8.000er-Alpintourismus, Harila und die fehlende Stil-Diskussion
Update 27.07.2023: Mit dem Gipfel des K2 komplettierten die Norwegerin Kristin Harila und der nepalesische Bergführer Tenjin Sherpa ihre Achttausendersammlung. Für die Besteigung der 14 höchsten Berge der Welt benötigten die Beiden gerade mal drei Monate und einen Tag.
Was zur Zeit alles rekordversuchsmäßig an den Bergen der Welt – beziehungsweise in den Sozialen Medien – abgeht, bedürfte einer kritischeren journalistischen Beurteilung. Leider wird der Begehungsstil am Berg kaum je thematisiert – dabei müsste das der Kern jeder Erfolgs-Berichterstattung sein. Die Formulierung «Harila und ihr Team» wird einfach übernommen, als ob es sich um eine Fußballmannschaft handelt.
Aber «Team» bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem Arbeitsteilung am Berg: die einen schleppen, spuren, errichten die Zelte und installieren die Fixseile, die anderen steigen mit minimalstem Gepäck in der Spur auf und berichten möglichst medienwirksam über ihre «Heldentaten».
Ankündigungsalpinismus vom Feinsten
Dass Harila groß ankündet, jetzt alle 14 Achttausender ohne Sauerstoff zu besteigen – natürlich in Rekordzeit – und dann bereits beim zweiten Berg – notabene beim niedrigsten Achttausender – zur Flasche greift, weil’s etwas windig war und sie feststellte, dass man «ohne» nicht ganz so schnell ist wie «mit», beweist eigentlich alles. Großartiges ankünden und dann bereits zwischen 7000 und 8000m zur Flasche greifen, hört sich irgendwie lächerlich an.
«Das, was Harila macht, ist Ankündigungsalpinismus vom Feinsten.»
https://www.instagram.com/p/CroiiiBM4eX/: Hier berichtet Harila auf ihrem Instagram Account über die Gründe für den Einsatz des Flaschensauerstoffs.
Unpassende Gegenüberstellung
Wirklich unpassend ist der immer mal wieder herbeigezogene Vergleich mit der Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner. Diese zwei Frauen miteinander zu vergleichen – die eine brauchte 13 Jahre (wie langsam) und die andere nur 1 Jahr (so stark) – ist wohl nicht wirklich zu Ende gedacht: Gerlinde hatte nie im Sinn alle 14 Achttausender zu machen, am Anfang.
Im Verlaufe der Jahre und der erfolgreichen Besteigungen, entstand dann dieses Projekt. Aber da war nie der Versuch, alle Gipfel möglichst schnell zu machen. Ihr ging es um den Stil. Die zwei Frauen unterscheidet nicht nur die Haarfarbe, sondern ihr Können am Berg, ihre Leistungsbilanz und ihr Selbstdarstellungsbedürfnis.
- Gerlinde hat am Berg geliefert und danach darüber berichtet.
- Gerlinde hat alle 8000er ohne Sauerstoff bestiegen. Wie groß der Unterschied zwischen mit und ohne ist, können nur Leute einschätzen, die wirklich ohne in großer Höhe unterwegs waren. Es sind Welten. Harila hat es jetzt vielleicht auch ein bisschen gemerkt.
- Gerlinde war nie mit einem «Team» unterwegs, das die Spurarbeit, Zeltaufstellen, Wegsuchen, Sauerstoffflaschen tragen für den (schwächeren) Medien-Star übernommen hat. Sie war immer eine sehr starke und eigenverantwortlich handelnde Person am Berg. Oft war sie auch die stärkste und «pushenste» Person in der Seilschaft. So z.B. bei ihrer extrem starken Leistung bei der Besteigung des K2 von Norden mit Wassilij und Maksut.
Ich war mit Gerlinde in der Shisha Pangma Südwand. Ich weiß um ihre Stärke am Berg.
Ein Vergleich von Kaltenbrunner und Harila ist so absurd, wie wenn man die „Team- Besteigungen“ eines Nims mit den wirklich herausragenden alpinistischen Taten Erhard Loretans, oder Reinhold Messners, oder Ueli Stecks – um ein paar Namen zu nennen – vergleichen würde. Aber «Nims» ist eine andere Geschichte – was eigentlich nicht stimmt. Es ist genau die gleiche, nur krasser.
Außergewöhnliche Tat am Berg
Es ging im Alpinismus schon immer (auch) um Ruhm und Ehre. John Hunt, der Leiter der britischen Everest-Expedition 1953, hat alles vorbereitet, damit die Nachricht vom Gipfelerfolg – so er denn stattfindet – rechtzeitig zur Krönung Elizabeth II in London eintrifft. Er hätte die Möglichkeiten von Social Media sicher nicht ausgeschlagen, hätte es diese Kommunikationsform damals bereits gegeben.
Das wäre einfacher gewesen, als einen Brief im Eiltempo zu Fuß nach Namche Bazar zu befördern. Aber, egal wie die Kommunikation des «Gipfelsieges» erfolgte, es war die Tat am Berg, die außergewöhnlich war. Heute gilt für viele Protagonist*innen der Umkehrschluss: Egal was geleistet wurde, Hauptsache ich kommuniziere öffentlichkeitswirksam.
Wer sich gerne selbst auf Social Media darstellt, um berühmt zu werden oder weil er der Meinung ist, sein Tun sei relevant für die Menschheit, der soll das tun. Nur ist das nicht gleichzeitig der Beweis, dass die erbrachte Leistung auch wirklich erwähnenswert ist. Es wäre die Aufgabe eines guten Journalismus, hier die Spreu vom Weizen zu trennen – und die aktuellen Ereignisse mit alpinistischem Sachverstand einzuordnen und nicht einfach das wiederzugeben, was die Protagonisten*innen auf ihren Media-Kanälen verbreiten. In dieser Verantwortung der kritischen Beurteilung steht man aber auch als Informationskonsument – bevor man „Herzchen“ und „Klatsch-Klatsch“ verschickt.
In der Ausgabe #121 erzählt Harila im Interview von ihrer Sicht der Dinge.
Mehr dazu: Podcast alpenverein basecamp
Titelbild: Mount Everest Gipfel, Foto: Robert Bösch