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Goldgewinner bei Europameisterschaft im Speedklettern Danyil Boldyrev
08. Nov 2024 - 17 min Lesezeit

Klettern oder Kämpfen? Der (Sport)Soldat in der Speedwall

Interview mit Danyil Boldyrev (32), Speedkletterer aus der Ukraine, über das Klettern im Krieg, Selbstzweifel, gefallene Kletterfreunde und warum es in der Speedwall wichtig ist, ein Hai zu sein.

Danyil, Du hast im August 2022 in München bei der Europameisterschaft die Goldmedaille im Speedklettern gewonnen. Damals war der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sechs Monate alt. Wie sehr hat Dich das beim Wettkampf belastet?

Der Sieg bedeutete mehr – weil ich für ein Land antrat, das von Russland völlig unrechtmäßig angegriffen worden ist. Es sollte ein guter Tag für mich werden, auch wenn sich das am Morgen nicht so angefühlt hat: Ich bin viel zu früh, irgendwann zwischen 4 und 5 Uhr, aufgewacht und habe mich gefühlt, als ob ich kurz davor wäre, krank zu werden.

Das ist vor Wettkämpfen öfter so. Wenn Du Dein Trainingsmaximum erreicht hast, belastet das auch Dein Immunsystem. Trotzdem ist es mir gelungen, mich auf mein Ziel zu fokussieren: Gold für die Ukraine zu holen. Allerdings ist es im Wettkampf sehr viel leichter, motiviert zu bleiben als im Training. Wettkampf – das ist nur ein Tag.

Während des Trainings war es schwerer für Dich, den Krieg auszublenden?

Am Wettkampftag denke ich an nichts anderes. Nicht einmal an den Krieg. Aber während der langen Trainingsmonate davor musste ich immer wieder an Freunde in Mariupol denken, die dort gestorben sind. An manchen Tagen fiel es mir deswegen schwer, mich für das Training zu motivieren. Da wachst Du auf und denkst Dir, dass Du vielleicht nicht klettern, sondern besser in der Armee kämpfen solltest.

Da hast Du Zweifel, ob das, was Du so gerne machst, überhaupt gerechtfertigt ist. An anderen Tagen denkst Du Dir: Ja, es ist wichtig, weil es die Ukraine international sichtbar macht, weil Du so als Sportler etwas für dein Land tust.

Danyil Boldyrev

Danyil Boldyrev Portrait
Danyil Boldyrev Portrait. Foto: Michael McKee

geboren am 15. Mai 1992 in Donezk/Ukraine. Trat von 2006 bis 2023 für die Ukraine bei internationalen Speedkletter-Wettbewerben an. Verheiratet mit der Leichtathletin Alina Logvynenko, die mit der ukrainischen 400-Meter-Staffel, bei den Olympischen Spielen von London (2012) Bronze gewonnen hat. Lebt und trainiert derzeit in Düsseldorf.

interessante Links:

  • der Film „Climbing never die“ geht auf eine Einladung Danyil Boldirevs an den IFSC-Kommentator Matt Groom zurück, in die Ukraine zu kommen. Er ist Teil der aktuellen Reel Rock-Tour und zeigt, wie ukrainische Athleten, Jugendliche und Kinder trotz Krieg und Zerstörung klettern und trainieren.
  • Climbing“ veröffentlicht Nachrufe auf im Krieg gefallene Kletterer und Alpinisten aus der Ukraine

Es hat allerdings Monate gedauert, bis zu Dich zu dieser Haltung durchgerungen hast. Monate, in denen Du mit Dir, dem Krieg und Deiner Rolle als Profikletterer gerungen hast.

Es gab Tage, da war ich kurz davor, in die Armee zu gehen. Ich habe darüber vor allem mit meiner Frau gesprochen. Und mit Freunden, die in der Armee waren.

Was hat Deine Frau gesagt?

