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Jost Kobusch beim Versuch einer Winterbesteigung des Mount Everest.
21. Sep 2022 - 11 min Lesezeit

Live aus dem Basislager: Social-Media-Vermarktung im Bergsport

Instagram, Facebook und Co haben auch die Vermarktungsmöglichkeiten der Bergsteiger geändert. Inzwischen werden Alpinisten für ihre Auftritte in den digitalen Medien gerne hart kritisiert. Aber warum eigentlich? Und was sagt ein Social-Media-Profi dazu?

Keine Frage, Jost Kobusch ist ein echtes Vorbild. „Unglaublich Jost. Höchsten Respekt“, kommentiert einer seiner Follower einen der vielen Instagram-Posts Kobuschs vom Mount Everest. „Echt Hammer, wie du das durchziehst“, lobt eine andere; eine Dritte schreibt: „Halleluja, krasser Scheiß, den du da machst.“ Und natürlich geht es hier mehrsprachig zu: „Che spettacolo.“ Dazu jede Menge universell verständlicher Hand-Emojis, die digital Beifall klatschen.

Keine Frage, Jost Kobusch ist ein brutaler Blender. Angeführt vom obersten Alpinrichter Reinhold Messner, der den deutschen Bergsteiger einen „Ankündigungsweltmeister“ nennt – und ihm damit neue Aufmerksamkeit garantiert –, spottet die stets strenge Szene der Alpinisten. In einer Umfrage der Zeitschrift Alpin stimmen dem keineswegs nur mehrheitsfähige Meinungen vertretenden Messner in diesem Fall rund 70 Prozent der Leser zu.

Für sie gilt Kobusch vor allem nach der auf 6450 Metern abgebrochenen Winterbesteigung des Mount Everest als Narzisst und Social-Media-Aktivist. Die restlichen 30 Prozent des Fachmediums finden Kobuschs Herangehensweise keineswegs unbedingt gut; sie befürworten im Internet-Voting nur einfach die zweite Option. Diese lautet: „An Projekten wächst man: Man muss Projekte heute ankündigen, um die Sponsoren zu befriedigen und die Öffentlichkeit zu informieren.“ Einer schreibt: „Willkommen im digitalen Zeitalter.“ Macht Kobusch im Grunde möglicherweise also nichts Anderes, als mit der Zeit zu gehen? Wird da vielleicht einer aus Neid an den Pranger gestellt, nur weil er einfach verstanden hat, wie Bergsteigen 2.0 funktioniert? Und ist man als junger Alpinistin heutzutage sogar gezwungen, sein Tun ausführlich und in Echtzeit über möglichst viele Kanäle offenzulegen, weil die Welt eben anders funktioniert als zur Glanzzeit mancher Kritiker vor einem halben Jahrhundert?

Kobusch findet, Messner habe inzwischen eher die Bezeichnung „Influencer“ verdient.

Anruf bei Jost Kobusch. Er sitzt gerade in Chamonix, seiner Wahlheimat nahe der höchsten Alpengipfel. Seinen Job, das Bergsteigen, nimmt er ernst, das macht er schnell klar, wenn er vom täglichen Training und all den anderen Aufgaben erzählt; für das Gespräch mit bergundsteigen hat er sich „einen Slot im Kalender“ freigehalten. Allerdings habe er zuerst nur gedacht: „Am besten hält man die Schnauze zu dem Thema.“ Denn wenn ihn Leute „dissen wollten, nannten sie mich Influencer“.

Abgesehen von der Frage, was so schlimm ist an dem Begriff, stellt Kobusch gleich einmal klar: „Ich bin kein Influencer. Ich bin Bergsteiger, der sich moderner Kommunikationsmittel bedient.“ Er selbst würde sogar eher behaupten, dass Messner, der auch stets die zeitgemäßen Kommunikationsmittel genutzt habe, ein Influencer sei. „Da findet gar keine sportliche Tätigkeit mehr statt. Aber er ist aktiv auf Instagram.“

#jostwaitforit als Persiflage des Kobusch-Slogans „jostgoforit“.
Auf Instagram gibt es inzwischen einen eigenen Hashtag von jungen Bergsteigern, die Jost Kobusch auf die Schaufel nehmen: #jostwaitforit als Persiflage des Kobusch-Slogans „jostgoforit“.

