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Alex Walpoth beim Setzen von Kletterhaken
11. Nov 2024 - 11 min Lesezeit

Die Kunst des Normalhaken-Schlagens: 12 Praxis-Tipps

Normalhaken schlagen lernen ist genauso schwer, wie einen Text darüber zu schreiben – wo fängt man bloß an? Die einfachste Lösung ist wohl, einfach draufloszuschlagen – oder zu schreiben. Versuch einer Anleitung.

Seit 150 Jahren werden Haken in den Felsen getrieben, um sich daran hochzuziehen oder zu sichern. Mauerhaken waren die ursprünglichsten Modelle, sie glichen eher festeren Bilderhaken und besaßen keine Öse, sodass man das Seil im besten Fall drüberlegen konnte. Als Aufstiegshilfe wurden sie natürlich auch benutzt. Der erste mit den heutigen Modellen vergleichbare Haken mit Einhängeöse wird Hans Fiechtl zugeschrieben.

Die „Fiechtlhaken“ tauchten Anfang des 20. Jahrhunderts auf und dienten als Vorlage für alle späteren Modelle. Viele Jahrzehnte lang wurden die Haken von den Alpinisten eigenhändig oder vom Schmied des Vertrauens hergestellt, sodass unzählige Varianten entstanden. Für den Haken-Interessierten ist das Klettern einer klassischen Dolomiten-Tour somit fast schon ein Ausflug ins Freilichtmuseum.

Das Problem ist lediglich, dass die Haken in erster Linie unsere Sicherheit gewährleisten sollen und der spannende Blick in die Vergangenheit, den sie uns bieten, nur die Draufgabe ist. Zumindest in den Dolomiten gilt heutzutage das Erstbegehen einer Route nur mit Normalhaken als die eleganteste, „ethisch korrekteste“ Variante, der das Attribut „by fair means“ verliehen wird.

Alex Walpoth beim Hakensetzen
Alex Walpoth beim Hakensetzen

Wie alles andere unterliegt auch die Ethik dem Wandel der Zeit. Der Einsatz von Normalhaken wurde am Anfang von manchen puristischen Alpinisten kritisiert. So werden „Drahtseile, Mauerhaken, Eisenstifte und Handhaben“ in einem Artikel von Fritz Eckardt aus dem Jahre 1903 bereits als „unfair means“ bezeichnet. Über Ethik, Sinn und Unsinn von Bohr- und Normalhaken wurde aber schon an anderer Stelle ausreichend diskutiert (zum Beispiel von Andreas Gschleier in „Unsere heiligen Haken“, bergundsteigen #79).

Tipps und Tricks zum Hakenschlagen

Ich wurde ausdrücklich gebeten, in diesem Beitrag Tipps und Tricks zum Hakenschlagen zu geben. Das Setzen eines Normalhakens ist ein Handwerk, man benötigt dazu das richtige Werkzeug. Felshämmer gibt es in verschiedenen Ausführungen, die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale sind sicher das Gewicht, die Länge, das Material des Schafts und die Kopfform.

drei unterschiedliche Hammermodelle in der „Ricordi nebbiosi“ an der Busazza
Drei unterschiedliche Hammermodelle in der „Ricordi nebbiosi“ an der Busazza

Das Gewicht variiert ungefähr zwischen 400 und 900 Gramm. Kraft ist bekanntlich Masse mal Beschleunigung, sodass die Anzahl an notwendigen Schlägen mit einem schweren Hammer naturgemäß geringer ist. Den Gewichtsunterschied merkt man wiederum beim Klettern. Ist es absehbar, dass man viele Haken schlagen wird, zum Beispiel bei einer Erstbegehung, bevorzuge ich einen schweren Hammer, damit die Arme nicht irgendwann zu müde zum Klettern sind.

Schlägt man bloß ein paar zusätzliche Standhaken oder will für einen eventuellen Rückzug gerüstet sein, kommt man mit den leichteren Modellen auch gut zurecht. Ein Schaft aus Holz federt die Aufprall-Energie besser ab, schlägt aber mit einem höheren Preis zu Buche. Schlussendlich lohnt es sich, mehrere Hämmer auszuprobieren (nicht nur im Geschäft, sondern mit Haken am Felsen, Kurse sind dafür besonders geeignet), um für sich selbst den besten zu finden.

Bei Kursen ist es mir wichtig mitzugeben, dass der Hammer immer leicht erreichbar am Gurt hängen soll. Dafür gibt es eigene Hammerhalterungen. Bei manchen Gurten kann man den Hammer auch direkt in die hintere Materialschlaufe stecken. Eine Befestigung mittels Bandschlinge um die Brust beugt dem Verlust vor.

