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Die Rettungsdecke als provisorische „Sonnenbrille“,

Die Rettungsdecke als UV-Schutz

Als die ersten Einsatzkräfte am 1. Juni 2019 nach einem Lawinenabgang im freien Skiraum am Einsatzort in 2.800 m Höhe am Hintertuxer Gletscher ankamen, bemerkte ein Bergretter, dass seine Sonnenbrille fehlte. Da durch die hohe Intensität der vom Schnee reflektierten Sonnenstrahlung die Gefahr einer strahlenbedingten Augenverletzung bestand, wurde kurzerhand aus der mitgeführten Rettungsdecke ein behelfsmäßiger Augenschutz gebastelt (siehe Bild unten) – zugegeben, die Rettungsdecke hätte man etwas schöner zuschneiden können. Nach ca. drei Stunden konnte der Einsatz abgebrochen werden, da sich die gesuchte Person in der Zwischenzeit gemeldet hatte. Der Bergretter in der Suchmannschaft hatte keine Probleme mit den Augen davongetragen, aber einige hatten einen Sonnenbrand im Nacken …

Die vielseitig verwendbare Rettungsdecke

Sondierkette der Bergrettung
Die Rettungsdecke als provisorische „Sonnenbrille“, gesehen in einer Sondierkette der Bergrettungen Tux und Ginzling.

Historisch betrachtet wurde die dünne, aluminiumbeschichtete Polyethylen-Terephthalat (PET)-Folie mit dem Namen „space blanket” vom NASA’s Marshall Space Flight Center in den frühen Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts entwickelt und zum Schutz vor Hitze bei Raumfahrzeugen verwendet. Erstmals als Wärmeschutz am Menschen angewandt wurde die Folie von Teilnehmern des New York City Marathons im Jahre 1978.1

Heute ist die Rettungsdecke mit ihrer charakteristischen silber- und goldfarbenen Oberfläche ein vorgeschriebener Bestandteil von Erste-Hilfe-Packungen und gehört zur professionellen Notfallausrüstung. Vielseitige Verwendungsmöglichkeiten mit zum Teil gegensätzlichen Eigenschaften sind typisch für die Rettungsdecke und müssen bei der Anwendung auch bedacht werden.

Die Rettungsdecke wird in erster Linie zur Wärmeisolierung eingesetzt.2 Sie schützt vor Wärmeverlust, einerseits weil Wärmeübertragung (Thermokonvektion) und Verdampfungskühlung (Evaporation) vermindert werden und andererseits, weil die vom Körper abgegebene Wärmestrahlung zurückreflektiert wird.3 Die Rettungsdecke kann aber auch vor Sonnenstrahlung schützen und bei direktem Hautkontakt über Wärmeleitung (Thermokonduktion) einen kühlenden Effekt herbeiführen.4

Während das von der Oberfläche reflektierte Licht das Auffinden von Personen untertags erleichtert, wird das Auffinden mit Hilfe von Wärmebildkameras, durch die vom Körper abgeblockte Infrarotstrahlung erschwert.5 Die Rettungsdecke ist wasserdicht und windundurchlässig und hat daher auch gute Eigenschaften, um als behelfsmäßiges Biwak zu dienen.6

Im Zuge der Ausbildung in taktischer Alpinmedizin bei der Tiroler Bergrettung kam man durch die quantitative Minimierung des medizinischen Materials auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten der Rettungsdecke. In weiterer Folge wurden in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin in Innsbruck verschiedene Anwendungsmöglichkeiten getestet und wissenschaftlich aufgearbeitet.7 Die optometrischen Messungen (Humphrey Systems LA 360; Carl Zeiss Meditec Inc., Dublin, CA, USA) wurden an der privaten Höheren Technischen Lehranstalt des Landes Tirol – Kolleg für Optometrie, in Hall, durchgeführt.

Skibrille und Sonnenbrille
Frau kann natürlich auch eine zweite (Ski-/Sonnen-) Brille mitnehmen … Foto: argonaut.pro

Untersucht wurden Rettungsdecken, die bei der Bergrettung und Flugrettung in Tirol (Leina-Werke GmbH) und beim Roten Kreuz Tirol (ÖRK Einkauf & Service GmbH) zum Zeitpunkt der Studie in Verwendung waren. Die Ergebnisse wurden als Transmissionskurven der Wellenlängen zwischen 280 und 780 nm aufgezeichnet, unter spezieller Berücksichtigung der für Auge und Haut schädlichen Bereiche UVB (280 bis 315 nm), UVA (315 bis 380 nm), langwelliges UVA (380 bis 400 nm) und hochenergetisches sichtbares Licht im violett/blauen Bereich (400 bis 450 nm).

Die Durchlässigkeit von ultravioletten Strahlen und von sichtbarem Licht wurde an den Rettungsdecken mit einer Lage (ausgefaltet) und mit doppelter Lage (einmal gefaltet) durchgeführt und in Prozent angegeben. Die Studie wurde im Journal Scientific Reports, veröffentlicht.

Ergebnisse und Interpretation

Die zwei Produkte (ÖRK, Leina) unterschieden sich nur geringfügig in der Durchlässigkeit von sichtbarem Licht und von UV-Strahlen. Eine Lage der Rettungsdecke war für sichtbares Licht zwischen 1 und 8 % durchgängig, bei zwei Lagen waren es nur mehr zwischen 0 und 1 %. Die Durchlässigkeit von UVB-Strahlung, die hauptsächlich für die Schneeblindheit verantwortlich ist, war für eine Lage bei 1 % und für zwei Lagen zwischen 0 und 1%.

