bergsönlichkeit: In Memoriam Robert Renzler
Die Nachricht vom Tod Roberts – er war aufgrund eines Fehlers beim Abseilen nach der Begehung der Route „Leckerbissen“ gestorben – löste tiefe Betroffenheit in der bergundsteigen-Redaktion aus. Denn ohne Robert Renzler gäbe es dieses Magazin vielleicht gar nicht.
Robert Renzler hatte als Leiter des Alpinreferats im Österreichischen Alpenverein 1992 den Wunsch geäußert, für die ehrenamtlichen alpinen Führungskräfte im Verein einen regelmäßigen Rundbrief herauszubringen, um diese wichtige Funktionärsgruppe in den Sektionen mit Informationen aus dem Alpenvereinshaus in Innsbruck zu versorgen.
Sein Mitarbeiter Michael Larcher griff dieses Ansinnen auf und entwickelte daraus das Magazin bergundsteigen. Der Schock sitzt tief: Man konnte als Bergsteiger gar nicht erfahrener sein als Robert Renzler. Robert war Berg- und Skiführer und hatte im Laufe seiner Kletterkarriere unzählige schwierige Alpintouren in den Ost- und Westalpen sowie im Yosemite absolviert.
Außerdem gelang ihm 1982 die Besteigung des 8035 m hohen Gasherbrum II im Karakorum im Alpinstil ohne Sauerstoff und 1985 die Besteigung des 7821 Meter hohen Masherbrum über eine großteils neue Route. 1988 glückte die Erstbesteigung des 6170 Meter hohen Kohinoor in Pakistan. Beim Sportklettern kletterte Robert Routen bis zum unteren neunten Grad. Als Veranstalter der ersten Kletterweltmeisterschaft in Innsbruck trug er wesentlich zur Entwicklung des Sportkletterns bei, Anfang der 1990er-Jahre hatte er das Amt des geschäftsführenden Präsidenten des Weltkletterverbandes inne.
Später wirkte er als Präsident der UIAA Mountaineering Commission und war von 2002 bis zu seiner Pensionierung 2020 Generalsekretär des Österreichischen Alpenvereins. Sein Engagement und Eintreten für die Ideale des Alpenvereins waren prägend für die so erfolgreiche Entwicklung des Vereins. Robert hat beispielsweise als Generalsekretär mit der „Tirol Deklaration“ weltweit gültige Ethikgrundsätze für das Bergsteigen maßgeblich mitgestaltet (ausführlich dazu in bergundsteigen #121: „Und Friede auf den Bergen: 20 Jahre Tirol Deklaration“) und sich Zeit seines Lebens – inner- und außerhalb seiner Funktion im Alpenverein – für den Naturschutz und den Erhalt alpiner Landschaften engagiert.
Letztlich ist ein bewusstes Leben ein Leben, das sich bewusst ist, dass wir alle sterblich sind.
Robert Renzler
Unter seiner Führung wurde auch die Geschichte des Alpenvereins wissenschaftlich aufgearbeitet: 2011 hat der Österreichische Alpenverein gemeinsam mit dem Deutschen Alpenverein und dem Alpenverein Südtirol das Buch „Berg Heil! Alpenverein und Bergsteigen 1919–1945“ herausgegeben, in dem die Alpenvereine ihre Geschichte während der NS-Zeit hinterfragen.
Ich durfte damals als junger Historiker bei diesem Projekt mitarbeiten und Robert als großen aufgeklärten Humanisten kennen- und schätzen lernen – kritisch, liberal und vor allem gradlinig. Anlässlich Roberts Verabschiedung in die Pension hatte unser Redaktionsmitglied Simon Schöpf die Idee, die „Edelfeder Robert Renzler“ – Zitat eines bekannten österreichischen Journalisten – als Kolumnist für bergundsteigen zu gewinnen.
Roberts Antwort: „Jetzt muss ich erst einmal als Bergsteiger all das nachholen, was ich als Generalsekretär versäumt habe. Vom theoretischen Alpinismus brauche ich erstmal eine Pause. Aber Burschen, fragt’s mich in einem guten Jahr nochmal!“ Leider wurde daraus nichts mehr.
