Die Tagline – wie haule ich richtig? Tipps von Babsi Zangerl und Jacopo Larcher
Ihr beide habt ja inzwischen schon einige Bigwalls (hohe Felswände, die normalerweise nicht innerhalb eines Tages erklettert werden können) in den USA und weltweit gemacht. Welche Bigwall-Techniken sind auch hilfreich für die Alpenwände?
Meistens klettern wir mit Einfachseil und haulen mit einer Tagline, das heißt wir ziehen einen Rucksack bzw. meist unseren Haulbag mit einer dünnen statischen Hilfsleine nach. Diese Leine (Tagline oder auch Rap Line genannt) verbinden wir am Ende der Tour mit dem Einfachseil und somit haben wir ein Doppelseil zum Abseilen. Diese Technik macht auch das Klettern in vielen Alpenrouten angenehmer. Es ist schlicht einfacher den Kletterpartner mit einem Einfachseil zu sichern anstatt mit zwei Halbseilen. Denn man hat dann eben nur ein Seil, auf das man sich konzentrieren muss. Klar verwenden wir dafür nicht das dünnste Sportkletterseil, sondern ein etwas dickeres. Ein Seildurchmesser von 9.2 bis 9.5 Millimeter eignet sich am besten. Der einzige Nachteil: Wenn man viel selber legen muss (Keile und Cams), also wenn eine Route einen sehr alpinen Charakter hat, dann ist man mit einem Doppelseil und der Halbseiltechnik im Vorteil. Besonders dann, wenn die Route nicht geradlinig verläuft und man viele Zickzack-Placements hat. Aber fast alle alpinen Sportkletterrouten verlaufen ziemlich geradlinig und man kann sie problemlos mit Einfachseil klettern.
Wie funktioniert das mit dem Haulen?
Im Bild unten sieht man Jacopo beim Haulen eines eher leichteren Haulbags (Abb. 1). Da ist es am schnellsten, man fixiert eine Micro Traxion (oder eine Umlenkrolle mit Rücklaufsperre von einem anderen Hersteller, z. B. CT Rollnlock oder Edelrid Spock, Anm. d. Red.) am Stand und hault mit einem Jumar (Steigklemme). In den Jumar kann man noch eine Fußschlinge (Bandschlinge) einhängen (Abb. 2) oder man fixiert den Jumar am Gurt und hault mit dem eigenen Körpergewicht. Hat man keinen Jumar dabei eignet sich auch bestens eine zweite Micro Traxion, die man am Gurt fixiert (Abb. 3). Wir klettern selten – nur in sehr leichten Routen – mit Rucksack am Rücken, sondern ziehen meist einen Haulbag nach. In der Zeit, in der, der Zweite nachsteigt, hat man genügend Zeit, um den Haulbag zum Stand zu ziehen.
Rucksack oder Haulbag? Was bevorzugt ihr in Alpenrouten?
Also am besten eignet sich ein Haulbag. Denn der ist viel robuster als ein Rucksack. Aber grundsätzlich kann man natürlich auch einen leichteren Rucksack haulen (Abb. 4). Im flachen Gelände ist es mit dem Haulbag noch ganz okay, während ein Rucksack dort oftmals schon hängen bleibt. Macht man eine Mehrtagestour muss man bedenken, dass der Haulbag um einiges schwerer ist. Das macht das Haulen schon richtig anstrengend und kostet dann im flachen Gelände einfach mehr Zeit.
Welche Probleme können noch auftreten? Worauf muss man beim Material zudem achten?
Es kann sein, dass man abseilen muss, um den Haulbag zu lösen, wenn er hängen bleibt. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Aber mit einem leichten Bag funktioniert es gut und schnell, auch wenn es mal flacher ist. Wir haben diese Technik auch an der Marmolada verwendet, als wir den „Weg durch den Fisch“ geklettert sind. Hat super funktioniert. Also wenn man mit der Tagline auch abseilt, dann würde ich eine etwas dickere Tagline verwenden, damit der Unterschied in der Seildicke nicht zu sehr abweicht. Also nie dünner als sechs Millimeter, angenehmer sind acht Millimeter. Als Verbindungsknoten verwenden wir den Achterknoten, wenn ein größerer Seildicke-Unterschied besteht. (Laut Messungen von Florian Hellberg bei Edelrid würde zum Abseilen auch ein einfacher Sackstich als Verbindungsknoten zwischen Seil und Leine mit unterschiedlichen Seildurchmessern ausreichen. Dazu mehr in einer der nächsten Ausgaben. Anm. d. Red.) Wir verwenden in der Regel ein Einfachseil zwischen 9.2 und 9.5 Millimeter und eine Tagline zwischen 6 und 8 Millimeter. Als Karabiner verwenden wir zwei mit Autolock-Funktion – also besser keine Schrauber, weil die können sich durchs Haulen öffnen, wenn der Haulbag schwer ist – plus einen Rotor (Abb. 5) zwischen Haulbag und Tagline, damit sich diese nicht immer eindreht.
In welchen Alpenwänden – außer der erwähnten Marmolada – habt ihr diese Technik noch angewandt? In welchen Wänden macht sie Sinn?
