Absturz einer Seilschaft: Was wir daraus lernen können
Anmerkung: Der Artikel „Seil oder nicht Seil“ kommt im Heft nach der Aufarbeitung des Unfalls und soll einen Überblick über die gängigen Sicherungsmethoden mitsamt den Vor- und Nachteilen geben.
Am 27.08.2017, gegen 10:00 Uhr, kam es in den Zillertaler Alpen auf dem Normalweg von der Zittauerhütte zum „Gabler“ (Abb. 1) zu einem Absturz einer Sechser-Seilschaft, welchen letztlich keiner der Teilnehmer überlebte. Während bei fünf Teilnehmern bereits am Unfallort nur mehr der Tod festgestellt werden konnte, erlag der vorerst einzig Überlebende am 10.09.2017 im Krankenhaus den Folgen seiner Verletzungen.
Bei der verunfallten Gruppe handelte es sich um Mitglieder des DAV, allesamt Männer im Alter zwischen 34 und 75 Jahren, die sich auf Grund einer Vereinsausschreibung gemeinsam zu einer Bergtour auf die Zittauerhütte begeben hatten. Die Teilnahme erfolgte gemäß der Ausschreibung in absoluter Eigenverantwortung. Lediglich war einer der Teilnehmer mit der organisatorischen Leitung betraut.
Die Erhebung am Unfallort und Bergung der Toten
Zum Unfallzeitpunkt befanden sich neben der verunglückten Gruppe noch ein Bergführer mit zwei Gästen und drei deutsche Alpinisten auf demselben Anstieg. Diese konnten den Absturz unmittelbar mitverfolgen und es wurde daher sofort nach dem Unfall ein entsprechender Notruf abgesetzt. Trotz massiven Einsatzes von Rettungsmitteln – letztlich befanden sich fünf Rettungshubschrauber am Einsatzort – konnte von der abgestürzten Seilschaft nur eine Person noch lebend geborgen und in ein Krankenhaus geflogen werden.
Bereits bei der Bergung der schwerst verletzten Person erlitt einer der eingesetzten Flugretter durch Steinschlag Verletzungen an seinen Unterarmen.
Wegen des unmittelbar abgesetzten Notrufes erlangte auch die Polizei-Bezirksleitstelle Zell am See bereits gegen 10:10 Uhr Kenntnis vom Unfall und so wurden wir, RevInsp Andreas Schlick und RevInsp Stefan Stadler, als Mitglieder der Alpinen Einsatzgruppe (AEG) Zell am See in den Einsatz nach Krimml beordert. Bereits kurz nach Eintreffen in der Einsatzzentrale der Bergrettung Krimml wurden schnell die dramatischen Folgen des Unfalles klar. In Absprache mit der Bergrettung, den Kollegen der örtlich zuständigen Polizeiinspektion und unserem AEG-Leiter ließen wir uns umgehend vom verständigten Hubschrauber „Libelle Salzburg“ ins Unfallgebiet fliegen. Nach einem kurzen Erkundungsflug wurden wir bei der Zittauerhütte abgesetzt, um uns mit den bereits dort befindlichen Einsatzkräften (Bergrettung und fünf Rettungshubschrauber mit Besatzung) abzusprechen. Dabei wurde uns geschildert, dass sich noch ein Flugretter am Liegeort der tödlich Verunglückten befindet. Dieser sollte jedoch schnell aus dem Gefahrenbereich gebracht werden, da bereits ein anderer Flugretter durch Steinschlag verletzt wurde. Auf Grund dieser Umstände wurde entschieden, dass vorerst nur wir von der Alpinpolizei uns in den Gefahrenbereich begeben, um die notwendigen Erhebungen und Dokumentationen durchzuführen und wenn möglich auch die Bergung. Da „Libelle Salzburg“ sich zwischenzeitlich auf einem Einsatzmittelflug in Krimml befand, wurden wir gegen 11:45 Uhr von einem der Rettungshubschrauber am Seil an den Liegeort der Verunfallten geflogen bzw. der vor Ort befindliche Flugretter aus dem Gefahrenbereich gebracht.
