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Skyrunning Laufen Leistung
19. Okt 2022 - 9 min Lesezeit

Skyrunning: Laufen im Himmel?

Skyrunning ist eine junge Disziplin des Bergsports und umfasst Bergläufe über 2.000 Metern Meereshöhe auf technisch anspruchsvollen Trails mit der Zielsetzung, Gipfel in möglichst kurzer Zeit zu erreichen. Ein Blick auf die leistungsphysiologischen und trainingsmethodischen Aspekte.

Fastest Known Times

Die internationale Skyrunning Föderation dokumentiert die schnellsten Zeiten der Bergläufer als fastest known times. Inhaber gleich mehrerer solcher Bestzeiten ist der katalanische Skyrunner Kilian Jornet, der im Jahr 2017 nur 26 Stunden und 30 Minuten für die Nordroute auf den Mount Everest benötigte (Höhendifferenz: 3.750 Meter), und in Europa schaffte er es im Jahr 2013 in 3 Stunden und 33 Minuten von Chamonix auf den Gipfel des Mont Blanc (Höhendifferenz: 3.800 Meter). Wie kommen solche Leistungen zustande, was sind die physiologischen, konstitutionellen und konditionellen Voraussetzungen?

Skyrunning Fastest Known Times Kilian Jornet
Der in Norwegen lebende Katalane Kilian Jornet ist einer der erfolgreichsten „Skyrunner“ der letzten Jahre.

In der aktuellen wissenschaftlichen Literatur gibt es kaum systematische Untersuchungen mit repräsentativen Fallzahlen zu dieser jungen Disziplin, die eine Mischung aus Ausdauersport und klassischem Bergsteigen ist. Deshalb unternimmt dieser Artikel den Versuch, allgemeine leistungsphysiologische und trainingsmethodische Erkenntnisse für erfolgreiches Skyrunning aus klassischen und neuen Studien zu Ausdauersport und Bergsteigen aufzuzeigen und bezieht einen Fallbericht zum Everest Skyrun von Kilian Jornet ein.

Leistungsparameter VO2max – Maß der Energiebereitstellung

Eine hohe maximale Sauerstoffaufnahme, oft VO2max abgekürzt (leitet sich von V für Volumen, O2 für Sauerstoff und max für Maximum ab), ist ein Charakteristikum aller Elite-Ausdauerathleten. Die VO2max ist ein quantitatives Maß für die Leistungsfähigkeit des Herzkreislaufsystems und verbindet in einer Zahl komplexe Mechanismen, wie den Sauerstofftransfer aus der Luft ins Blut, seinen Transport im Organismus durch Herz und Blut und schließlich den Sauerstoffverbrauch, der bei körperlicher Leistung vor allem in der arbeitenden Muskulatur stattfindet.

Die VO2max ist somit ein Maß der Energiebereitstellung und wird durch biologische Einflussgrößen und durch Umweltbedingungen limitiert. So sinkt sie mit zunehmender Höhe (ohne Akklimatisation ca. sechs Prozent/1.000 Meter) aufgrund des abnehmenden Sauerstoffangebots (Hypoxie). Mit Abnahme der VO2max sinkt auch die Leistungsfähigkeit und es scheint auf den ersten Blick selbstverständlich, dass eine hohe VO2max in Meereshöhe bessere Leistungen in der Höhe erlaubt, und zwar deshalb, weil dann noch mehr „Luft nach oben“ ist. Es überrascht daher wenig, dass bei Kilian Jornet im Flachland eine sehr hohe VO2max von 92 Milliliter Sauerstoff pro Minute pro Kilogramm Körpergewicht (92 ml/min/kg) gemessen wurde .

VO2max – und was noch?

