Die 18 höchsten Abstürze, die bisher überlebt wurden
Zum Autor: „Sicherheitspapst“ Pit Schubert verstarb 2024 im Alter von 88 Jahren. Über 40 weitere Beiträge von Pit Schubert finden sich in unserem Archiv (unter Suche/Autor/“Pit Schubert“).
Am Berg, im Fels- wie auch im Firngelände sollte man keine größeren Stürze riskieren, denn die enden gewöhnlich mit schweren Verletzungen oder mit dem Tod. Dies insbesondere im Felsgelände, denn der Fels ist gegenüber dem Firn eine „verdammt harte Masse“, die bei menschenüblicher Sturzbelastung nicht (!) nachgibt, wie es im Firngelände der Fall ist, wo man auch größere Stürze überstehen kann.
Stürze im Felsgelände
Nachfolgend werden zunächst die überlebten Stürze im Felsgelände geschildert, anschließend die im Firngelände.
1. Am Bauernpredigtstuhl im Wilden Kaiser
Peter Geyer, später Präsident des Deutschen Bergführerverbandes, wollte in seiner Sturm- und Drangzeit solo/allein die Alte Westwandroute am Bauernpredigtstuhl (Schwierigkeitsgrad VI-/A0 oder VI+) im Wilden Kaiser begehen. Für den ausgesetzten Quergang hatte er ein 15 Meter langes Seil bei sich. Um es nicht tragen zu müssen, band er es an seinen Anseilgurt und zog es hinter sich her.
In der zweiten Seillänge rutschte Peter Geyer beim Aufrichten auf einem abschüssigen Tritt unvermittelt mit einem Fuß weg, weil sich das herabhängende Seil irgendwo verhängt hatte. Peter Geyer stürzte 40 Meter hinab – bis zum Einstieg. Was stieß ihm zu? Nichts. Da die Wand in diesem Bereich senkrecht ist und noch zeitiges Frühjahr war, folglich noch tiefer Schnee am Einstieg lag und der Einstieg abschüssig ist, hat sich Peter Geyer bei seinem Sturz nicht den geringsten Kratzer zugezogen.
Eine Seilschaft in der benachbarten Lucke/Strobl-Führe hatte den Absturz mitbekommen und rief hinab, ob ihm was passiert sei. Peter Geyer antwortete: „Nein – ihr könnt ruhig weiterklettern“. Doch die Seilschaft drehte um. Offensichtlich hatte sie ein zu schwaches Nervenkostüm.
2. Im Wetterstein
Ein weiterer überlebter Sturz dieser Art ereignete sich im Wetterstein im Oberreintal am sogenannten Plattenschuss, wo immer viel geklettert wird, weil nicht weit von der Oberreintalhütte entfernt. Sturzhöhe immerhin 45 Meter. Passiert ist der Sturz im Juli 1995 in der zweiten Seillänge ohne jede Zwischensicherung, weil offensichtlich „zu leicht, um Zwischensicherungen anzubringen“.
Der Gestürzte zog sich nur einen Bruch des Jochbeins zu und eine Gehirnerschütterung (mit Helm). Ohne Helm hätte der Gestürzte – wie er sich später selbst mehrfach äußerte – keinerlei Überlebenschancen gehabt.
3. Auch in Frankreich
Gaston Rébuffat, einer der bekanntesten, französischen Bergsteiger, Felskletterer und Bergführer in den 1950er-Jahren bis Ende der 1970er-Jahre, konnte gemeinsam mit Roland Bozon einen 50 Meter hohen Sturz am Dent du Géant (Montblanc-Gruppe) überleben, wenn auch beide schwer verletzt wurden.
Grund des Absturzes war der Ausbruch des Standhakens, zu damaliger Zeit noch ein gewöhnlicher Normalhaken, der schon längere Zeit an dieser Stelle platziert gewesen sein dürfte und folglich stark korrodiert gewesen und deshalb abgebrochen ist.