Nur bei der UVA-Strahlung waren größere Unterschiede zwischen den Produkten, nämlich für eine Lage zwischen 1 und 13 % und für zwei Lagen zwischen 0 und 3 %. Keinen Unterschied machte es, ob bei der Untersuchung die silberne oder die goldene Seite exponiert war. Schädigung von Augen und Haut wird hauptsächlich durch hochenergetische Strahlung im ultravioletten Bereich und im violett/ blauen Bereich verursacht.

Während UVC-Strahlen durch die Ozonschicht in der Atmosphäre geblockt werden, können UVB- und UVA-Strahlen bis zur Erdoberfläche gelangen. Auf Schneefeldern und Gletschereis im hochalpinen Gelände kann die reflektierte Sonnenstrahlung sehr intensiv sein und leicht zu schmerzhaften Verletzungen an Hornhaut und Bindehaut des ungeschützten Auges führen.8

Akute Photokeratitis (Schneeblindheit) kann schon nach wenigen Minuten Einwirkungszeit von hohen UVB-Dosen entstehen, und wurde bei bis zu 3 % der Bergsteiger in großer Höhe beobachte. ICAR Medcom empfiehlt, dass bei sichtbeeinträchtigenden Augenproblemen ein sofortiger Abstieg erfolgen soll.9 Akuter Schmerz, Lidspasmus und starker Tränenfluss können aber ein selbstständiges Absteigen unmöglich machen.

Unsere Untersuchungen ergaben, dass bereits eine einfache Lage einer Rettungsdecke ausreichenden Schutz vor strahlenbedingter Verletzung der Hornhaut und Bindehaut des Auges bereiten kann und trotzdem noch genügend Sicht besteht, um selbständiges Absteigen zu ermöglichen. Dicke und Durchlässigkeit der verschiedenen auf dem Markt angebotenen Produkte können voneinander abweichen und damit auch unterschiedliche Durchlässigkeit für sichtbares Licht und UV-Strahlen haben.

Die Rettungsdecke als provisorische „Sonnenbrille“,
Wenn die Rettungsdecke auch als Wetter-/Wärmeschutz über das ganze Gesicht gezogen wird, bleibt unten eine Öffnung, damit Sauerstoff zukommt bzw. Co2 bzw. entweichen kann. Foto: Archiv Isser

Die Ergebnisse unserer experimentellen Untersuchungen ersetzen nicht eine noch ausstehende klinische Anwenderstudie, aber die ersten Erfahrungen stimmen zuversichtlich.

Fazit

Die von der Bergrettung in Tirol verwendete Rettungsdecke wurde bezüglich ihrer Durchlässigkeit von Licht und ultravioletter Strahlung optometrisch untersucht und mit der vom Roten Kreuz Tirol verwendeten Rettungsdecke verglichen. Es konnten nur geringfügige Unterschiede zwischen den Produkten beider Hersteller festgestellt werden. Die Durchlässigkeit für sichtbares Licht war zwischen 1 % und 8 %.

Der Schutz vor ultravioletter Strahlung lag zwischen 99 % und 100 %. Keinen Unterschied machte es, ob die goldene oder die silberne Seite der Rettungsdecke exponiert war. Herkömmliche Rettungsdecken haben ausreichende Durchlässigkeit von Licht und bieten gleichzeitig adäquaten Schutz vor ultravioletten B-Strahlen, um im alpinen Bereich als provisorische Augenbedeckung zu dienen und vor Schneeblindheit zu schützen.

Hier findest du 6 weitere Einsatzmöglichkeiten der Rettungsdecke.

Literatur

  1. National Aeronautics and Space Administration. Spinoff 2006. Reflecting on space benefits: a shining example. 56-57.
  2. Haverkamp FJC, Giesbrecht GG, Tan ECTH. The prehospital management of hypothermia – An up-to-date overview. Injury. 2018; 49(2):149-164.
  3. Chadwick S, Gibson A. Hypothermia and the use of space blankets: a literature review. Accid Emerg Nurs. 1997;5(3):122-125.
  4. Peterson GP, Fletcher LS. Measurement of the Thermal Contact Conductance and Thermal Conductivity of Anodized Aluminum Coatings. Heat Transfer 1990; 112(3), 579-585.
  5. Jorgustin K. How To Block IR Infrared Thermal Imaging. Modern Survival Blog.
  6. Henriksson O, Lundgren JP, Kuklane K, Holmér I, Bjornstig U. Protection against cold in prehospital care-thermal insulation properties of blankets and rescue bags in different wind conditions. Prehosp Disaster Med. 2009;24(5):408-415.
  7. Isser M, Kranebitter H, Kühn E, Lederer W. High-energy visible light transparency and ultraviolet ray transmission of metallized rescue sheets. Scientific Reports 2019;9:11208
  8. Basnyat B, Litch JA. Medical problems of porters and trekkers in the Nepal Himalaya. Wilderness. Environ. Med. 1997;8:78-81.
  9. Ellerton JA, Zuljan I, Agazzi G, Boyd JJ. Eye problems in mountain and remote areas: prevention and onsite treatment–official recommendations of the International Commission for Mountain Emergency Medicine ICAR MEDCOM. Wilderness Environ Med. 2009;20(2):169-175.

Erschienen in der
Ausgabe #109 (Winter 19-20)

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