Und diese ganze Kritik an seiner Person? „Juckt mich nicht“, sagt Kobusch. Wer länger mit Kobusch spricht, stellt fest: Der 29-Jährige weiß ziemlich genau, woher er kommt und was er macht. Warum also postet er überhaupt so regelmäßig und detailreich, vor allem auf Instagram, dem sozialen Medium der stark audiovisuell orientierten Berggemeinde schlechthin? „Erstens“, sagt Kobusch, „weil es mein Job ist. Und wenn man das machen möchte, was ich tue, ist es wichtig, präsent zu sein.“ Es sei schließlich schon so: „Wenn mir jemand ein Budget geben würde und sagt: ‚Aber bitte dafür nichts posten’, dann würde ich das sofort machen.“ Und zweitens: „Es gibt viele Menschen, die ich mit meinen Geschichten berühre.“

https://www.instagram.com/jostkobusch/

Die sozialen Medien seien dafür ja auch sehr effizient. Je mehr er dort erzähle, desto weniger Fragen müsse er später beantworten, auch gegenüber Journalisten. Das stimmt natürlich nicht immer. Sein Youtube-Beitrag vom Lawinenabgang ins Basecamp des Everest entpuppte sich 2015 gewissermaßen als Generator für Nachfragen – und war die Initialzündung seiner für viele immer noch erstaunlichen Bekanntheit. Das zweieinhalbminütige Video steht inzwischen bei mehr als 24 Millionen Abrufen. Doch mag Jost Kobusch auch besonders polarisieren, so ist er mit 33500 Followern auf Instagram und rund 12400 Freunden auf Facebook digital doch eher ein Leichtgewicht im ohnehin vergleichsweise beschaulichen Alpinistinnenmilieu.

Alex Honnold mit seiner Tochter.
Alex Honnold zeigt auf Instagram nicht nur seine Kletterleistungen, sondern auch Privates wie hier ein Bild mit seiner Tochter.

Das Klettermirakel Alex Honnold steht auf Instagram beispielsweise bei 2,5 Millionen Followern (Stand: September 2022). Nirmal Purja aus Nepal sammelt Fans noch schneller als Achttausender, weshalb er unter seinem zum Markenbegriff gereiften Pseudonym Nimsdai zielsicher die Zwei-Millionen-Marke ansteuert. Und die US-amerikanische Weltklassekletterin Sasha DiGiulian kommt mittlerweile auf knapp eine halbe Millionen Insta-Anhänger, die ihr durchaus auch mal bei Abenteuern im Bikini zusehen dürfen. Mit der Zahl der Fans scheint aber auch die Zahl der Skeptiker zu wachsen.

Während der alpinistisch über Zweifel erhabene Honnold zumindest bei Familienvätern die Frage aufwirft, ob zwischen die Geburt von Tochter June und der nächsten Windelsession weiterhin der El Cap free solo passt, werden bei Nirmal Purja längst Zweifel an dessen bergsteigerischer Integrität laut. Die Neue Zürcher Zeitung bezeichnet ihn in einem kritischen Bericht etwas sauertöpfisch als Superstar, „wie ihn das Bergsteigen noch nie hervorgebracht hat“ – trotz etlicher Widersprüche bei seinen gerne verbreiteten Heldentaten. „Millionen von Followern bewundern ihn in den sozialen Netzwerken“, heißt es in der NZZ weiter. Im Kontext des Artikels liest es sich mehr wie eine Klage als eine Huldigung.

Nirmal Purja ist der mit Abstand einflussreichste Bergsteiger auf Social Media.
Nirmal Purja (Nimsdai) hat alle 14 Achttausender in knapp sechs Monaten bestiegen und ist mit fast zwei Millionen Followern auf Instagram, der mit Abstand einflussreichste Bergsteiger auf Social Media.
Portrait Nirmal Purja (Nimsdai).
Portrait Nirmal Purja (Nimsdai).

Und dass Kletterbarbie DiGiulian, 29, eine Unternehmung am Eiger auf Youtube gemäß unabhängiger Recherchen zu einem alpinistischen Meilenstein aufblies („Erste Damenbegehung an der Eiger-Nordwand“), nehmen ihr noch heute einige übel. Aufmerksamkeit zumindest war garantiert. Wo verläuft die Grenze zwischen Influencerin und Alpinistin? Roger Schäli kennt den Eiger wie kaum ein anderer. Er hat nichts gegen Youtube und Instagram, obwohl der Schweizer noch zu jener Generation zählt, die „ohne Facebook und Internet aufgewachsen ist“, wie er sagt, und von zuhause das Credo „erst liefern, dann labern“ mitbekommen hätte.