„Die Welt zu durchschauen, zu erklären, sie zu verachten, mag großer Denker Sache sein. Mir liegt einzig daran, die Welt lieben zu können!“
H. Hesse, Siddhartha
In Erinnerung an Robert veröffentlichen wir hier noch eines der letzten Interviews mit ihm (31. 07. 2021):
„Freiheit ist nicht umsonst“
Der Extrembergsteiger und Philosoph Robert Renzler erzählt im Interview, was ihn die Berge gelehrt haben, von seinem Zugang zum Leben, seinen Gedanken zur Demokratie in Zeiten der Digitalisierung und über das Spannungsverhältnis zwischen Risiko und Freiheit.
Von Larissa Breitenegger
Sie sind passionierter und extremer Bergsteiger, waren 20 Jahre lang Generalsekretär des Österreichischen Alpenvereins und haben den Alpinismus wie wir ihn heute kennen mitgeprägt. Welche Veränderungen haben Sie beispielsweise mitgestaltet, worauf sind Sie stolz?
Ich war im Gründungskomitee des Kletter- Weltcups: Das war damals völlig neu. Wir haben damals die ersten Kletterwände gebaut und Wettbewerbe organisiert. Jetzt hatten wir erstmals Olympia – und das war letztlich auch unser Ziel, dass der Sport olympisch wird. Wenn man die Sportkletterbewegung von der Pieke auf entscheidend mitgestalten kann, ist das im Rückblick schon etwas, wo wir sehr stolz drauf sind.
Dass es jetzt Olympia gibt oder mehr Leute in die Berge gehen – das ist nicht nur positiv besetzt, das sehe ich auch kritisch. Aber insgesamt war die Sportkletterbewegung eine Befreiung des Bergsteigens – vor allem für die Jugend.
Eine Befreiung?
Reinhard Fahl war ein bekannter deutscher Bergsteiger und Fotograf, der sagte: Mit dem Sportklettern ist die Angst abgestürzt. Weil man Sicherungen gesetzt hat, Bohrhaken, man hat die Klettergärten geschaffen. Das Klettern ist viel sicherer geworden. Insofern war es eine Befreiung von der Angst im Klettern.
Während umgekehrt ja die Angst beim Bergsteigen wiederum ein ganz wichtiges Element ist, vor allem beim Durchklettern hoher Wände. Das Risiko ist ja auch was sehr Positives: Der Umgang mit Risiko, der Umgang mit der eigenen Angst, der kann ja auch letztlich sehr befreiend sein.
Sie haben wegen Ihrer Leidenschaft fürs Bergsteigen auch Ihr Studium der Philosophie und griechischen sowie lateinischen Philologie an den Nagel gehängt, was in der Außenwahrnehmung mit einem gewissen Risiko verbunden ist. Welche Bedeutung hat für Sie dieses Spannungsfeld zwischen Risiko und Angst?
Ich bin immer noch ein klassischer und leidenschaftlicher Bergsteiger. Zum Bergsteigen gehört die Begegnung von Mensch und Berg, und in dieser Begegnung liegt der Umgang mit Risiko und der Angst vor dem Absturz: Die begleitet einen die ganze Tour, wenn man auf große Berge steigt.
Das Bergsteigen ist für mich auch eine ganz wichtige Lebensschule gewesen: Man wächst mit dem Risiko und der Angst mit. Dieses Element des Risikos ist für mich immer noch ein ganz zentrales Element beim Bergsteigen: Das Erleben wird intensiviert und die Zurückgeworfenheit auf das eigene Können, auf sich allein und den Partner, das ist etwas, was man im normalen Leben ja nicht mehr findet.
Das Risiko als Mittel, das einen auf sich selbst zurückwirft also?
Ja, sozusagen. Dieses Erleben im Gefahrenraum Berg wird ja durch die Möglichkeit des Risikos, durch das Erleben von Angst, sehr intensiviert. Die Sinne sind ganz anders geschärft, wenn ich eine schwierige Tour klettere oder einen ausgesetzten Grat begehe. Dann ist man viel mehr fokussiert, und ist gleichzeitig ganz bei sich, eben, weil man so fokussiert ist.
Wird die Angst weniger?