Dass es letztlich meine Entscheidung ist. Aber dass ich doch bitte Ihr und meiner Mutter zuliebe für die Ukraine trainieren statt mit der Waffe kämpfen soll – wenn ich schon offiziell die Chance habe, als Sportler für die Ukraine anzutreten. Und dass wir eines Tages Kinder bekommen wollen. Wobei so viele junge Ukrainer, die in den Krieg gezogen und gefallen sind, genau das auch wollten: Kinder kriegen, eine Familie gründen, ein schönes Leben führen.

Und Deine Freunde, die an der Front kämpften – wozu haben sie Dir geraten?

Dass ich als Sportler und Trainer auch etwas für unser Land tun kann. Dass es wichtig ist, dass die Ukraine bei internationalen Wettkämpfen antritt – während die russischen Athleten zu Recht ausgeschlossen sind. Dass es wichtig ist, dass sich jemand um den Sportnachwuchs der Ukraine kümmert.

Das andere Kletterer mit verletzten Soldaten in der Reha arbeiten – und auch das ein Beitrag ist, der unserem Land hilft. Und dass ich mit meinen Knie- und Rückenproblemen, die sich schon damals abzeichneten, eh nicht mehr fit genug bin. Jedenfalls für eine Spezialeinheit wie die Kraken, in der Freunde von mir kämpfen.

Wie haben sich der Krieg, der Stress, Deine Zerrissenheit auf dein Training ausgewirkt?

Es fällt einem nicht leicht zu trainieren, wenn man den Kopf voller Stress und Sorgen hat. Gleichzeitig motiviert es Dich, weil Du Dir sagst: Wenn die anderen kämpfen, während Du nur trainierst, musst Du noch besser und härter trainieren. Manchmal hat meine Frau gesagt, dass ich viel zu viel trainiere. Dass ich eine Pause einlegen muss, um mich zu regenerieren. Dann habe ich ihr entgegnet, dass Freunde, die kämpfen, auch keine Pause machen können.

Du hast Dich als eine Art Sportsoldat verstanden?

Ich hatte zwar kein Gewehr, um zu kämpfen, habe mich aber als eine Art Soldat in der Speedwall begriffen.

Und Dich dabei in die Verletzung hineintrainiert.

Ich habe zwei, manchmal sogar drei Trainingssessions pro Tag gemacht. Oft bin ich schon kurz nach 5 Uhr früh Laufen gegangen. Dazu kam viel zu wenig Schlaf, weil ich mir um meine Freunde an der Front Sorgen gemacht habe. Oder mir das nächste Crowdfunding durch den Kopf ging, womit wir Fahrzeuge für die Front beschaffen wollten. Gleichzeitig waren meine Trainingsbedingungen viel schlechter als vor dem Krieg: keine Physio, keine Massage.

Wenn ich vor dem Krieg eine kleine Verletzung hatte, habe ich das sofort behandeln lassen. Als ich nach Deutschland ging, um dort zu trainieren, habe ich das leider vernachlässigt. Ich habe härter denn je trainiert, von meiner nächsten Goldmedaille für die Ukraine geträumt und dabei meinen Körper viel zu hart rangenommen.

Vor allem Dein Knie.

Zuerst war es nur der Meniskus. Aber dann hat mir ein Arzt in Österreich gesagt, dass es nicht nur der Meniskus ist, sondern auch das Kreuzband. Und dass ich dringend operiert werden muss, weil ich sonst mein Knie riskiere. Ich wurde also operiert. Danach war ich acht Monate in der Reha. 

Wann wurde Dir klar, dass Du Deine Karriere als Speedkletterer beenden musst?

Diesen Sommer.

Eine Entscheidung, die Dir vermutlich nicht leicht gefallen ist.

An sich spüre ich immer noch diese Kraft und dieses Feuer, die man für diesen Sport braucht. Andererseits war klar, dass ich mit 32 und den Verletzungen nicht mehr die zwei, drei Jahre habe, die ich für einen Neustart meiner Wettkampf-Karriere bräuchte. Es geht ja auch darum, wie man sich und seine Familie ernährt – und da ist Klettern nicht unbedingt der lukrativste Sport. Also habe ich mir gesagt, dass es jetzt an der Zeit ist, mich ganz auf das Coaching zu verlegen. Auch weil ich einen guten Draht zu einigen Nationalteams habe – Singapur, Deutschland, Österreich.

