Erstickt im Zelt: Was ist passiert?
Unbemerkt und unscheinbar kommt es daher und ist gerade deswegen so gefährlich: Kohlenstoffmonoxid (CO), ein farb-, geruch- und geschmackloses Gas. Es entsteht, wenn kohlenstoffhaltige Substanzen bei zu geringer Sauerstoffzufuhr unvollständig verbrennen. Etwa beim Kochen in schlecht belüfteten Zelten oder Schneehöhlen.
März 2020 am Taschachferner im Pitztal. Zwei Männer sterben im Zelt an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Nur wenige Meter entfernt stehen drei weitere Zelte, trotzdem bekommt niemand etwas mit. Fast so unmerklich wie sich das toxische Gas verbreitet, wirkt es auch im Körper.
Kohlenstoffmonoxid (auch Kohlenmonoxid genannt) gelangt über die Lunge ins Blut und bindet dort an das Hämoglobin, den eisenhaltigen Proteinkomplex in den roten Blutkörperchen, die für den Sauerstofftransport zuständig sind. Da die Hämoglobin-Affinität von Kohlenstoffmonoxid zwei- bis dreihundertmal so groß ist wie die von Sauerstoff, nehmen es die roten Blutkörperchen bevorzugt auf. Infolgedessen steht weniger Hämoglobin für den Sauerstofftransport zur Verfügung und es kommt zu Sauerstoffmangel in Organen und Gewebe. Die Opfer ersticken innerlich – oft leise, ohne zu keuchen oder nach Luft zu ringen.
Die beiden Verstorbenen waren Teilnehmer eines Kurses zur Vorbereitung auf das Expeditionsbergsteigen und bereits die dritte Nacht am Taschachferner. Das Programm reichte von Sicherungstechniken am Gletscher über die Frage, was nachts in den Schlafsack kommt, bis zum richtigen Umgang mit dem Gaskocher. „Ich habe den Teilnehmern die Bedienung der Kocher gezeigt und ihnen eingebläut, dass sie nur in der Apsis und nur bei geöffnetem Eingang kochen dürfen“, erzählt Kursleiter und Bergführer Hansjörg Pfaundler. In den ersten beiden Nächten machte er Kontrollgänge. „Weil sich alle gut an die Anweisungen gehalten haben, habe ich am dritten Abend darauf verzichtet und nur über Zurufe aus meinem Zelt mit der Gruppe kommuniziert“, sagt Pfaundler. Alles schien in Ordnung.
Was in der Nacht geschah
In dieser Nacht ist es recht kalt, in einem der anderen Zelte werden -6° C gemessen. Möglicherweise verleitet das die beiden Männer dazu, den Reißverschluss des Zelteingangs entgegen der Anweisung während des Schneeschmelzens geschlossen zu lassen. Zudem schneit es leicht. Als zwei Mitglieder der Gruppe das Unglück am nächsten Morgen bemerken, bedeckt eine dünne Schneeschicht das Zelt, die Reißverschlüsse aller Eingänge sind ganz zugezogen. Beim Öffnen entströmt Gasgeruch. Die Gaskartusche ist leer, das Ventil des Kochers offen.
Schnee, Eis und Kondenswasser versiegeln ein Zeltdach regelrecht und verhindern den Luftaustausch. Beim Kochen in einem solch kleinen abgeschlossenen Raum verbraucht die offene Flamme den begrenzt vorhandenen Sauerstoff und erzeugt Kohlendioxid, das den Sauerstoff verdrängt. Hinzu kommt der Sauerstoffverbrauch durch die Atmung. Das Gas verbrennt zunehmend unvollständig, die Flamme produziert nun auch Kohlenmonoxid – mit der eingangs geschilderten Wirkung. Steht irgendwann nicht mehr genug Sauerstoff zur Verfügung, erlischt die Flamme, das Gas tritt weiter aus, bis die Kartusche leer ist. Studien legen nahe, dass ein schlecht gelüfteter Raum sogar gefährlicher sein kann als ein gar nicht gelüfteter. Da in letzterem die Flamme ohne Sauerstoffnachschub schneller verhungert und nicht immer weiter CO produziert. Eine erloschene Flamme ist – so wie eine gelbe Flamme – demnach auch ein Warnzeichen, dass der Sauerstoffanteil im Zelt zu gering ist.
