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Unterwegs am Zirbensteig in Obergurgl/Ötztal. Foto: LO.LA
20. Nov. 2020 - 9 min Lesezeit

Die Lust am Wandern – eine Tiroler Motivstudie

Der Bergsport im Allgemeinen ist geprägt durch verschiedenste Motive, die einen anziehen oder antreiben, in die Berge zu gehen, um einer „sportlichen“ Betätigung nachzugehen. Das Wandern und seine verschiedenen Ausprägungen, wie beispielsweise das Weitwandern, sind dabei eine der Bewegungsarten am Berg, die viele Motive vereinen und von einer Vielzahl von Menschen jedes Jahr aktiv betrieben werden.

Die folgende Motivstudie der Universität Innsbruck, die in unterschiedlichen Destinationen in Tirol umgesetzt wurde (Sample: 849 Personen), soll Anhaltspunkte liefern, warum Menschen  wandern und ihre Freizeit in den Bergen verbringen.

Die Alpen sind ein Gebirge mit vielfältigen Wandermöglichkeiten. Die Einzigartigkeit der verschiedenen Regionen unterstreicht auch den touristischen Fokus auf das Wandern im Gebirge. Aufgrund der großen naturräumlichen Vielfalt findet sowohl der genussorientierte Einsteiger als auch die erfahrene Bergwanderin ein ideales Beschäftigungsfeld. Bei keiner anderen Betätigung kann Naturgenuss und Sport besser verbunden werden, wodurch Wandern auch der perfekte Ausgleich für unsere oft gestresste Psyche und überforderten Körper ist (Brämer, 2008). Ein wesentlicher Vorteil des Wanderns ist seine Niederschwelligkeit, wodurch ohne großen Aufwand einzigartige Erlebnisse generiert werden können. Dieser Aufwand kann dosiert „eingenommen“ werden, indem eine Vielzahl an Infrastrukturen beispielsweise für Teile des Aufstieges verwendet werden können.

Wandern hat positive gesundheitsrelevante Auswirkungen und es zeigt sich sogar, dass „bereits bei mäßiger Wanderintensität“ signifikante gesundheitliche Verbesserungen zu messen sind (Sänger, 2014, S. 2). Nachteilige Wirkungen sind – mit Ausnahme der alpinen Gefahren (!) – kaum bekannt. Diese Risiken sind es auch, die zukünftig (speziell bedingt durch die naturräumlichen Veränderungen des Klimawandels) eine wesentliche Rolle in der Entscheidungsfindung zur Nutzung von alpinen Infrastrukturen spielen werden.

Obwohl Wandern bei den Einheimischen wie auch bei den in- und ausländischen Gästen eine hohe Popularität genießt, wissen wir wenig über die unterschiedlichen Zielgruppen innerhalb der großen Schar der Wanderer.

Noch dürftiger ist die Datenlage, wenn es sich um das Wandern im Gebirge handelt. Die Motivstudie, die im Rahmen des Tiroler Tourismusforschungsfonds an der Universität Innsbruck unter der Federführung von Prof. Dr. Mike Peters umgesetzt wurde, soll einige brennende Fragen zu den Wandermotiven erläutern und helfen, besser zu verstehen, was die Wanderer antreibt.

Unterwegs am Habicht-Serleskamm/Stubaier Alpen. Foto: LO.LA

Die Studie

Das Potenzial des Wanderns für die Tourismusentwicklung am Berg ist enorm: Dies belegt nicht nur die Nachfrage nach Wanderwegen und -touren, sondern auch die Vielfältigkeit und somit das Potenzial des Wanderns zur Kreation von innovativen Freizeitangeboten. So weisen beispielsweise Studien darauf hin, dass die Faszination der Landschaft und die passende Wanderaktivität zu einem stärkeren, tief wirkenden Flow-Erlebnis führen können. Hierzu muss jedoch ein Fit zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen des Gastes und der jeweiligen Aktivität gegeben sein (Wöran & Arnberger, 2012).

