Hunde in Bergnot: Gibt es einen Anspruch auf Tierrettung?
Über 10 Millionen Hunde leben in Deutschland, in über 21 Prozent der deutschen Haushalte. Im Jahr 2021 gab es in Österreich insgesamt rund 837.000 Hunde, in der Schweiz 544.000 Hunde als Haustier (im Jahr 2022) , in Südtirol mehr als 42.000 (Stand 2021). Tendenz jeweils steigend. Medien lieben Hunderettungen, Updates eingeschlossen; gerettete Tiere sind nahezu immer Nachrichten wert, und nicht nur lokal: „Hund Hardy nach einer Woche wieder aufgetaucht“ – eine deutschlandweite Schlagzeile! Die Bergwacht suchte mit Drohne und Wärmebildkamera. Aber es gab und gibt kritische Stimmen.
Hunderettungen und Hundesuchen polarisieren. Die einen erheben primär Vorwürfe gegen die wandernden Hundebesitzer, andere betonen überdeutlich den Stellenwert der Bergrettung als Menschenrettung und wieder andere setzen die Not von Tier und Mensch absolut gleich. Wichtig ist, sachlich zu bleiben: Ein Tier ist kein Mensch. Aber es ist ein Mitgeschöpf, und niemand soll und darf, wie schon das Gesetz formuliert, einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen, weder durch aktives Tun noch durch Unterlassen.
Und die Erfahrung vieler Bergretter lehrt: Hunderettung ist fast immer mit einem menschlichen Schicksal verknüpft, und der Hundenotfall entwickelt sich schnell zu einem menschlichen Notfall, da kein Hundebesitzer ohne seinen Liebling vom Berg absteigen, ihn in einer Notlage zurücklassen und bei Rettungsversuchen mitunter selbst in Gefahr geraten wird.
Seit 2022 bietet der Österreichische Alpenverein eine spezielle Hundebergeversicherung für 12€/Jahr. Alle Details dazu hier.
Ristfeuchthorn 2018 – viereinhalbstündige Hunderettung.
Ein Ehepaar aus Brandenburg steigt mit Gebirgsschweißhund Zorro Richtung Ristfeuchthorn auf, als der Rüde gegen 12.00 Uhr in rund 1.100 Metern Höhe plötzlich aus seinem Leder-Halsband schlüpft und bergab durch steiles, felsdurchsetztes Wiesengelände und eine Felsrinne einer Gamsen-Fährte folgt. Der Mann versucht über eine Rinne den Hund zu erreichen und verletzt sich leicht. In seiner hilflosen Lage setzt das Ehepaar gegen 14.20 Uhr den Notruf 112 ab.
Zwei Fußmannschaften der Bergretter queren jeweils in rund 920 und 1.050 Metern Höhe über steile Grashänge und durch Rinnen zu Felswänden, wo sie Zorro bellen und winseln hören. Die genaue Ortung des Hundes ist bedingt durch die steilen, gestuften und auf den Bändern dicht bewachsenen Felswände aufwändig. Ein Retter seilt in 1.050 Metern Höhe rund 50 Meter tief durch die Rinne auf das Grasband oberhalb der Felswand ab und sichert das Tier notdürftig mit einer Bandschlinge. Ein zweiter Retter seilt sich ab. Die beiden Einsatzkräfte bergen das Tier seilgesichert durch steile, felsdurchsetzte Grasleiten. Gegen 18.45 Uhr können die überglücklichen Urlauber Zorro“ wieder in Empfang nehmen.
Hochstaufen 2019 – Hund und Besitzerin mit Heli ausgeflogen.
Gegen 14.55 Uhr ging ein Notruf wegen eines rund 40 Kilo schweren Retrievers mit Lähmungserscheinungen in rund 1.300 Metern Höhe am Goldtropfsteig auf der Südseite des Hochstaufen ein. Zwei 21-jährige Frauen brachen den weiteren Aufstieg ab und versuchten den Hund zunächst noch selbst talwärts zu bringen, wobei die Besitzerin nach über zwei Stunden und etwa 100 Höhenmetern körperlich und psychisch völlig am Ende war.
