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Navigieren bei Hochtouren und trüben Wetterbedingungen kann schnell zur Herausforderung werden.
02. Nov 2022 - 18 min Lesezeit

Die Crux bei der digitalen Navigation

Elektronische Helfer für Orientierung und Tourenplanung sind aus dem Bergsport und vor allem aus dem Führungsbereich nicht mehr wegzudenken. Unfälle wie an der Pigne d’Arolla (siehe bergundsteigen #117) zeigen allerdings, dass diese Helfer Grenzen haben und dass man sich dieser bewusst sein sollte.

Der Unfall am Pigne d’Arolla im April 2018, bei dem sieben Menschen starben, beschäftigt die Fachwelt bis heute und wurde im Artikel „In eisigen Höhen“ (bergundsteigen #117) näher beleuchtet. Vieles deutet darauf hin, dass die verwendete elektronische Orientierungs- und Kommunikationsausrüstung mitentscheidend für den Ausgang des Unglücks war. Im Rahmen des Themenschwerpunkts „Digital“ wollen wir daher den Fokus auf diesen Teil der Bergsportausrüstung legen und provokant fragen, ob wir nicht schon oft viel zu „digital“ am Berg unterwegs sind.

Selbst wenn wir in diesem Artikel Bezug auf dieses Unglück nehmen, wollen wir nicht anklagend auf den verstorbenen Bergführer zeigen. Sondern vielmehr dazu motivieren, im Sinne einer konstruktiven Fehlerkultur, aus den Geschehnissen zu lernen und Schlüsse für die eigenen Führungstätigkeiten zu ziehen. Was aus digitaler Sicht am Unglückstag geschehen ist, kann so zusammengefasst werden (Informationen aus dem Artikel von Lane Wallace (bergundsteigen #117) und den Aussagen von Piccioli):

  • Smartphones und Apps aller Teilnehmer haben versagt.
  • Auf dem Garmin-GPS-Gerät eines Gastes war nur eine rudimentäre Kartengrundlage und kein Track der Wintertour gespeichert.
  • Satellitentelefon ohne Stromversorgung.
  • Nur der Bergführer wusste über den Routenverlauf Bescheid und es gab kein (digitales) Backup dazu.

Im Folgenden wollen wir diese Punkte genauer betrachten und praktische Lösungen dazu finden.

Robustheit und Bedienbarkeit

Abgesehen von ausgewählten Outdoor- Smartphones sind die allermeisten Handys vorrangig für den Gebrauch im urbanen Raum konstruiert, wodurch sie automatisch im alpinen Gelände an ihre Grenzen stoßen. Trotzdem sind wir alle damit regelmäßig am Berg unterwegs, was bei günstigen Wetterbedingungen auch super funktioniert. Spätestens in Situationen wie beim beschriebenen Unfall, wo man das Smartphone über einen längeren Zeitraum aktiv zur Orientierung braucht und es Nässe und Kälte ausgesetzt ist oder es herunterfallen kann, braucht es aber spezifische Vorkehrungen oder alternative Lösungen. Einen guten Schutz gegen Nässe und Stöße bieten nur hochwertige Hüllen von Herstellern wie Lifeproof (v. a. das Modell FRE) oder Otterbox (v. a. Modell Defender), außerdem lässt sich an derartigen Hüllen meist auch eine Schnur zur Absturzsicherung befestigen (Abb. 1).

Smartphone in Handyhülle und mit Schnur zur Verlustsicherung.
Abb. 1 Handyhüllen schützen das Smartphone. Und es lässt sich eine Schnur zur Verlustsicherung daran befestigen. Foto: Wolfgang Warmuth.

Eine alternative Lösung, die weiterhin ihre volle Berechtigung hat, ist die eines Outdoor- GPS-Handgeräts von Herstellern wie Garmin. Modelle wie das Garmin GPSmap 64, 65 oder 66 sind speziell für diese Anwendungszwecke gebaut und können auch gut mit Handschuhen bedient werden. Bei Kälte wollen nämlich nicht nur das Handy, sondern auch unsere Finger geschützt werden (Abb. 2).

