„Biabl, tu no zwoa Johr Knödl essen … und noar kimmsch wieder“
Zum 75. Geburtstag von Reinhold Messner bat mich die Redaktion von Bergeerleben, von meinen Erinnerungen und Erlebnissen zu erzählen. Mein Verhältnis zu Reinhold war von Höhen und Tiefen geprägt. Die Höhen haben aber bei Weitem überwogen.
(aus Bergeerleben September 2019, AVS-Mitgliedermagazin)
Ungefähr zeitgleich zu meinen ersten Felsfahrten war auch Reinhold mit seinem Bruder Günther unterwegs. Ihre Touren wurden immer schwieriger und ihr Bekanntheitsgrad wuchs. Etwa Mitte der 1960er-Jahre wollte sich Reinhold bei der AVS-Hauptleitung für einen Bergführerkurs anmelden. Emil Schorn, der schon etwas ältere AVS-Sekretär schaute den Reinhold an und gab ihm den Rat: „Biabl, do tuasch no a zwoa Johr Knödl essen, nor kimmsch wieder!“
Das ließ sich Reinhold natürlich nicht gefallen, ging zur CAI-Zentrale und wurde dort sofort zum Kurs gemeldet. Bald danach gründete Reinhold mit seinen Freunden in Villnöß eine Bergrettungsstelle, die deshalb bis heute an den CAI gebunden ist. Wie man sieht, trägt der AVS an diesem Umstand selbst sein Maß an Schuld.
Die Brüder Reinhold und Günther
1969 waren die Leistungen der Messner-Brüder nicht mehr zu übersehen. Reinhold gelangen die beiden damals schwierigsten Bergfahrten in den West- und in den Ostalpen im Alleingang, die Nordwand der Droites und die Philipp-Flamm-Route an der Civetta. In diesem Jahr stieß er zu unserer Hochtourengruppe (HG) in Bozen und wurde Mitglied. Reinhold nahm sofort eine bestimmende Rolle ein und wurde für einige Jahre HG-Referent in der AVS-Hauptleitung. 1970 wurden er und sein Bruder Günther zur Nanga-Parbat- Expedition von Karl Herrligkoffer eingeladen. Ziel war die höchste Wand der Welt, die 4.500 Meter hohe Rupalflanke. Der Alpenverein startete für die Aktion der Brüder eine Spendenaktion. Wir verabschiedeten Reinhold am 2. April 1970 im Hotel Mondschein mit den Worten des Hausherrn und AVS-Sektionsvorstandes Heinz Mayr: „Lieber Reinhold, du bist nicht der Erste, der von hier aus in die Berge der Welt zieht. Vor 16 Jahren haben wir in diesem Raum Erich Abram zum K2 verabschiedet. Unsere Freundschaft soll dich begleiten. Komm gut wieder!“
Reinhold und Günther durchstiegen die Rupal-Flanke als Erste bis zum Gipfel, nachdem sie jedes Höhenlager selbst eingerichtet hatten. Es wurde die erste Überschreitung eines Achttausenders, aber Günther kam nicht mehr zurück. In seinem Gedenken hat der AVS 1972 eine Biwakschachtel unter der Hochferner-Nordwand errichtet, sie trägt den Namen Günther Messner.
Neue Akzente gesetzt
1971 gelingt Reinhold in Neuguinea allein die erste Durchsteigung der Nordmauer am Puntiak Djaja, vergleichbar mit der Solleder-Route in der Civetta- Nordwestwand.
1972 heiratete Reinhold Uschi Demeter und ich weiß noch, wie wir ihn in Villnöß mit lustigen Plakaten und Südtiroler Sekt feierten. Im selben Jahr folgt die Südwand des Manaslu mit dem bedauernswerten Bergtod zweier Kameraden.
Mit der direkten Durchsteigung der Großen-Zinne-Nordwestwand hatten in den Dolomiten 1958 die Direttissimas ihren Einzug gehalten. Reinhold und seine Generation erkannten das als Fehlentwicklung. Sie waren der Linie von Paul Preuß verpflichtet, und es gelang ihnen, ein Umdenken in der alpinen Szene herbeizuführen. In den Dolomiten wurde keine einzige der klassischen, alten Routen mit Bohrhaken „saniert“. Ebenso hat Reinhold das Himalaja-Bergsteigen beeinflusst: Inspiriert durch seine Vorbilder Hermann Buhl und Walter Bonatti gelang es ihm, den Alpenstil in den hohen Bergen der Welt zu etablieren. Kein zusätzlicher Sauerstoff, kaum Fixseile und Träger am Berg. Durch minimierte Gewichtlast wurden die Besteigungen schneller und der Aufenthalt in der Todeszone minimiert.