Gegen 17.15 Uhr ließ der von der Bergrettung nachgeforderte Traunsteiner Rettungshubschrauber „Christoph 14“ seinen Notarzt und einen Reichenhaller Bergwacht-Hundeführer im Schwebeflug auf einem Felskopf in 1.250 Metern Höhe aussteigen. Die Einsatzkräfte kümmerten sich um die 21-jährige Patientin und flogen sie, ihre Begleiterin und den Hund in zwei Anflügen ins Tal.
Lattengebirge 2021 – Personenrettung nach eigenmächtiger Hundesuche.
Am Freitagabend gegen 17 Uhr musste die Reichenhaller Bergwacht eine 32-jährige Münchnerin retten, der beim Wandern im Lattengebirge am Toni-Michl-Steig zunächst ihr Hund abgestürzt war. Noch bevor die Bergwacht deswegen ausrücken konnte, meldete sich die Frau erneut, dass der Hund mittlerweile von selbst wieder zu ihrer auf dem Weg warteten Begleiterin zurückgekommen sei; gegen 18.30 Uhr folgte dann der zweite Notruf, da sich die 32-Jährige bei der Suche nach dem Hund im Steilgelände verstiegen hatte und in der Dunkelheit den Weg nicht mehr finden konnte. Fünf Bergretter rückten aus und retteten die verstiegene Hundebesitzerin aufwändig.
Untersberg 2021 – Abgestürzter Hund am Drachenloch, grenzüberschreitende Rettung.
Gegen 15.20 Uhr ging der Notruf ein. In rund 1.200 Metern Höhe ließen zwei Wanderer ihren Hund kurz von der Leine, der aber dann im Gelände verschwand. Die Urlauber stiegen dann wegen der Dämmerung ins Tal ab, setzten am nächsten Tag zunächst selbst die Suche fort, alarmierten die Bergwacht, da sie das Tier im steilen Absturzgelände zwar bellen hörten, aber selbst nicht erreichen konnten. Die Bergwacht Marktschellenberg und die Bergrettung Grödig konnten den Hund im Grenzgebiet orten, aber wegen der einsetzenden Dunkelheit nicht retten.
Der Einsatz eines Hundeführers und eines Polizeihubschraubers musste wegen der Dunkelheit abgebrochen werden. Am darauffolgenden Tag stiegen dann Retter aus Marktschellenberg und Grödig mit den Besitzern auf, zogen das Tier rund 130 Meter aus einem Absturzgelände mit dem Seil nach oben und trugen den Hund ins Tal, wo er operiert werden musste.
Jettenberger Forst 2022 – Wärmebilddrohne sucht nach Hund Hardy.
Hund Hardy bewegte die Nation. Das Team des Technikbusses der Bergwacht-Region Chiemgau und ein Einsatzleiter suchten mit einer hochleistungsfähigen Wärmebild-Drohne die Aschauer Klamm und das umliegende Steilgelände ab, erfolglos. Er blieb vermisst, ließ sich erst nach Tagen wieder blicken. Die „Bild Zeitung“ beruhigte Deutschland zeitnah: Hund Hardy ist wieder aufgetaucht, die Hundegeschichte hat ein gutes Ende.
Diese Fälle aus jüngerer Zeit sind nur beispielhaft und nur aus dem Berchtesgadener Land. Beinahe alle Ansätze in der Ethik stimmen darin überein, dass der Mensch und damit auch die Bergretter moralische Verpflichtungen gegenüber (empfindungsfähigen) Tieren haben. Tieren zu helfen, gehört sich. Diese Ethik in der professionellen Bergrettung umzusetzen, ist aber durchaus komplex:
Rettung erfordert die Notlage des Tieres
Gemeinsam und im Ergebnis notwendig ist den organisierten Tierrettungs-Szenarien eines, nämlich die Notlage des Tieres, also eine Situation, in der eine drohende Gefährdung für ein Tier besteht. Als begriffliche Konkretisierung einer Notlage ist die Generalnorm des Tierschutzgesetzes (TierSchG) gut verwertbar: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“, aktiv oder passiv.