Mit der Routine. Je mehr und öfter man in schwierigen Wänden unterwegs ist, umso weniger wird die Angst. Aber sie ist letztlich immer da – wer keine Angst hat, wird sicher irgendwann abstürzen. Das ist so. Felsklettern im Gebirge, das ist Himmel und Hölle zugleich.
Da gehört Mut dazu, und da gehört Angst dazu. Wenn ich über einen exponierten Grat gehe – man erschrickt, man geht vorsichtig, und wenn man drüber ist, atmet man auf, atmet man durch. Und diese Gegensätze: Himmel-Hölle, Mut-Angst, Erschrecken-Aufatmen, das ist ein Teil von einem unteilbaren Ganzen. Das ist für mich auch, was das Bergsteigen so besonders macht. Ohne das abwertend zu meinen, es ist nicht nur Sport – es ist einfach mehr.
Was ist das Mehr?
Wenn ich unterwegs bin, setze ich ja letztlich auch mein Leben ein, wenn man es auf die Spitze gedacht sieht. Ich habe in meinem Bergsteigerleben sehr viele Freunde sterben gesehen. Ich habe eine Erstbesteigung mit sieben Gefährten gemacht, von denen leben heute noch drei. Die anderen sind am Berg gestorben.
Das ist ein Teil vom Ganzen. Was oft unterstellt wird, dass Bergsteiger todessehnsüchtig sind – es ist genau das Gegenteil der Fall. Man geht eigentlich in die Berge nicht, weil man den Tod sucht, sondern weil man leben will, weil man das Leben sucht. Damals haben wir gesagt, wir steigen aus, aus der Norm der Gesellschaft, und steigen ins wirkliche Leben ein. Das war unser Schlagwort damals, als junge Bergsteiger.
Das wirkliche Leben ist das im Angesicht des Todes also?
Ja, das klingt jetzt dramatisch, aber letztlich ist ein bewusstes Leben ein Leben, das sich bewusst ist, dass wir alle sterblich sind. Unsere Gesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten den Tod aus dem Leben eliminiert. Es wird anonym gestorben, das ist alles organisiert. Der Tod ist eigentlich kein Thema in der Gesellschaft, dabei sollten wir wissen, dass wir begrenzte Leben haben und alle sterben werden – und dass die Zeit kostbar ist.
Aber wenn ich schaue, wie wir unser Leben aufbauen – global, wirtschaftlich, dann tun wir so, als hätten wir ewig Ressourcen und würden ewig leben. Wir haben einfach jedes Maß verloren. Die Maßlosigkeit, die Hybris, ist schon bei den alten griechischen Philosophen ein großes Thema: Wer das Maß verliert, das war eine der größten Vergehungen am Menschsein. Und mit dem sind wir jetzt konfrontiert.
Woher nehmen Sie Ihr Maß?
Dass das Leben nicht nur Konsum ist, das nehme ich aus der Begrenztheit des Lebens: Wir können alle nichts mitnehmen. Das Maß ist für mich das, was die Erde an Ressourcen zur Verfügung stellt, und wir leben ja schon seit Jahrzehnten auf Pump. Der „Global Overshoot Day“ ist gerade erst gewesen: Wir leben das halbe Jahr von Ressourcen und Energieverbrauch auf Kosten der künftigen Generationen oder eigentlich schon unserer Kinder.
Wir tun so, als hätten wir mehrere Erden zur Verfügung. Wir in der westlichen Welt verbrauchen im Schnitt zweieinhalb- bis dreimal mehr Ressourcen, als uns eigentlich zustehen würden. Das war bisher nur möglich, weil die Dritte Welt entsprechend wenig verbraucht.
Ihr Beitrag „Die letzte Bergfahrt. Eine Reise zum Ende der Welt”, erschienen im Alpenvereinsjahrbuch Berg 2020, beschreibt die Tour eines Bergsteigers, der nach einem Absturz eine Vision hat. Dabei zeichnen Sie ein kritisches und zugleich düsteres Bild der Gesellschaft. Es geht um die Gefährdung der Demokratie, um Risiko und Freiheit, Recht und Gerechtigkeit, Verantwortung, Wahrheit und Lüge, um das Spiel mit der Angst. Sie haben da viel hineingepackt. Was waren Ihre Beweggründe?