Eine klassische Bergsportstudie von Oelz und Kollegen , die 1986 veröffentlicht wurde, zeigte uns, dass es für den Erfolg beim Höhenbergsteigen allerdings mehr braucht als nur eine hohe VO2max. Die Arbeitsgruppe untersuchte vier Jahre nach der ersten Gipfelbesteigung des Mount Everest 1978 ohne künstlichen Sauerstoff die beiden Ausnahmebergsteiger Peter Habeler (damals 41 Jahre) und Reinhold Messner (damals 39 Jahre). Messner hatte mit 49 ml/min/kg die niedrigste und Habeler mit 66 ml/min/kg die höchste VO2max in Bezug auf das Körpergewicht.

Da Reinhold Messner zweifelsfrei ein äußerst erfolgreicher Höhenbergsteiger war, stellten diese Ergebnisse die Bedeutung der VO2max für das Höhenbergsteigen in Frage. Ein genauer Blick in die Daten zeigte allerdings, dass sich Reinhold Messner mit dieser geringeren VO2max auch im 35 Prozent steilen „Labor-Gelände“ schnell fortbewegen konnte, wofür seine teilweise leichteren Bergkameraden 9 bis 16 ml/min Sauerstoff pro Kilogramm Körpergewicht mehr benötigten. Seine Bewegungsökonomie war offenbar sehr gut und besser als die seiner Bergkameraden. Diese Effizienz ist eine wesentliche Voraussetzung für schnelles Laufen – nicht nur am Berg – und kann als weiterer leistungsbestimmender Faktor für das Skyrunning angenommen werden.

Körpergewicht und andere Faktoren

Im Vergleich zum Höhenbergsteigen ist die Lauf- und Aufstiegsgeschwindigkeit beim Skyrunning viel höher. Entsprechend spielt die Körpermasse im steilen Gelände eine mit zunehmender Geschwindigkeit und Steilheit immer größer werdende Rolle. Leichte Läufer sind also tendenziell im Vorteil, weil sie weniger Masse bewegen müssen. Das Körpergewicht von Kilian Jornet beträgt 56 Kilogramm, was auch zu seiner sehr hohen, köpergewichtsbezogenen VO2max beiträgt. Die angesprochenen Leistungsfaktoren VO2max, Ökonomie und Körpermasse sind auch für Marathonläufer auf Meereshöhe relevant. Beim Skyrunning kommt die hypoxische Umwelt des Gebirges leistungslimitierend hinzu. An sie müssen sich Skyrunner und Höhenbergsteiger anpassen, um die höhenbedingte VO2max- Reduktion zu minimieren und um in extremen Höhen überhaupt leistungs- und lebensfähig zu sein. Ein akzeptiertes Maß dieser Anpassung ist die arterielle Sauerstoffsättigung. Sie beschreibt den prozentualen Anteil der mit Sauerstoff beladenen roten Blutkörperchen.

Arterielle Sauerstoffsättigung

Studien bei Skibergsteigern und anderen Ausdauersportlern zeigten, dass Elite-Ausdauerathleten bei maximaler Anstrengung in Hypoxie und Normoxie niedrigere Sauerstoffsättigungen aufweisen als weniger trainierte Menschen . Was auf den ersten Blick widersprüchlich wirken mag, liegt daran, dass sich Hochtrainierte stärker ausbelasten können und somit ihre Muskulatur mehr Sauerstoff verbrauchen kann. Zudem wurde für die Höhe gezeigt, dass sich Ausdauersportler insbesondere in den ersten Stunden einer Höhenexposition verzögert anpassen . Dennoch gilt auch für Top-Athleten, dass die Sauerstoff-Sättigung bei einer gegebenen Leistung möglichst hoch sein sollte, was durch Akklimatisationsprozesse möglich wird.

Skyrunning Everest Berglauf Jornet
Zur schönen Aussicht: Kilian Jornet macht Pause am Mount Everest auf 8.100 Metern. Blick auf den Lhotse.