Der Begriff des Leidens umfasst u. a. Empfindungen wie Panik, starke Aufregung oder starke Erschöpfung, negativen Stress über längere Dauer, Hunger, Durst oder Hitzequalen. Einschlägige Fälle sind aus der Presse bekannt, in denen die Polizei oder Feuerwehr Hunde aus überhitzten Autos rettet. Besonders im Gebirge lässt – für Hundewanderer wichtig – zusätzlich eine bußgeldbewehrte Spezialnorm, nämlich § 3 Nr. 1 TierSchG, aufhorchen: Danach ist es verboten, einem Tier, außer in Notfällen, Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustandes offensichtlich nicht gewachsen ist oder die offensichtlich seine Kräfte übersteigen.
Die Indikation eines Bergrettungseinsatzes ergibt sich mithin aus der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Notlage von Tieren, nicht aber daraus, dass ein Tier entlaufen und (nur) einzufangen ist. Begrifflich und damit auch journalistisch spreche ich von Tierrettungen und nicht von Tierbergungen.
Der wohl überkommene Begriff der Tierbergung geht darauf zurück, dass Tiere ehemals Sachen im rechtlichen Sinne waren. Im Jahre 1990 folgte aber bereits die begriffliche Wende im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB): Tiere sind keine Sachen. Der Tierschutz selbst fand in der Folge im Jahr 2002 als Staatszielbestimmung sogar Aufnahme in das Grundgesetz.
Zuständigkeiten für die Hunderettung
Zunächst besteht eine sogenannte „Jedermann“-Zuständigkeit gemäß der genannten gesetzlichen Vorgabe, dass niemand „einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“ darf. Wer dies nicht beherzigt, aktiv oder auch durch Unterlassen, kann sich strafbar machen oder wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt werden, §§ 17, 18 Tierschutzgesetz (TierSchG). Auch kann sich jedermann – allerdings sehr strittig – wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB strafbar machen, wenn ein Tier in Lebensgefahr schwebt bez. dem Tier vermeidbare Schmerzen oder Leiden drohen, und er nicht hilft.
Aber: Die Hilfe für ein Tier in Notlage muss zumutbar sein. Unzumutbar ist die Tierrettung bei erheblicher Eigengefährdung, so z. B. im absturzgefährlichen Gelände. Diese Prämisse gilt auch für den Eigentümer oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt von Hunden, der explizit und besonders die Pflicht hat, Leiden von Tieren zu verhindern und entstehende Gefahren für das Tier oder andere Personen oder Sachen selbst zu beseitigen.
Jedenfalls bei erheblicher Eigengefährdung ist aber auch für Eigentümer oder Besitzer die Rettung des Tieres aus einer alpinen Notlage weder anzuraten noch zumutbar. Schafft nun der Eigentümer oder Besitzer keine Abhilfe und ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einem (weiteren) Leiden, einer Verletzung oder dem Tod des Tieres zu rechnen, so wird – außerhalb von Gefahrenlagen im Gebirge oder im unwegsamen Gelände – eine Zuständigkeit der Feuerwehr begründet.
Denn Feuerwehren leisten neben der Brandbekämpfung auch technische Hilfe bei Unglücksfällen oder Notständen im öffentlichen Interesse. Hierzu zählen Maßnahmen gegenüber Tieren, die entweder selbst eine Gefahr darstellen oder sich in hilfloser Lage befinden. Die Einsatzkräfte werden entsprechend geschult. Das öffentliche Interesse an der Hilfeleistung besteht aber nur, wenn die sofortige Hilfe zur Gefahrenabwehr notwendig ist. Wie dargelegt, darf „niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“.
Da dieses Gebot bußgeldbewehrt ist, § 18 Abs. 1 Nr. 1 TierSchG, eröffnet sich ein Tatbestand der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der zu einem Einschreiten der zuständigen Behörden oder auch der Polizei zwingen kann. Freilich ist die polizeiliche Hilfeleistung subsidiär, und zwar gegenüber der Feuerwehr und den allgemeinen Sicherheitsbehörden sowie letztlich gegenüber der Bergwacht oder der Wasserwacht.