Von der Aussage „Hammer sollte man zumindest im Rucksack mitführen“ halte ich nichts. Nur wenn der Hammer jederzeit erreichbar ist, wird man ihn öfters einsetzen, um alte Haken zu überprüfen, neue zu schlagen oder unbrauchbare zu entfernen, um sie an geeigneter Stelle wieder zurückzulassen.

Grundsätzlich kann ich nur wenige Tipps niederschreiben, die in der Praxis wirklich helfen – „Übung macht den Meister“ gilt auch beim Setzen von Normalhaken. Dolomit ist durch seine Porosität ein besonderes Gestein, die Tiefe von Rissen und Löchern kann man nur schlecht einschätzen und oft muss man einige Möglichkeiten abklopfen, bevor man einen guten Haken versenken kann.

Wann ist ein Haken gut?

Unweigerlich taucht jetzt die Frage auf: Wann ist ein Haken gut? Die Normung von modernen Haken hilft uns nur bedingt weiter, weil die Anbringung jedes Mal anders und häufig schwierig ist. Die Haltekraft wird vom umgebenden Felsen beeinflusst. Zum Beispiel ist es wenig sinnvoll, einen Haken hinter eine kleine, hohl klingende Schuppe zu schlagen. Generell könnte man vielleicht sagen, je mehr Kraft man braucht, um den Haken einzutreiben, desto größer ist seine Haltekraft.

Ein Riss, zwei unterschiedliche Hakenexemplare. Der obere hält wahrscheinlich mehr, weil er durch die gedrehte Öse eine bessere Klemmwirkung erreicht.
Ein Riss, zwei unterschiedliche Hakenexemplare. Der obere hält wahrscheinlich mehr, weil er durch die gedrehte Öse eine bessere Klemmwirkung erreicht.

Vor allem bei Profilhaken aus Hartstahl in Löchern habe ich aber schon öfters erlebt, dass der Haken nach vielen Schlägen plötzlich zurückspringt und sich dann mit der Hand wieder entfernen lässt (vermutlich, weil das Loch größer wird). Ohne auf Versuchsreihen zurückgreifen zu können, bin ich der festen Überzeugung, dass die Richtung und die Klemmwirkung des Hakens im Felsen eine entscheidende Rolle spielen. Aus einem senkrechten Riss zieht es einen Haken eher raus, beim waagrechten Riss sollte die Kraftübertragung günstiger sein.

Ein Haken, den man von oben nach unten eintreibt, hält wahrscheinlich mehr als im umgekehrten Fall. Laut Lehrbüchern sollte man zwei Drittel eines Hartstahlhakens und ein Drittel des Weichstahlmodells schon mit bloßer Hand versenken können, damit der Haken sich bis zur Öse reinschlagen lässt. Das mag im Granit gelten, im Dolomit, denke ich, kann man diese Regel nur schlecht anwenden, zu unterschiedlich sind die Setzmöglichkeiten.

Die Wahl der richtigen Länge ist da oft Glückssache, wird jedoch durch langjährige Erfahrung sicher erleichtert. Ein herausstehender Haken ist zwar nicht ästhetisch, kann aber problemlos abgebunden werden. Hart- oder Weichstahl eröffnet die nächste interessante Diskussion. Hartstahlhaken lassen sich viel leichter wieder entfernen.

In die zum Teil sehr unregelmäßigen Risse oder Löcher in den Dolomiten lassen sich die biegsamen Weichstahlhaken leicht eintreiben, ohne den umgebenden Felsen zu zerstören. Eine spezielle, keineswegs neue Technik ist jene, Löcher zunächst mit kleinen Holzkeilen aufzufüllen und anschließend den Haken hineinzuschlagen. Es ist erstaunlich, wie gut das funktioniert. Natürlich stellt sich die Frage, wie hoch die Haltekraft nach vielen Jahren noch ist, wenn das Holz längst morsch geworden ist.

Wie (Haken-)Korrosion und (Fels-)Erosion die Haltekraft im Laufe der Zeit beeinflussen, ist wohl kaum einschätzbar. Prüfendes Draufschlagen kann einen Hinweis auf die innere Beschaffenheit des Hakens geben. Auch wenn die Öse nur oberflächlich rostig ist, kann der Schaft im Fels komplett durchgerostet sein. Weil so viele unbeeinflussbare und unklare Faktoren eine Rolle spielen, bleibt uns nichts anderes übrig, als redundant zu sichern, vor allem beim Standplatzbau.