Die Sauerstoff-Sättigung von Kilian Jornet verbesserte sich während seiner Everest Skyrun-Vorbereitung in den hochintensiven Trainingseinheiten auf einer simulierten Höhe von 6.000 Metern von 70 Prozent auf 85 . Er konnte also den zur Verfügung stehenden Sauerstoff zunehmend besser ausnutzen und so die höhenbedingte VO2max-Reduktion teilweise kompensieren und dadurch seine Leistungsfähigkeit in extremer Höhe verbessern.

Jornet am Everest

Das Trainings- und Akklimatisationsprotokoll vor dem Mount Everest Skyrun hat Kilian Jornet mit seiner Sportuhr aufgezeichnet und dann veröffentlicht: 2017 trainierte er insgesamt 1140 Stunden, davon ca. ein Drittel in natürlicher und künstlicher Hypoxie . Seine Akklimatisation begann in seinem gewohnten, heimatlichen Umfeld, wo er in einer siebenwöchigen Prä-Akklimatisationsphase die „Live High, Train Low and High“- Methode mit normobarer Hypoxie einsetzte (d. h. Erniedrigung der Sauerstoffkonzentration bei barometrisch unverändertem Druck).

Live High, Train Low and High

Er schlief insgesamt 260 Stunden in einem Höhenzelt (Live High; simulierte Höhe 4.000 –5.000 Meter) und trainierte sowohl in Normoxie (Train Low) als auch in Hypoxie (Train High). Die simulierte Trainingshöhe und Trainingsintensität hat Jornet innerhalb der sieben Wochen gesteigert. Am Ende absolvierte er hochintensive, vier mal fünf Minuten dauernde Tempoläufe mit 15 Kilometern pro Stunde auf einer simulierten Höhe von 6000 Metern, wo er insgesamt 30 Stunden trainierte. Anschließend trainierte Kilian Jornet zehn Tage in den Westalpen und dann im Himalaya, um sich progressiv und schließlich vor Ort an die natürlichen Höhenbedingungen anzupassen.

Polarisierte Trainingsintensitätsverteilung wie im Skilanglauf

In der Veröffentlichung zu Kilian Jornets Everest Skyrun zeigen die Autoren Parallelen zum Training von Elite-Skilangläufern auf . Auch sie absolvieren einen ähnlich hohen Trainingsumfang von etwa 1000 Stunden pro Jahr, ihr Training hat einen ähnlichen Hypoxieanteil von ca. einem Drittel und auch ihr Training weist eine ganz ähnliche, polarisierte Trainingsintensitätsverteilung auf. „Polarisiert“ besagt, dass ein relativ großer Anteil des Trainings jeweils im niedrig-intensiven und hochintensiven Bereich stattfindet (z. B. 80:20) und nur ein sehr geringer Anteil im mittleren Bereich.

Vom Skibergsteigen zum Skyrunning

Kilian Jornet hat seine Sportkarriere als 13-jähriger Skibergsteiger begonnen. Diese Sportart weist mutmaßlich ein sehr ähnliches Anforderungsprofil wie das Skyrunning auf, denn auch hier geht es in der meisten Zeit bergauf und beim „Vertical”, einer Disziplin im Skibergsteigen, bei der es sich um ein reines Aufstiegsrennen handelt, finden die Wettkämpfe häufig oberhalb von 2000 Metern statt. Systematische Untersuchungen aus dem Skibergsteigen bestätigen wenig überraschend die Bedeutung einer hohen VO2max .

Bergsport und Gesundheit #4, Skyrunning Leistungsparamter Berglauf Jornet

Entscheidend für den Erfolg ist außerdem der Trainingszustand, die maximale Geschwindigkeit, welche stark von den koordinativen Fähigkeiten abhängt und schließlich die Fähigkeit, eine hohe maximale Blutlaktatkonzentration zu erreichen. Letztere ist im Zusammenspiel mit den zuvor genannten Eigenschaften ein klarer Indikator dafür, dass erfolgreiche Skibergsteiger, und somit vermutlich auch Skyrunner, in der Lage sind, eine hohe Gesamtenergiebereitstellung zu realisieren. Dazu sind im Wettkampf vor allem Kohlenhydrate notwendig, insbesondere angesichts der meist kalten Umgebung.