Wandern hat das Potenzial, sowohl mentale als auch physische Herausforderungen zu kreieren, aber Wanderer erleben diese Aktivität meist ungesteuert: Neben einigen Informationen vor oder während einer Tour ist ein Wanderer – wenn die Tour nicht geführt ist – auf sich alleine gestellt und beeinflusst somit den wahrgenommenen Wert der Freizeitaktivität deutlich. So wird ein Erlebnis nur dann hoch eingeschätzt, wenn der Wanderer nicht unter- oder überfordert ist bzw. wenn zu dem Erlebten der entsprechende Kontext vermittelt werden kann (alpine Geschichte, Sicherheitsaspekte etc.) (Nordbø & Prebensen, 2015).

Sample der Befragung und erste Auswertungsmuster

Insgesamt wurden 849 Befragungen in Kitzbühel, Osttirol, dem Kaunertal, Seefeld und dem Stubaital durchgeführt (Abb. 1). Beim Alter der Befragten fällt auf, dass ca. 40 % unter 40 Jahre alt sind. Das Wandern ist auch bei den „jungen Menschen“ beliebt. Das deckt sich übrigens bei allen Destinationen, die für die Befragung ausgewählt wurden. Es gab hier nur geringe Unterschiede in der prozentuellen Verteilung. Auch die Geschlechterverteilung ist ausgeglichen.Ein Großteil der Befragten sind Übernachtungsgäste (Anmerkung: Die Motivstudie wurde im Jahre 2018 umgesetzt). Interessant ist, dass ca. ein Viertel der Befragten Tagesbesucher sind (Abb. 2), die nicht in der Nähe wohnen bzw. im Gebiet übernachten. Die Tendenz, ihr bevorzugtes „Heimatgebiet“ bzw. ihre „Urlaubsdestination“ zu verlassen und etwas anderes kennenzulernen, ist dementsprechend gegeben.

Die Herkunft des Gastes spiegelt auch alle bisherigen Untersuchungen in Tirol zur Herkunft der Touristen und zu den Zielmärkten der touristischen Werbeaktivitäten wider: Deutschland ist der Zielmarkt Nr. 1, gefolgt vom Heimatmarkt Österreich. Die Befragungen zeigen auch, dass es nicht eine extrem große Gruppe an verschiedenen Nationen ist, die am Berg unterwegs sind, wobei der Schweizer Anteil in den letzten Jahren gestiegen ist; die Attraktivität der Preise ist dafür ein Grund, wie auch der hohe Standard im Tal und am Berg (speziell in den Destinationen mit Bergbahnbeförderungen).

Die Tourenplanung als wesentliches Element einer Wanderung wird von knapp 30 % aller Befragten als wichtig angesehen und auch immer vor den Touren durchgeführt (Abb. 3). Als Element einer gewissenhaften Vorbereitung auf die Touren sollte diesem Item zukünftig ein stärkerer Fokus verliehen werden. Die Frage nach der Mitgliedschaft bei einem alpinen Verein wurde von ca. 60 % mit Ja und von ca. 40 % mit Nein beantwortet.

Zur Erfahrung am Berg wurde über den gesamten Datensatz (alle Destinationen aus dem Sample) eine Analyse gezogen (Abb. 4). Fast 50 % aller Befragten bezeichnen sich als erfahrene Wanderer. Ca. 20 % aller Befragten gaben an, sehr erfahren zu sein (inkludiert auch das Item „Experte“).

Abb. 4: Als wie erfahren schätzen sich die Befragten selbst ein?

 Bei der Dauer der Wanderung (Abb. 5) sind mittellange Wanderungen (2 bis 5 Stunden) bei über 50 % aller Befragten die bevorzugte Wahl. Ein Großteil des Tourenangebotes in den Untersuchungsgebieten ist auf diese Tourenlänge ausgelegt. Interessant ist, dass aktuell viele Angebote für Weitwanderwege kreiert und im alpinen Raum etabliert werden, jedoch die Befragung ergibt, dass nur ein sehr geringer Prozentsatz (5 %) solch lange Wanderungen durchführt.

Dabei fühlt sich mehr als die Hälfte aller Befragten auf roten Bergwegen am wohlsten (Abb. 6). Dies deckt sich sehr gut mit dem Erfahrungswissen der Wanderer in den untersuchten Destinationen.