Leider hast Du 2024 die Olympischen Spiele in Paris verpasst.

Sicher. Aber das Leben besteht, wie der Krieg, auch aus Verletzungen. Und aus Schicksal. Man kann nicht alles kontrollieren. Man kann nur das Schicksal annehmen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Ich begreife es als meine neue Bestimmung, andere zu trainieren. Damit andere Medaillen gewinnen. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, was hätte sein können. Ich versuche an die Zukunft zu denken.

Wie war es vor dem Krieg um das Klettern in der Ukraine bestellt?

Wir waren auf einem richtig guten Weg, auch bei den Trainingsbedingungen. In Mariupol hatten wir kurz vor dem russischen Angriff endlich eine ganze Speedwall. Keine offizielle, nur eine gute Kopie. Aber eben eine ganze, 15 Meter hoch. Davor mussten wir oft an mehreren Wänden trainieren, um eine komplette Speedwall zu simulieren.

Interview mit Speedkletterer Danyil Boldyrev
Interview mit Speedkletterer Danyil Boldyrev. Foto: Michael McKee

Deswegen sind wir vor Wettkämpfen oft ins Ausland gegangen, zum Beispiel nach Imst. Für das Klettern im Fels wiederum ist die russische Besetzung der Krim ein schwerer Schlag. Die Krim war das Felsklettergebiet der Ukraine. Auch im Winter, weil man da wegen des milden Klimas bei 15 Grad super klettern konnte. Man kann ansonsten auch in der Nähe von Lwiw und Iwano-Frankiwsk klettern – aber eben nur im Sommer.

Du hast Deine Preisgelder über die Jahre immer wieder für eine Verbesserung der Trainingsmöglichkeiten eingesetzt.

Sehr oft. Ein Beispiel: Nachdem ich 2018 in Edinburgh Silber gewonnen hatte, habe ich die 2.000 Euro Preisgeld und das Geld aus dem Coaching verwendet, um für die Speedwall in Mariupol ein Autobelay und Griffe zu kaufen. Ich habe mir gesagt, dass das ein gutes Investment in meinen nächsten Sieg ist. Lacht. Und dass es dem Nachwuchs hilft.

Wurde die Wand beim russischen Angriff auf Mariupol zerstört?

Soweit ich weiß, nicht. Sie ist besetzt. Und wird vom russischen Verband genutzt.

Der Verband, der nach der russischen Besetzung der Krim und der Ausrufung der pro-russischen Volksrepublik Donezk auch Dich umworben hat.

Ich komme ja ursprünglich aus Donezk. Schon 2015 bekam ich Angebote aus Russland und aus dem russisch kontrollierten Donezk. Aber ich habe keine Millisekunde daran gedacht, das anzunehmen. Donezk gehört zur Ukraine. Und ich bin Ukrainer. Für mich und die Menschen aus Donezk hat der Krieg nicht erst 2022, sondern acht Jahre früher begonnen.

Im Film „Climbing never die”, den Matt Groom auf Deine Einladung hin realisiert hat, sieht man, wie in der Ukraine trotz des Krieges geklettert wird. Was hat sich seitdem verändert?

Nicht viel. Oft sind die Bedingungen sogar noch schwieriger geworden. In Dnipro wird ohne Licht und ohne Heizung geklettert – weil es keinen Strom gibt. Andernorts wird der kommende Winter wahrscheinlich noch härter als der letzte, weil Russland so viel von der ukrainischen Infrastruktur für die Energieversorgung zerstört hat. Ganz schlimm ist es in Charkiw – da gibt es besonders viele russische Raketen- und Artillerieangriffe.