Die bisher weitesten Stürze im Fels – soweit bekannt – haben sich inzwischen dreimal zugetragen. Einmal im Wilden Kaiser, an der Fleischbank-Ostwand, ein zweites Mal an den Felsen im Oberen Donautal, westlich von Sigmaringen und ein drittes Mal wieder im Wilden Kaiser und zwar an der Predigtstuhl-Westwand, im Einzelnen wie nachfolgend aufgeführt.
4. In der Fleischbank-Ostwand
Hermann Buhl, der bekannte Tiroler Kletterer in den 1950er-Jahren, berichtet in seinem Buch „Achttausend drüber und drunter“ von einem 60 Meter weiten Sturz im Schmuck-Kamin an der Fleischbank-Ostwand, den er absolviert hat. Warum ein derart weiter Sturz? Weil damals kaum ein Haken steckte; auch der Autor hat in den 1960er-Jahren den Schmuck-Kamin begangen und in den entscheidenden Seillängen im oberen Wandteil nur je einen Normalhaken angetroffen.
Während des Sturzes überschlug sich Buhl und stürzte mit dem Kopf voran. Dann folgte ein Seilruck und es richtete ihn wieder auf. Doch der Sturz ging weiter, und Hermann Buhl dachte sich – wie er später darüber berichtete: „Jetzt ist halt das Seil gerissen.“ Zur Zeit Hermann Buhls noch ein Hanfseil1. Doch es war kein Seilriss, sondern der einzige Zwischenhaken ist herausgerissen worden.
Hermann Buhl hat den Sturz ohne wesentliche Verletzungen überlebt. Er stand plötzlich auf einer kleinen Kanzel im Grund des Kamins.
5. Im Oberen Donautal
Einen gleich weiten Sturz von 60 Metern im Fels absolvierte Walter Knödler im Sommer 1968 an den Felsen im Oberen Donautal. Walter Knödler führte die zweite Seillänge und stürzte unerwartet ohne jede Zwischensicherung. Sein sichernder Seilpartner hatte irgendeinen Murks angestellt und konnte den Sturz folglich nicht auffangen, so dass Walter Knödler zusätzlich die volle Seillänge hinabstürzte. Weil der Fels in diesem Bereich senkrecht ist, geschah dies glücklicherweise ohne wesentlich ernste Verletzungen. An der
6. Predigtstuhl-Westwand
Der dritte gleich tiefe Sturz von 60 Metern ereignete sich in der Westwand am Predigtstuhl im Wilden Kaiser. Eine amerikanische Kletterin war mit ihrem Seilpartner in der Schüle/Diem-Haslacher/Beringer-Führe. Sie war im Vorstieg und ist gestürzt. Sie hatte in dieser Seillänge drei Friends hintereinander als Zwischensicherung angebracht. Die beiden oberen Friends hatte sie allerdings nicht ausreichend sicher platziert, sodass diese bei Sturzbelastung herausgerissen wurden.
Der unterste Friend war sicher platziert und hielt – aber nicht die selbst genähte (!) Bandschlinge des Friends. Die ist an der Naht vollständig aufgerissen. Dies führte zu einem Sturz in den Stand, den ihr sichernder Seilpartner (mit Achtersicherung am Körper) natürlich nicht (!) halten konnte, weil die Bremswirkung zu gering ist.
Die Amerikanerin stürzte die ganze Seillänge noch dazu aus. Beide waren verletzt, der Sichernde hatte verbrannte Handflächen und konnte folglich nichts mehr tun, die Amerikanerin war schwer verletzt. Die Österreichische Bergrettung musste ausrücken und beide bergen, was beachtliche Schwierigkeiten bereitet und viel Zeit gekostet hat. Fehler dieser Art – nämlich Bandschlingen selbst zusammenzunähen – wurden damals glücklicherweise nicht allzu häufig gemacht. Denn mit einer gewöhnlichen Haushaltsnähmaschine ist da nichts auszurichten und mit Nähen von Hand schon gar nichts.