Er selbst bezeichnet die digitalen Medien als Mittel zum Zweck, das einem gerade bei der internationalen Vernetzung helfe. Über einen wie Jost Kobusch wolle er gar nicht urteilen, auch wenn man „als Old-School-Bergsteiger wohl sagen würde: ‚Mach’ erst mal was anderes als den Everest im Winter’.“ Aber man solle seine persönliche Herangehensweise und Leistung honorieren. Ihm sei auch der Hinweis wichtig, dass er die meisten Kolleginnen sehr respektiere. Und solange über die Netzwerke keine Falschinformationen vermittelt werden, gelte für ihn das Motto: „Leben und leben lassen.“

Instagramaccount der amerikanischen Kletterin Sasha DiGiulian
Die amerikanische Kletterin Sasha DiGiulian hat früh mit der Selbstvermarktung auf den sozialen Medien begonnen und zählt mit 478 000 Followern auf Instagram zu den bekanntesten Kletterern auf dieser Plattform.

Nur wundert sich Schäli manchmal dann doch, welch unterschiedliche Wertschätzung manche Bergsteigerinnen erhalten. Etablierte Top-Athletinnen wie Alex Huber, Tommy Caldwell oder Ines Papert hätten es vielleicht gar nicht nötig, ständig am iPhone zu hängen. Aber er kenne junge, sehr gute Alpinist*innen, die sich bei der Vermarktung extrem schwer täten – vor allem wegen der mangelnden Bereitschaft, sich selbst im besten Licht zu präsentieren, und der fehlenden Motivation, ständig an Handy zu hängen und Posts abzusetzen. „Und junge Girls mit dem entsprechenden Sexappeal auf Instagram bekommen wöchentlich einen Sponsorenvertrag zugeschickt.“ Zwar sei schon klar, dass der Alpinismus eine Selbstvermarktungsmaschinerie sei. „Aber es muss schon mit der Leistung zusammenpassen.

Da erreichen manche Leute einen unverhältnismäßigen Benefit.“ Dabei ist es für Nicht-Eingeweihte gerade in der selten kuratierten Informationsflut der sogenannten sozialen Medien besonders schwer, den Unterschied zwischen professionellen Bergsteigern und fotogen am Fels abhängenden Influencern auszumachen. Im Grunde geht es damit auch um die Fortsetzung einer altbekannten Frage unter neuen Vorzeichen:

Sind die bekanntesten und am besten im Sold stehenden Alpinisten auch wirklich die besten? Wird nun möglicherweise das Prinzip des Bergsteigens durch die sozialen Medien, wo Schauspiel und Bildgewalt wichtiger sind als Inhalt und Leistung, geradezu ad absurdum geführt? Oder war das bloße Verkaufen einer guten Geschichte nicht schon immer wichtiger als die Tat am Berg, weshalb die Jagd nach Likes heute einfach zur Arbeit des professionellen Bergsteigers zählt?

Sasha DiGiulian beim Klettern in Kalymnos, Griechenland.
Sasha DiGiulian beim Klettern in Kalymnos, Griechenland. Foto: Red Bull Content Pool.

Dabei ist keineswegs jeder Bergsportler ein überzeugter Instagrammer. Für viele war der Weg zum digitalen Storyteller schlicht harte Arbeit. Die Südtirolerin Tamara Lunger etwa habe das Thema Social Media zu Beginn „brutal genervt“. Dann sagt sie den schönen Satz: „Mir war das zu weit weg vom Berg.“ Ihre Managerin habe Lunger schließlich überzeugen müssen, dass es langfristig um Zahlen gehen werde und die neuen Medien essentiell in diesem Zusammenhang seien. Lunger habe das anfangs belastet; sie spricht von „einem schwierigen Prozess, ich selbst zu bleiben“. Sie mag als Kind einer Hüttenwirtsfamilie ihre „ländliche Komfortzone“ (Lunger) ja durchaus gerne; ihr Vater habe angesichts ihrer neuen Offenheit im Netz gar mit den Worten reagiert: „Ja, so ein Blödsinn!“ Zudem sei Social Media „ein ziemlicher Zeiträuber“, so Lunger.

Für den Schweizer Schäli bedeutet das ständige Abhängen in den diversen Kanälen gar „einen Verlust der Lebensqualität“. Man müsse auch noch mehr in sich selbst ruhen, um sich nicht zu verlieren. „Früher war man viel mehr in seiner kleinen Welt“, so Schäli. „Eine gewisse Nabelschau gehört zum Spiel dazu“, sagt der Marketingprofi Längst ist dort auch Lunger für ihre knapp hunderttausend Follower aktiv. Sie meint: „Ich sehe ja, was das für eine Potenz hat.“ Sie habe im Übrigen die Erfahrung gemacht, dass die Bergsportler auf Social Media ziemlich authentisch seien. Als sie während zweier Expeditionen gänzlich auf Live-Nachrichten aus dem Basislager verzichtete, sei das ja auch nicht gut gegangen.