Dort ist auch der Klettergym von Oleksandr Zakolodniy, der – wie seine Familie, die sich in den Westen des Landes geflüchtet hatte – im Film vorkommt: Zwischen Einsätzen an der Front trainierte er Kinder in seinem Klettergym Vertykal. Ein paar Monate nach den Filmaufnahmen ist Oleksandr an der Front bei Soledar gefallen, zusammen mit seinem Kletterpartner.

Oleksandr war eine Legende. Als Alpinist, aber auch als jemand, der wirklich viel für das Klettern in der Ukraine getan hat, besonders für die Kinder. Wir haben uns 2013 kennengelernt, weil damals in Charkiw eine Speedwall entstanden ist. Und ich dort Trainings gegeben habe. Bei Wettkämpfen durfte ich bei ihm wohnen, weil ich damals kein Geld für ein Hotel hatte.

Warum ist es wichtig, dass Kinder mitten im Krieg klettern oder bouldern?

Weil sie beim Klettern oder Bouldern wenigstens für ein, zwei Stunden den Krieg vergessen. Weil sie sich in einem Boulder so auf ihre Bewegungen konzentrieren, dass sie dabei sogar die Angst vor dem nächsten russischen Raketenangriff vergessen. Weil sie sich bewegen, während sie sonst in Wohnungen oder Kellern ausharren.

Weil es ihnen ein Ziel gibt und wenn es nur das ist, den blauen Boulder beim nächsten Mal zu schaffen. Es gibt Kinder in der Ukraine, die fragen Dich: Wird mich die nächste Rakete töten? Warum beschießen sie uns? Das sind Kinder, die oft gar nicht mehr abschalten oder sich konzentrieren können. Die den Glauben an den nächsten Tag verloren haben. Der nächste Versuch am Boulder kann ihn diesen Glauben zurückgeben – auch wenn es nur für zwei Stunden ist.

Wie kann man der ukrainischen Kletterszene helfen?

Ukrainischer Speedkletterer Danyil Boldyrev
Ukrainischer Speedkletterer Danyil Boldyrev. Foto: Michael McKee

Gerne durch Geld- oder Sachspenden. Zusammen mit Margarita, der Stieftocher von Oleksandr, haben wir kürzlich 6.000 Euro gesammelt. Geld, das wir für die Kletterausrüstung von Kindern verwendet haben, weil viele Eltern nicht mehr das Geld haben, um ihnen Kletterschuhe zu kaufen. Griffe und ein paar Seile haben wir davon auch gekauft. Uns ist aber auch mit gebrauchten Leihschuhen geholfen – von der Kletterhalle in München-Thalkirchen haben wir schon mal welche bekommen.

Wen trainierst Du jetzt in Düsseldorf?

Athleten des ukrainischen Nationalteams. Einige stammen aus Odessa, manche aus Dnepr, zwei aus Mariupol. Manchmal stoßen Ukrainer zu uns, die jetzt in Polen trainieren. Oder in München leben. Ich arbeite Trainingspläne mit ihnen aus, bereite sie auf Wettkämpfe vor, begleite sie beim Trainieren. Oft geht es auch darum, für Wettkämpfe eine Unterkunft zu finden. Da kann ich mit meinem Netzwerk und meinen Freunden helfen – egal, ob es um Innsbruck oder eine Stadt in den USA geht.

Sind das alles Speedclimber?

Meistens. Aber manchmal arbeite ich auch mit Lead- oder Boulder-Experten zusammen. Vor allem, wenn es um die mentale Vorbereitung geht. Mit Schenja Kasbekowa zum Beispiel habe ich schon 2018/19 gearbeitet. Sie war damals mit einigen Lead-Wettkämpfen nicht zufrieden. Deswegen hat sie mich gebeten, ihr bei der mentalen Vorbereitung zu helfen.

Dann hast Du ihr wahrscheinlich gesagt, dass sie sich bei Wettkämpfen wie ein Hai fühlen soll.

Genau das. (Lacht). Und dass sie einen Weg finden muss, jeden Wettkampf als ihren Tag, ihren Wettkampf und ihre Chance zu begreifen. Und alles andere ausblendet.

