Der Weg zum Alpinismus: 6 junge Bergsteiger*innen erzählen
1. Laura Tiefenthaler
Laura, wer ist für dich ein*e Alpinist*in? Ich müsste mal darüber nachdenken, wie ich das für mich definiere. Im Grunde ist es mir aber gar nicht wichtig, was oder wer eine Alpinist*in ist – ich will einfach Freude am Berg haben und das machen, worauf ich Lust habe. Darüber entscheiden, ob das Alpinismus ist oder nicht, dürfen andere. Aber wenn ich schon definieren soll, dann heißt Alpinismus für mich, im Alpinstil auf einen Berg zu steigen, wobei das Steigen an sich nicht reicht, sondern man technisch anspruchsvolleres Gelände überwinden muss.
Du hast offensichtlich „Freude am Berg“, wie bist du dorthin gekommen? Ich bin in Innsbruck aufgewachsen und dadurch waren die Berge immer sehr nah. Mit meiner Familie bin ich viel Wandern und viele Skitouren gegangen und gemeinsam mit meinem Bruder habe ich dann mit dem Bergsteigen angefangen. Schließlich war ich dann in der Alpenvereins-Jungmannschaft der Sektion Innsbruck, wo ich viele junge moti- vierte Leute kennen gelernt habe, mit denen ich dann etwas ambitionierter unterwegs war. Danach bin ich zum DAV-Expeditionskader.
Hat es einen Schlüsselmoment gegeben? Als ich mit meinem Bruder zusammen die Mayerlrampe geklettert bin – ich war damals 17 und noch ziemlich planlos –, da habe ich gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, und dabei realisiert, dass es genau das ist, was ich machen will. Seitdem hat es sich wie ein Selbstläufer angefühlt und es wurde zu meiner Leidenschaft. Ich weiß nicht, ob man das als Schlüsselmoment verkaufen kann.
Was hat dir der Alpinismus gebracht? Zum einen habe ich sehr viele tolle Menschen kennengelernt, zum anderen sind die Momente, die ich in den Bergen erleben darf, etwas ganz Besonderes.
Wo soll dich dein Weg hinführen? Gute Frage. Schauen, was die Zukunft bringt. Ich habe heuer mein Medizinstudium und gerade eben auch die Bergführerausbildung abgeschlossen. Jetzt habe ich meine Basisausbildung im Krankenhaus angefangen. Das Wichtigste ist aber, dass ich meine Träume leben kann und Freude habe. Und die meiste Freude habe ich nun mal, wenn ich am Berg unterwegs bin.
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2. Martin Sieberer
Martin, wer ist für dich eine Alpinist*in? Der oder die Abenteuer-Suchende. Jemand, der Neues erforscht und nach neuen Möglichkeiten sucht. Ein*e Alpinist*in ist für mich ein*e Forscher*in, der/die zwar nicht wie früher nach Neuland sucht, dafür aber nach neuen Wänden und Linien.
Würdest du dich selbst als einen Alpinisten bezeichnen? Mittlerweile schon. Allerdings habe ich recht spät mit dem Alpinismus angefangen, bin zunächst viel klettern gegangen und irgendwann hat es angefangen, dass ich Linien oder Wände gesehen habe, die noch nicht geklettert wurden. Aber so richtig als Alpinisten sehe ich mich erst, seit ich auf meiner ersten Expedition gewesen bin.
Wie bist du zum Alpinismus gekommen? Ich bin schon sehr früh mit meinen Eltern in die Berge gegangen. Mein Papa war bei der Bergrettung und dadurch ist auch meine Mama viel mit mir gegangen. Dann sind wir aber viel herumgezogen und es hat sich wieder verflüchtigt. Erst während meines Masterstudiums in Kufstein bin ich mit der Bergwelt wieder in Berührung gekommen. Es hat also sehr lange gedauert. Ich war schon immer jemand, der zu Extremen neigt, war auch sehr viel unterwegs und hab auch viel Party gemacht und dieses und jenes.
Dann hatte ich einen schweren Unfall. Ich wurde von einem Auto zusammengefahren und es hat zwei bis drei Jahre gedauert, bis ich richtig fit geworden bin, aber danach habe ich gespürt, dass ich etwas an meinem Leben ändern will und habe die Liebe zu den Bergen wiederentdeckt. Hab dann angefangen mit Skitourengehen, Klettern, Eisklettern … überall voll motiviert und sofort bei allem dabei. Ich habe einiges auf die harte Art lernen müssen mit ein paar Verletzungen, aber es ging dann nicht mehr ohne die Berge. Der Weg war vielleicht etwas holprig, aber das hat es gebraucht und ich möchte die Zeit davor auch nicht missen und auch die Stolpersteine auf meinem Weg nicht.