Dazu braucht es entweder Handschuhe, die für die Bedienung von Touchscreens geeignet sind oder GPS-Geräte, die mit Tasten oder Tap-Screen bedient werden können. Ein weiterer Vorteil: Im Gegensatz zum Smartphone sind GPS-Geräte nicht durch einen Code oder andere technische Hürden vor fremden Zugriffen gesperrt und können somit von jedem Mitglied einer Gruppe verwendet werden.

Abb. 2 Handschuhe und Handy vertragen sich nicht gut, daher sind GPS-Geräte, manchmal die bessere Alternative. Foto: Wolfgang Warmuth

Energieversorgung

Batterien und Akkus mögen per se keine Kälte, was sich bei Smartphones und GPS Geräten schnell zeigen kann. Ein GPS-Gerät wird gerne als Backup für Notfälle auf Touren mitgenommen, doch wenn die Energieversorgung nicht für den Einsatzzweck vorbereitet ist, dann kann das Gerät im entscheidenden Moment versagen.

GPS-Geräte

Je nach Bauart des Geräts stehen eingebaute Akkus oder austauschbare Batterien/Akkus zur Verfügung, die sich in der Kälteresistenz stark unterscheiden können. Um die beste Batterie oder den besten Akku für die Verwendung bei niedrigen Temperaturen zu finden, muss man zwischen den verschiedenen am Markt erhältlichen Typen unterscheiden.

Einwegbatterien

Mignon(AA)-Batterien oder Micro(AAA)-Batterien können im Handel als Lithium-, Alkaline- oder Zink-Kohle- Batterien gekauft werden.

Die preisgünstigen Zink-Kohle-Batterien sind generell nicht zu empfehlen und sollten in keinem Gerät verwendet werden.

Alkaline-Batterien sind an sich eine gute Wahl für den Betrieb in GPS-Geräten und punkten durch eine geringe Selbstentladung, allerdings haben sie Schwächen bei kalten Temperaturen. Bereits bei null Grad Celsius ist ein Kapazitätsverlust von rund 20 bis 40 Prozent möglich.

Die beste, aber auch teuerste Wahl für den Einsatz bei kalten Temperaturen sind Lithium-Batterien. Selbst bei minus 20 Grad Celsius kann hier ein GPS-Gerät sicher betrieben werden. Darüber hinaus entladen sie sich nicht selbst und sind daher ideal für Backupgeräte geeignet, die selten verwendet werden.

Akkus

In den Größen Mignon oder Micro sind NiMH-, NiZn- oder Lithium-Ionen-Akkus erhältlich. Bezüglich Kälteresistenz und Selbstentladung unterscheiden sich die einzelnen Modelle der verschiedenen Hersteller leider drastisch voneinander, sodass hier keine einfache Kaufempfehlung abgegeben werden kann.

  • Kälte: Alleine die Kapazität in mAh sagt nichts über die dauerhafte Verwendbarkeit bei Temperaturen unter null Grad Celsius aus. Je nach Akkumodell kann ein GPS-Gerät also bei Minusgraden verschieden lange betrieben werden, bevor es seinen Dienst quittiert – und das kann schon 20 Minuten nach Aufbruch sein. Entscheidend ist die Temperatur des Akkus bei Inbetriebnahme des Gerätes. Ist das GPS-Gerät z. B. als Backup im Rucksack und soll im Notfall aktiviert werden, dann kann der Akkustand als leer angezeigt werden, obwohl die Akkus voll geladen eingepackt wurden. In diesem Fall ist es sinnvoll, die Akkus zuerst am Körper zu wärmen, bevor sie im Gerät in Betrieb genommen werden, denn sonst steht das GPS-Gerät nicht zur Verfügung.
  • Die Selbst- und Tiefentladung ist vor allem ein Thema bei NiMh-Akkus. Werden die Akkus (im GPS-Gerät) nicht oft verwendet und geladen, dann erhalten sie keine regelmäßige Pflege und können schon nach sehr kurzer Zeit (weniger als ein Jahr) tiefentladen und damit defekt sein. Fatal, wenn das erst auf der Tour entdeckt wird.