Nun sahen wir uns mit einer nicht alltäglichen Situation konfrontiert. Unterhalb einer Eisflanke bzw. einer ca. zwei Meter hohen Abbruchkante in eine geschlossene Spalte/Kluft lagen ineinander verkeilt mehrere Körper. Erst bei genauem Hinschauen konnte man drei Personen erkennen, die teilweise mit Steinen und Eisbrocken bzw. dem eigenen Material überdeckt waren. Außerhalb der Kluft bzw. im weiteren Verlauf der Flanke lagen noch zwei weitere Männer ineinander. Offensichtlich wurde ihr weiteres Abrutschen durch die Seilverbindung verhindert. Alle waren noch am nahezu unbeschädigten Seil eingehängt bzw. hatte sich dieses bei den Körpern teilweise wild herumgeschlungen. Lediglich der Anseilknoten des bereits geborgenen schwer Verletzten wurde offensichtlich bei der Bergung herausgeschnitten. Unter ständiger Beobachtung des auf Grund von Ausschmelzung aus der über uns liegenden Eisflanke resultierenden Steinschlages begannen wir, die Situation fotografisch festzuhalten. Wir nummerierten die Körper der Verstorbenen und die jeweiligen Anseilknoten.
Nun ging es an die Bergung. In Absprache wurde für die Dauer der Bergung ein Bergretter oberhalb unserer Position als Warnposten abgesetzt. Der Bergretter warnte uns durch lauten Zuruf vor Steinschlag. So begannen wir Körper für Körper zu bergen. Es war gar nicht so einfach, die Körper frei zu bekommen bzw. auseinanderzubringen. Zum Beispiel mussten wir mit einem Flaschenzug einen Stein anheben, um die Körper frei zu bekommen. Da sich mit Fortdauer des Einsatzes das Wetter zusehends verschlechterte, wurde zusätzlich die „Libelle Tirol“ angefordert. So konnte gegen 15:30 Uhr die Bergung abgeschlossen werden. Recht länger hätte es auch nicht dauern dürfen, da gegen 17:00 Uhr eines der schwersten Hagelgewitter des Sommers 2017 über den Oberpinzgau zog.
Erhebungen
Noch während der Totenbergung konnte mit Hilfe der Eintragungen im Hüttenbuch der Zittauerhütte und mittels Kontakt zur deutschen Polizei die Identität der Gruppenmitglieder festgestellt werden. Zum Teil konnten auch Ausweisdokumente in den mitgeführten Rucksäcken gefunden werden, die zweifelsfrei die Identitäten bestätigten.
Weiter wurden die Zeugen des Unfalles niederschriftlich vernommen und Befragungen durchgeführt. Von einem Zeugen konnten sogar Fotos beigebracht werden, die die verunfallte Gruppe ca. 20 Minuten vor dem Unfall als Seilschaft im Aufstieg zeigt (Abb. 2).
Aus den Vernehmungen, den Befragungen und eigenen Erhebungen ergab sich zusammenfassend folgendes Bild:
Die Gruppe setzte sich aus Teilnehmern mit unterschiedlichem bergsteigerischen Niveau zusammen. Während zumindest drei der Teilnehmer schon Erfahrungen im Umgang mit Steigeisen und Pickel gehabt haben dürften, dürfte der Rest noch unbedarft gewesen sein. Der Umstand, dass der Wirt der Zittauerhütte die Gruppe auf die schwierigen Eisverhältnisse (Blankeis) am Zustieg zum Gabler hinwies, dürfte bei den Teilnehmern doch Unsicherheit hinsichtlich der Durchführbarkeit der Tour aufkommen lassen haben. Die Unsicherheit dürfte zumindest so offensichtlich gewesen sein, dass andere Hüttenbesucher am Vorabend auf die Gruppe aufmerksam wurden und diese bewusst am Unfalltag im Aufstieg beobachteten.
Innerhalb der Gruppe dürfte jener Teilnehmer, der auch mit der organisatorischen Leitung betraut war, die Teilnehmer instruiert haben und führte die Gruppe auch an.