Was hat dir der Alpinismus außerdem gebracht? Freundschaften. Außerdem macht mich der Alpinismus glücklich in dem Sinne, dass ich zufrieden und ausgeglichen bin und diese positive Energie anderen Menschen vermitteln kann. Das Dritte ist, im Jetzt zu leben. In den alpinen Touren ist man so fokussiert und kann alles andere ausblenden. Dafür hat man danach die Energie für alles andere.
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3. Eva Schider
Eva, wie bist du mit dem Projekt Junge Alpinisten YOUNGSTERS in Berührung gekommen? Die Alpenvereinsjugend hat das Projekt Junge Alpinisten YOUNGSTERS initiiert, um Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren für alpine Bergsportarten (Alpinklettern, Hochtouren, Eisklettern, Skitouren, Skihochtouren) zu motivieren und sie in der eigenständigen Ausübung dieser zu fördern. Dabei geht es bei den YOUNGSTERS neben alpinsportlicher Ausbildung sehr stark um Gemeinschaft, persönliche Entwicklung, Verantwortung und Lernen auf Augenhöhe. Heli Düringer und ich waren als Bergführer von Beginn an dabei und am Entstehungsprozess beteiligt.
Was gefällt dir an deiner Tätigkeit bei den YOUNGSTERS-Kursen am meisten? Ich arbeite sehr gern mit Jugendlichen zusammen, weil sie so wissbegierig sind und alles ausprobieren möchten. Faszinierend finde ich außerdem, wie viel Energie die Jungen haben. Ich würde es als „pubertierenden Wahnsinn“ bezeichnen – die Jugendlichen dürfen sich einfach auspowern und zeigen, was sie bereits alles können. In meiner Jugend hätte ich mir ein ähnliches Programm für mich selbst gewünscht.
Was ist für dich die Besonderheit des YOUNGSTERS-Konzepts? Sinnvoll finde ich es, die Führungsrolle teilweise abzugeben. Ich möchte den Jugend- lichen keine Schritt-für-Schritt-Anleitung bereitstellen. Sie sollen selbst ausprobieren und ihre Grenzen kennenlernen, nach dem Motto „learning by doing“. Das gibt viel Selbstvertrauen, die Jugendlichen lernen ihre Stärken und Schwächen besser kennen und es ist eine schöne Form zu lernen. Natürlich gebe ich Feedback und schreite bei Sicherheitsfragen ein. Aber ich möchte mich vom klassischen Lehr-Lern-Konzept entfernen.
Was ist für dich das Ziel dieser Kurse? Mir ist wichtig, dass ich den Spaß am Bergsport vermittle. Dabei soll keinesfalls die Leistung im Vordergrund stehen, sondern die individuelle Weiterentwicklung. Ob ich die Eiger-Nordwand gehe oder nur eine gemütliche Wanderung zu Hause mache – das ist komplett egal. Vielmehr sollen die Jugendlichen die Natur wahrnehmen und gemeinsam mit Freunden unterwegs sein.
Wird deines Erachtens nach dadurch der Alpinismus gefördert? Ich glaube nicht, dass wir durch die YOUNGSTERS-Kurse automatisch Spitzenalpinisten lukrieren. Der Alpinismus wird jedoch sicherlich breiter aufgestellt und ein junges Publikum angesprochen. Einen wichtigen Aspekt finde ich auch die „Peer-group-education“: Die Kinder und Jugendlichen geben ihr Risikobewusstsein sowie das gelernte Wissen an ihre Freunde und Familien weiter.
Was wünschst du dir von den YOUNGSTERS in der Zukunft? Meines Erachtens nach geht es nicht darum, dass die YOUNGSTERS noch viel größer werden. Ich würde mir aber wünschen, dass die Vernetzung noch besser wird und sich die Jugendlichen auch über den Kurs hinaus kennenlernen. Oftmals fehlen den jungen Erwachsenen nämlich passende Tourenpartner und ein kursübergreifender Austausch könnte ihnen dabei helfen, noch mehr Kontakte zu knüpfen.
4. Nadine Wallner
Nadine, was zeichnet für dich eine Alpinistin aus? Ich finde, eine genaue Definition ist schwierig. Ich glaube, es ist die Vielseitigkeit, die am Berg benötigt wird, um ans Ziel zu gelangen. Auch ein*e Kletterer*in oder Skifahrer*in ist ein*e Alpinist*in.