Das ist meine Sicht der Dinge, wie sie sich entwickelt haben, und wie ich die Welt erlebe. Ich beobachte viele negative Entwicklungen; beispielsweise durch die Digitalisierung, die auf der anderen Seite auch eine ungemeine Chance bietet, zum Beispiel im Angesicht des Klimawandels global zu agieren und sich zu vernetzen. Umgekehrt ist natürlich die totale Digitalisierung auch die totale Überwachung.
Was uns die Geschichte mehrfach gelehrt hat: Alles, was theoretisch möglich ist, wurde auch letztlich umgesetzt. Das muss uns klar sein. Ob das jetzt die Atombombe war oder das Kernkraftwerk mit Supergau. So wie China jetzt angefangen hat, mittels Algorithmen ein Bestrafungs- und Belohnungssystem einzuführen, das ist viel weiter gedacht, als was sich George Orwell in seinem Buch „1984“ vorgestellt hat.
Damit einher geht auch eine massive Einschränkung der persönlichen Freiheiten, durch die Überwachung…
Ja, es muss uns klar sein, solange wir in einer „Noch-Demokratie“ – für mich ist die Demokratie im Wandel zu einer postdemokratischen, das war schon vor Corona so, und Corona hat es noch zugespitzt –, solange wir noch in einer funktionierenden Demokratie leben, ist das ja im Griff zu behalten. Nur die Gefahr, dass das rasch umschlägt, ist vorhanden.
Freiheit fordert Verantwortung.
Robert Renzler
Da ist China das große Beispiel. Dort hat das autoritäre System in Verbindung mit einem starken wirtschaftlichen Aufschwung und Konsummöglichkeiten für breite Gesellschaftsschichten funktioniert. Da hat man gesehen, dass das, was wir als Grundrechte verstehen, gewachsen in der Aufklärung und dann nach dem Zweiten Weltkrieg gipfelnd in den Menschenrechten, dass das, solange die Leute genügend konsumieren können, gar nicht so wichtig ist.
Ich sehe da eine Gefahr, dass diese Systeme die Demokratien ablösen. Und dann ist das Element der Überwachung ein totales. In den Autos haben wir mittlerweile verpflichtend GPS drinnen, mit der Begründung, wenn irgendwo ein Unfall ist, kann Hilfe kommen und das Auto orten. Damit kann ich sämtliche Bewegungen aufzeichnen. Genauso mit unseren Handys. Wenn ich Bargeld abschaffe, schließt sich der Kreis: Dann weiß ich, was die Leute kaufen, was sie essen, für was sie Geld ausgeben, was sie machen, wo sie sind – das ist dann eigentlich eine Rundumüberwachung.
Ich bin zutiefst überzeugt, dass nur die Liebe zur Welt, wie wir sie oft in unserer Bergheimat spüren, diesen geschundenen und gebeutelten Planeten lebenswert erhalten kann.
Robert Renzler
Einerseits, sagen Sie, stecken da große Chancen drin, was die globale Vernetzung betrifft; andererseits, was Kontrolle und Überwachung betrifft, große Gefahren. Es geht bei der Digitalisierung – ebenso beim GPS-Beispiel – auch um Sicherheit. Man argumentiert, dass das GPS im Auto Sicherheit im Falle eines Unfalls bringt. Ich würde gern aufs Risiko zurückkommen: Sie sagten, dass das Risiko mit der Möglichkeit des Todes einhergeht. Das Risiko ist das, was eigentlich zum Leben führt, ich sehe da dieses Spannungsfeld – Sicherheit versus Risiko bzw. Freiheit.
Ja, Sicherheit ist oft ein Totschlagargument. Mit Sicherheit kann ich so ziemlich alles begründen. Das ist eben immer die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit. Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA, sagte ja schon: Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren. Und das bringt es auf den Punkt.
Wenn ich nur sicher sein will, dann habe ich auch keine Freiheit mehr. Es ist immer ein Abwiegen, wie viel Sicherheit brauche ich, und wie viel Freiheit brauche ich im Leben. Ich kann nicht beides zugleich in vollem Umfang haben, das geht nicht. Und ich muss mir im Klaren sein: Freiheit ist nicht umsonst.