Wie bist Du auf das Bild vom Hai gekommen, in den Du Dich bei Wettkämpfen hineinversetzt?

Der Hai erinnert mich daran, dass man nicht wie ein Roboter klettern darf. Beim Speedklettern sollte man sich wie beim Schwimmen bewegen: flüssig. Und schnell wie ein Hai im Wasser. Einer, der aggressiv nach oben schwimmt.

Du bist auch Schwimmer?

Ja. Das war sogar der erste Sport, den ich mit vier Jahren gelernt habe.

Wie bist Du zum Klettern gekommen?

Ich habe schon immer viel Sport gemacht. Alles mögliche, von Judo bis Leichtathletik. Meine Mutter war Turn-Trainerin in einem großen Leistungszentrum. Da konnte man so ziemlich alles ausprobieren. Es gab auch eine Kletterwand, allerdings eine sehr bescheidene. Sie war nur acht Meter hoch und die Griffe waren aus Holz und Metall. Lacht.

Klettern war damals bei uns in Donezk nicht sehr verbreitet. Aber mir hat es sehr gefallen. Auch wegen Kletterszenen in Filmen wie Mission Impossible oder Spiderman. Ich dachte damals, dass ich vielleicht so etwas wie der Spiderman der Ukraine werden könnte. Lacht.

Später sind wir dann auf die Krim zum Klettern gefahren. Da habe ich gemerkt, wie das Klettern Menschen aus aller Welt verbindet. Auch später war das für mich das Wichtigste: dass man Menschen aus aller Welt kennenlernt. Das war für mich wichtiger als die Medaillen oder dass man für sein Land antritt. Das Klettern hat es mir erlaubt, die Welt zu entdecken. Damit rechnest Du nicht, wenn Du aus Donezk stammst und Deine Familie nicht besonders viel Geld hat.

„Climbing never die“: Was bedeutet der Titel des Films für Dich persönlich?

Trailer: Climbing never die

Dass der von Putin begonnene Krieg wahnsinnig viel zerstört hat. Und zerstört. Auch viel von dem, was Leute wie Oleksandr und ich vor dem Krieg für die ukrainische Kletterszene aufgebaut haben. Mit sehr viel Geduld und Einsatz. Aber dass trotz Krieg und Putin in der Ukraine weiter geklettert wird. Dass unsere Liebe zum Klettern so groß ist, dass wir selbst unter widrigsten Bedingungen trainieren.

Wer helfen will: Margarita und Ksenia Zakharova haben eine Spendenseite für die im Film „Climbers never die“ gezeigte Kletterhalle in der Ukraine ins Leben gerufen, hier: 
www.gofundme.com/f/helping-ukrainian-climbing-gym-in-kharkov

Zuletzt ist Mitte Oktober Maxim Petrenko – bis dato der international erfolgreichste Kletterer der Ukraine – in Torezk bei einem russischen Mörserangriff ums Leben gekommen. Kanntest du auch ihn?

Wir waren Freunde. Als ich anfing, schwerere Routen am Fels zu klettern, gab mir Maks wie ihn alle nannten Technik- und Trainings-Tipps. Er war einer der offensten Kletterer, einer, der immer bereit war, Klettergeheimnisse zu teilen – was für andere manchmal ein Problem war. Als Mensch war Maks sehr ruhig. Jemand, der immer ein Lächeln im Gesicht trug.

Wollte er kämpfen – so wie Oleksandr Zakolodny?

Nein. Und meiner Meinung nach hätte der Verband einen so talentierten Kletterer, herausragenden Athleten, Routenbauer und Trainer vor dem Einsatz an der Front schützen müssen. Maksym kam einmal auf mich zu mit der Bitte, einflussreiche Personen im Sport zu kontaktieren, um ihm bei der Teilnahme an internationalen Wettbewerben zu helfen.

Ich habe mit diesen Personen gesprochen und sie haben mir klar gesagt, dass er willkommen wäre, wenn er vom Kletter-Verband als Trainer gelistet und autorisiert würde, mit dem Team in Trainingslager zu reisen. Soweit ich weiß, hatte Maks einmal sogar eine Einladung vom Internationalen Verband als Routenbauer.