Bist du selbst eine Alpinistin? Ja, im weitesten Sinne würde ich mich auf jeden Fall als Alpinistin bezeichnen.
Gibt es einen Schlüsselmoment, seit dem du dich als solche bezeichnest? Ich würde sagen, seitdem beim Skifahren auch technisch schwierigere Zustiege ein Thema sind. Darunter verstehe ich, dass ich nicht nur mehr Abfahrten im Nahbereich der Skigebiete mache, sondern auch Pickel und Steigeisen für meine Abfahrten verwende.
Wie bist du zum Klettern gekommen? Beim Freeriden in Alaska zog ich mir einen offenen Schien- und Wadenbeinbruch zu, sodass Skifahren in dem Winter nicht mehr möglich war. So bin ich dann therapiemäßig in der Halle geklettert und bin nach dem Winter sofort an den Fels, was mir gleich gut gefallen hat. Dann habe ich sehr gute Kletter*innen kennengelernt, die mir viel gezeigt haben. Da ich ein Bergmensch bin, habe ich auch gleich das Alpinklettern für mich entdeckt.
Zwei Sommer lang war ich dann viel draußen unterwegs und ich füllte den Tourenbericht für die Bergführerauf- nahmeprüfung, die ich dann auch gleich schaffte. Im Laufe der Zeit bin ich noch intensiver ins Klettern gekommen und so schaffte ich nach einem umfangreichen Trainingswinter einen großen Sprung von 7b+ beim Sportklettern im Herbst bis zu der Sportkletterroute Euphorie, welche mit 8b/8b+ bewertet ist. Im Folgejahr konnte ich dann noch die Tradkletterroute Prinzip Hoffnung wiederholen, welche auch mit 8b/8b+ bewertet ist. Zu diesem Zeitpunkt war es für mich aber nicht greifbar, was dies bedeutet.
Warst du vor deinem Unfall noch gar nie klettern? Als Kind und Jugendliche bin ich ein paar Mal mit meinem Papa 4er- und 5er-Touren geklettert, doch dies lässt sich an zwei Händen abzählen. In meiner Familie ist einfach das Skifahren tief verankert.
Was schätzt du am Alpinismus am meisten? Alpinismus ist so ehrlich. Man lernt die Leute kennen, so wie sie sind, weil sich jede*r irgendwann in irgendeiner Situation außerhalb seiner/ihrer Komfortzone bewegt und zeigt.
Bist du mittlerweile viel als Bergführerin unterwegs? Ich arbeite nicht Vollzeit, weil ich Partner habe, die mich gut unterstützen. Im Sommer führe ich generell weniger als im Winter, weil ich mein Wissen beim Skifahren einfach gern weitergebe. So habe ich das „OFFLINES Camp“ ins Leben gerufen, bei dem junge Freerider*innen kostenlos am Arlberg mit mir abseits unterwegs sind und sowohl theoretisch als auch praktisch gecoacht werden. Dabei geht es zum einen um Freestyle-Elemente wie einen Double Backflip und zum anderen um das Lawinenthema. Mein Ziel ist, dass die Jugendlichen sicher im freien Gelände unterwegs sind und auch weiter ins freie Gelände hinausfahren können.
Ein tolles Angebot. Eine abschließende Frage: Klettern oder Freeriden? Lacht … Es hat beides seinen Reiz. Aber im Herzen bin ich einfach eine Skifahrerin. Die Schwerkraft beim Klettern ist hart. Beim Skifahren arbeitest du nicht gegen die Schwerkraft und es geht dir – wortwörtlich – leichter von den Füßen. Und genau deshalb liebe ich das Skifahren – wegen der Geschwindigkeit und dem Gefühl, schwerelos zu sein, insbesondere an schönen Powderdays!
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5. Ludwig Sandhacker
Luggi, wer ist für dich ein*e Alpinist*in? Jemand, der Spaß an den Herausforderungen in den Bergen hat.
Wie bist du selbst zum Alpinismus gekommen? Ursprünglich durch meine Eltern, die mich immer wieder zum Klettern mitgenommen haben. Eigenständige Touren mache ich aber erst seit den Junge-Alpinisten-YOUNGSTERS-Kursen. Durch diese bin ich erstmals mit anderen Jugendlichen in Kontakt gekommen, die ebenso für Abenteuer in den Bergen motiviert sind. Die YOUNGSTERS-Kurse waren somit mein Sprungbrett auf dem Weg in den Alpinismus. Sie gaben mir die Gelegenheit, Gleichgesinnte zu treffen und das Erlernte mit den neu gewonnenen Freunden auch privat umzusetzen.