Einen klassischen Dolomitenstand sollte man wo möglich immer um ein mobiles Sicherungsgerät oder einen neuen Haken erweitern. Diese Ungewissheit trägt zu den großen Abenteuern bei, die man in den Dolomiten erleben kann. Das und ein gewisses Traditionsbewusstsein sind die Gründe, warum viele Südtiroler:innen so sehr an Normalhaken hängen. Beim Alpinklettern führe ich stolz einen Hammer mit und im Zweifel denke ich an Georges Livanos’ Aussage in seinem wunderbaren Buch „Au-delà de la Verticale“: „Besser ein Haken mehr als ein Alpinist weniger, vor allem wenn ich derjenige bin.“

Die Verwendung von Hammer und Haken in der Praxis: 12 Beispiele

01 Der Hammer

Der Hammer ist über eine armlange Schnur an einer Bandschlinge rund um die Brust gesichert. Der Hammer hängt in diesem prekären Moment, im Cliff hängend, frei hinunter, damit er besonders schnell greifbar ist und nicht erst aus der Halterung gelöst werden muss. Wenn man mehrere Risse oder Löcher „sondiert“, muss der Arm zwischendurch rasten. 2015 in der Erstbegehung „Via degli studenti“ führte ich den Camp Brenta mit Metallschaft mit …

Der Hammer beim Kletterhaken setzen
Der Hammer hängt in diesem prekären Kletter-Moment, im Cliff hängend, frei hinunter, damit er besonders schnell greifbar ist.

02 Der Schaft

Inzwischen bevorzugen wir einen Schaft aus Holz wie jenen des Black Diamond Yosemite Hammer. Vor allem wenn man viele Haken schlagen muss, ermüden die Arme weniger. Der Hammer steckt im Camp Hammer Holder, ist dort gut befestigt, stört nicht beim Klettern, ist aber jederzeit zum Einsatz bereit.

Black Diamond Yosemite Hammer mit Holzschaft
ausgestattet mit dem Black Diamond Yosemite Hammer mit Holzschaft

03 Holzgriff

Mein guter Freund Titus setzt zum Schlagen eines Normalhakens an. Der kopfnahe Teil des Schaftes wurde mit einer Kordel, welche in Holzleim getaucht wurde, umwickelt. Damit wird der empfindlichere Schaft aus Holz geschützt.

Kletterhaken setzen mit Hammer
Titus mit Kordel geschütztem Holzgriff des Hammers.

04 Hammermodelle

In „Ricordi nebbiosi“ an der Busazza hatten wir drei unterschiedliche Hammermodelle mit. Im Vorstieg wollte jeder das linke Modell verwenden. Zum Entfernen von Haken im Nachstieg eignen sich die zwei Modelle rechts im Bild besser, durch die längere und dünnere Nase kann man den Haken leichter „raushebeln“.

drei unterschiedliche Hammermodelle in der „Ricordi nebbiosi“ an der Busazza
Drei unterschiedliche Hammermodelle in der „Ricordi nebbiosi“ an der Busazza

05 Hakenauswahl

Die Hakenauswahl für eine Erstbegehung nimmt viel Zeit in Anspruch. Zur Auswahl stehen Universalhaken (auch Drehmomenthaken genannt), Querhaken, Längshaken, Messerhaken, Profilhaken oder Ringhaken jeweils aus hartem oder weichem Stahl.

Hakenauswahl für eine Erstbegehung
Die Hakenauswahl für eine Erstbegehung nimmt viel Zeit in Anspruch.

Schlussendlich wird es immer eine bunte Mischung aus allen Hakentypen. Schwieriger ist es, eine geeignete Stelle (Riss, Loch) zu finden als den richtigen Hakentyp, weil meistens mehrere Arten passen. Sehr feine Risse erfordern (kurze) Messerhaken, in breiten Rissen und Löchern kommen Profilhaken zum Einsatz.

06 Querhaken mit Profil

Ein Querhaken mit Profil (Petzl U), 12 cm lang, der erstaunlicherweise in ein unscheinbares Loch versenkt werden konnte. Solche Stellen findet man nur, wenn man geduldig viele Löcher durchprobiert.

Ein Querhaken mit Profil (Petzl U), 12 cm lang
Ein Querhaken mit Profil (Petzl U), 12 cm lang

07 Querhaken mit Profil 2

Der gleiche Haken aus einer anderen Perspektive.

Ein Querhaken mit Profil
Der gleiche Haken aus einer anderen Perspektive.

