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21. Feb. 2020 - 3 min Lesezeit

Beinahe-UnFall und was wir daraus lernen konnten

Eines der Ziele einer Kletterhalle ist (nicht nur) im Bereich Marketing ein sinnvolles und gutes Sicherheitskonzept, um kein Worst-Case-Szenario anwenden zu müssen. Für einen Unfall mit Folgen gibt (sollte) es in jeder Kletterhalle einen Plan (geben), wie mit den Verunfallten, den Begleitern, den Mitarbeitern und – nicht zuletzt, aber auch – mit der Presse umgegangen wird.

Der Beinahe-UnFall

Eine Kletterin kletterte an einer Kletterwand, die mit einer Selbstsicherungsanlage ausgestattet ist, die Wand hoch. An dieser Wand der Kletterhalle sind zwei Selbstsicherungslinien der Firma Perfekt Descent-Klettersysteme angebracht. Diese werden abseits von Wettkämpfen (Speedklettern) für den normalen Kletterhallenbetrieb genutzt. Die Kletterin vergaß, sich in die Selbstsicherungsanlage einzubinden. Am Top der Kletterroute stellte sie dies fest. In diesem Moment konnte sie sich durch fehlende Kraft und evtl. zusätzlich bestehende Blockierung nicht in eine Sicherung (Express) einhängen, um sich selbst zu sichern! Gleichzeitig wurde der fatale Fehler in der Kletterhalle bemerkt und dem Mitarbeiter der Kletterhalle mitgeteilt. Der Mitarbeiter der Kletterhalle konnte durch schnelles Handeln, sprich kletternd gesichert durch die freie Selbstsicherungsanlage, zu ihr klettern. Die Kletterin wurde dann mithilfe der Selbstsicherungsanlage abgelassen.

Konsequenzen im Kletterzentrum Reutlingen

Der Partnercheck wird in jedem Kletterkurs gelehrt und in Kletterhallen wird z.B. durch Hinweisschilder „Partnercheck“ an den Einstiegen jeder Route versucht, Unfälle zu vermeiden. Bei dem Klettern mit einer Selbstsicherungsanlage entfällt dies. Beim Einhängen in eine Selbstsicherungsanlage wird auf die Selbstkontrolle durch Schrift und Piktogramme auf dem Belaygate hingewiesen (zusätzlich sollten die Einstiegstritte sich dahinter befinden, bei Abb. 1 nicht optimal umgesetzt). Aber was ist, wenn wie in diesem Fall die Selbstsicherungsanlage gar nicht genutzt wird? Aus diesem Grund wurden am Einstieg jeder mit der Selbstsicherungsanlage nutzbaren Route über die Informationen zum Schwierigkeitsgrad der Route weitere Hinweisschilder zur Selbstkontrolle an der Selbstsicherungsanlage angebracht. Des Weiteren wird auf die Gebrauchsanweisung der Selbstsicherungsanlage bezüglich Min/Max-Gewicht des Kletterers hingewiesen (Abb. 1).

Abb. 1: Schilder an den Kletterrouten nach dem Beinahe-UnFall

Im Nachgang des Beinahe-UnFalles wurde durch Lärmmessungen festgestellt, dass alleine durch die Anlage beim Ablassen mehr als eine Verdopplung des Lärms (Abb. 2) in der Kletterhalle entsteht (siehe Grafik: Lärmpegelanstieg vom Grundrauschen ca. 55 dB auf über 75 dB). Hier wird noch mit dem Hersteller Kontakt aufgenommen, da Lärm auch zu weiteren (Beinahe-)UnFällen, z.B. durch Konzentrationsminderung, bei anderen Seilschaften führen könnte. 

Abb. 2: Lärmpegelmessung in der Kletterhalle

Zusätzlich wurde der Beinahe-UnFall in der regelmäßigen Trainerbesprechung der Sektion des DAV thematisiert und auf die Schweizer Seite Alpine Sicherheit und den Bericht in bergundsteigen 3/13 zu CIRS hingewiesen.

Weitere Lösungsmöglichkeiten

Dieser (Beinahe Un-)Fall wurde in Reutlingen in der akuten Situation  gelöst. Es musste kein Notfallplan ausgelöst werden. Dieser Beinahe-UnFall könnte aber in allen Kletterhallen bzw. -anlagen mit Selbstsicherungssystemen auftreten und ist so bzw. ähnlich bereits 2010 als tödlicher Unfall in einer Kletterhalle in Deutschland dokumentiert. 

Die in Reutlingen gefundenen und angedachten Lösungen des Beinah-UnFalles könnten über ein Critical Incident Reporting System (CIRS) bekannt gemacht werden und zur Fehlervermeidung (und demzufolge Risikominderung) beitragen. Die Nutzung von Statistiken und das Lernen aus Unfällen (siehe z.B. Bergunfallstatistiken der Alpenvereine und Bergwachten) tragen ebenso dazu bei. Ein Lernen aus Beinahe-UnFällen steckt allerdings im Gegensatz zur Luftfahrt und der Medizin beim Bergsport noch in den Kinderschuhen. Die oben erwähnte Schweizer Website könnte ein Anfang sein. Dieses präventive Fehlermeldesystem besteht in Deutschland aus diversen Gründen leider (noch) nicht. Wie an dem Fallbeispiel zu erkennen ist, sollten wir nicht nur für den – wie eingangs erwähnten – Fall der Fälle vorbereitet sein, denn die Sicherheitskonzepte sind vielschichtig und müssen ständig angepasst werden. Das Lernen aus Beinahe-UnFällen sollte dazugehören.

„Wer einen Fehler begangen hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen weiteren Fehler.“ – Konfuzius