Abb. 5: Dauer der Wanderungen.
Abb. 6: Schwierigkeit der gewählten Wanderwege.

Motive des Wanderns – erste Ansatzpunkte

Das Genießen der Natur zählt neben gesundheitlichen Aspekten zu den Hauptmotiven für das Wandern. Foto: LO.LA

Mithilfe einer Clustermethodik über das gesamte Befragungssample (Abb. 7) konnten folgende vier Cluster herausgearbeitet werden, die die unterschiedlichen Wandertypen zusammenfassen können:

„Ich will ALLES!“
Diese Gruppe will alles außer Anerkennung. Sie ist aufgrund der Natur, Sport, Familie und Freunden am Weg. Die Mitglieder dieser Gruppe haben prinzipiell hohe Werte, so auch bei ihrem Fitnessverhalten.

„Ich bleibe gesund!“
Hier steht die Gesundheit im Vordergrund, die Natur wird hierfür genützt. Diese Gruppe wandert auch am häufigsten, auch wenn sie noch nicht so lange wandert wie alle anderen, und geht auch mal alleine auf den Berg.

„Hinaus mit Freunden!“
So lautet die Parole der dritten Gruppe. Hier geht es um das Gemeinsame, das Miteinander in der Natur. Weniger ist mehr – das lässt sich auch auf ihre Wanderfrequenz umlegen. Was man sucht, sind die Natur und schöne Ausblicke.

Abb. 7 Sie wandern, … Gewähltes Befragungs-Sample.

„Alles mit der Ruhe!“
Diese Gruppe geht auch mal alleine in die Natur, die Mitglieder dieser Gruppe sind auch am erfahrensten und wandern durchschnittlich seit über 25 Jahren. Die Gruppe ist etwas älter und will eigentlich keine Hektik mehr.

Fazit

Blick auf den Alpeiner Ferner/Stubaier Alpen. Foto: LO.LA

Zusammenfassend können neben den vier Clustertypen von Wanderern auch folgende Endergebnisse und daraus anschließende Handlungsempfehlungen abgebildet werden:

Wandern ist in!
Wandern boomt, das zeigt unsere Studie. Die Motive fürs Wandern sind keineswegs kurzfristig, sondern sind bei den Wanderern stark „implementiert“. Erfahrungswissen, jahrelange Begeisterung für die Berge und ihr Kennenlernen zeigen uns, dass mit dem Wandern auch zukünftig stark zu rechnen sein wird.

Wanderer sind sehr unterschiedlich!
Wie auch die untersuchten Tiroler Regionen, so sind auch die Wanderer speziell und unterschiedlich. Die Segmentierungsanalysen der Studie zeigen durchaus homogene Gruppen von Wanderern auf. Der Natur- und Ruhesuchende ist da genauso vertreten wie der Familienwanderer.

Wanderer könnten mehr ausgeben!
Die Wanderer in unserer Studie haben ein gutes Einkommen, aber lassen verhältnismäßig wenig Geld in der Destination. „Angebote zum Geldausgeben“ gibt es genug – sind es die falschen? Oder ist der Sommergast sparsamer? Anreize zu schaffen, um mehr Ausgaben in der Destination zu halten, wird zukünftig wichtig werden.

Wanderer brauchen einfachste Informationen (Besucherlenkung)
Ein Grundniveau an Information ist notwendig, um den Wanderer zufriedenzustellen. Diese Information sollte lokal, aktuell und wissenswert sein und alles rund ums Wandern, die Tourenplanung, andere Outdooraktivitäten etc. bieten.

Die Natur ist der Kernnutzen
Die Landschaft und die natürliche Umgebung sollten beim Wandern im Vordergrund stehen. Auf diesen einmaligen Wert müssten die touristischen Angebote aufbauen, und zwar gezielt, aussagekräftig und mit Bezug zur Customer Journey des Wanderers.