Akkus sind also nicht immer die beste Wahl und man sollte sich gut vorher informieren. Wenn jemand mit Akkus arbeiten will, dann lohnt sich ein Blick auf ausführliche Tests zu den unterschiedlichen Typen. Auf der sicheren Seite für kalte Bedingungen ist man mit Lithium-Batterien!

Smartphone

Eingebaute Akkus in Smartphones (sowie in GPS-Geräten) sind in der Regel Lithium-Ionen-Akkus. So wie NiMH- und NiZn-Akkus haben auch diese Akkus ihre Schwächen bei tiefen Temperaturen. Erschwerend kommt hinzu, dass manche Betriebssysteme eine automatische Abschaltung des Smartphones bei Minusgraden herbeiführen, wenn der Akkustand einen bestimmten Wert unterschreitet. In diesem Fall lässt sich das Handy auch nicht mehr aktivieren, solange es nicht erwärmt und/oder an eine Stromquelle angeschlossen wird. Lithium-Ionen-Akkus in Smartphones arbeiten am besten in einem Temperaturbereich von 10 bis 25 Grad Celsius, weshalb Hersteller wie Apple auch eine Betriebstemperatur zwischen null Grad und 35 Grad Celsius angeben. Also das Smartphone nah am Körper tragen und nur für kurze Momente herausholen oder an eine Powerbank (Ersatzakku) angeschlossen halten, wenn es länger in der Kälte sein muss.

Grundsätzlich gilt bei allen Smartphones und GPS-Geräten: Vor dem Ausflug ins Gelände den Akku voll aufladen. Bei längeren Unternehmungen ist eine zusätzliche Powerbank sehr hilfreich. Dabei darauf achten, dass auch die Powerbank voll aufgeladen ist und das richtige Verbindungskabel zwischen Powerbank und Smartphone/ GPS-Gerät mitgenommen wird (Abb. 3).

Energieverbrauch

Damit die Akkus nicht unnötig strapaziert werden, ist es wichtig, den Energieverbrauch im Auge zu haben. Die zwei großen Faktoren hierbei sind: das Display und die Telefonbzw. Datenverbindung.

Display

Das Display verbraucht beim Smartphone die meiste Energie. Zum Glück ist aber offensichtlich, wann der Bildschirm Strom verbraucht, und zwar wenn er an ist. Daher gilt:

  • Die Einstellungen am Smartphone/GPS-Gerät so treffen, dass der Bildschirm bei Inaktivität rasch ausschaltet und sich nicht unabsichtlich in der Hosentasche einschalten kann (Tastensperre).
  • Display so wenig wie möglich verwenden. Dazu gehört auch das Fotografieren.
  • Displayhelligkeit so einstellen, dass möglichst gut und schnell alles erkannt wird und das Display nicht lange aktiv sein muss.

Telefon- und Datenverbindung

In urbanen Regionen oder in der Nähe von Skigebieten benötigt ein Handy aufgrund der guten Netzabdeckung nicht viel Energie, um mit dem Netz verbunden zu sein. Ist man allerdings in einer Region mit schlechter Abdeckung, wo sich während der Tour die Zustände „kein Netz“ und „schwaches Netz“ abwechseln, dann verbraucht das Handy unbemerkt viel Energie, um eine Verbindung zum Netz herzustellen.

Unsere Empfehlung ist deshalb:

  • Offline-Karten und -Inhalte verwenden, auch um den Datentransfer zu minimieren.
  • Mobile Daten am Smartphone deaktivieren. Man ist dann weiterhin über SMS und Telefon erreichbar.
  • Flugzeugmodus verwenden, wenn man gar nicht erreichbar sein muss. Allerdings: Wer alleine unterwegs ist, sollte wissen, dass im Flugzeugmodus die Handypeilung bei einer Suchaktion nicht funktioniert.
Abb. 4 Unnötige Hintergrundaktualisierungen ausschalten spart Strom. Foto: Wolfgang Warmuth

Hintergrundaktualisierung von Apps: Am Smartphone sind oftmals im Hintergrund viele Apps aktiv (Abb. 4) und über die mobilen Daten mit dem Internet verbunden, obwohl man sie auf Tour oder auch ganz allgemein nicht benötigt. Diese Hintergrundaktualisierung kann in Summe viel Energie verbrauchen, weshalb man am besten alle nicht benötigten Apps manuell beendet und in den Einstellungen des Betriebssystems die Hintergrundaktualisierung deaktiviert. Idealerweise ist im Gelände die gewünschte Navigationsapp die einzige aktive App und die Hintergrundaktualisierung nur bei zentralen Apps wie z. B. Whats-App eingeschalten.