„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“
§ 1 Satz 2 TierSchG
Im Gebirge und im unwegsamen Gelände stößt die Feuerwehr an die Grenzen ihrer Einsatzfähgkeit. Und die Polizei wird regelmäßig zu Recht auf ihre subsidiäre Zuständigkeit verweisen. Ist ein Hund in diesem Gelände in einer Notlage, ist daher die Bergrettung gefordert, sofern eine Hilfe für Eigentümer oder tatsächlichen Begleiter nicht zumutbar oder möglich ist, aus welchen Gründen auch immer. Es fragt sich unter welchen Voraussetzungen?
Fallgestaltungen
1. „Isolierte“ Rettung eines Tieres in Notlage
Rettungsgesetzlich ist die Bergwacht in Bayern explizit (nur) für die Personenrettung zuständig, so Art. 2 Abs. 12 Bayerisches Rettungsdienstgesetz (BayRDG). Die reine Tierrettung ist, man kann es drehen und wenden, wie man will, begrifflich und isoliert betrachtet keine Personenrettung. Eine rechtliche Analogie „Person ist gleich Tier“ verbietet sich. Die „isolierte“ Tierrettung findet mithin keine Anspruchsgrundlage im Rettungsdienstgesetz, es gelten nicht die dortigen klaren Vorgaben.
„Isolierte“ Tierrettungen sind aber als Aufgabe nach dem satzungseigenen Ordnungsrecht der Bergwacht Bayern gut begründbar. Da die Bergwachtbereitschaften mit den jeweiligen Zweckverbänden für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (öffentlich-rechtliche) Verträge über die Durchführung der Berg- und Höhlenrettung abschließen, wird die Tierrettung insofern auch vertragliche Aufgabe der Bergrettung, allerdings, was wichtig ist, nur „nach ihren personellen und strukturellen Möglichkeiten“.
Tiernotfall-Rettung im alpinen und unwegsamen Gelände ist also im Aufgabenspektrum der Bergwacht vertraglich und satzungsgemäß verankert. Auch die Alarmierungsbekanntmachung Bayern verwendet unter dem Stichwort RD Bergrettung und nachfolgend unter dem Schlagwort „fachliche Unterstützung für Andere“ explizit den Begriff „Rettung von Tieren“. Entsprechende Tierrettungen sind in der Bergrettung ständige Praxis und werden in Bayern gebührenbegrifflich unter „Sondereinsätze“ abgerechnet, mit Tarifen je nach Aufwand bis zu aktuell € 1.125,- (ohne Hubschrauberkosten!).
2. Der „tierische“ Notfall entwickelt sich zu einem menschlichen Rettungsfall
Tierrettungen können aber, so lehrt die Einsatzleiter-Erfahrung, gleichzeitig oder sogar vorrangig Personenrettungen sein. Tiere und insbesondere Hunde sind Familienmitglieder mit „Kinderstatus“. Hundebesitzer versuchen verständlicherweise, ihre entlaufenen Tiere zu finden oder/und aus misslicher Lage zu retten, und begeben sich zur Rettung ihrer Lieblinge oftmals selbst in (große) Gefahr, da sie brauchbare Pfade verlassen, auch Wildwechseln folgen, und sich in absturzgefährliches Gelände wagen.
Darüber hinaus sind Herrchen und Frauchen bisweilen wegen der tatsächlichen oder auch vermeintlichen Tiernotlage in einer psychischen Ausnahmesituation mit eingeschränktem aktuellen Urteils- und damit Handlungsvermögen, mithin „hilflos“. Damit eröffnet sich die rechtliche Schnittstelle zum Rettungsdienstgesetz (Personenrettung): „Berg- und Höhlenrettung ist nämlich gesetzlich definiert als Rettung nicht nur verletzter, erkrankter, sondern auch hilfloser Personen aus Gefahrenlagen im Gebirge und im unwegsamen Gelände.
Wichtig: Nach Alarmierung ist oftmals zu beobachten, dass Hundebesitzer ihren zunächst sicheren Standort verlassen und vor Eintreffen der Rettungskräfte bereits eigenständig suchen oder retten wollen und dabei erhebliche eigene alpine Risiken eingehen. Dies gilt es vorrangig zu verhindern. Die Tierrettung findet allerdings regelmäßig dann als Rettung einer hilflosen Person keine Grundlage im Rettungsdienstgesetz, wenn entsprechende Hilfeersuchen aus geschützter Position der alarmierenden Person erfolgen (z. B. vom Tal oder von einer Hütte aus) oder die hilflose Lage der Begleiter nicht ernsthaft droht, weil diese an dem sicheren Ort verbleiben.