Zum Zeitpunkt der gerichtsmedizinischen Untersuchungen haben die Toten beide ein Lungenödem und einen COHb-Anteil (mit Kohlenstoffmonoxid gebundenes Hämoglobin) von 48 und 59 Prozent. Das heißt, knapp beziehungsweise über die Hälfte des Hämoglobins war mit Kohlenstoffmonoxid besetzt und stand nicht mehr für den Sauerstofftransport zur Verfügung. Werte im hochtoxischen bis komatösen Bereich. „Das Kohlenmonoxid verdrängt den Sauerstoff und der zunehmende Sauerstoffmangel führt zu Schockveränderungen, zu denen auch das Lungenödem zählt“, erklärt Gerichtsmediziner Professor Walter Rabl von der Medizinischen Universität Innsbruck, der die Leichen obduziert hat. „Der reine Sauerstoffmangel führt im Körper zu Euphorie und Glücksgefühlen. Zu einem Erstickungsgefühl kommt es dabei nicht, weil der Kohlendioxidgehalt im Blut nicht ansteigt, da Kohlendioxid ganz normal abgeatmet werden kann.“
Unmittelbar zu sehen, dass ein kleiner Kocher eine so große Wirkung hat, war ein Donnerschlag.
Bergführer Hansjörg Pfaundler.
Als die Flamme ihres Kochers erlischt, sind die Männer bereits eine Zeit lang bewusstlos oder zumindest eingeschlafen. Darauf deuten verkohlte Essensreste im Topf hin. Neben dem geschlossenen Eingang ein weiterer folgenreicher Fehler. „Durch das Anbrennen der Speisen dürfte der Vergiftungsvorgang durch Kohlenmonoxid beschleunigt worden sein“, heißt es im Polizeibericht. Die unsachgemäße Zubereitung der Expeditionsnahrung – das Essen im Topf über der Flamme köcheln zu lassen, anstatt heißes Wasser in den Beutel zu gießen – hat die Kochzeit wahrscheinlich verlängert und damit die CO-Produktion noch gesteigert. Und: Kleine Flammen (wie für das Köcheln nötig) produzieren mehr Kohlenstoffmonoxid als das Betreiben des Kochers mit maximaler Flamme.
Am nächsten Morgen bleibt es ungewöhnlich lange ruhig im vierten Zelt des kleinen Lagers. Zwei andere Teilnehmer wollen die vermeintlichen Langschläfer wecken, öffnen das Zelt und sehen einen Kameraden in Sitzhaltung zur Seite umgekippt, mit den Füßen noch in der Vertiefung in der Apsis. Der zweite liegt im Innenzelt im Schlafsack. Die Teilnehmer erschrecken, rufen den Bergführer zu Hilfe, gemeinsam ziehen sie einen Körper aus dem Zelt, aber Hansjörg Pfaundler merkt trotz der rosigen Gesichtsfarbe der Leichen gleich, dass alle Hilfe zu spät ist. Er kümmert sich um den Rest der Gruppe, spricht Trost zu und steigt dann zum Mittelbergjoch hinauf, wo es Handyempfang gibt, um die 140 zu verständigen.
„Unmittelbar zu sehen, dass ein kleiner Kocher eine so große Wirkung hat, war ein Donnerschlag“, sagt Bergführer Hansjörg Pfaundler. Aufgrund seiner besonderen Schutzpflicht gegenüber den Kursteilnehmer*innen (Garantenstellung) leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Pfaundler ein, das sie allerdings bald einstellte. Sowohl Kocher als auch Zelt waren hochwertig, fehlerfrei und entsprachen dem Standard und der Bergführer hatte die Handhabung wiederholt erklärt, wie er selbst und die Teilnehmer*innen gegenüber der Polizei bezeugten. Doch der Vorfall beschäftigt Hansjörg Pfaundler nachhaltig. Er fragt sich, wie oft Bergsteiger wohl nur knapp einer Kohlenmonoxidvergiftung entgehen, ohne es zu merken. Wie oft er selbst auf Expeditionen erste Anzeichen einer Vergiftung mit leichter Höhenkrankheit verwechselt hat. „Ich schlafe – und koche – seit 20, 30 Jahren in Zelten, zugegeben nicht immer unter optimalen Bedingungen.“ Wie wohl so viele.
