Höher, schneller, weiter – und jünger?
Die Menschen suchen immer mehr nach Extremen. Die Ziele werden ständig gewagter und was vor kurzer Zeit noch als undenkbar galt, wird heute gemacht und morgen noch übertroffen. Der praktische Sinn und Zweck bleibt dabei oft auf der Strecke – es geht um Selbstverwirklichung und darum, die eigenen Grenzen zu übertreffen. Die Möglichkeiten dafür sind mannigfaltig und bieten sich in vielen Lebensbereichen an. Der Sport ist dabei gesellschaftlich hoch angesehen und dort erbrachte Spitzenleistungen werden gerne akzeptiert, Risiken und Nebenwirkungen gerne in Kauf genommen – von den Akteuren genauso wie von Zuschauern. Berge und ferne, teils unwirtliche Gegenden üben dabei noch einen Zusatzreiz aus, sodass Trekking und Höhenbergsteigen schon das gewisse Extreme für Abenteurer bieten. Um dem eventuell schon etwas Alltäglichen dabei zu begegnen, kommt zu schneller, höher, weiter dann noch jünger dazu.
Welche Schlagzeilen macht es doch immer wieder, wenn Tylor Armstrong mit neun Jahren auf dem Aconcagua steht oder Jordan Romero mit 13 Jahren auf dem Mt. Everest – und damit den 16-jährigen Nepalesen Temba Tsheri als Rekordhalter ablöste, der bei seiner Besteigung in der eisigen Höhe fünf Finger durch Frost verlor. Ist das nun bewunderns- und nachahmenswert oder verwerflich?
Im Spitzensport ist es meist notwendig, schon früh, teilweise im Kindergartenalter, mit spezifischem Training zu beginnen, um im frühen Erwachsenenalter Weltspitze zu sein. Idealerweise werden die Kinder dabei von einem interdisziplinären, professionellen Team begleitet und dennoch kommt es immer wieder zu teilweise spektakulären Ausfällen mit Langzeitfolgen. Die Rechte der Kinder auf ein unversehrtes Aufwachsen werden dabei oft bewusst dem möglichen großen Erfolg untergeordnet. Bei Misserfolg und Versagen kommen dann aber doch Vorwürfe, nicht zuletzt von den jungen Sportlern selbst. Es braucht idealerweise ein Team, welches höchst verantwortungsvoll und weitsichtig mit dem zarten, sehr abhängigen Wesen Kind umgehen kann und immer wieder das Verhältnis von Nutzen zu Risiken abwägt. Im Spitzensport gibt es solche Betreuungsmodelle, aber leider oft auch nicht, und damit auch viele Leidtragende unter den Nachwuchssportlern. Für das Trekking und Höhenbergsteigen kommen zusätzlich zu diesen allgemeinen Überlegungen noch Umweltbesonderheiten dazu, die schon den Erwachsenen große Probleme bereiten und Kindern umso mehr.
Themen, die Beachtung finden müssen, werden im Folgenden kurz behandelt und können als Entscheidungshilfe dienen, wenn es darum geht, Kinder in große Höhen mitzunehmen: verminderter Sauerstoffgehalt, Temperatur, Luftfeuchte, Energie-Flüssigkeitshaushalt, alpinistische Erfahrung, physische und sozial-psychische Belastbarkeit sowie die medizinische Versorgung vor Ort.
Verminderter Sauerstoffgehalt: Die Auswirkungen
Ab einer Höhe von 2500 Meter ist schon mit einem verminderten Sauerstoffpartialdruck zu rechnen. Daraus ergibt sich dann ein verminderter Sauerstoffgehalt im Blut, gemessen als Sauerstoffsättigung, verbunden mit Anpassungsreaktionen des Körpers wie einer Erhöhung der Atem- und Herzfrequenz. Es kann zu Störungen der Regulation kommen, die ursächlich auf eine individuelle Empfindlichkeit zurückzuführen sind, oder aber auch wegen bestehender Vorerkrankungen und ganz besonders wegen falsch gewählter Höhentaktik (Aufstiegsgeschwindigkeit, absolute Höhe, Schlafhöhe). Dazu kommen oft noch erschwerend Kälte, Flüssigkeitsmangel und Erschöpfung.