Gemeinsame Erstbegehungen
Im Sommer 1973 lud mich Reinhold zu einer Erstbegehung an der Marmolata ein. Unsere Freunde aus der HG Jörgl Mayr und Jochen Gruber gesellten sich dazu. Reinhold führte fast alles, er schlug nur Normalhaken, von Bohrhaken wollte er nichts wissen. Knapp unterm Ausstieg übernahm Jörgl die Führung und meisterte die schwierigste Stelle, die Reinhold als siebten Grad bezeichnete. Den gab’s aber damals noch nicht. Am Gipfel bemerkte Reinhold, er wüsste eine freie Tour in der Pelmo-Nordwestwand. Wir vereinbarten sie für das kommende Wochenende. Das Wetter war nicht besonders gut. Die Wand war etwa 100 Meter oberhalb des Einstiegs von einem mächtigen Band durchschnitten. Jochen und Jörgl erkletterten diesen unteren Teil, Reinhold und ich umgingen ihn und stiegen ab dem Band in die eigentliche Route ein. Reinhold bewegte sich in seiner meisterhaften Art Seillänge um Seillänge nach oben, während ich ihn sicherte. Für die Nachkommenden ließen wir die wenigen Haken und Seilschnüre zurück.
Nach etwa 400 Metern schlug das Wetter endgültig um. Reinhold und ich standen ausgesetzt im Nebel und Regen und beschlossen den Rückzug zum darunterliegenden Biwakplatz. Inzwischen waren auch Jörgl und Jochen nachgekommen. Der Platz war überdacht und eigentlich recht gut. Mit Singen und Erzählen verbrachten wir die Nacht, bis ein eisiger, jedoch heller Morgen aufzog. Reinhold und ich machten uns an die Arbeit. Wir hatten am Vortag das Rückzugsseil hängengelassen, sodass wir diese erste Seillänge gesichert aufsteigen konnten. Das Gelände wurde etwas leichter, die kommenden 500 Meter ging’s zügig aufwärts. Gegen Mittag waren wir am Gipfel. Riesige Freude, Umarmungen, schließlich waren uns in einer Woche Neutouren an Marmolata und Pelmo, den schönsten Dolomitenwänden, gelungen. Mit Jochen und Jörgl war ich ja schon öfter unterwegs gewesen. Reinhold lernte ich als rücksichtsvollen, besorgten und stets hilfsbereiten Seilkameraden kennen. Ich hätte mir keinen besseren wünschen können.
Das Taschentuch als Fahne
In der Zwischenzeit hatten sich Reinhold und Josef Rampold, Chefredakteur der Tageszeitung Dolomiten, und deren Bergsteigerseite zerstritten. Rampold hatte die Messner-Buben eigentlich immer unterstützt und gehörte zu deren Bewunderern. Dies hörte jedoch auf, als Reinhold die Bergkameradschaft in Zweifel zog, den Optanten vorwarf, sie hätten 1939 ihre Heimat verraten, und feststellte, sein Taschentuch sei seine Fahne auf den Gipfeln der Welt. Es kam zu unguten Auseinandersetzungen, die bis in viele ehemalige Südtiroler Optanten-Familien hineinreichten.
Differenzen am Aconcagua
1974 plante Reinhold einen neuen Durchstieg durch die Südwand des Aconcagua in Südamerika. Mit dabei waren seine Frau Uschi, der Arzt Oswald Oelz, Konrad Renzler, Jochen Gruber, Jörgl Mayr und Ernst Pertl, Letzterer als Filmemacher. Die ersten Versuche in dieser 3.000 Meter hohen Wand liefen gut. Lediglich Jochen übernahm sich mit der Erstellung der Hochlager, wurde höhenkrank und musste von Oelz ins Basislager geleitet werden. Vom letzten Höhenlager aus wollte Reinhold bei zweifelhaftem Wetter allein den Gipfel angehen, was auch erfolgreich geschah. Jörgl sollte bis zur Rückkehr Reinholds den Rückzug versichern, stieg dann aber nach und wurde von Reinhold, dem Ersten am Gipfel, abgewiesen. Zurück in Südtirol kam es zu Differenzen. Jörgl fühlte sich um den Gipfel betrogen, und Reinhold schrieb in seinem Buch, Jörgl sei den Schwierigkeiten ohne Seilhilfe nicht gewachsen gewesen. Die Entscheidung von Reinhold ist rückblickend auf die tödlichen Unfälle seiner früheren Expeditionen verständlich.