Worauf achten?
„ Kohlenstoffmonoxid imitiert die Symptome der Höhenkrankheit hervorragend, mit unspezifischen, grippeähnlichen Symptomen, die jedem bekannt sind, der schon mal in großer Höhe war: Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwäche und Schwindel“, heißt es dazu in der Literatur . Mit starken Bewusstseins- und Bewegungsstörungen und schließlich Bewusstlosigkeit ähneln die Symptome einer schweren CO-Vergiftung denen eines Höhenhirnödems. Aber: „Trotz der ähnlichen Symptome ist eine Kohlenmonoxidvergiftung eigentlich recht gut von der Höhenkrankheit zu unterscheiden – es sei denn, die Bergsteiger sind erst kurz zuvor aufgestiegen“, sagt Ken Zafren, Professor für Notfallmedizin der Universität Stanford und ehemaliger Vizepräsident der Internationalen Kommission für alpines Rettungswesen. Die Vorgeschichte und die Umstände seien meist sehr aufschlussreich. „Entwickeln mehrere Personen innerhalb eines Zeltes, in dem gekocht wird, ähnliche Symptome, also Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, ist eine CO-Vergiftung die wahrscheinlichste Diagnose.“ Dann ist schnelles Handeln angesagt. Die betroffene Person muss sofort aus dem geschlossenen Raum ins Freie (gebracht werden). Handelt es sich wirklich um eine CO-Vergiftung, verschwinden die Symptome nach einer Weile an der frischen Luft von alleine – im Gegensatz zu denen der Höhenkrankheit. In schweren Fällen ist die Gabe von reinem Sauerstoff sinnvoll, der den Abbau des COHb im Körper beschleunigt.
Das Problem dabei: Um noch handeln zu können, müssen die Bergsteiger*innen ihre Vergiftungssymptome rechtzeitig bemerken, bevor Bewusstsein und Bewegungsfähigkeit eingeschränkt sind. Der Kohlenstoffmonoxidgehalt in der Luft steigt zunächst langsam an, dann aber exponentiell. „Bereits bei 0,1 Prozent Kohlenstoffmonoxid in der Umgebungsluft kann es zum Tod kommen“, sagt Gerichtsmediziner Rabl. Laborexperimente haben gezeigt, dass in Zelten schon nach einer halben Stunde Kochen eine kritische Konzentration erreicht sein kann.
Von einem glücklichen Fall, in dem ein Bergsteiger eine CO-Vergiftung gerade noch rechtzeitig bemerkte, berichtet Jelle Staleman, ein Bergführer aus Holland, der Hansjörg Pfaundler die Gruppe vermittelt hat und am Tag nach dem Unfall gleich vor Ort war. Mit anderen Bergführern war Staleman vor Jahren auf einer Expedition im Karakorum. „Zwei Kollegen waren schon ein Lager weiter oben auf 6000 Metern, es tobte ein Sturm. Mit 80 bis 100 km/h Windgeschwindigkeit war es schlicht unmöglich, bei offenem Zelt zu kochen“, erzählt er. Als der eine Bergsteiger bewusstlos geworden sei, habe der andere geistesgegenwärtig den Kocher ausgeschaltet und den Zelteingang aufgerissen. „Ich fand es bemerkenswert, dass der zweite Alpinist noch reagieren und den Kollegen retten konnte. Das heißt, es lohnt sich, wirklich immer aufmerksam zu sein“, sagt Staleman.