Alle Höhenerkrankungen treten unabhängig vom Leistungsvermögen, dem Geschlecht und weitgehend vom Alter auf, bestimmend ist allein die Höhe und das Ausmaß der Vorakklimatisation sowie der richtige Umgang damit.
Erste Symptome akuter Höhenkrankheit können schon innerhalb eines halben Tages beginnen, im Sinne verschiedener definierter Erkrankungen:
- Akute Bergkrankheit (AMS),
- Höhenlungenödem (HAPE)
- oder Höhenhirnödem (HACE).
Die Symptome für eine akute Bergkrankheit, AMS, sind mehr oder weniger klar zuzuordnen und dies speziell bei kleinen Kindern. Es geht primär um allgemeine Symptome, die erkennbar sind an geändertem Schlaf-Spiel-Essverhalten. Zusätzliche Symptome wie Kopfschmerzen, Magen-Darmprobleme, Schwindel können in verschiedener Ausprägung auftreten. In eigens für kleine Kinder entwickelten Scores (z. B. Lake Louise Symptom Score) lässt sich dann eine Wahrscheinlichkeit berechnen, nach der von einer AMS ausgegangen werden muss. Ausgefüllt wird der Score von den Bezugspersonen, die am ehesten eine Änderung des Verhaltens beurteilen und so auffällig von normal differenzieren können.
Ab einem Alter von ca. 8 bis 10 Jahren kann man dann annehmen, dass die Kinder ihre Symptome der Umgebung auch gezielt mitteilen können, wenngleich es keine eindeutigen, beweisenden Symptome für AMS gibt und differentialdiagnostisch viel Spielraum bleibt. Die Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung einer AMS bei Kindern ist ähnlich der bei Erwachsenen auf 2500 Meter ca. 15 Prozent, ansteigend bis zu ca. 50 Prozent in sehr großen Höhen. Die Therapie der Wahl ist absteigen, kompromisslos und rasch. Es gibt keinen Vorhersageparameter, ob nun ein Kind AMS bekommt oder nicht. Die beste Strategie es zu vermeiden, liegt in einer angepassten Steigtaktik: oberhalb von 2500 Meter täglich nur 300 Meter Schlafhöhengewinn plus einen Tag Pause alle 1000 Meter. Drüber hinaus muss natürlich auf völlige Gesundheit geachtet werden, speziell im Atemwegsbereich. Es wird empfohlen, mit Kindern unter sechs Jahren keine Höhen über 4000 Meter aufzusuchen bzw. die Schlafhöhe unter 2500 Meter zu halten.
Zum Höhenlungenödem, HAPE, ist anzumerken, dass es hierüber zu Kindern keine wirklichen Daten gibt, da es sehr selten auftritt. Besonders betroffen sind offenbar Kinder, die schon auf großen Höhen leben, ins Tal absteigen und wieder hinaufkommen. Ansonsten sind Kinder ebenso betroffen wie Erwachsene, mit der Besonderheit, dass Kinder eher Atemwegsinfekte bekommen, die das Risiko für ein HAPE deutlich erhöhen und somit dringend ernst genommen werden müssen. Die Symptome eines HAPE sind Husten, Atemnot schon in Ruhe bei höherer Atemfrequenz, eingeschränkte Belastbarkeit und deutlichere Atemgeräusche. Die Therapie der Wahl ist wieder rasches Absteigen, Sauerstoffgabe und möglicherweise auch, lebensrettend notwendig, Medikamente. Die Wirkung dieser ist aufgrund der geringen Fallzahlen nicht durch Studien wissenschaftlich belegt und orientiert sich daher ausschließlich an der Medizin für Erwachsene.