Trackaufzeichnung: Zeichnet man mit einer App oder mit dem GPS-Gerät einen Track auf, dann braucht dies mehr Energie, als wenn man nur hin und wieder den Standort überprüft. Manche Apps und GPS-Geräte bieten Optionen an, um die Aufzeichnungsrate anzupassen und somit den Energiebedarf zu minimieren.

Technische Redundanzen

Es ist zu empfehlen, sich nicht alleine auf ein System zu verlassen, vor allem je länger und ernsthafter die Tour ist. Das Smartphone kann zwar inzwischen fast alle Aufgaben – von der Kommunikation bis hin zur Orientierung – sehr gut bewältigen, aber wenn es aus irgendeinem Grund nicht mehr funktioniert, dann ist es schlicht unbrauchbar. Daher soll man an Redundanzen denken. Einerseits von digital zu analog, also die gute alte Papierkarte und Kopien von Tourenbeschreibungen als Backup (Abb. 4). Andererseits aber auch von digital zu digital, also Smartphone plus GPS-Handgerät oder Smartphone plus GPS-Uhr und Smartphone plus Satellitentelefon.

„Es ist zu empfehlen, sich nicht alleine auf ein System zu verlassen, vor allem je länger und ernsthafter die Tour ist.“

Vorsicht ist derzeit noch mit sogenannten Smartwatches geboten. Denn auf den Smartwatches funktionieren nicht alle Orientierungs-Apps ausschließlich auf der Uhr, sondern viele benötigen für den vollen Funktionsumfang ein parallel gekoppeltes Smartphone (siehe zu Orientierung mit Uhr den Beitrag auf S. 88 in dieser Ausgabe). Sehr zu empfehlen ist die Kombination aus einer Smartphone-App und einem Garmin GPS-Gerät, denn diese lassen sich mittlerweile hervorragend miteinander verbinden, sogar unterwegs auf Tour.

Dabei können GPS-Tracks, also GPX-Dateien, aus einer App wie alpenvereinaktiv.com oder 4 Fatmap recht einfach und schnell auf ein GPS-Gerät übertragen und dort genutzt werden. Ältere Garmin-Geräte, wie das GPSmap 62 und 64 benötigen ein Kabel zur Datenübertragung. Bei den neueren Bluetooth-fähigen Geräten, wie dem GPSmap 65 oder 66 und genauso auch den modernen Garmin- Uhren, erfolgt die Übertragung sogar automatisch, wenn man den Garmin-Connect-Account mit dem alpenvereinaktiv-/outdooractive-Account koppelt. Man hat somit die Planung auf zwei Geräten mit dabei, versagt eines, dann steht das zweite Gerät nahtlos zur Verfügung.

Eine Anleitung dazu findet man in den Video-Tutorials von alpenvereinaktiv: Zentral ist dabei natürlich, dass GPS-Tracks schon vor der Tour oder spätestens vor dem Versagen des Smartphones auf ein GPS-Gerät übertragen werden müssen. Das führt uns zum nächsten Punkt.