Energiezufuhr und Flüssigkeitsverlust

Die Kohlenhydratspeicher in Blut, Leber und Muskulatur sind jedoch begrenzt. Deshalb ist ihre Zufuhr mit der Nahrung für hohe Laufgeschwindigkeiten über einer Stunde Dauer essenziell. Menge und Form der Zufuhr hängen von Belastungsdauer und individueller Verträglichkeit ab, wobei 90 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde in flüssiger Form häufig gut verträglich sind. Diese Zufuhr ermöglicht energetisch die Aufrechterhaltung einer relativ hohen Intensität über mehrere Stunden. Bei ultralangen und somit weniger intensiven Belastungen besteht die Möglichkeit, Gels oder Riegel zu ergänzen.

Neben der Energieaufnahme müssen Skyrunner den Verlust von Flüssigkeit und Elektrolyten kompensieren, denn zum schweißbedingten Wasserverlust kommt der über die intensive Atmung in der mit zunehmender Höhe immer trockeneren Luft hinzu.

Da ein Flüssigkeitsverlust von mehr als fünf Prozent des Körpergewichts vielfach mit einer Reduktion der Leistungsfähigkeit und Koordination einhergeht, ist ein solcher Zustand aufgrund der technischen Anforderungen und Ausgesetztheit im Skyrunning auch indirekt gefährlich. Daher sollten Skyrunner nicht zugunsten des Gewichts strategisch dehydrieren (permissive Dehydration).

Fazit

Neben den im alpinen Terrain notwendigen koordinativen und psychischen Fertigkeiten stellen eine hohe maximale Sauerstoffaufnahme, ein niedriges Körpergewicht und ein hoher Ausdauertrainingszustand wesentliche Leistungsvoraussetzungen für erfolgreiches, schnelles Skyrunning dar. Möglich wird dies durch einen hohen Trainingsumfang mit polarisierter Trainingsintensitätsverteilung. Bei Wettkämpfen ab moderater Höhe (>1.500 Meter) empfiehlt sich eine individualisierte Akklimatisationsstrategie, die zwingend auch Training in Hypoxie umfasst. Skyrunner sollten auf eine ausreichende Energie- und Flüssigkeitszufuhr während des Wettkampfs achten und beides bereits in der Vorbereitung trainieren und optimieren.

Literatur

  1. Millet GP, Jornet K (2019) On Top to the Top-Acclimatization Strategy for the „Fastest Known Time“ to Mount Everest. Int J Sports Physiol Perform 14 (10):1438-1441.
  2. Oelz O, Howald H, Di Prampero PE, Hoppeler H, Claassen H, Jenni R, Bühlmann A, Ferretti G, Brückner JC, Veicsteinas A (1986) Physiological profile of world-class high-altitude climbers. J Appl Physiol (1985) 60 (5):1734-1742.
  3. Faiss R, von Orelli C, Dériaz O, Millet BP (2014) Responses to exercise in normobaric hypoxia: comparison of elite and recreational ski mountaineers. Int J Sports Physiol Perform 9 (6):978-984.
  4. Sareban M, Schiefer LM, Macholz F, Schäfer L, Zangl Q, Inama F, Reich B, Mayr B, Schmidt P, Hartl A, Bärtsch P, Niebauer J, Treff G, Berger MM (2020) Endurance Athletes Are at Increased Risk for Early Acute Mountain Sickness at 3450 m. Medicine and science in sports an exercise 52 (5): 1109-1115.
  5. Solli GS, Tønnessen E, Sandbakk Ø (2017) The Training Characteristics of the World’s Most Successful Female Cross-Country Skier, Frond Physiol 8:1069.

Erschienen in der
Ausgabe #119 (Sommer 22)

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