Das Höhenhirnödem, HACE, ist ähnlich dem HAPE selten, weil eben auch nur wenige Kinder in extreme Höhen kommen, z. B. bei Erwachsenen liegt die Wahrscheinlichkeit zur Entwicklung von HAPE oder HACE bei 0,2 bis 2 Prozent, je nach Population und Höhe. Die Symptome sind ähnlich einer AMS plus Verhaltensauffälligkeiten höheren Ausmaßes bis hin zu Halluzinationen, Gangunsicherheit und letztlich Bewusstseinsstörungen. Die Therapie ist ähnlich zu bewerten wie bei einem HAPE, wenngleich weniger effektiv. Hilft rasches Absteigen bei HAPE noch sehr gut, hat es auf den weiteren Verlauf bei HACE weniger Einfluss, sodass die Sterberate bis zu 100 Prozent beträgt.
Insgesamt ist demnach schon bei Touren im Alpenbereich bis 4000 Meter mit dem Auftreten einer Form der Höhenkrankheit zu rechnen und als ernstes Risiko bei der Reiseplanung zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr in der Verantwortung gegenüber Minderjährigen.
Bei Touren, bei denen die Anreise per Flugzeug erfolgt und bei denen der Start auf 4000 bis 5000 Meter die Höhenakklimatisation vor Probleme stellt, erhöht sich das Risiko für eine AMS deutlich. Zumal es keine medizinischen Parameter gibt, die eine Höhenkrankheit vorhersagen können, bleibt immer ein nicht kalkulierbares mit der Höhe ansteigendes Risiko.
Umwelteinflüsse: Probleme für Kinder & Jugendliche?
Mit zunehmender Höhe sinkt die Temperatur um ca. 6 Grad pro 1000 Meter. Kinder haben eine schlechtere Thermoregulation, bedingt durch eine große Körperoberfläche in Relation zur Körpermasse, d. h. sie verlieren mehr Körperwärme als Erwachsene, besonders bei Wind und Nässe. Erwachsene Begleitpersonen sind demnach gefordert, bei oft fehlenden diesbezüglichen verbalen Äußerungen der Kinder, auf eine objektiv gute Wärmeversorgung zu achten (Windschutz, trockene Kleidung, …). Unterkühlung stellt schon für sich ein medizinisches Problem dar und auch ein Zusatzrisiko für die Entstehung einer Höhenkrankheit.
Die Luftfeuchte nimmt ebenfalls mit zunehmender Höhe und damit Abkühlung der Luft absolut ab. Dies führt besonders unter Belastung und vermehrter Atemtätigkeit zu mehr Flüssigkeitsverlust über die Atmung. Kinder haben eine erhöhte Atemfrequenz mit erhöhtem Totraumvolumen, was wiederum mehr Flüssigkeitsverlust über die Atmung bedeutet. Es muss also bei Kindern noch mehr auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden und auf Trinken schon vor Auftreten eines Durstgefühls gedrängt werden.
Mit zunehmender Höhe nimmt die UV-Strahlung zu, die besonders bei der empfindlichen Haut der Kinder zu schweren Schäden akut als Sonnenbrand sowie als Spätfolge im Sinne von Hautkrebs führen kann. Wie bei all den anderen Umweltfaktoren liegt auch hier die Herausforderung beim Erkennen der Gefahr. Der begleitende Erwachsene fungiert als externer Sensor, gefüttert mit altersspezifischer Information, um frühzeitig prophylaktisch gegenzusteuern.