Ab dem Gletscherbeginn bewegte sich die Gruppe mit einem 30 Meter langen Halbseil in Abständen zwischen ca. 4,10 Meter und ca. 6,50 Metern (Abb. 3). Von Zeugen wurde geschildert, dass noch am Anseilplatz einer der Teilnehmer Bedenken hinsichtlich der Durchführbarkeit äußerte bzw. es nach dem Anseilen mehrmals zum Anhalten der Gruppe kam, offensichtlich, weil es Probleme mit den Steigeisen gab. Schließlich querte die Gruppe bergwärts, oberhalb einer Felsinsel in eine ca. 36 bis 38° Grad steile Eisflanke. Die ersten drei der Seilschaft bewegten sich bereits in einer Art Linksbogen in Falllinie in Richtung einer Eiskrone, eines dort markant ausgeprägten Windkolkes. Die hinteren drei befanden sich noch in der Querung. Noch bevor der Seilerste die Eiskrone erreichen konnte, dürfte es innerhalb der Seilschaft zu Problemen gekommen sein. Laut Zeugen befand sich der Seilerste in einer Art Liegeposition und versuchte offensichtlich, die hinter ihm befindlichen Teilnehmer zu halten oder zu ziehen. Als dann der Zweite oder Dritte zudem den Halt verlor, kam es zu einer Mitreißsituation, in Folge derer alle mitgerissen wurden und die Gruppe über die durchgehend ca. 36 bis 38° Grad steile Eisflanke abstürzte. In der Absturzbahn befanden sich mehrere im Eis eingefrorene Steine. Die Auffindungssituation lässt darauf schließen, dass jene Steine, an welchen das Seil sich verhängen hätte können, einfach ausgerissen wurden und mit der Gruppe mit abstürzten. Größere im Eis eingefrorene und talwärts geneigte Steine in der Absturzbahn dürften zudem wie eine Art Schanze gewirkt haben. Laut Zeugen wurde zumindest ein Abgestürzter katapultartig in die Höhe geschleudert (Abb. 4). Letztlich kam die Gruppe im Bereich einer Art geschlossenen Randkluft (ca. zwei Meter hoher Eisabsatz) zum Stillstand. Messungen ergaben, dass der Seilerste ca. 165 Meter über die Flanke abgestürzt war (Abb. 5, 6 und 7).
Was kann man aus dem Unfall lernen?
Ob des dramatischen Ereignisses folgten in diversen Medien Aussagen von Experten ob der richtigen oder falschen Technik, die die Gruppe zur Anwendung brachte.
Uns von der Alpinpolizei steht eine solche Wertung nicht zu.
Was im gegenständlichen Fall aber sehr wohl auffällt und vielleicht zur eigenen Betrachtung angeführt werden kann:
Es befanden sich zum Unfallzeitpunkt drei Gruppen im Unfallbereich, die verschiedenste Praktiken anwendeten:
- Die tödlich verunfallte Gruppe, die sich zu sechst mit einem 30-Meter-Seil, in Abständen von 4,10 bis 6,50 Metern bewegte, wobei zumindest die Hälfte der Gruppe keine Erfahrung im Umgang mit Pickel und Steigeisen gehabt haben dürfte.
- Ein Bergführer mit zwei Gästen, angeseilt in Form des sogenannten „Kurzen Seiles“. Das heißt der Bergführer führte die Gäste am Seil in sehr kurzen Abständen, um kein Schlappseil zuzulassen bzw. einen etwaigen Rutscher sofort und unmittelbar abfangen zu können.
- Drei an sich gleichwertige Bergsteiger, die sich dazu entschlossen, die Flanke seilfrei zu begehen.
Eisverhältnisse – Eis ist nicht gleich Eis!