„Da posten andere über dich, um vielleicht selbst als Informationsquelle zu gelten, und verbreiten dabei auch noch falsche Informationen.“ Vor allem kenne sie keinen einzigen Bergsportler mehr, der von Sponsoren unterstützt wird und dabei nicht auf Social Media setzt. Gibt’s ohne Posts also keine Piepen und damit kein Profitum mehr? Thomas Aichner, Marketingdirektor des Sportartikelherstellers Salewa, attestiert den sozialen Medien in der Massenkommunikation jedenfalls große Bedeutung, vor allem Instagram, gefolgt von Youtube und Facebook. Denn Aichner ist klar: „Eine gewisse Nabelschau gehört zum Spiel dazu.“ Beim Sponsoring seines Unternehmens achte man jedoch immer noch stärker auf die Werte der Athleten als auf deren Bekanntheit in den Netzwerken.

Auch sollten die von Salewa geförderten Sportler weiterhin mehr unter Menschen sein als in der virtuellen Welt. „Mir ist lieber, der Simon Gietl hält zehn Vorträge und spricht danach bei einem Glas Wein mit den Leuten.“ Allerdings sei in den Sponsoring-Verträgen schon geregelt, dass die Athleten auf Social-Media-Bildern ein Salewa-Outfit tragen und die einzelnen Unternehmensmarken verhashtaggen. Auf die Vorgabe einer Mindestzahl von wöchentlichen Posts, wie er das von Mitbewerbern gehört habe, verzichtet man zwar.

Er finde es aber durchaus gut, wenn Athleten gewisse Richtlinien für die Arbeit in sozialen Netzwerken an die Hand bekämen, wie dies bei Red Bull geschehe. Von Red Bull selbst war diesbezüglich von Unternehmensseite trotz mehrfacher Nachfrage keine Stellungnahme zu erhalten. „Es geht nicht darum, ob mich die Konkurrenz mag“ Ganz allgemein besteht bei den Accounts der Alpinisten jedoch jede Menge Nachholbedarf, zumindest wenn man Bente Matthes dazu befragt. Als Online-Marketing-Strategin und Social-Media-Expertin sieht sie die Instagram-Auftritte der Bergsteiger-Profis weniger durch die ideologische Brille der Alpinisten als aus dem Blickwinkel der Nutzer und Follower.

„Ohne Selbstdarstellung funktioniert das nicht.“

Jost Kobusch? „Bringt einiges mit. Ein Mensch wie du und ich, hoher Identifikationsgrad und gleichzeitig ein Typ“, so Matthes. Aber? „Da fehlt die Linie. Es gibt keine klare Botschaft, für was er eigentlich steht.“ Alex Honnold? „Den kennt man einfach. Aber auch da fehlt die Botschaft. Da ist noch viel Luft nach oben.“ Nirmal Purja? „Ein Kanal, wie er von Leuten gemacht wird, die eben prominent sind. Der könnte noch viel mehr erzählen. Offenbar hat er seine Follower nicht im Blick oder versteht sie womöglich auch nicht.“

Eines ist für Matthes jedenfalls klar: „Ohne Selbstdarstellung funktioniert das nicht.“ Zwar mache keiner der Alpinisten eklatant etwas falsch. „Nur ruhen sich viele zur sehr auf ihrem Renommée aus. Meine Botschaft kann ja nicht sein: Ich kann ganz doll im Überhang hängen. Das trägt sich auf Dauer nicht.“ Viel wichtiger sei laut Matthes, sich bewusst zu machen: „Was will und braucht die Zielgruppe, um nachhaltig Fan von mir und meinem Angebot zu werden, und wie kann ich mich bei ihr entsprechend positionieren?“ Dass dazu selbstverständlich auch ein gewisser Sex-Appeal gehört, findet Matthes überhaupt nicht verwerflich. „Schließlich himmeln wir gerne mal jemanden an.“ Außerdem ließen sich mit einem klaren Instagram-Profil inzwischen sogar ganze Unternehmen aufbauen.

„Es geht nicht darum, ob mich die Konkurrenz mag. Es geht nur um meine Zielgruppe, mein Fanbase. Und wenn eine gewisse Zielgruppe Schlümpfchentechno mag, dann mag die eben Schlümpfchentechno“, sagt Matthes. „Auch wenn das vielleicht nicht jedermanns Sache ist.“ Anders gesagt: Man muss Schlümpfchen-Alpinismus keineswegs gut finden. In solchen Fällen kennt Roger Schäli dann auch eine einfache, ganz persönliche Lösung: „Wir haben nicht nur eine Verantwortung für das, was wir posten. Sondern auch dafür, wem wir auf den sozialen Medien als User folgen.“

Erschienen in der
Ausgabe #119 (Sommer 22)

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