Besonders zu beachten sind auch banale Infekte, die in unseren Breiten harmlos ablaufen bei rasch verfügbarerer Medizin bis hin zu Infusionen oder Operationen. Auf einer Trekkingtour oder beim Höhenbergsteigen in fernen Landen ist diese für uns selbstverständliche Medizin nicht mehr verfügbar – was man haben möchte, muss man selber mitnehmen. Es kann demnach eine einfache Magen-Darminfektion auf einer Expeditionstour echt lebensgefährlich werden und Kinder sind aus vielerlei Gründen gefährdeter, eine Infektionskrankheit zu bekommen. Sie haben aber auch weniger Puffermöglichkeiten als Erwachsene, was eine rasche und gute Therapie noch wichtiger macht. Das Risiko lässt sich durch Mitnahme entsprechender Medikamente und medizinischer Ausrüstung nebst der Kenntnis über die richtige Anwendung und Dosierung bei Kindern minimieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die psychosoziale Belastung bei einer Höhentour. Besonders bei mehrtägigen bis mehrwöchigen Touren kommt auf die Kinderseele viel zu, was verarbeitet werden muss. Viele neue Eindrücke von fernen Ländern, fremde Sitten, Tagesabläufe und Menschen, wie bei einem Urlaub, nur dass man nicht so einfach aussteigen kann – man muss da mit und durch und verarbeitet diesen Stress je nach Grundnaturell verschieden gut. Dazu kommt der Stress, in unwirtlicher Umgebung bei Kälte, Nässe, Wind, etc. Leistung zu erbringen, es den erwachsenen Bezugspersonen recht zu machen und doch seine eigenen Bedürfnisse beachtet zu wissen. Es kann und sollte auch in kleineren Vortouren trainiert werden, und auch die Möglichkeit großzügig offengelassen werden, bei auftauchenden Problemen die große Tour abzusagen bzw. ohne Kind durchzuführen.
Letztlich geht es um die körperlichen Voraussetzungen, um die Erfordernisse einer Höhentour zu meistern. Reicht es eventuell bei einer Trekkingtour, nur gut und ausdauernd gehen zu können, gilt es beim Höhenbergsteigen in den Alpen, im Himalayagebiet etc., sehr gute alpinistische Vorerfahrungen in Fels, Schnee und Eis zu haben. Dies alleine bedingt schon jahrelanges Training in geringen Höhen. Es ist demnach sehr anzuraten, sich im Vorfeld einerseits sportmedizinische Begleitung, andererseits spezifische alpinistische Unterstützung zu suchen.
Seelische Folgeschäden?
Wie in allen anderen Bereichen auch gibt es Talente unter den Kindern und Jugendlichen, die all diese Voraussetzungen erfüllen und somit schon sehr früh Extremleistungen, wie eingangs berichtet, erbringen können. Es gibt Talente in der Musik, die schon im Kindergarten bis Volksschulalter Weltklasseleistungen zeigen. Es gibt im Schwimmsport, im Ballett, beim Turnen, beim Eiskunstlauf etc. Höchstleistungen, die selten Erwachsene erbringen. Alle diese Kinder und Jugendlichen ordnen ihr Leben ihrer Profession unter, unterstützt von mehr oder weniger ehrgeizigen erwachsenen Bezugspersonen. Körperliche und seelische Folgeschäden passieren auch hier und werden in Kauf genommen für den Erfolg. So ist wohl auch der Höhenalpinismus da keine Ausnahme, wenngleich die Risiken objektiv viel größer sind. Nicht nur mögliche Langzeitfolgen, sondern auch akute Todesgefahr sollen immer in die Entscheidung einfließen, ein Kind, einen Jugendlichen in große Höhen zu führen. Möglich ist (fast) alles und Kinder halten auch viel aus, doch der verantwortungsvolle Erwachsene soll sich auch die Frage stellen: müssen Kinder alles aushalten, was sie aushalten?
Aus der Serie: Bergsport und Gesundheit
Diese Serie organisieren und betreuen Dr. Nicole Slupetzky (Vizepräsidentin des ÖAV und Präsidentin des Clubs Arc Alpin) und Prof. Dr. Marc Moritz Berger (Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Essen, Deutschland; Präsidiumsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin). Der Experte für Prävention und Therapie der akuten Höhenkrankheiten und für alpine Notfallmedizin ist Mitinitiator des Symposiums für Alpin- und Höhenmedizin Salzburg, das gemeinsam mit dem Österreichischen Alpenverein organisiert wird.