In beiden Fällen sind der zu dünne Faden und die zu geringe Fadenspannung sowie die zu geringe Anzahl an Fäden für Sturzbelastungen beim Klettern bei Weitem nicht (!) ausreichend. Nur industriell genähte Bandschlingen, wie sie von den Sporthäusern angeboten werden, haben eine ausreichende Haltekraft, nämlich nach Norm mindestens 22 kN. Auch ältere, industriell genähte Bandschlingen, die häufig benutzt wurden, können nicht (!) zu Bruch gehen.
Stürze im Firngelände
Nun folgen die überlebten Stürze im Firngelände, die – wie bereits erwähnt – erheblich größer sein können.
7. Am Triglav
Es war Ende April 1946 in Slowenien. Toni Pogacnik fuhr an einem eiskalten, wolkenlosen Morgen mit Ski vom Kredarica-Berghaus über die Steilhänge hinab zum Triglav-Gletscher. Unerwartet schob sich ein Wolkenschleier vor die Sonne und die Sicht wurde plötzlich miserabel. Toni fuhr trotzdem auffallend zügig, obwohl er den Gletscher nicht gut kannte. Er ließ sich von den Spuren vorangegangener Abfahrten leiten.
Doch plötzlich erkannte Toni die Gefahr und wollte noch abschwingen – doch es war zu spät. Er stürzte bereits in die Tiefe. Glücklicherweise endete der Sturz in einer senkrechten, mit Schnee gefüllten Steilrinne, die unten flach war. Der weiche Firn dürfte Tonis Sturz in idealer Weise gebremst haben, denn er steckte bis zu den Achseln im Firn. Verletzungen hatte er sich glücklicherweise nicht zugezogen. Später wurde die Sturzhöhe mit Seilen ausgemessen: 90 Meter freier Fall.
8. In der Bionnassay-NW-Wand
Hartwig Erdenkäufer und Ernst Janele überlebten im August 1967 einen 200-Meter-Sturz in der NW-Wand der Aiguille de Bionnassay in der Montblanc-Gruppe. Als Erdenkäufer vom Stand nachsteigen wollte und versuchte, seinen Eishammer, der ihm zwischen den Beinen baumelte, aufzunehmen, nahm er einen Fuß zu Hilfe – verlor dabei aber das Gleichgewicht und stürzte. Das Seil zu seinem sichernden Seil-ersten straffte sich sehr bald und Erdenkäufer kam nach einigen Sturzmetern zum Stehen. Doch da kam schon das Seil wie eine lose Schlange von oben herabgefallen.
Die Standplatzsicherung seines Seilpartners hatte versagt. Erdenkäufer wurde vom vorbeistürzenden Seilpartner wie von einem Katapult geschossen mit in die Tiefe gerissen, wie oben erwähnt 200 Meter. Als ihr Sturz im flacheren Gelände endete, wollten sie zunächst nicht glauben, dass sie überlebt hatten. Sie hörten Rufe von einer anderen Seilschaft aus der Wand, die den Absturz mitbekommen hatte: „Seid ihr verletzt? Sollen wir kommen?“ „Nein, alles in Ordnung!“, war die Antwort der beiden Abgestürzten.
Natürlich war nicht (!) alles in Ordnung. Die verletzungsbedingten Schmerzen stellten sich erst ein, als sie begannen, sich etwas intensiver zu bewegen. Doch sie konnten ohne fremde Hilfe absteigen.
9. Am Matterhorn
Auch Anderl Heckmair, der weitgehend Führende bei der Erstdurchsteigung der Eigernordwand im Berner Oberland im Jahr 1938, ist einmal abgestürzt und zwar in der Westwand des Matterhorns. Allerdings schuldlos. Er wurde mit einem jüngeren Kameraden, der – was Anderl nicht wusste – das erste Mal Steigeisen an den Füßen hatte zu einer Bergungsaktion ausgesandt, weil ein deutscher Bergsteiger abgestürzt war.