Die „gute alte“ Papierkarte ist trotz moderner Tools immer noch am zuverlässigsten.
Abb. 5 Die „gute alte“ Papierkarte sollte trotz moderner Tools nicht vergessen werden. Foto: Wolfgang Warmuth

Soziale Redundanzen – Kommunikation mit Teilnehmern

In einem Interview hat ein Überlebender des Unglücks an der Pigne d’Arolla angegeben, dass anscheinend niemand in der Gruppe über den genauen Wegverlauf Bescheid wusste, da dieser nicht vor der Etappe oder während der Tour gemeinsam besprochen wurde. Es hätte somit keiner der Teilnehmer selbst ein Bild im Kopf gehabt, wie die Schlüsselstelle der Route, die Wegfindung zur Cabane des Vignettes, aussieht und wie sie zu bewältigen ist, weshalb wohl niemand bei der Suche unterstützen konnte. Natürlich stellt sich die Frage, wie viele Details einer kurzen Etappenbesprechung am Vorabend dann am nächsten Tag in einer Notsituation bei den Teilnehmern, welche die Tour nicht grundlegend geplant haben, noch vorhanden sind und ob diese hilfreich wären.

„Je weniger die Teilnehmer wissen und können, desto weniger können sie den Führer unterstützen, wenn dieser selbst in einer Notlage ist.“

Auch muss jeder Bergführer selbst entscheiden, welchen Führungsstil er bei seinen Touren umsetzen und wie viele Informationen er mit den Gästen teilen will. Fakt ist jedenfalls, je weniger die Teilnehmer wissen und können, desto weniger können sie den Führer unterstützen, wenn dieser selbst in einer Notlage ist. Will man als Führer die Teilnehmer informieren und damit auch Redundanzen schaffen, dann gibt es dafür mehrere Möglichkeiten:

  • Wegverlauf bei einer gemeinsamen Besprechung auf der Papierkarte zeigen oder sogar einzeichnen: Teilnehmer haben zumindest ein Bild im Kopf.
  • Teilnehmern Ausdruck der Planung/des Routenverlaufs mitgeben: bei einer Durchquerung sicher „too much“ und vielleicht etwas oldschool, aber z. B. für Bergwanderführer oder Tourenführer bei Vereinstouren eine super Sache: Die Option der „Faltversion“ findet man unter dem Reiter „Ausdrucken“ auf www.alpenvereinaktiv.com
  • Tourenplanungen digital teilen: die effektivste Lösung, wenn ich auch gleichzeitig technische Redundanzen schaffen will. Komplette Tourenplanungen mit allen nötigen Zusatzinfos lassen sich genauso mit Teilnehmern und Freunden teilen wie reine GPS-Tracks. Das geht entweder von App zu App oder von App zu GPS-Gerät, so wie oben beschrieben. Also vor der Tour die GPX-Datei über die gemeinsame WhatsApp- Gruppe teilen und schon haben alle, die das auch wollen und können, den Trackverlauf am Smartphone oder GPS-Gerät mit dabei.

Technische Möglichkeiten der Apps und Geräte

Viele der oben genannten Punkte funktionieren natürlich nur, wenn man sich erstens (selbst in Notsituationen) mit der verwendeten App bzw. dem GPS-Gerät auskennt und es bedienen kann sowie zweitens die technischen Möglichkeiten derselben überhaupt für die Anforderungen alpiner Anwendungszwecke ausgelegt sind. Bei unserem Unfallbeispiel ist nicht bekannt, ob es schon von Beginn an ein Problem mit der App des Bergführers gab oder ob vorrangig das Smartphone wegen Nässe und Kälte versagte. Fakt hingegen ist, dass das GPS-Gerät des Gastes keinen Trackverlauf der Winterroute gespeichert hatte und nur eine Karte auf Basis der OpenStreetMap enthielt, die für eine sinnvolle Orientierung in diesem alpinen Terrain eher ungeeignet war. Die technischen Möglichkeiten der Apps und GPS-Geräte sind also entscheidend für die Verwendung am Berg. Bei näherer Betrachtung sind das allerdings nur wenige wichtige Punkte:

  • Kartenmaterial: Für den Gebrauch im alpinen Gelände benötigt man hochwertige Kartengrundlagen. Eine kostenlose Karte auf Basis der OpenStreetMap ist eine super Sache, solange ich mich auf markierten Wanderwegen bewege oder mit dem Mountainbike unterwegs bin. Für Skitouren und Hochtouren ist allerdings eine detaillierte Geländedarstellung wichtig, weshalb hier gute topografische Karten zur Grundausstattung gehören, wie z. B. Swisstopo-, IGN- und AV-Karten, oder gute digitale Karten, die auf Basis hochwertiger Grunddaten erstellt werden, wie z. B. die outdooractive-Karte. Hinzu kommen Zusatzlayer, wie Hangneigungen und Skitourenrouten, auf verlässlichen Datengrundlagen.
Im Whiteout braucht es manchmal Alternativen
Abb. 6 Im Whiteout wie hier in Japan ist ein aufgezeichneter Track manchmal die beste Lösung, um sicher wieder ins Tal zu kommen. Foto: Wolfgang Warmuth.
  • Offline-Verfügbarkeit von Karten, Tourenbeschreibungen und eigenen Planungen: Damit eine App vernünftig im Gebirge genutzt werden kann, muss es zumindest möglich sein, die oben genannten hochwertigen Karten, inklusive Zusatzlayer, offline zu speichern und zu nutzen. Darüber hinaus sollte es auch möglich sein, bereits veröffentlichte Tourenbeschreibungen und eigene Planungen (in Form des Routenverlaufs auf der Karte und den Zusatzinfos) ohne Internetverbindung im Gelände zu verwenden.
  • Trackaufzeichnung: Die Aufzeichnung des zurückgelegten Weges kann in verschiedensten Situationen sehr hilfreich sein (Wegfindung im Whiteout und Sturm, Trackback: Umkehren entlang des aufgezeichneten Tracks, Abb. 6).
  • Navigation: Für die Navigation gibt es je nach Hersteller und App unterschiedliche technische Lösungen, angefangen von der geraden Linie vom eigenen Standort zum Ziel bis hin zum automatischen Routing über Wegenetze inkl. Sprachnavigation. Eine Navigationsfunktion ist ein weniger wichtiges Feature als die oben genannten. Richtig vorbereitet und eingesetzt kann sie aber besonders bei schlechter Sicht ein hilfreiches Tool sein.

Bei diesen vier essentiellen Funktionen wird schnell klar, dass ein Outdoor-GPS-Gerät alle diese Punkte leicht erfüllen kann. Nur das Thema der Kartengrundlagen ist entweder teuer oder man muss selbst Hand anlegen und mit Hilfe eingescannter Karten sogenannte Custom Maps erstellen. Bei den Apps hingegen trennt sich hier die Spreu vom Weizen, denn nicht alle bieten diesen Funktionsumfang und eine hochwertige Kartenauswahl. Noch dazu kommt ein entscheidender Kritikpunkt an Orientierungs-Apps im Allgemeinen: Die Stabilität der Software im Betrieb im Vergleich zu GPS-Geräten. Ein GPS-Gerät kann Monate im Schrank liegen und es macht für den Betrieb am Berg keinen Unterschied. Frische Batterien rein und los geht’s. Updates für die Software gibt es zwar regelmäßig, aber die fallen in der Verwendung kaum auf.

Apps hingegen, vor allem die der Marktführer, sind von ständigen Weiterentwicklungen geprägt und auch stark vom Betriebssystem des Smartphones abhängig. Es kommt hier immer wieder vor, dass sich Fehler einschleichen und bestimmte Funktionen von Apps eine Zeit lang nicht richtig funktionieren. Auch sind Fehlanwendungen viel leichter möglich, so dass am Berg die offline gespeicherten Karten oder die eigenen Routenplanungen doch nicht vorhanden sind, obwohl sie es eigentlich sein sollten. Will man sich am Berg nur auf eine App und das Smartphone verlassen, dann kann es leicht zu ungewollten Situationen kommen. Gerade bei Aktivitäten wie Hochtouren und Ski(hoch)touren kann daher ein GPS-Gerät im Vergleich zu Smartphone und App immer noch punkten.