Nochmal zum Thema Wahrheit: Sie haben in Ihrem Beitrag „Die letzte Bergfahrt“ auch die vielzitierte Unschuldsvermutung kritisiert, die die Wahrheit „verwäscht“. Der Mut zur Wahrheit ist uns verlorengegangen, lese ich das richtig heraus?
Nein, da spiele ich schon mehr auf den Sensationsjournalismus an, der gleich etwas rauslässt, ohne recherchiert zu haben, ob da mehr dahinter ist – danach steht dann unten, es gelte die Unschuldsvermutung. Wenn nach einem Jahr herauskommt, es war doch nichts, dann interessiert das niemanden mehr – real ist die Person trotzdem schuldig gesprochen.
Auf der anderen Seite haben wir gerade diese ständigen Angriffe von politischer Seite, von den Türkisen, auf unser Gewaltentrennungssystem. Wenn ich ständig die Judikatur angreife, dann hat das Auswirkungen auch auf den Durchschnittsbürger. Das Vertrauen leidet da ja automatisch unbewusst mit. Vorm Kurz wars der Kickl, als er sagte, das Recht müsse dem Gesetz folgen.
Ich habe damals ein Vorwort geschrieben dazu: Die drei großen Player im Staat – Exekutive, Legislative und Judikative – sind ja nicht nachgeordert, sondern das ist ein Gleichgewicht. Natürlich macht das Parlament die Gesetze, die die anderen dann vollziehen, aber im Vollziehen und Interpretieren müssen die anderen wieder unabhängig sein, sonst funktioniert das Gleichgewicht nicht.
Es muss auch eine Instanz geben wie den Verfassungsgerichtshof, der sagt, liebe Freunde, das Gesetz ist gegen unsere fundamentalen Grundwerte, die in der Verfassung festgeschrieben sind, daher geht das nicht. Und wenn ich sage, ich ordne die Judikative nach, dann unterlaufe ich das. Wir haben ja endlos Beispiele in der Geschichte, wo alles nach Gesetz unter Anführungszeichen gelaufen ist, und trotzdem waren das Unrechtsstaaten.
Im Kommunismus vom Stalin oder im Hitlerstaat wurden auch immer Urteile im Namen des Volkes gesprochen. Und sie haben sich die Gesetze so zurechtgemacht, dass es dem auch entspricht. Wenn dieses Gleichgewicht zwischen Exekutive, Legislative und Judikative nicht gewahrt und ständig von höchster Seite unterminiert wird, also vom Bundeskanzler, dann ist das demokratiepolitisch zutiefst bedenklich.
Wenn er eine Beschwerde machen möchte – wie Sie und ich, wenn wir eine Hausdurchsuchung hätten, die aus unserer Sicht völlig ungerechtfertigt war –, dann gibt es ja Instanzen, da können wir zum Verfassungsgerichtshof gehen, das ist der Weg, aber nicht öffentlich die grundlegenden Institutionen schlechtmachen. Das unterläuft die Demokratie.
Genauso wenn ich Lügen verbreite – ungestraft. Auch das unterminiert die Demokratie. Wenn jeder ohne Faktenprüfung seine Thesen rauslässt, die überhaupt nicht der Wahrheit entsprechen, und das ist dann gleichrangig mit geprüftem Faktenwissen im Netz zu finden und der, der dann diese Lügen liest und sich dem zugewandt fühlt, nimmt das dann für wahr – das unterläuft unser System.
Ich möchte gerne noch einmal auf die Vision in Ihrem Artikel, zurückkommen – die ist zunächst einmal recht düster.
Ich bin von meinem Grundsatz her ein sehr positiv eingestellter Mensch. Ich sehe es halt so. Wenn ich heute die Fakten zusammenzähle, wenn ich schau, wo wir mit dem Klima stehen, wenn ich schau, wo wir mit dem Artensterben, mit dem Ressourcenverbrauch stehen, und wohin die Tendenzen jetzt wieder gehen: Wachstum, Wachstum, Wachstum – dann hat sich nichts geändert, wir werden uns wieder überbieten in den Wachstumsziffern.