3. Der streunende Hund – Jagdschutz
Streunende Hunde begründen ohne Notlage zunächst kein vertragliches oder gesetzliches Bergrettungsszenario, auch wenn privat oder über Notruf „Suchbitten“ eingehen. Eine besondere Dynamik und bisweilen Dramatik des Geschehens für Tier und Mensch entsteht in diesen Fällen, wenn der Hund eine Tierfährte aufgenommen hat oder bereits einem Wild nachstellt und sich somit die Gefahr beziehungsweise Sachlage eines wildernden Hundes entwickelt.
Denn Berge und Bergwälder sind regelmäßig Jagdbezirke bez. Jagdreviere, und hier erlauben die Jagdgesetze unter bestimmten Voraussetzungen, einen im Jagdrevier wildernden Hund unschädlich zu machen und zu töten. So formuliert Art. 42 Abs. 1 Nr. 2 BayJagdG: Die zur Ausübung des Jagdschutzes berechtigten Personen sind befugt, wildernde Hunde und Katzen zu töten. Hunde gelten als wildernd, wenn sie im Jagdrevier erkennbar dem Wild nachstellen und dieses gefährden können. Der Jagdschutz ist tierschutzrechtlich im Grundsatz ein erlaubter („vernünftiger“) Grund der Hundetötung.
Die Tötungsbefugnis verlangt aber, dass der Hund eine reale Gefahr für das Wild darstellt und ein schonenderes Mittel nicht zur Verfügung steht. Für den Bergretter besteht grundsätzlich auch unter diesen Bedingungen keine Pflicht zur Rettung des Hundes aus der Gefahrenlage und auch keine Pflicht, einen Hund, der einer Tierfährte gefolgt ist, zu suchen und einzufangen. Hier käme es überdies sogar zu einem Zielkonflikt der Bergrettung mit dem Jagdschutz.
Völlig entkräftete oder verunglückte Hunde durchstreifen aber regelmäßig nicht mehr „fangbereit“ den Jagdbezirk und entwickeln (indiziell) keinen Jagdtrieb (mehr). Ist der Hund insofern erkennbar in einer Notlage und ist keine Gefahr des Wilderns zu besorgen, löst sich dieser Zielkonflikt auf und es ist an eine isolierte Tierrettung wegen der Notlage des Hundes zu denken. Es empfiehlt sich grundsätzlich für den Einsatzleiter Bergrettung bei entsprechender Sachlage, sich (gegebenenfalls über die zuständige Polizeidienststelle) mit dem für das einschlägige Revier zuständigen Jagdausübungsberechtigten in Verbindung zu setzen und das Weitere abzusprechen.
Einsatzgrundsätze kompakt zusammengefasst
- Allen Pflichten zur Hilfeleistung ist gemeinsam, dass sich der Hund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in einer Notlage befinden muss. Das bloße Einfangen eines streunenden Tieres gehört ohne Hinzutreten weiterer Umstände weder zu den Aufgaben der Feuerwehr und der Sicherheitsbehörden noch zu den Aufgaben der Bergrettung. So ist es nicht notwendig, Katzen von Bäumen zu bergen, weder zur Gefahrenabwehr noch zur medizinischen Tierrettung, sofern die Katze nicht tagelang auf dem Baum verbringt und dabei leidet. Auch das bloße Suchen eines abgängigen Hundes ohne hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Notlage begründet keine Einsatzverpflichtung. In entsprechenden Fällen wird es meist schon an einer Alarmierung über die Integrierte Leitstelle (Notruf 112) fehlen.
- Bei Bitten aus dem privaten (inoffiziellen) Bereich empfiehlt sich schon aus Versicherungsgründen, die Leitstelle zu informieren, einen Einsatz anzumelden und den Einsatz mit der erforderlichen und hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Gefahren- und Notlage des Tieres zu begründen.