Während der Unfall am Taschachferner einer der seltenen Fälle von Kohlenmonoxidvergiftung bei Bergsteiger*innen in Österreich war, ist das Problem in anderen Teilen der Welt verbreiteter. Ken Zafren schätzt, dass viele Alpinist*innen von leichten Vergiftungen betroffen sind. Das dürfte mit der Infrastruktur zu tun haben – wo keine Hütten sind, wird öfter im Zelt gekocht – und damit, dass Kohlenstoffmonoxid in der Höhe gefährlicher ist. Aufgrund des geringeren Sauerstoffpartialdrucks ist in einem Zelt im Höhenlager weniger Sauerstoff vorhanden, wodurch sich die Atemfrequenz erhöht. Die Alpinist*innen nehmen mehr Kohlenstoffmonoxid auf. Auch verlängert sich die Halbwertszeit des COHb im Körper, die auf Seehöhe vier bis sechs Stunden beträgt, mit zunehmender Höhe. Und nicht zuletzt verbringen Höhenbergsteiger*innen mehrere Stunden pro Tag damit, Schnee zu schmelzen – bei suboptimalen Bedingungen, da die Kocher bei Kälte und geringerem Sauerstoffanteil in der Luft schlechter brennen und mehr Kohlenstoffmonoxid produzieren.
Eigentlich weiß ja jeder, wie man richtig im Zelt kocht. Aber es unterschätzen viele, wie schnell Kohlenstoffmonoxid gefährlich werden kann.
Hansjörg Pfaundler
„Eigentlich weiß ja jeder, wie man richtig im Zelt kocht. Aber es unterschätzen viele, wie schnell Kohlenstoffmonoxid gefährlich werden kann“, sagt Hansjörg Pfaundler. Und dass der Mensch wohl nur aus Tragödien lernt. Zwar war er selbst seit dem Unfall auf keiner Expedition mehr, aber für ihn ist seitdem „gesetzt, dass das Zelt offen bleibt, auch wenn es noch so ungemütlich wird“. Vor allem aber will er andere Bergsteiger und Kollegen für das Thema sensibilisieren.
Kohlenstoffmonoxidvergiftung erkennen
Ab 10 Prozent COHb handelt es sich (bei Nichtrauchern) um eine milde Vergiftung. Die Kohlenstoffmonoxidtoleranz kann individuell unterschiedlich sein, Raucher haben generell einen erhöhten COHb-Anteil. Erste Symptome treten bis 20 Prozent COHb-Anteil in Form von leichten Kopfschmerzen auf, gefolgt von Müdigkeit, Herzrasen, Sehstörungen und mit weiter zunehmender Konzentration Benommenheit, Schwindel, Ohrensausen sowie Muskelschwäche und schließlich Übelkeit, Erbrechen, Konzentrationsstörungen, Kreislaufkollaps und Bewusstseinsverlust. Weitere Anzeichen für eine Vergiftung sind rosa Haut und kirschrote Schleimhäute, Verstorbene haben rosa Leichenflecken. Bei einem COHb-Anteil über 50 Prozent fallen die Opfer in tiefe Bewusstlosigkeit, können Krämpfe und Atemstörungen bekommen und schweben in akuter Lebensgefahr. Der Tod tritt bei dieser Konzentration wahrscheinlich innerhalb von zwei Stunden ein.
So lassen sich Kohlenstoffmonoxidvergiftungen vermeiden
- für ausreichend Lüftung sorgen, vorgeschlagene Öffnung von min. 50 cm², ideal ist eine tiefe Öffnung für O-Zufuhr und eine höher gelegene für CO-Ableitung
- bei andauernder Kochernutzung auch mal Stoßlüften
- geringe Luftzufuhr kann schädlicher sein, als gar keine Belüftung (Flamme geht dann einfach aus)
- nur mit maximaler und blauer Flamme kochen; ist die Flamme gelb, für mehr Luftzufuhr sorgen
- langes Köcheln vermeiden
- Töpfe mit kleinem Durchmesser verwenden
- Zelt regelmäßig von Eis und Schnee befreien
- auf Symptome achten, bei Eintreten ins Freie gehen
- möglichst aufmerksam bleiben, nicht schlafen, wenn Kocher in Betrieb
Literatur
- Simon Leigh-Smith „Carbon Monoxide Poisoning in Tents – A Review“, in: Wilderness and Environmental Medicine, 15, 157-163 (2004)
- Clay Roscoe et al. „Investigation Carbon Monoxide Exposure on Denali“, in: Wilderness and Environmental Medicine, 17, 75-80 (2006)
- Grant S. Lipman „Carbon Monoxide Toxicity at High Altitudes“, in: Wilderness and Environmental Medicine, 17, 144-146 (2006)
(1) Editorial zu Grant S. Lipman „Carbon Monoxide Toxicity at High Altitudes“