Eine steile Firnrinne, die am Matterhorn zum Zmuttgrat hinaufführt, sind beide gleichzeitig am ausgegangenen Seil aufgestiegen. Plötzlich verlor der junge Kamerad das Gleichgewicht und stürzte in die Tiefe. Wie von einem Katapult geschleudert wurde Anderl vom Abstürzenden mit in die Tiefe gerissen, ganze 250 Meter. Der junge Kamerad stürzte in die Randkluft.
Anderl landete aufgrund seiner hohen Sturzgeschwindigkeit jenseits der Randkluft in weniger steilem Firn und verlor das Bewusstsein eine Stunde lang, bis er die Stimme Wiggerl Grammingers – des damaligen Chefs der Bayerischen Bergwacht – neben sich hörte, der auch mit von der Partie, aber nicht am gleichen Seil war.
Gramminger barg zunächst den jüngeren Kameraden aus der Randkluft, weil er annahm, dass dessen Verletzungen schlimmer seien als die vom Anderl; doch glücklicherweise hatte sich der jüngere Kamerad nur Hautabschürfungen zugezogen. Dann kümmerte Wiggerl Gramminger sich um Anderl, renkte ihm den beim Sturz ausgekugelten Arm wieder ein, und Anderl schlich lendenlahm absteigend hinunter. Später stellte man bei ihm mehr als ein halbes Dutzend Knochenbrüche fest.
10. An der Punta San Matteo
Auch schon wesentlich früher, zum Beispiel im Jahre 1868 (!), haben sich größere Abstürze auf Firnflanken zugetragen, die überlebt wurden. Julius Payer und sein italienischer Führer Pinggera sind an der Punta San Matteo (3678 m) im Cevedale-Kamm (südliche Ortlergruppe) durch einen Wächtenbruch in die Firnwand gestürzt und haben den Absturz von immerhin 250 Metern unverletzt überstanden. Wer die Firnwand einmal gesehen hat, wird sich das nicht recht vorstellen können.
11. Am Wetterhorn
Der schottische Bergsteiger Bruce Allan Hames überlebte Mitte Mai 1972 einen 300 Meter weiten Sturz. Er war mit vier Freunden seilfrei vom Wetterhorn (3701 m) im Berner Oberland abgestiegen. Dabei verlor er das Gleichgewicht und stürzte in die Tiefe. Von den 300 Metern Sturzhöhe waren 90 Meter freier Fall. Während des anfänglichen Sturzes dachte er, den Sturz mit dem Eispickel noch abbremsen zu können, doch den Eispickel hatte er schnell verloren. Als er wieder festen Boden unter den Füßen spürte, erhob er sich, um – wie er später berichtete – „seinen Abstieg fortzusetzen“.
Er trug keinerlei ernste Verletzungen davon, nur einige Schürfwunden sowie Prellungen. Der Sturz endete im harmlosen Firngelände, wo sich die Steilheit langsam verflachte, und somit der Sturz sanft abgebremst wurde.
12. Am Zinalrothorn
Eine britische Seilschaft überlebte im Sommer 1970 am Zinalrothorn (4221 m) in den Walliser Alpen, im Aufstieg einen Seilschaftssturz von 350 Metern. Judith Parsons und Mike Pearce waren am kurzen Seil miteinander verbunden. Einer der beiden kam zu Sturz und riss den Seilpartner bzw. die Seilpartnerin mit in die Tiefe. Judith Parsons berichtete später, dass ein Gewitter über sie hereingebrochen sei, Blitze seien niedergefahren.