Dann bleibt wenig, und wenn man schaut, wie sich die demokratischen Verhältnisse und die Demokratien in ihren Strukturen verändern, dann ist es schwierig, dem positive Aspekte abzugewinnen. Das sind Fakten, die kann man nicht schönreden. Aktuell ist ein heißes Thema der Bodenverbrauch: Da habe ich schon vor 20 Jahren mit dem WWF Pressekonferenzen zu dem Thema gemacht. Das läuft jetzt 20 Jahre, und nichts ändert sich.
Dann kommen ein paar Artikel, wir betonieren alles zu und so weiter, ein kurzer Aufschrei – und morgen geht’s gleich weiter wie vorher, die Raten sind in den letzten sechs Jahren sogar immer weiter nach oben gegangen. Wo bleibt da der Glaube an die Vernunft? Letztlich versuchen wir auch beim Klimawandel, immer nur die Symptome zu bekämpfen, aber nie die Systeme.
Das kritisieren immer mehr Leute, auch wenn es um erneuerbare Energien usw. geht: Es fehlt die Systemfrage, der Ansatz an der Wurzel …
Ich bekämpfe jetzt den Klimawandel, indem ich Elektro- oder Wasserstoffmobilität zur Verfügung stelle. Brauche aber deswegen gleich viele Ressourcen, habe genau das gleiche Problem mit der Entsorgung der Batterien, muss das Auto genau gleich bauen wie bisher, das ist ja nicht CO2-frei gebaut, die Leute rechnen immer, wenn das Auto dasteht, und ich fahre, dann bin ich klimaneutral. Aber alles, was vorher und nachher ist, wird ausgeblendet.
Die Antwort kann nur ein gewisser freudvoller Verzicht bei uns in der westlichen Welt sein. Ohne dem wird es nicht gehen – dass wir einfach mit ein bisschen weniger zufrieden sind, und ein bisschen weniger kreuz und quer durch die Gegend fahren, den Verkehr auf den öffentlichen Verkehr umrüsten – das wird anders nicht gehen. Ich sage, es wird wie immer sein: Die Veränderungen kommen dann, wenn sie wahrscheinlich nicht mehr konfliktfrei sind.
Wir werden die Migration erleben. Wir werden mit Leuten konfrontiert sein, die durch den Klimawandel ihre Nahrung verlieren – da geht es wirklich ums Essen und ums Überleben. Die werden wir nicht aufhalten können auf Dauer. Und wenn wir sie aufhalten, dann werden wir an den Grenzen Krieg führen müssen. Und das ist die große Gefahr bei dem Ganzen, dass wir so lange weitermachen, bis sich das Gemisch in gewaltsamen Konflikten auflöst.
Zum Schluss würde ich gerne noch auf die Verantwortung kommen, mit der Sie in Ihrem Text „Die letzte Bergfahrt“ ja auch schließen. Da kommt dann schon das Positive heraus: „Die Menschen erhoben sich und begannen stumm und unerbittlich, ihre Verantwortung gegenüber sich und der Welt zu übernehmen, indem sie ihre gekrümmten Rücken geradestreckten und ihre Augen und Ohren öffneten um zu sehen, was wahr ist.“
Genau, da sind wir wieder beim Thema Wahrheit. Letztlich – solange es demokratische Systeme gibt – liegt es in der Verantwortung jedes Einzelnen, und die Möglichkeiten haben wir immer noch, dass wir die Verantwortung für uns und für die nächste Generation und letztlich auch für die Welt, in dem Bereich, in dem wir wirksam werden können, wahrnehmen.
Und es braucht, das ist schlecht und genauso gut, es braucht für die positiven großen Änderungen in der Gesellschaft nicht mehr als 15 Prozent, die aktiv werden, die können den Rest bewegen – das zeigt die Geschichte, und umgekehrt war es leider auch so, dass 15 Prozent die Geschichte ins Negative gedreht haben. Danke für das Gespräch!
Der Mensch ist sterblich, und wenn er sich dessen bewusst ist, bietet genau dieses Momentum Chancen für ein bewusstes Erleben der Welt.
Robert Renzler