An den Dreizinnen, der Eiger Nordwand, im Rätikon, im Wetterstein, am Qualido im Val di Mello, also so gut wie immer. Auch am El Captian sind wir immer so geklettert. Natürlich, wenn man eine sehr leichte Route klettert, dann macht es schon Sinn mit Doppelseil zu klettern und den Rucksack einfach zu tragen. Wird es schwieriger und will man alles frei klettern, dann bevorzugen wir auf jeden Fall die andere Technik. Weil es einfach nicht so easy ist, mit Rucksack schwer zu klettern.
Kann die Technik auch in kürzeren alpinen Sportkletterereien sinnvoll sein?
Ja, sicherlich. Gestern sind wir im Rätikon eine Fünf-Seillängen-Tour geklettert. Da hat man so einen leichten Haulbag sehr schnell nachgezogen und verliert keine Zeit.
Verwendet ihr bei uns in den Alpen auch manchmal ein Portaledge?
Sehr selten. Nur am Eiger und am Qualido im Val di Mello bisher. Das Portaledge ist sehr schwer zum Haulen und bleibt auch leicht hängen. Da verliert man natürlich sehr viel Zeit. Das bietet sich nur an, wenn man mehrere Tage in der Wand bleibt, also eine schwerere Route projektiert und die Route keine Bänder aufweist an denen man auch ohne Portaledge biwakieren kann. In den Alpen klettert man die meisten Touren an einem oder zwei Tagen. Da ist das Haulen und das Gepäck noch relativ leicht. Verbringt man mehr als fünf Tage in einer Wand, dann ist das Haulen eine ganz große Nummer neben dem Klettern. Da muss man dann schon richtig viel arbeiten. Das macht extrem müde und es kann schon mal sein, dass man für eine einzelne Seillänge eine Stunde haulen muss. Da hault man dann nicht mehr alleine, sondern man hilft sich gegenseitig.
Ihr fahrt ja jetzt (Anfang August 2021, Anm. d. Red.) ins Karakorum zu den Trango Towers. Werdet ihr da auch Bigwall-Techniken anwenden?
Ja wir denken schon, dass wir wieder mit Einfachseil und Haulbag unterwegs sein werden. Eventuell auch mit Portaledge. Aber wir haben ebenso Doppelseile im Gepäck. Das entscheidet sich dann vor Ort, was am besten funktioniert und Sinn macht. Aber wir müssen sicher ein paar Tage in der Wand bleiben. Wir hoffen nicht mehr als drei in der großen Höhe.
Wie werde ich als Seilschaft schneller? Was könnt ihr Anfängern raten?
Viel mit dem gleichen Seilpartner in verschieden Touren klettern. Das macht die Kommunikation leichter. Man versteht sich mit der Zeit auch ganz ohne Seilkommandos, ohne „Stand“ zurufen und Co. Da geht es sehr viel um Vertrauen und ein eingespieltes Team funktioniert am Berg einfach immer besser und schneller. Aber in erster Linie muss man sich sicher fühlen, da ruft man anfangs lieber zu viel und zu laut, als irgendetwas zu machen, bei dem man sich nicht 100 Prozent sicher ist. Es kommt darauf an, wie viel Zeit man in etwas investiert, wie viel Zeit man am Berg verbringt. Man lernt aus Erfahrungen.
Ihr seid ja nicht nur beim Klettern eine Seilschaft, sondern auch im Leben. Macht das das Klettern leichter, weil ihr euch in und auswendig kennt und bestens eingespielt seid? Oder gibt es auch manchmal Beziehungsstress in der Wand?
Ja, das macht vieles leichter. Wir kennen uns in und auswendig und das bringt großes Vertrauen mit sich. Wir haben die meisten Erlebnisse am Berg miteinander erlebt, das macht uns sicher zu einem eingespielten Team. Wir wissen genau, wie der andere funktioniert und das hilft enorm als Seilschaft. Beziehungsstress in der Wand gab es eigentlich noch nie. Den gibt es wenn dann eher zu Hause.
Danke euch!
Vorteile von Einfachseil und Tagline
- Man kann beim Klettern den Haulbag/Rucksack nachziehen und muss keinen Rucksack tragen -> vereinfacht das Freiklettern enorm.
- Seilhandling ist mit Einfachseil einfacher (Weniger Seilsalat beim Sichern, Einhängen der Expressschlingen einfacher)
Nachteile
- Keine Redundanz wie bei Halbseilen. Wenn ein Einfachseil reißt, hat man kein zweites als Backup.
- Wenn viele mobile Sicherungen im Zick-Zackverlauf platziert werden müssen, hat man große Seilreibung, weil man nicht auf Halbseiltechnik wechseln kann.
- Verhängt sich beim Abseilen das Seil beim Abziehen, kann es vorkommen, dass man nur die statische Tagline zur Verfügung hat, um gesichert hinaufzuklettern und das verklemmte Seil zu lösen. Bei Halbseilen hat man hingegen immer zwei dynamische Seilstränge zum Klettern zur Verfügung.
Fotos: Hannes Mair