- Tierrettung ist in der Bergrettung gegenüber der Personenrettung nachrangig. Gesetzliche Pflichtaufgabe ist die Personenrettung. §§ 3 Abs. 3 und Abs. 4 der Ordnung der Bergwacht Bayern vom 30. September 2020 stellen klar: Die Bergwacht erfüllt (primär) die gesetzlich zugewiesenen Aufgaben des Rettungsdienstes, also des BayRG (Personenrettung) und des Katastrophenschutzes. Erst „nach ihren personellen und strukturellen Möglichkeiten“ erfüllt sie weitere Aufgaben, darunter fallen die Tierrettungen und Sachbergungen wie auch der Sanitätsdienst. Es ist insofern die Pflicht des Einsatzleiters, vorrangig Kräfte für die Personenrettung vorzuhalten und nicht die verfügbaren Kräfte bei einer möglicherweise sehr aufwändigen „isolierten“ Tierrettung zu binden.
- Das Risikomanagement und die Gefährdungsbeurteilung erfordern bei einer Tierrettung besondere Beachtung. Im Rahmen des Risikomanagements in der Tierrettung gelten andere Grundsätze und Beurteilungsgrundlagen, zumal nicht die Rechtsgüter von Menschen (Einsatzkräften und zu Rettenden) kollidieren, sondern die Rechtsgüter von Mensch und Tier abzuwägen sind. Auch wird dabei zwischen Bergungen hilfloser, tatsächlich erkrankter oder verletzter Tiere und bloßen Suchaktionen (drohenden Notlagen) zu unterscheiden sein.
- Tierrettung setzt Sachkunde voraus. Mit Panikverhalten der Tiere ist zu rechnen, und die Rettung kann mit unvertretbar hohen Risiken verbunden sein. Es sollten immer tiererfahrene Personen und speziell ausgebildete Rettungseinheiten wie beispielsweise Hundeführer oder Hundestaffeln federführend mit eingesetzt werden. Bei der Risikobewertung für den Retter ist neben der eigenen Absturzgefahr zu berücksichtigen, dass Hunde beißen können, ihr Revier verteidigen, auch ihren vermeintlich nahen Besitzer verteidigen. Überdies sind allgemeine Verhaltensweisen zu beachten. Auch gilt es, Zugriff zumindest auf und für schmerzstillende und damit den Abtransport sichernde Medikamente zu haben.
Faustregeln:
- Kein Anspruch auf Tierrettung, wenn das Tier sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in einer Notlage (verletzt, erkrankt, hilflos) befindet.
- Ein Anspruch auf Tierrettung besteht bei gemeldeter Notlage des Tieres nur dann, wenn zum einen die Tierrettung im Rahmen des Risikomanagements und der Gefährdungsbeurteilung verantwortet werden kann und zum anderen ausreichend Retter und Rettungsmittel für Personenrettungen (als gesetzliche Pflichtaufgabe) vorgehalten werden.
- Eine Tierrettung löst dann immer einen Rettungsdiensteinsatz aus, wenn damit zu rechnen ist, dass sich (Begleit-)Personen konkret vorhersehbar oder tatsächlich gesundheitlich erheblich gefährden oder hilflos sind beziehungsweise hilflos werden.
Literatur
- U. a. Locher/Rettstatt, Wandern mit Hund Bayerische Alpen, 2021; Obele, Wandern mit Hund, Rother Wanderbuch, 2021; Reimer/Baur Die schönsten Wanderungen mit Hunden: Oberbayern, 2021; Knobling, Wandern mit Hund Allgäu, Rother, 2023; Hlatky/Eggenberger, Wandern mit Hund in Oberösterreich, 2016; Ali, Wandern mit dem Hund, 2009: Rößner, Wandern mit Hund Südtirol, 2018. Marmsaler, Zonter, Schwärzer, Mit Hunden unterwegs in Südtirol, 2019. Wandern mit Hund Erlebnis Schweiz, Kümmerly +Frey, 2023.
- www.br.de/mediathek/video/auf-gesicherten-pfoten-mit-dem-hund-in-dieberge- av:5f4ab52463457f001438ada0
- Bergwandern-Mit-Hund.de ; doggy-fitness.de/warm-up/ ; www.bergwelten.com/lp/4-pfoten-am-berg-wandern-mit-hund
- Vgl. www.mein-wanderbuch.de/vierbeiner-in-bergnot-rettung-bergwacht/
- www.zzf.de/marktdaten/heimtiere-in-deutschland.