Abschied vom AVS
1977 feierte die HG ihr 25-jähriges Bestehen und Reinhold Messner trat aus unserer Klettergemeinschaft und aus dem AVS aus. Wie er später erwähnte, war ihm der Alpenverein zu völkisch ausgerichtet und vertrete zu wenig alpine Interessen. In der HG habe man zwar viel von Kameradschaft gesprochen, ihm gegenüber habe aber Neid und Missgunst vorgeherrscht. Schade!
Erster Mensch auf den 14 Achttausendern
Im Himalaja erzielte er indes einen herausragenden Erfolg: 1978 die erste Alleinbegehung eines Achttausenders. Reinhold bestieg innerhalb von drei Tagen allein den Nanga Parbat auf einer neuen Route über die Diamir-Flanke. Ebenso gelang ihm 1978 mit Peter Habeler die, von fast allen Ärzten abgeratene, sensationelle Besteigung des Everest ohne Flaschensauerstoff. Zu den folgenden Himalaja-Expeditionen lud Reinhold auch die besten jungen Südtiroler Bergsteiger ein. Er wollte ihnen den Weg zu den Achttausendern ebnen. Noch nie wiederholte Spitzenleistung jener Jahre war 1984 die Überschreitung zweier Achttausender – des Hidden Peak und der Gasherbrum II – im Alpenstil in einem Zug mit Hans Kammerlander. In den Jahren von 1970 bis 1986 hat Reinhold als erster Mensch alle 14 Achttausender bestiegen, viele auf ganz neuen Routen und manche mehrmals. Ebenso war er zur selben Zeit der zweite Bergsteiger weltweit, dem die Seven Summits, die Besteigung der höchsten Gipfel aller Kontinente, gelungen war. Er war nun der bekannteste und erfolgreichste Südtiroler und auch Bergsteiger weltweit.
Die Achttausender lockten Reinhold nun weniger, er verlagerte sich auf neue Abenteuer. So gelang ihm 1989–90 die 2.700 Kilometer lange Durchquerung der Antarktis mit Arved Fuchs, 1993 folgte die Durchquerung Grönlands und 2004 durchquerte er zu Fuß allein die Wüste Gobi. Auch das waren 2.000 Kilometer Fußmarsch durch einsamstes Gebiet mit 40 Liter Wasser am Rücken. Reinhold war damals 60 Jahre alt.
Messner, der Museumsmensch
Als ich 1991 zum Ersten Vorsitzenden des AVS gewählt wurde, fragten mich Reporter über meine Ziele und ich gab an, Südtirol habe noch kein alpines Museum und der AVS würde sich darum kümmern. Reinhold versprach mir damals seine Hilfe. Wir vom Alpenverein schafften das Museum nicht, jedoch Reinhold bemühte sich darum und beantragte beim Landeshauptmann für diesen Zweck das Schloss Sigmundskron. Nun hagelte es Proteste von allen Seiten. Wir vom AVS wollten keinen Streit, waren für ein alpines Museum und warum sollte das nicht im reichlich vergammelten Schloss Sigmundskron entstehen? Südtirol war ja ein Land mit reicher Bergsteigertradition und ein Museum konnte dies unterstreichen.
Heute wird jeder eingestehen, dass Schloss Sigmundskron zu einem Schmuckstück restauriert wurde und ein Magnet für Einheimische und Gäste darstellt. Insgesamt hat Reinhold sechs Bergmuseen geschaffen, die sich mit alpiner Geschichte, mit tibetischen Kunstsammlungen und mit den Bergvölkern der Erde befassen. Sie erhalten sich alle selbst und kommen ohne öffentliche Zuschüsse aus.
Messner, der Filmemacher
Letzthin befasst sich Reinhold mit der Erstellung von Bergfilmen. Er kennt die Berge und ihre Geschichten wie kein Zweiter und seine Filme sind authentisch, wahrheitsgetreu und äußerst erfolgreich.
Trotz seiner Kritik an den Alpenvereinen hat wieder eine Annäherung stattgefunden. Reinholds Sohn Simon ist den Fußstapfen seines Vaters gefolgt, hat ihn in seinen Filmen gedoubelt und ist ein weitum anerkannter Alpinist; 2016 verlieh ihm der AVS in Würdigung seiner Leistungen den alpinen Förderpreis als Ansporn für die heranwachsende Bergsteigerjugend. Ich glaube, dass dies auch Reinhold gefreut hat.
Meine Erlebnisse mit Reinhold werden mich ein Leben lang begleiten. Er ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit und der größte Abenteurer, den ich kenne. Unser persönliches Verhältnis ist von gegenseitigem Respekt geprägt. Er wird als einer der ganz Großen in die Geschichte unseres Landes eingehen. Zu seinem 75. Geburtstag drücke ich ihm ganz fest die Hand, schenke ihm ein dankbares Lächeln und wünsche ihm und seiner Familie alles Glück der Welt.