Eine Info noch am Rande: Bei einem GPS-Gerät (weniger bei Smartphones) kann es sehr lange dauern, bis es den eigenen Standort erkennt, wenn man eine weite Reise unternimmt. Das kann so weit führen, dass das Gerät nicht selbstständig dazu in der Lage ist und man aktiv eingreifen und das entsprechende Land aus einer langen Liste auswählen muss. Besser also entspannt gleich zu Beginn einer Skitourenreise, beispielsweise nach Norwegen oder Georgien, das GPS-Gerät einschalten und den Standort bestimmen lassen, als gestresst in einer Notsituation.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass man einige Punkte beachten sollte, wenn man bei widrigen Wetterbedingungen im alpinen Gelände auf elektronische Helfer angewiesen sein will. Was bei schönem Wetter und guter Internetverbindung problemlos geht, wird in Notsituationen schnell zu einer echten Herausforderung. Die Informationen in diesem Artikel, aber auch Schulungen zu dem Thema und Training mit dem jeweiligen Gerät bringen euch hoffentlich mehr Sicherheit in der Anwendung.

Die Beachtung der oben genannten Punkte kann allerdings für Führungspersonen (vor allem Bergführer und genauso auch Tourenführer) nur ein Teil der Lösung sein, denn enorm wichtig sind weiterhin die Kompetenzen der klassischen Orientierung und unser menschlicher Orientierungssinn. Die digitale Tourenplanung und die elektronischen Helfer sollten nur ein Werkzeug im Werkzeugkasten sein und die anderen nicht vergessen werden.

Problematik beim Navigieren mit GPS.
Abb.7 Neulich mit dem GPS. Illustration: Georg Sojer.

Deutlich wurde dies für das Ausbildungsteam des Österreichischen Alpenvereins bei den Kursen zum Instruktor Skitouren der Bundesportakademie Innsbruck der vergangenen Jahre. Bei der Prüfung der klassischen Orientierung, die genauso für das Verstehen von Karten in Apps nötig ist, zeigten einige der Teilnehmer deutliche Mängel, wenn während der Kurse in der Planung und genauso auch im Gelände vermehrt mit Apps und Trackverläufen gearbeitet wurde.

Daher wurde von Seiten der Ausbilder wieder gezielt mehr mit Karten und klassischen Orientierungsaufgaben gearbeitet, was sich positiv in den Kompetenzen der Teilnehmer zeigte. Auch auf diese Erfahrung hin wollen wir eine provokante These in den Raum stellen und hinterfragen, ob die digitale Orientierung mittlerweile zu viel Raum einnimmt (Abb.6). Wenn wir uns die ideale Bergsteigerin oder den idealen Bergsteiger bzw. den idealen Bergführer oder die ideale Bergführerin vorstellen und uns überlegen, welche Hilfsmittel bei guten Wetterbedingungen welchen Anteil ihrer benötigten Orientierungskompetenzen einnehmen, dann könnte das ungefähr so aussehen:

  • Kopf + menschliche Sinne = 80 %
  • analoge Hilfsmittel (Karte, Bussole) = 10 %
  • digitale Hilfsmittel (Smartphone, GPSGerät) = 10 %

Und nun lehnen wir uns noch weiter aus dem Fenster und behaupten, dass die Kompetenzen von durchschnittlich ambitionierten Bergsteiger*innen und genauso auch von manchen Führungspersonen folgendermaßen verteilt sind:

  • Kopf + menschliche Sinne = 40 %
  • analoge Hilfsmittel (Karte, Bussole) = 5 %
  • digitale Hilfsmittel (Smartphone, GPSGerät) = 55 %

Ob wir mit diesen Annahmen richtig liegen oder von der Realität abweichen, ist schwer feststellbar. Sicher ist jedenfalls, dass wir umso mehr von unseren digitalen Helfern am Berg profitieren können und sie uns umso mehr unterstützen, je besser unsere Kompetenzen der klassischen Orientierung sind und je stärker unser eigener Orientierungssinn ausgeprägt ist. Vor allem auch bei schlechten Wetterbedingungen und Notsituationen. Denn ansonsten sind wir reine Anwender eines Systems und laufen im schlimmsten Fall einem Pfeil oder einer Linie hinterher, bis wir irgendwo anstehen. Die Bergrettungen im Alpenraum kennen sicher genug solcher Fälle, hoffentlich sind wir nie einer davon.

Erschienen in der
Ausgabe #119 (Sommer 22)

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