- de.statista.com/statistik/daten/studie/1098254/umfrage/hunde-in-oesterreich/
- de.statista.com/statistik/daten/studie/283734/umfrage/hunde-in-der-schweiz/
- www.tageszeitung.it/2018/11/11/auf-den-hund-gekommen-2/www.news.provinz. bz.it/de/news/landesregierung-dna-datenbank-fur-hunde-ab-1-janner-2022
- www.bild.de/regional/muenchen/muenchen-aktuell/in-alpen-ausgerissenhund-hardy-nach-einer-woche-wieder-aufgetaucht-80904374.bild.html
- § 1 Satz 2 TierSchG.
- BRK BGL 14.07.18
- www.salzburg24.at/news/salzburg/grenznah/hochstaufen-gelaehmter-hundin-bergnot-gerettet-70903369
- BRK BGL 12.03.21
- BRK BGL 03.10.21
- BRK BGL 02.08.22
- www.uni-muenster.de/imperia/md/content/wwu/wwu_leitbild_tierversuche.pdf
- Vgl. alte Fassung VollzBekBayFwG zu Art. 4 BayFwG, 4.2.2. (gültig bis 30.06.2013)
- § 1 Satz 2 TierSchG.
- Erbs/Kohlhaas/Metzger, Strafrechtliche Nebengesetze, 243. EL August 2022, TierSchG § 1 Rn 22.
- www.deine-tierwelt.de/magazin/herrchen-hatte-termine-polizei-befreit-hundaus- ueberhitztem-auto. Dazu OLG Nürnberg BeckRS 2019, 30089 – kein Anspruch des Tierhalters für Rettungsschäden am Auto.
- Überforderung setzt ein Missverhältnis zwischen dem Zustand oder den Kräften des Tieres und der geforderten Leistung voraus, Erbs/Kohlhaas/Metzger, Strafrechtliche Nebengesetze, 243. EL August 2022, TierSchG § 3 Rn 3-6. Insofern ist die Tourenplanung mit Hund entsprechend zu gestalten, und bei bereits erkennbarer Überforderung des Tieres sollte man umkehren.
- Sofern keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht!
- § 90a BGB: 1Tiere sind keine Sachen. 2Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. 3Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.
- Art. 20a GG Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
- Auf den Wert des Tieres und darauf, ob es in jemandes Eigentum steht oder herrenlos ist, kommt es dabei nicht an. Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Auflage 2016, Einführung Rn 141. Zur Frage, ob der Begriff des Unglücksfalls iSd § 323c StGB auch den Tiernotfall umfasst, bejahend Erbs/Kohlhaas/Metzger 243. EL August 2022, TierSchG § 17 Rn 40/41 mwN. Tierschutz, mithin das Tierwohl, gilt unter bestimmten Voraussetzungen als notstandsfähiges Rechtsgut im Sinne des § 34 StGB, OLG Naumburg, NJW 2018, 2064.
- § 903 S. 2 BGB. Vgl. Brückner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2023, § 903 Rn 66. Vgl. § 18 Abs. 1 S. 1 BPolG. Huzel in Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Auflage 2018, unter Tiere.
- Vgl. OLG Nürnberg becklink 2014073- beck-online; BeckRS 2019, 30089-beckonline (Hunderettung bei 35 Grad aus Wohnmobil).
- Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 BayFwG.
- So explizit alte Fassung VollzBekBayFwG zu Art. 4 BayFwG, 4.2.2., aktuell in VollzBekBayFwG vom 28.09.2020 zu Art 4, 4.2 nicht mehr ausgeführt: 1Die Feuerwehren haben technische Hilfe bei Unglücksfällen oder Notständen zu leisten. 2Unglücksfall ist jedes unvermittelt eintretende Ereignis, das einen nicht nur unbedeutenden Schaden verursacht oder erhebliche Gefahren für Menschen oder Sachen bedeutet. Aber in Art 28 Abs. 2 Nr. 2 BayFwG (Ersatz von Kosten) wird ausdrücklich der Begriff „Retten oder Bergen von Menschen oder Tieren“ erwähnt.