Sie hatte den Eindruck gehabt, „dass ein Blitz in ihr Seil gefahren sei“. Sie hat später zwar immer wieder einmal Zweifel daran geäußert, doch ist dies durchaus möglich.2 Während des Sturzes hatte Judith schließlich den Eindruck, „dass es jetzt aus sei!“ Doch glücklicherweise folgte wenig später ein mächtiger Ruck und das Seil hatte sich irgendwo verfangen und ist glücklicherweise auch nicht gerissen. Judith erlitt nur einige Rippenbrüche, Mike nur stärkere Hautabschürfungen. Beide wurden von der Schweizer Rettungsflugwacht geborgen und ins Krankenhaus geflogen.
13. An der Triolet
Wolfgang Schels überlebte 1974 einen 400 Meter weiten Sturz in der Nordwand der Aiguille de Triolet (3870 m) im Montblanc-Gebiet. Schels war in der nach rechts ansteigenden Querung als Führender nahezu die volle Seillänge in nicht allzu steilem Firn ausgegangen, als er das Gleichgewicht verlor und stürzte.
Die Standplatzsicherung seines Seilpartners war der Sturzbelastung aufgrund des hohen Sturzes nicht gewachsen, wurde herausgerissen, und beide stürzten bis auf den Argentière-Gletscher hinab. Wolfgang Schels verlor zunächst das Bewusstsein, wurde später geborgen und kam wieder zu sich. Sein mitgerissener Seilpartner überlebte den Absturz nicht.
14. In der Hohen Tatra
Am 10. März 1965 versuchte die tschechische Seilschaft Hejtman/Nuska aus Prag, den Mengusovský-stit-SO-Pfeiler zu begehen. Der vorankletternde Hejtman musste unterhalb des Gipfels ein kleines Firnfeld queren. Weil das Seil nicht ganz bis zum nächsten Standplatz reichte, ließ er Nuska – beim gleichzeitigen Aufstieg – einige Meter ungesichert nachsteigen. Nuska aber rutschte weg und riss Hejtman mit in die Tiefe. Beide stürzten 400 Meter ab und landeten auf weniger steilem, schneebedecktem Schutt am Wandfuß. Nuska erlitt nur leichte Verletzungen, während Hejtman den Sturz nicht überlebte.
15. Noch einmal am Zinalrothorn
Ein zwanzig Jahre alter Engländer namens Martin Prince ist im Wallis am Zinalrothorn (4221 m) 600 Meter abgestürzt. Er hatte nach seinen eigenen Angaben „unglaubliches Glück“. Er meinte später, dass er wohl nur deshalb überlebt habe, „weil die Schneedecke stärker war als gewöhnlich“. Er trug nur etliche Prellungen und eine Platzwunde an der Stirn davon – und einen beachtlichen Schrecken.
16. An der Marmolada
Einen zweiten Sturz von 600 Metern überstand Norbert Sandner 1972 in den Dolomiten an der Marmolada (3344 m). Er hatte mit Hartwig Erdenkäufer an der SW-Wand, die Solda-Führe durchstiegen, und beide wollten seilfrei über den Westgrat auf der Via Ferrata (Klettersteig) absteigen. Noch im Firn/Eis des Gipfelbereichs rutschte Sandner aus, verlor das Gleichgewicht und stürzte die gesamte NO-Flanke hinunter.
Erdenkäufer stieg so schnell er konnte über die Via Ferrata ab und fand Norbert Sandner, der den Sturz glücklicherweise überlebt hatte, aber schwer verletzt war.3 Erdenkäufer versorgte seinen Partner, so gut es ging, er wickelte ihn in Kleidung ein, die er selbst ausgezogen hat, und machte sich auf den Abstieg zum Contrin-Haus, um die Bergrettung von dort zu informieren.
Als dies gelungen war, machte sich Erdenkäufer mit Decken und heißem Tee und einer Stirnlampe wieder auf in Richtung seines abgestürzten Seilpartners, den er um 2 Uhr nachts erreichte. In der Zwischenzeit war dieser weitere 30 m abgerutscht, glücklicherweise aber nicht in eine Gletscherspalte gestürzt. Noch bei Dunkelheit tauchten die ersten Retter auf. Beim Abtransport meinte einer der Retter, dass dem Verletzten ja schon das Gehirn herausschaut.