Was konntest du aus den Kursen noch mitnehmen? Eva und Heli (Anmerkung: Kursleiter der YOUNGSTERS-Kurse) haben mich stark inspiriert. Zum einen gefällt mir ihre Lebensgestaltung, aber auch das Vertrauen in die Teilnehmer*innen der Kurse, wo Fehler erlaubt, ja sogar erwünscht sind. Bei den Kursen waren sie mehr wie gleichberechtigte Seilpartner*innen als Führungspersonen, die immer alles vorgeben.
Was schätzt du am Alpinismus am meisten? Die Freundschaften, die dabei entstehen.
Warum gehst du so gerne in die Berge? Zum einen gefällt mir das Gefühl von Abenteuer, zum anderen treffe ich gern Entscheidungen und befasse mich mit mir und meiner Umgebung. Und dann ist da natürlich auch die körperliche Anstrengung, die ich mag.
Was soll die Zukunft bringen? Zuerst muss ich meine Bergführerausbildung abschließen und danach möchte ich mein Leben von und mit den Bergen gestalten. Ich will auch andere Gebiete kennenlernen. Das Wichtigste ist mir jedoch, dass ich von den Bergen gesund heimkomme.
6. Fabian Hagenauer
Fabian, bist du ein Alpinist? Inzwischen schon. Es hat aber seinen Weg gebraucht, bis ich in allen Disziplinen die Erfahrung gesammelt habe und nun kombinierte Touren machen kann, so wie heuer die Heckmair-Route an der Eiger-Nordwand.
Beschreibe deinen Weg zum Alpinismus? Angefangen habe ich mit dem Sportklettern in Oberaudorf. Im Alter zwischen 14 und 16 Jahren war ich im Wettkampfteam, wobei ich zugeben muss, dass es mir dabei mehr darum gegangen ist, Leute kennenzulernen, mit denen ich am Fels klettern kann. Zu dem Zeitpunkt war ich rein auf das Sportklettern fokussiert, später kam das Alpinklettern dazu. Dabei habe ich nicht wie üblich mit leichten alpinen Klassikern angefangen, sondern gleich recht schwere und anspruchsvolle Mehrseillängen-Routen versucht, an denen ich oft auch gescheitert bin. Gemeinsam mit Roland Hemetzberger haben wir einige Erstbegehungen gemacht.
Mein Part dabei war schon immer der erste Kontakt mit der Tour – der Abenteuercharakter, das ganze Drumherum, das Erschließen, sich Hocharbeiten, mal aus einem Griff heraus- fallen – das hat mir immer sehr getaugt. Schließlich bin ich zu den wirklich alpinen Touren gekommen, die man mit Schlaghaken absichern musste und wo die Felsqualität auch einiges zu wünschen übrigließ. Es hat noch eine Weile gedauert bis ich auch das Eisklettern ausprobiert habe, aber danach kam immer mehr die Lust, alles ins Hochalpine zu übertragen. Schließlich war ich irgendwann in Chamonix und konnte alle Disziplinen vereinen. Ab da hat sich der Alpinismus für mich immer weiterentwickelt.
Was gibt dir der Alpinismus? Zum einen ist es unglaublich schön, für etwas zu brennen, eine Leidenschaft zu haben und dabei viele wertvolle und intensive Momente zu erleben. Das zweite sind Freundschaften. Und das dritte natürlich das Abenteuer.
Hat es auf deinem Weg Stolpersteine gegeben? Was ich lernen musste, ist, dass beim Alpinismus oft weniger mehr ist. Lieber weniger Touren machen, diese dafür mehr schätzen und auch mehr Eindrücke mitnehmen. Man hat oft das Gefühl, ständig was machen zu müssen, beim Alpinismus ist es jedoch so, dass das Risiko vorhanden ist und man voll und ganz bei der Sache sein sollte. Daher glaube ich, dass weniger oft mehr ist.
Wohin soll dich dein Weg hinführen? Ich würde gern meine Stärke, die nach wie vor das Felsklettern ist, auf große Wände übertragen. Eine geile Wand in Patagonien klettern, wo das Ambiente rauer ist sowie Raum und Klima stark einwirken. Zunächst aber geht es mit dem DAV-Expeditionskader nach Grönland, wo wir dann hoffentlich eine coole Erstbegehung hinterlassen können. Und natürlich die Bergführerausbildung zu Ende bringen.