Berg.
Sie haben auf dem Weg Mülleimer aufgestellt und kooperieren mit dem Militär in Bezug auf großangelegte Cleanup-Aktionen in den Hochlagern. Spricht man mit den Einheimischen und läuft man zum Beispiel durch Gorakshep, dem letzten Ort vor dem Basislager, so sieht man viel Müll herumliegen. Menschliche Exkremente werden aus dem Basislager in blauen Tonnen von Trägern und Yaks heruntergeschleppt. Wo die Inhalte am Ende landen, ist nicht bekannt.
„Bis zu 80 Mülldeponien befinden sich im Khumbu-Tal, die größtenteils sich selbst überlassen werden“, sagt der Schwede Tommy Gustafsson von Sagarmatha Next, einer Nichtregierungsorganisation, die aus Everest-Müll Kunst herstellt. Die Organisation hat dieses Jahr ein Zentrum unterhalb des Everest Viewpoints in Namche Bazaar eröffnet.
Im Tal entstehen neue Hydroprojekte zur Stromgewinnung und auch Biogasanlagen sind in Planung. „Bisher sind das alles noch Tropfen auf den heißen Stein, aber es bewegt sich zumindest etwas“, sagt Gustafsson, der mittlerweile in Nepal lebt.
Peak Bagging, das Gipfelsammeln, ist auch Frauenbusiness
Die Rekordversuche von Frauen nehmen zu. So zum Beispiel von der Norwegerin Kristin Harila (im Interview als bergsönlichkeit), 36, die geplant hat, alle 14 Gipfel in sechs Monaten zu besteigen. Ihre Bilanz sah sehr erfolgversprechend aus: Innerhalb von 105 Tagen stand sie auf elf Gipfeln, im September erklommen sie und ihr Team als eine der wenigen den Manaslu. Dann fehlten ihr nur noch Shishapangma und Cho Oyu.
Die größte Herausforderung dabei: die Genehmigungen aus China zu erhalten. Plan B sah vor, den Cho Oyu über die nepalesische Seite zu versuchen. Bisher kam auf dieser Route niemand über 7200 Meter hinaus. „Sie macht das auf eine charmantere Weise als Nimsdai“, sagt Ralf Dujmovits. Aber es ändert nichts daran, dass sie ohne Sherpa-Unterstützung niemals in der Lage wäre, eine solche Leistung zu erbringen, gibt Dujmovits zu bedenken.
Pemba Sherpa von 8K Expeditions kümmert sich um ihre Logistik. Dawa Ongju Sherpa und Pasdawa Sherpa sind ihre Guides und Unterstützer am Berg. „Die Besteigungen an den Achttausendern sind für mich eine Teamleistung“, sagt die Norwegerin im Interview. Der Rekordversuch scheiterte schließlich, weil die Chinesen keine Ausnahme bei der Permitvergabe machten und Plan B nicht aufging. Wenn Dujmovits diese Leistungen mit der von Gerlinde Kaltenbrunner vergleicht, schneidet die Norwegerin schlecht ab.
„Ich habe niemals jemanden erlebt, der so hart trainiert hat wie Gerlinde“, sagt er über die österreichische Ausnahmebergsteigerin, mit der er zehn Jahre lang verheiratet war und gemeinsam Projekte umsetzte. Sie habe die Besteigung aller Achttausender durchgezogen, ohne Fixseile, Träger und Flaschensauerstoff. „Das ist ein enormer Unterschied in Erfahrung, Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit“, sagt er. Er gönne jedem seine Erfolge, aber man müsse festhalten, dass sich der Anspruch im Höhenbergsteigen massiv geändert hat – sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen.
Wegbereiterin der Frauen in Nepal
Nun profilieren sich aber nicht nur Frauen aus Europa, den USA, China oder Indien, sondern auch aus Nepal. Allen voran Dawa Yangzum Sherpa, 32, die erste Nepalesin, die als international zertifizierte Bergführerin (UIAGM) in Nepal und den USA arbeitet. Gefördert von der US-Bergsteigerlegende Conrad Anker begann sie mit 19 Jahren ihre Ausbildung im Khumbu Climbing Centre in Phortse, neben der Nepal Mountaineering Association eines der Ausbildungszentren für junge nepalesische Bergführer*innen.
2012 stand sie das erste Mal auf dem Everest, 2017 schloss sie ihre Ausbildung zur Bergführerin ab. Die junge Frau zeigt auf, dass das Expeditionsgeschäft auch Chancen bereithält. Über die Faszination des Bergsteigens sagt sie: „Es hat mir die Welt eröffnet. Sehr viele Menschen kennen mich jetzt. Es ändert auch viel für die Frauen meiner Generation, weil ich ihnen aufzeigen kann, was auch für sie möglich ist.
Vorher gab es in Nepal keine Idole für Frauen. Ich möchte gezielt jungen Mädchen helfen, weil es damals so schwierig war, mich in der männerdominierten Bergszene durchzusetzen.“ Dieses Jahr stand Dawa Yangzum Sherpa als erste Nepalesin auf dem Broad Peak, ihr mittlerweile fünfter Achttausender. Anders als ausländische Bergsteiger*innen mit viel Sponsoring im Rücken, ist es ihr nicht möglich, sich nur aufs Gipfelsammeln zu konzentrieren.
Ihre Leidenschaft vermischt sich immer wieder mit dem Führen und somit Geldverdienen am Berg – so wie bei den meisten Nepalis. Um Punkt zwölf endet das Interview mit Ralf Dujmovits, weil er schon wieder in den Startlöchern zu seinem nächsten Projekt steht. Auf die Frage, was er vorhat, antwortet er: „Erst machen, dann reden. Ich will ja keinen Ankündigungsalpinismus betreiben.“
Mit einem Lachen verabschiedet sich der Deutsche in sein neues Abenteuer – das er, wie wir bei Redaktionsschluss wissen, am 3. Oktober vorzeitig beenden musste. Der starke Schneefall am Manaslu verstärkte sich noch, eine Lawine riss einen zweiten Menschen in den Tod. Eine Woche zuvor stürzte die US-amerikanische Skibergsteigerlegende Hilaree Nelson bei der Abfahrt vom „echten“ Gipfel des Manaslu ab und wurde später auf einer Höhe von etwa 6000 Metern tot geborgen.
Per Whatsapp begründet Ralf Dujmovits seine Entscheidung knapp: „Man kann es immer auf die Spitze treiben – wenn man nicht alt werden möchte und Finger und Zehen nicht fürs Sportklettern braucht.“ Eine dramatische Manaslu-Saison geht damit zu Ende. Wer was daraus gelernt hat, sehen wir im nächsten Jahr.