Der verletzte Norbert Sandner dachte sich: „Das kann ja wohl nicht sein – sonst könnte ich ja nicht mehr denken.“ Es war auch nicht so, es waren nur die aufgeschwollenen Wundränder der Kopfhaut, die ihm teilweise fehlte. Aufgrund des schwierigen Abtransportes konnte Sandner erst 18 Stunden später im Krankenhaus in Cortina behandelt werden. Seine Genesung machte schließlich gute Fortschritte. Auch als er wieder in seiner Heimat in Nürnberg war, erholte er sich auffallend schnell, so dass er bald wieder am Fels den IX. Schwierigkeitsgrad klettern konnte.
17. Im Kaukasus
Einen besonders weiten Sturz von etwas über 700 Metern überlebte eine russische Seilschaft in einer steilen Firnflanke im Kaukasus. Die Seilschaft Strebtschuna-Tschijunsky befand sich auf dem Nordwestgrat des Adirsu-Baschi (4330 m) und hatte schlechte Sicht. Auf der überwechteten Gratschneide stürzte die Seilschaft in die Tiefe – und überlebte.
Der Sturz lief glücklicherweise relativ langsam ab, weil die Steilheit der Firnflanke nach unten auffallend abnahm. Trotzdem konnte keiner der beiden seinen Sturz alsbald zum Stillstand bringen, erst im wesentlich flacheren Gelände. Während des anschließenden Krankenhausaufenthaltes waren die schlimmsten Verletzungen innerhalb einer Woche glücklicherweise so weit regeneriert, dass beide die Klinik wieder verlassen konnten.
18. In Japan
Den wohl allergrößten Sturz überlebte ein japanischer Student. Im Sommer 1972 verlor Yutaka Sonoda beim Gletscher-Aufstieg auf den Tsurugidake (3003 m) in Japan den Halt, rutschte weg und stürzte 1500 Meter durch Schneerinnen hinab, wo der Sturz unten sanft auslief. „Der Sturz schien überhaupt nicht enden zu wollen“, berichtete er später. Er zog sich glücklicherweise nur am rechten Arm eine leichte, eher harmlose Verletzung zu. Sonst nichts, was bei dieser Sturzhöhe wahrlich nicht zu erwarten gewesen ist.
Fußnoten
1 Hanfseile sind, wenn sie nass waren, langsam gefault und zwar so lange, bis sie wieder getrocknet waren. Denn Hanf ist ein Naturprodukt (im Gegensatz zu den späteren und heutigen Perlon-, Nylon- bzw. Polyamidseilen, die aus Kunstfasern gefertigt sind, denen macht die Feuchtigkeit nichts weiter aus). Auf Grund dessen hat damals – in der so genannten „Hanfzeit“ – auch jeder Kletterer versucht, einen Sturz im Vor¬stieg grundsätzlich zu vermeiden. Auch der Verfasser dieses Beitrags hat diese Zeit noch miterlebt. Damals galt die Grundregel: Im Vorstieg niemals (!) stürzen, weil man nicht wusste, ob das Seil hält oder zu Bruch geht!
2 Auch der Autor und sein Seilpartner haben dergleichen zweimal erlebt. Einmal in der Mauk-Westwand (Wilder Kaiser) und ein zweites Mal an der Fünffingerspitze (Langkofelgruppe); in beiden Fällen kurz unterhalb des Gipfels, glücklicherweise an einem Standplatz, so dass beide selbstgesichert waren; der elektrische Schlag war deutlich zu spüren, beide wurden richtiggehend hin- und hergeschüttelt.
3 Zehn Tage zuvor war ein deutscher Bergsteiger mit seiner Tochter ebenfalls in diesem Bereich abgestürzt; beide überlebten den Absturz nicht.