- Vgl. Art 2 PAG. Zum vernünftigen Grund vgl. Erbs/Kohlhaas/Metzger, 243, EL August 2022, TierSchG, § 1 Rn 33 ff; BayObLG NJW 1993, 2760. Vernünftig ist dabei ein Grund, wenn er als triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen anzuerkennen ist und unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse des Tieres an seiner Unversehrtheit uns an seinem Wohlbefinden. Letztlich geht es darum, was billigenswert und sozial akzeptiert ist und dem Interesse der billig und gerecht Denkenden entspricht. Vgl. auch die polizeiliche Befugnis gem. Art. 8 PAG, VollzBek 8.2 zu Art. 8 PAG, wonach die Polizei auch gegen den Zustandsverantwortlichen einschreiten kann, wenn von einem Tier eine Gefahr ausgeht.
- Vgl. Art 3 PAG, hierzu Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer PAG, 6. Auflage 2023, Art. 3 Rn 8. Vgl. auch Art. 6 LStVG. Im Falle der Unaufschiebbarkeit einer Tierbergung durch Feuerwehr oder Bergrettung räumt Art. 5 PAG der Polizei insofern ein Ermessen ein, ob sie selbst und wie sie tätig wird. Ein Anspruch auf polizeiliches Handeln besteht allerdings nur dann, wenn kein Ermessensspielraum besteht, der Beurteilungsspielraum insofern „auf Null“ reduziert“ ist, dazu Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, PAG, aaO, Art. 11 Rn 187 mwN.
- Vgl. BRK BGL 30.07.18 – Berchtesgadener-bergwacht-rettet-diva-aus-absturzgelaende- am-schneibstein.html
- Vgl. FG München BeckRS 2002, 21011725 zu § 3 Nr. 5 KraftStG.
- Ordnung der Bergwacht Bayern im BRK (OBW) vom 30.09.2020, dort § 3 Abs. 4 OBW.
- § 3 Abs. 4 OBW. Zu den gesetzlichen Grundlagen insbesondere der Bergwacht Bayern vgl. Burger, Recht auf Bergrettung? in: bergundsteigen Winter 19/20, S. 40 (43 ff).
- www.gesetze-bayern.de
- Anlage zu Nr. 2.1.4 ABek, Lfd. Nr. RD 46.
- Es empfiehlt sich, mit den Eigentümern (Haltern) vorab Gespräche zu führen und auf die möglichen Gebühren hinzuweisen.
- Art. 2 Abs. 11 BayRDG. Vgl. beispielhaft: www.pnp.de/lokales/berchtesgadener- land/Wanderin-geraet-wegen-Hund-in-Notlage-und-muss-gerettet-werden- 3937420.html
- Art. 42 Abs. 1 Nr. 2 BayJG, § 23 BJagdG.
- Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, § 17 TierSchG, 3. Auflage 2016, Rn 34-36 unter Bezugnahme auf OLG München Urt. v. 15.11.1983, 5 U 2511/83.
- Vgl. aber den Appell Stand 2029 NABU Nordrhein-Westfalen, die Gesetzeslage zu ändern: Wildernde Hunde – NABU NRW
- Erbs/Kohlhaas/Metzger, 243. EL August 2022, BJagdG § 23 Rn 7. Vgl. auch Bay- ObLG BeckRS 1993, 2555. OLG Brandenburg, 11.05.2009, BeckRS 2009, 15960.
- BRK BGL 23.11.19 – bergwacht-rettet-frierendes-und-orientierungsloses-paerchen- vom-hochschlegel-chihuahua-mit-herausgerissenem-auge-vom-jenner.
- Vgl. BRK BGL 09.03.2019: Teddy taucht nach drei Wochen am Ristfeuchthorn abgemagert aber unverletzt wieder auf
- Zu unvertretbar hohen Risiken bei Rettung von Tieren aus Gebäuden im Brandfall vgl. BeckOK BauordnungsR BW/Kukk BWLBO § 15 Rn 32,33).
- Nie direkt dem Tier in die Augen schauen; sich von der Seite nähern, Hund an der Hand schnuppern lassen, und mit fester, bestimmender Stimme nein oder aus rufen.
- Vgl. Burger, Recht auf Bergrettung, in: bergundsteigen Winter 19/20, S. 40 ff.