08 Universalhaken

Wie der Name schon sagt, sind Universalhaken am universellsten einsetzbar. Mit diesem Petzl Universel haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, weil die Öse stabil ist und sich kaum verformt. Durch die um 45° gedrehte Öse wird sowohl in Längs- als auch Querrissen eine Klemmwirkung erzeugt.

Mit diesem Petzl Universel haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, weil die Öse stabil ist und sich kaum verformt.
Wie der Name schon sagt, sind Universalhaken (dieser Petzl Universel) am universellsten einsetzbar.

09 Längshaken

Längshaken sind (meiner Meinung nach zu Unrecht) seltener geworden. Durch den geraden Schaft haben sie eine gute Kraftübertragung auf die Spitze. Wahrscheinlich sind sie durch den erzeugenden Drehmoment für waagrechte Risse besser geeignet als für senkrechte. Teilweise kann man die Öse mit in den Felsen versenken, dann muss man jedoch eine (Kevlar-)Schlinge einhängen.

Längshaken beim Klettern
Längshaken haben durch den geraden Schaft eine gute Kraftübertragung auf die Spitze.

10 Querhaken

Querhaken gehören neben den Universalhaken auch zu den Alleskönnern. Wenn die beiden Seiten des Risses ungleich tief sind, kann man sie trotzdem bis zum Anschlag versenken, ohne dass die Öse sich verkeilt. Insbesondere sind sie auch leichter zu entfernen, weil die Öse senkrecht zur Schlagrichtung steht.

Querhaken beim klettern
Querhaken gehören neben den Universalhaken auch zu den Alleskönnern.

11 Querhaken Modell CAMP

Dieser schöne Querhaken Modell CAMP Annello Fisso, von oben nach unten in offenbar festen Felsen geschlagen, hat höchstwahrscheinlich eine sehr hohe Haltekraft.

Querhaken Modell CAMP Annello Fisso
Querhaken Modell CAMP Annello Fisso

12 Ein Riss, zwei Haken

Ein Riss, zwei unterschiedliche Hakenexemplare. Der obere hält wahrscheinlich mehr, weil er durch die gedrehte Öse eine bessere Klemmwirkung erreicht. Den unteren könnte man vermutlich noch 1–2 cm versenken und die Öse mit einer Schlinge fädeln.

Ein Riss, zwei unterschiedliche Hakenexemplare. Der obere hält wahrscheinlich mehr, weil er durch die gedrehte Öse eine bessere Klemmwirkung erreicht.
Ein Riss, zwei unterschiedliche Hakenexemplare. Der obere hält wahrscheinlich mehr, weil er durch die gedrehte Öse eine bessere Klemmwirkung erreicht.

Hakenschlagen im Kurs lernen

Hier gibt es viele Ansätze. Ich gebe euch kurz Einblick in unsere Erfahrungen am Beispiel des Projekts „Alpinist Team“ des Alpenvereins Südtirol, bei dem acht ausgewählte junge Bergsteigerinnen und Bergsteiger die Chance erhalten, zwei Jahre lang in allen alpinen Spielformen gecoacht zu werden.

Wichtig ist, dass alle Kursteilnehmer mit der richtigen Ausrüstung zum Kurs erscheinen. Für jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer sollte ein Hammer zur Verfügung stehen. Naturgemäß bringen alle unterschiedliche Modelle mit, sodass man gute Vergleiche anstellen kann. Nach einer kurzen theoretischen Einführung über Hammermodelle und Hakentypen drängen die meisten schon ganz ungeduldig an den Felsen, um loszuschlagen.

Bisher haben wir die Übungen immer am ersten Tag an einem Felsen in Nähe der Schutzhütte durchgeführt. Ziel ist es, unter Verwendung aller Sicherungsmittel einen soliden Stand zu bauen, also nicht nur mit Normalhaken, sondern natürlich auch mit Sanduhren, Friends und Klemmkeilen. Nach einiger Zeit schauen wir uns die Ergebnisse zusammen an.

Dabei schätzen wir zunächst die Haltekraft der Einzelpunkte ein und diskutieren dann, wie diese miteinander verbunden wurden. Schon geht es in die nächste Runde, bis das baldige Abendessen zum Aufbruch drängt. Für die Entfernung der Haken sollte ausreichend Zeit eingeplant werden, bei guten Haken ist man schnell eine Viertelstunde beschäftigt.

Fotos: Alex Walpoth

Erschienen in der
Ausgabe #126 (Frühling 24)

cover bergundsteigen #126