Ansatzpunkte für die Tourismuswirtschaft – eine Zusammenfassung anderer Art

Marketingherausforderungen

Fun & Education müssen gleichzeitig vermittelt werden. Wie gelingt der Spagat zwischen touristischer Fun-Industrie und Education? Wandern erfordert eine grundsätzliche Bildungs- bzw. Informationslage, die so vermittelt werden muss, dass sie spannend und aufregend ist. Das Ziel muss es sein, die Wanderer vor und während ihrer Wanderung über Risiken, Optionen und Anforderungen der jeweiligen Wanderangebote nachhaltig zu informieren.

Gezielte Angebotsentwicklung für die unterschiedlichsten Segmente in den Regionen

Die verschiedenen Wandertypen in einer Region zu kennen und zu verstehen, ist die eine Seite, nachhaltig gezielte Angebote zu entwickeln, die andere. Marktsegmentierungen beim alpinen Wandern bieten die Chance für spezifische Regionen, die geeigneten potenziellen Wandergäste anzusprechen. Hier sind natürlich die Familien und Einzelreisenden zu unterscheiden, aber auch beispielsweise innerhalb einer Familie die Vielzahl von Bedürfnissen (von der Suche nach Erholung bis zur Suche nach Herausforderungen und sozialem Miteinander).

Entlang der Wanderer-Customer-Journey Anreize zum moderaten Konsum setzen

Die Customer Journey des Wanderers bietet noch viele ideale Möglichkeiten, den Konsum anzuheben, über Verleihshops bis hin zu den kleinen innovativen hoch spezialisierten Shoppingangeboten in der Region, wo es das gibt, was es nur HIER geben sollte/muss (beispielsweise Storytelling am Berg).

Besucherlenkung und Beschilderung optimieren

Die verschiedenen Wandersegmente, die unterschiedlichen Nationalitäten und keine gemeinsame Sprache stellen höchste Anforderungen an die Besucherlenkung und vor allem an die Beschilderung. Digitalisierung, internationale Standards und multisensorische Zeichenentwicklung werden im Mittelpunkt der Besucherlenkung der Zukunft stehen.

Naturschutz und Education: aktuelle Nachhaltigkeitstrends nutzen und aktives Naturerlebnis mit aktivem Naturschutz kombinieren

Naturorientierung ist in. Diesen Trend, dem insbesondere jüngere Gäste folgen, kann man nutzen, um Wissensvermittlung neu zu gestalten. Die Inhalte zu Themen wie Naturschutz und Naturerlebnis sind vorhanden – die Art (Mittel, Touchpoints etc.) der Wissensvermittlung muss neu überdacht werden.

Infopoints auf Hütten, um gesammelt Informationen weiterzugeben

Die Hütte/Alm als Informationshotspot. Heutzutage ist vieles digital – und das Smartphone dient als dynamische Informationsquelle. Dennoch sind die Bedingungen am Berg höchst volatil. Daher kann persönliche und lokale Information auf einer Hütte nicht ersetzt werden. Die Einrichtung dynamischer Infopoints auf zentralen Hütten könnte angedacht werden, um alle Wandersegmente besser und vor allem mit aktuellster Information zu versorgen.

 Unterstützt wurde die Studie vom Tiroler Tourismusforschungsfonds, dem Tiroler Tourismusforschungszentrum, dem Land Tirol sowie den Destinationen Kaunertal, Stubai, Seefeld, Kitzbühel und Osttirol. Einen herzlichen Dank an dieser Stelle für die Unterstützung.

Literatur

Brämer, R. (2008). Wandern als Ausdruck eines neuen Lebensstils. wanderforschung.de, 2008(4), 1–3.

Nordbø, I., & Prebensen, N. K. (2015). Hiking as Mental and Physical Experience. In Advances in Hospitality and Leisure, 169–186.

Sänger, M. (2014). Geht doch! Wandern bleibt aktuell. wanderforschung.de, 7(2014), 1–3.

Wöran, B., & Arnberger, A. (2012). Exploring Relationships Between Recreation Specialization, Restorative Environments and Mountain Hikers’ Flow Experience. Leisure Sciences, 34(2), 95–114. doi:10.1080/01490400.2012.652502

Erschienen in der
Ausgabe #112 (Herbst 20)

bergundsteigen #112 (Herbst 2020)