Bei unseren Erhebungen drei Tage später am Unfallort, nahezu zur selben Tageszeit wie am Unfalltag, fiel uns auf, dass das blanke Gletschereis trotz sehr milder Außentemperatur glasiert war. Es hatte am Vortag noch Niederschlag gegeben und über Nacht aufgeklart. Dieser Umstand wurde auch mit der ZAMG Salzburg erläutert. Anhand von Wetterdaten und den Erkenntnissen aus Befragungen ergab sich auch für den Unfalltag ein ähnliches Bild. Es hatte nämlich am Vorabend noch gewittert und in der Nacht zum Unfalltag aufgeklart. Daher dürfte zum Unfallzeitpunkt die Eisoberfläche mit hart gefrorenem Wassereis glasiert gewesen sein. Auch lag die Unfallstelle zum Unfallzeitpunkt noch im Schatten (Abb. 8). Ein Umstand, der bei einem derartigen Absturz nahezu keinen Reibungswiderstand ergibt. Beim Absturz dürfte die Seilschaft daher, fast wie in einer Art freiem Fall, beschleunigt haben.
Wahrscheinlich waren diese Eisverhältnisse auch mit ein Auslöser für den Absturz. Sogar versierte Steigeisengeher müssen bei derartigen Verhältnissen konzentriert gehen und man darf sich im Prinzip dabei keinen Fehler erlauben.
Resümee der erhebenden Beamten
Trotz des dramatischen Ereignisses handelte es sich um einen erhebungstechnisch einfach aufzuarbeitenden Unfall. Auch der Umstand, dass letztlich keiner der Teilnehmer den Unfall überlebte, veranlasste die Staatsanwaltschaft dazu, jedes weitere Verfahren einzustellen.
Was bleibt, sind natürlich die Eindrücke am Unfallort, die Kontakte mit den Angehörigen und die persönliche Verarbeitung des Erlebten.
Kein sonderlich großes Verständnis bleibt für die mediale Dynamik eines solchen Ereignisses. Schon kurze Zeit nach der Unfallalarmierung, noch in der Abklärungsphase, erfolgten Presseanfragen, die mangels Sachverhaltskenntnissen gar nicht seriös beantwortet hätten werden können. Hier muss man vielleicht auch einmal kritisch bemerken, dass die mittlerweile auch von Blaulichtorganisationen gängige Gepflogenheit, unmittelbar nach Eintreffen eines Notrufes umgehend die Presse zu informieren, mitunter einen pietätlosen und unseriösen Verlauf nehmen kann.
Man stelle sich vor, man sitzt als Angehöriger zu Hause und erhält aus diversen Medien, ohne nähere Details, Kenntnis von einem dramatischen Bergunfall einer deutschen Alpenvereinsgruppe im Bereich der Zittauerhütte, im Wissen, dass es sich bei den Betroffenen unter Umständen um den Gatten oder Sohn handeln könnte. Die Bestätigung dafür kommt aber erst Stunden später durch die offizielle Verständigung. Vor allem wir von der Polizei können nur gesicherte Fakten weitergeben und nicht mit Vermutungen und Halbwahrheiten in die Öffentlichkeit gehen.
Der Betrachtungszeitraum 2016–2020 (blau) müsste ebenso im 10-Jahresvergleich bis 2025 dargestellt werden. Da aber zum Redaktionsschluss nur die Daten bis 2020 vorliegen, können wir nur diese Daten zeigen. Würde man die Zahlen der letzten fünf Jahre (blau) auf eine Dekade hochrechnen, wäre die Zahl der Mitreißunfälle in etwa konstant, es gab aber deutlich weniger Opfer. Die Ursachen dafür sind: Es gab keine großen Gruppenunfälle und im Corona-Jahr 2020 reduzierte Aktivitäten, insbesondere von Ausländern.
Interessant: Der Rückgang von Mitreißunfällen seit 1986 ist markant.
Mögliche Gründe für die Abnahme:
- In den letzten 20 Jahren wurde auf den 4000ern die Fixpunktsicherungen stark ausgebaut (Stangen, Bohrhaken).
- Bewusstsein für verschiedene Sicherungstechniken („Kurzes Seil“, Fixpunktsicherung) durch verbesserte Ausbildung.
- Verbesserte Ausrüstung: Antistollplatten bei Steigeisen, einfach und schnell anzubringende Eisschrauben.
Es gibt keine genauen Zahlen darüber, wie viele Menschen auf Hochtouren unterwegs sind. Geschätzt wird, dass die Zahl in den letzten Jahrzehnten etwa gleichgeblieben ist.