Ich glaube, dass das auch im Sinne unser Soldaten an der Front gewesen wäre. Die meisten unterstützen den Sport. Sie wollen, dass unsere Trainer die jüngere Generation trainieren, damit es mit dem Sport in der Ukraine auch im Krieg weitergeht.

Warum hat das im Fall von Maks nicht geklappt?

Wir Kletterer oder jemand wie ich können natürlich nicht bestimmen, wer an die Front gehen soll und wer im Hinterland nützlich sein kann. Und schuld an seinem Tod ist – keine Frage – niemand anders als die russische Armee. Aber ich bin überzeugt, dass Maks als Trainer oder Routenbauer und Mitglied der Föderation viel mehr hätte beitragen können, als an der Front zu sein.

Die ukrainische Föderation hätte klar machen müssen, dass Maks vom Team und von der Kletterszene der Ukraine gebraucht wird. So hätte er vor einem Einsatz an der Front bewahrt werden können. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob Maks so etwas mit ihnen ausgehandelt hat oder nicht. Ich weiß nur, dass Verbände die Menschen, die am meisten zu ihrer Entwicklung beigetragen haben, manchmal nicht so wertschätzen wie sie das verdient haben.

Wenn man die Leute vom Verband fragen würde, sagen sie vermutlich: Wir haben es versucht, aber der Staat hat uns keine Genehmigung für Maks erteilt. Kann gut sein, dass der Kletterverband einfach nicht stark genug war, um so etwas für Maks durchzusetzen. Wie auch immer. Maks, 1 Meter 70 groß und 50 Kilo schwer, wurde in den Krieg geschickt, obwohl er nicht kämpfen wollte.

Maks hätte niemals von Angesicht zu Angesicht auf jemanden geschossen, nicht einmal auf einen Soldaten und Mörder der russischen Besatzungsmacht. Er war durch und durch Pazifist. Und er war einzigartig. Er hätte für das Klettern in der Ukraine noch so viel bewirken können.

Interview mit Danyil Boldyrev
Interview mit Danyil Boldyrev. Foto: Michael McKee

Was sind Deine Hoffnungen und Sorgen für die Zukunft?

Als Sportler mag ich eigentlich keine Ängste und Sorgen. Wenn Du als Sportler vor etwas Angst hast, tritt es manchmal nur deswegen ein. Aber es wäre natürlich seltsam, wenn ich in der Situation, in der sich mein Land befindet, keine Sorgen und Ängste hätte. Mir ist klar, dass es Putin nicht um dieses oder jenes Territorium geht.

Es geht ihm um die Vernichtung der Ukraine. Das ist meine größte Sorge. Zugleich verbinde ich damit die Hoffnung, dass es Putin nie gelingen wird, die Ukraine zu vernichten. So wie es ihm auch nicht gelungen ist, die Ukraine in ein paar Tagen zu besiegen. Keine Frage: es wird schwer für die Ukraine. Ich hoffe auf nächstes Jahr. Und dass wir eines Tages wieder normal und glücklich leben können. Auch wenn es manchmal schwerfällt, daran zu glauben. Wir werden das erleben. Und uns daran erinnern, dass wir daran geglaubt haben.

Ama Dablam: „Chegi“

Die ukrainischen Piolet d’Or-Preisträger Mykyta Balabanow und Mychajlo Fomin haben ihre neue Route an der Ama Dablam nach einem befreundeten Kletterer „Chegi“ genannt: „Er war einer meiner besten Freunde und auch mein Mentor, der mir alles beigebracht hat, was ich über das Bergsteigen weiß, und mit dem ich über 100 Routen auf so vielen Bergen bestiegen habe“, sagte Balabanow. Am Tag ihres Gipfelerfolgs (1. November) hatten die beiden vom Tod ihres Freundes an der Front erfahren. Mehr dazu hier auf Exploreresweb.